Im Projektmanagement sind gegenwärtig zwei große Trendbewegungen zu erkennen: Einerseits nimmt die Verbreitung agiler Projektmanagementmethoden (noch immer) stetig zu, andererseits absolvieren klassische Projektmanager und Projektmanagerinnen immer häufiger systemische (Zusatz-) Ausbildungen.1 Dass diese Trendbewegungen keine Modeerscheinungen, sondern ernstzunehmende Schritte zur (Weiter-)Entwicklung eines integrativ-situativen Ansatzes im Projektmanagement sind, lässt sich beispielsweise daran festmachen, dass sich in der WKO Wien die Gruppe „Systemische Unternehmensberatung und Projektmanagement“ seit Mai 2012 mit der Förderung dieses Ansatzes beschäftigt.2 In beiden Trends spielen „weiche Faktoren“, wie beispielsweise Kommunikation, Beziehungen oder Reflexion3, eine große Rolle. Angesichts dieser Entwicklungen stellt sich nun die Frage, ob und wie weit diese beiden Themengebiete zueinander in Relation gesetzt werden können und welche Auswirkung diese Entwicklung auf die Ausrichtung des klassischen Projektmanagements hat. Besitzt das klassische Projektmanagement überhaupt noch eine Existenzberechtigung oder sind nicht alle Aufgaben mit agilen und systemischen Methoden effizienter und effektiver zu lösen? Oder ist es vielleicht vielmehr so, dass sowohl das klassische als auch das agile Projektmanagement als auch die systemische Intervention gleichberechtigt ihren Platz im Methodenkoffer des modernen Projektmanagements haben sollten, allerdings jedes für sich mit unterschiedlichen Anwendungsschwerpunkten? Vermischt sich die Sichtweise auf das Projektmanagement, je nach Projektart, Unternehmenskultur oder ähnlichem? Oder sind die drei vorhin erwähnten Überbegriffe nichts weiter als Deckmäntel für ähnlich gelagerte, vielleicht sogar gleiche Methoden, Techniken und Zugangsweisen nur aus anderer Denkrichtung kommend? Ausgehend von diesen Überlegungen stellt sich nun die Frage, inwieweit die systemische Intervention gar als agile Projektmanagementmethode gesehen werden kann. Dieser Thematik bin ich im Zuge meiner Diplomarbeit im Masterstudiengang „Projektmanagement und Organisation“ nachgegangen, welche die Basis für das vorliegende Buch bildet.
Die zuvor skizzierten Fragestellungen lassen sich in drei Fragen zusammenfassen:
- Inwieweit ist die systemische Intervention4 eine agile Projektmanagement Methode?
- Was ist systemisch an den klassischen Projektmanagement Methoden?
- Was ist systemisch an agilen Projektmanagement Methoden?
Zur Beantwortung dieser drei Fragen gliedert sich dieses Buch in vier Abschnitte. Im ersten Abschnitt wird das klassische Projektmanagement als grundlegende Prämisse für die folgenden Abschnitte eingeführt. Im zweiten Abschnitt werden die Grundkonzepte des agilen Projektmanagements erläutert und anschließend Scrum als Beispiel für die konkrete Umsetzung dieser Grundkonzepte vorgestellt. Im dritten Abschnitt werden zunächst die Grundzüge der Systemtheorie und ihre Einsatzmöglichkeiten in der Beratung und in Projekten dargestellt, anschließend wird die Methode der systemischen Intervention detailliert erläutert. Diese ersten drei Abschnitte gliedern sich jeweils entlang der Dimensionen Prozesse, Rollen und Elemente. Im vierten Abschnitt werden das klassische und das agile Projektmanagement, sowie die systemische Intervention miteinander verglichen und die zuvor skizzierten Fragestellungen beantwortet.
Im folgenden Kapitel werden die Prozesse, Rollen und Elemente des klassischen Projektmanagements beschrieben, um die Basis für den späteren Vergleich mit den agilen und systemischen Methoden zu legen. Abschließend werden die wichtigsten Merkmale und die Erfolgsfaktoren des klassischen Projektmanagements kompakt dargestellt.
Darstellung 1: Projektmanagement Prozess im zeitlichen Kontext5
Darstellung 1 zeigt den Projektmanagement Prozess nach GAREIS im zeitlichen Kontext. Am Beginn des Prozesses steht der unterschriebene Projektauftrag, danach folgen die Projektstartphase und abhängig von der Projektdauer mehrere Projektcontrollingzyklen. Parallel dazu findet laufend die Projektkoordination statt. Das Ende des Projektmanagement Prozesses bildet die Projektabschlussphase mit der finalen Projektabnahme. Diese Teilschritte bilden das fixe Grundgerüst des Projektmanagement Prozesses. Die Bewältigung einer Projektdiskontinuität stellt eine optionale Phase dar und wird nur bei Vorliegen einer Projektkrise oder einer Projektchance durchlaufen.6 Die inhaltliche Projektarbeit findet parallel und unabhängig vom Projektmanagement Prozess statt.7 Den zeitlichen Kontext bilden die vor Beginn des Projektprozesses stehende Vorprojektphase und die nach dem Ende des Projekts befindliche Nachprojektphase.8 Eine andere Sicht auf den Projektmanagement Prozess nimmt etwa das