Klatschmohn und Silberstift II
eBook - ePub

Klatschmohn und Silberstift II

Erinnerungen des Malers Karl Oppermann

  1. 160 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Klatschmohn und Silberstift II

Erinnerungen des Malers Karl Oppermann

Über dieses Buch

Zunächst als schlichtes Erlebnisbüchlein für die Söhne geschrieben, sind die Feuilletons zu einem lebendig geschilderten Zeitzeugnis geraten. Meist heitere Begebenheiten ordnen sich zu einem Mosaik und geben einen Ausschnitt von den Jugendjahren in seiner Geburtsstadt Wernigerode bis zu Arabesken des Kunst-Aktionismus West-Berlins, den Autor in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts hautnah miterlebte.

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Information

Bundesratufer 1

Herbert okkupiert unseren wenig benutzten Trockenboden. Von der Bauausstellung im Hansaviertel schleppt er bei Dunkelheit Planen, Bauplatten und Dachlatten an. Eimer mit Resten von Anstreichfarbe und alte Bürsten stapeln sich. Das daraus eilfertig geschaffene OEvre wird hurtig in die Galerie Rudolf Springer am Kurfürstendamm getragen. Der Chef ist gerade an der Cote d’ Azure und wird von einer erlebnishungrigen Dame vertreten, die, Zangs bewundernd, ihn so lange gewähren läßt, bis der Lagerkeller der Galerie überfließt. Unser Schnellmaler ist weder aufzuhalten noch abzuschütteln. Er verwandelt die Oppermann’schen Wäscheleinen auf dem Dachboden in ein buntes Meer von Bildfetzen, die heiter zum tachistischen Himmel segeln. Schließlich schmeißen wir den Nassauer raus und feiern unsere Courage mit einem Kneipenbummel. Doch die Freude währt nur bis zum späten Nachhausekommen. Aus dem Schatten des Hauseingangs löst sich H. Z. und verkündet mit Hundeblick, er habe leider keine Bleibe im großen Berlin gefunden.
Herbert ist ein Gast, der klaglos jede noch so einfache Mahlzeit teilt, wenn sie nur kostenlos ist. Nach einem Teller Mitleidsuppe fragt ihn Erika, ob er einen Nachschlag haben wolle. Darauf erhält sie die klassische Antwort: “Nee, dat verwahr isch misch direkt für Morjen.” Eines Tages aber geht er doch endlich, bittet aber noch schnell: ”Tu misch mal en Zichrett”, steckt verstohlen einen Groschen von der linken in die rechte, die Spartasche, und verabschiedet sich mit der Versicherung, bald wieder aufzukreuzen.
Dem Kritiker Dr. Felix Dargel gefallen meine Bilder, die ich zur Großen Berliner eingeschickt habe. Er macht den Kunsthändler Gerd Rosen aufmerksam, der mich besucht und vorschlägt, im nächsten Jahr in seiner Galerie auszustellen.
Es ist eine der wichtigsten Westberliner Ausstellungsorte. Zur Eröffnung schreibt Grass. ein Gedicht, in dem es heißt:“Weil der Maler Oppermann mit Farben malt, ist er ein konservativer Maler. Wie jeder Schuster, der bei seinen Leisten bleibt, kann man ihm deshalb vorwerfen, er löse die Probleme zu unserer Zeit nicht. ... Er ist jung, aber begabt!” wie die Kritiker zu sagen pflegen.
Meine erste “Personale” kommt gut an. “Die Welt” titelt: “Mut zu den Dingen und zu sich selbst” und während mein Lehrer Schrieber zögerlich meint, es wäre noch etwas zu früh, äußert sich Karl Schmidt-Rottluff gegenüber der Galerieleiterin Gerda Bassenge sehr positiv über die Ausstellung.
Der Tagesspiegel überschreibt seine Rezension: “Ein angenehmes Debut”.

Die Milchkuh

Steigt eine Hochschulfete oder eine Spreeshuffle, taucht Sonny Gurkasch, ein abgebrochener Architekturstudent auf. Beifall rauscht, wenn Sonny das Pistonhorn, in Zeitungspapier gewickelt, aufschnürt und in Louis Armstrong-Manier loslegt: “When the Saints go marching in.” Um der Heiserkeit seines Idols nahezukommen, traktiert er Nacht für Nacht seine Kehle mit unzähligen Zigaretten, Schnaps und Bier.
Zehn Jahre später, “The Saints” sind leider aus der Mode, quält sich unser Armstrong-Verschnitt am Rande der Stadt, in Kladow über die Runden. Ich möchte ihm helfen.
Für einen Bolle-Stand in den Messehallen brauche ich bis Februar eine große Pappmaschee-Kuh. Mir fällt Sonny ein, der als Student Statik hörte und zum Akademiefasching ähnliche Dekorationen baute.
Mein Atelierleiter, Alfred Schulze, ist, wie er selbst sagt, von altem Berliner Portiersadel. Da ihm die Anrede “Meister” für mich zu wenig, “Maestro” hingegen ein bißchen zu viel erscheint, nennt er mich, berlinisch, pfiffig “Meestro”. Ich schicke Schulze also nach Kladow, den Kontakt zu unserem Jazzveteranen zu knüpfen. Sonny bekommt gleich glühende Augen und erblickt in der Reklamekuh eine große künstlerische Herausforderung, ja, den Höhepunkt seiner Karriere. Freudig schlägt er ein und kündigt seinen Besuch in meinem Büro an.
Der Pförtner warnt per Telefon: “Herr Oppermann, hier will een komischer Vogel zu Ihnen, heißt Jurkenarsch oder so, soll ick ne durchlassen?” Sonny erscheint tatsächlich wie ein gerupfter Vogel, weil er “die janze Nacht über det Projekt jejrübelt” hat. Ich erkläre ihm, wie ich mir das aus Lattengerüst, Karnickeldraht und Pappmaschee gezauberte Objekt vorstelle, wobei ich unglücklicherweise anrege, man könne zum Schluß eine dünne Gipsschicht darüber legen, um eine sensible Oberfläche zu bekommen, bevor die Kuh, na, sagen wir, so vier Meter lang, schwarzbunt angepinselt wird. Wir verstehen uns – glaube ich jedenfalls – und er verspricht, sogleich loszulegen.
Ende Oktober kommt Schulze von einer ersten Inspektion zurück:”Jurkasch hat een Kneipensaal angemietet. Wie ick rinkam, sassa uff det Lattenjerüst mit ne Pulle Bier beim Wickel. – Wenn det man jut jeht, Meestro!
Damit er keine Vorauslagen hat, soll Bolle die laufenden Materialkosten begleichen. Mitte November läßt er fünf Zentner Gips anliefern, ich schätze es wird ein gewichtiges Teil. Wirklich stutzig werde ich aber erst, als vor Weihnachten nochmals 5 Gipssäcke geordert werden. Schulze, mit einer Festbuddel ausgesandt, berichtet: “Meestro, det wird een prächtijes Riesenvieh, aber sehr, sehr schwer. Die kriejen wir nicht uff’n Wagen!“
Augen zu und durch! Kurz vor Messebeginn mache ich selbst einen Lokaltermin. Der Saaleingang wird von zwei Säulen leerer Bierkästen flankiert. Sonny, unser Berliner Flaschenkind führt mir stolz sein Werk vor, bei dem schnell klar wird, daß die projektierte Pappkuh, “Nee, Mensch Karl, det is een plastischet Kunstwerk”, nur per Kranwagen und Tieflader bewegt werden kann. Natürlich schmeißt die Erkenntnis den Kostenrahmen um. Ich muß die Molkereifritzen von der Wirksamkeit einer Reklameaktion vor Messebeginn überzeugen: Termingerecht rollt also die Kuh, von Milchmädchen flankiert, auf einem herausgeputzten Tieflader schön langsam die Heerstraße herauf, genügend Zeit für alle Zeitungen, das Ereignis abzulichten. Großer Presse-Effekt, alles läuft wie geschmiert, da passiert beim Abladen am Stand das Schreckliche: Knacks, macht das Zwanzig-Zentner-Monster und bricht zusammen.
Nur mit schweren Wagenhebern können wir das Rindvieh wieder ins Lot bringen.Hals über Kopf muß der Bauch mit einem stabilen Unterbau gestützt werden, der, grün gepinselt, die Frische der deutschen Landschaft simuliert, so daß am Ende niemand die Zerbrechlichkeit des Katastrophenviehs ahnt. Zur Premiere singt Karl Dall, von mir in einer Kneipe aufgetrieben und wegen seiner Originalität sofort engagiert, meine Moritat vom Fußballer Kulle Schmidt, der Dank Bolles Ernährung Tor um Tor schießt.

Zunge in Sahnesoße und Nierensüppchen

Das Dreschen der Kartenspieler wird vom Klappern des Silberbestecks abgelöst.
Eduard Reifferscheidt, schwergewichtiger Luchterhand-Verleger, ist nicht nur ein gerissener Skatspieler, sondern auch ein Freund leckerer Speisen. Sein Arzt attestiert ihm Fresslust und verschreibt einen Kilometer Fußmarsch täglich, den er auf den Meter genau heruntersockt, da ihm sein Fahrer, “Herr Förster”, in schwerer, amerikanischer Limousine, Schrittempo fahrend, folgt und energisch hupt, wenn der Kilometerzähler 990 Meter ausweist.
Die Zusammenstellung unserer nächtlichen Skatimbisse gestalten die Gastgeber selbstverständlich sehr individuell. Die Grass-’sche Nierensuppe aber wird mir eines Tages durch Brahms “Deutsche Tänze” verdorben. Sein Trick, meine Chancen beim folgenden Schieberramsch psychologisch zu beeinträchtigen, gelingt ihm. Zwar spiele ich diese Variante ganz erfolgreich aber ohne Brahms im Ohr … Johannes B. hilft Günter G. und ich verspiele prompt.
Gelegentlich stößt auch Klaus Wagenbach, der Jungverleger der Rot-Buch-Reihe zu uns. Leider bereichert er unsere Spielkultur kaum, da ihm sein gestörtes Verhältnis zu Damen und Königen Blatt für Blatt im Wege steht. So wartet er, bis er ein Bubenspiel auf der Hand hat, das er mit einem Verschwörerblick ankündigt, als habe er uns konspirative Aktionen anzuvertrauen, die die Phantasie der meisten jungen Intellektuellen jener Jahre beflügelt.
Reifferscheidt schätzt meine Bilder und erwirbt einige der besten weißen Stilleben dieser Jahre. Besonders er ist es übrigens, der mich in meiner Brotarbeit bei Bolle bestätigt, während meine Malerkollegen die Doppelrolle als freier Maler und bezahlter Werbemanager skeptisch sehen. Die fatale Ansicht, ein Maler müsse dumm sein, um gut malen zu können, geistert in vielen der Köpfe, die lieber nächtens Pakete bei der Post sortieren, als ihren Lebensunterhalt mit dem Gehirn zu verdienen. Reifferscheidt’s Zuspruch, immer das Ungewöhnliche zu tun, hilft mir über manche Unsicherheit hinweg.
Am 1. April 1960 wird Sohn Daniel geboren. Taufpaten sind die Tänzerin Hertha Härter und der Maler Joachim Senger.
Glücklich über das Wunschkind, entsteht “Das Karussell”, ein Ölbild 170 x 267 cm, über das Martin Sperlich schreibt: “Ein unendlich liebenswürdiges Traum- und Triumphbild – Es ist die Begrüßung des Sohnes mit einer Chagallschen Melodie, aus dunkelblauem Grund leuchtet weiß das batistene Spitzenkleid des Kindes auf dem hölzernen Schimmel, ein Kinderbild in der Tradition von Runges Hülsenbeckschen Kindern in Hamburg.”

Szene

Zunehmend beschäftigen mich Politik und Gegenwartsliteratur. Walter Höllerer bekommt einen Lehrstuhl für “Sprache im technischen Zeitalter” an der TU Berlin. Als Gastdozent wird der junge Germanist und Theaterwissenschaftler Dr. Andrzej Wirth aus Warschau verpflichtet. Er ist Redakteur der “Nova Kultura”, an der u. a. sein Freund Marcel Reich-Ranicki, von der Partei ausgeschlossen, unter Pseudonymen publiziert. In Berlin lebt Andrzej, wenn nicht von der Akademie eingeladen, bescheiden in einem Studentenwohnheim, was ihn klagen läßt: “Früher hatte ich gute Adresse und schlechten Paß, heute habe ich guten Paß und schlechte Adresse.
“1984 beruft ihn die Justus von Liebig-Universität Gießen zum Aufbau eines Theaterwissenschaftlichen Instituts. Klangvolle Namen wie Robert Wilson und Heiner Müller gewinnt er für Vorlesungen. Er lädt mich ein, zu einer Aufführung der “Verrückten Lokomotive” von Witkiewicz die Körper der Schauspielerinnen und Schauspieler verfremdend zu bemalen. Es wird eine bemerkenswerte Aufführung. Wo und wann ich A. W. kennenlerne, ist mir entfallen. Jedenfalls wächst eine lebenslange Freundschaft. Andrzej gibt mit Grass’scher Unterstützung im Luchterhand-Verlag den sogenannten Stroop-Bericht heraus, in dem der SS-Gruppenführer Stroop penibel die Vernichtung des Warschauer Ghettos dokumentiert. Der Bericht über seine bösen Erlebnisse während der deutschen Besatzung beeindrucken mich tief und regen mich zu dem Triptychon “Aufstand im Warschauer Ghetto” an.1965 zeige ich das Bild zum ersten Mal in meiner Ausstellung im Haus am Lützowplatz in Berlin, wo es viel Beachtung findet. (Tendenzen, München Okt. 65, Tidspegel, Uppsula 3/66, Frankfurter Rundschau, Berliner Presse). Heute befindet sich die Arbeit im Besitz des Jüdischen Museums zu Berlin.1979 wird es bei einem Einbruch von Dieben aus dem Rahmen geschnitten und gestohlen. Auf einen Tipp aus der Unterwelt hin, kann es das Museum mit Hilfe Axel Springers zurückkaufen. (Weltkunst, 1979).
Für Maler, die dem Gegenstand verpflichtet sind, gibt es in Westberlin absolut keinen Markt. Die Modewelle des Tachismus, von Amerika importiert, wird auch hier zu Lande als Weltstil zelebriert.
Mit Geldern des CIA wird via “Internationaler Kulturkongress, Paris 1952”, die bunte, abstrakte Botschaft auf den europäischen Markt gekippt, dessen traditionelle Ausgewogenheit zwischen Künstlern, Kritikern und Handel heftig ins Trudeln gerät. Dies allerdings ist ein sicher unbeabsichtigtes Nebenprodukt der kulturpolitischen Absicht, die traditionell nach links tendierenden europäischen Künstler den Versprechungen des sozialistischen Realismus zu entreißen, um sie mit den Verlockungen des Kosmopolitismus geködert, an den Westen zu binden.
Hier herrscht bei den Künstlern Pleitestimmung.

Postkunst

Viele Malerkollegen sortieren zum Broterwerb nächtens auf dem Hauptpostamt Pakete. Daß die frustrierten Post-Artisten die Versandrollen anderer Künstler zertrampeln, um sie unbrauchbar zu machen, bleibt ein unbewiesenes Gerücht. Die allzu häufig zerknickt, beschädigt, verdrückt anlangenden Bildersendungen sind andererseits eine unbestreitbare Tatsache. Frustration, Enttäuschung und Verbitterung machen sich breit. Trotz ihrer Begabung sehen die meisten Kollegen keine Chance, fühlen sich von der Gesellschaft verlassen.
So gehört Paran G’ Schrey, ein Schmidt-Rottluff-Schüler, schon zu den bekannteren Malern, muß aber dennoch Nacht für Nacht zur Post, um Geld für den Unterhalt seiner Familie zu verdienen. Dabei ist er, Sohn einer Inderin und eines österreichischen Architekten und Patenkind Oskar Schlemmers, gesellschaftlich mit besten Voraussetzungen gerüstet, den Lebenskampf zu bestehen. Trotzdem findet ihn Gerson Fehrenbach mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Badewanne.
Andere Begabungen wechseln den Beruf oder tapezieren Wohnungen, wie Andreas Brandt. Rolf Lindemann, gibt die Malerei ganz auf und schreibt für den Sender Hörspiel-Features.
Viele verlassen Berlin Richtung Westen, manche enden als Sozialfall.
Die größte Not zu lindern, legt der Senat ein Hilfsprogramm für seine Künstler auf: Frau Dr. Glaeser, eine ausnahmsweise gebildete Senatsbeamtin, verteilt Aufträge: hier soll eine Straße, dort eine Brücke, gar ein Schlößchen der Nachwelt erhalten werden und so wird fürs Archiv gepinselt, wie sich später herausstellen wird, zu beiderseitigem Nutzen.
Da sitzen wir denn auf der Wartebank vor ihrer Amtsstube in der Bredtschneiderstraße: Manfred Bluth, Peter Ackermann, Johannes Grützke, meine Freunde Jochen Senger, Jochen Dunkel und Heinrich Richter und so weiter.
Curt Mühlenhaupt lebt als autodidaktischer Milieumaler in Kreuzberg. Er existiert von seiner Trödelhandlung, die zugleich Zentrum einer Künstler-Gruppe um Günter Bruno Fuchs, Robert Wolfgang Schnell und Günter Anlauf wird. Später gründen sie die Selbsthilfe-Galerie “zinke”.
Martin Sperlich schreibt:
Doppeldichterschillergoethe
Redivivus fuchs und schnell
hochprozentge morgenröte
aufgewärmt am miezenfell
allerwelts- und allerleid
kugelt mond- und kinderwelten
in die fünfuhrmorgensfreiheit
wo die hunde sich erkälten
Der Ostberliner Rundfunk sendet neuerdings Namenslisten angeblicher Spione, Saboteure und Agenten, die von Westberlin aus, den Friedensstaat DDR untergraben wollen. Mit derlei erfundenen Nachrichten soll die Bevölkerung verunsichert werden.
Als ich erfahre, daß auch mein Name genannt wird, bin ich ziemlich beunruhigt, denn davon hängt ab, ob ich einen Passierschein zum ungefährdeten Besuch meiner Eltern beantragen kann. Auf der Heimfahrt von einer Kreuzberger Vernissage aber reimen Günter Bruno und Uwe Johnson b...

Inhaltsverzeichnis

  1. Widmung
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Harz-Käse
  4. Das Schlachtefest
  5. Unser Naturgarten
  6. Das Cornet
  7. Haarsträubend
  8. Au Backe!
  9. Penne I
  10. Motive
  11. Deutschland – heiliges Wort
  12. Kehrt Marsch
  13. Grenznähe
  14. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein
  15. Penne II
  16. Weichenstellung
  17. Hinter den Kulissen
  18. Trainingseinheiten
  19. Medizin und Anatomie
  20. Wegkreuze
  21. Angekommen
  22. Die zweite Runde
  23. Rochade
  24. Auf Reisen
  25. Im Bildhauer-Atelier
  26. Guten Morgen Herr Klepp
  27. Szenenwechsel: Elßholzstraße
  28. 1954
  29. Am Steinplatz
  30. Das deutsche Wirtschaftswunder …
  31. Family
  32. Duisburger Straße
  33. Bundesratufer 1
  34. Die Milchkuh
  35. Zunge in Sahnesoße
  36. Szene
  37. Postkunst
  38. Altea
  39. 1964
  40. Moabit
  41. Das Institut
  42. Caràcas, Bogotá, Via Corta
  43. Verband, Verein, Gruppe
  44. Personenregister
  45. Impressum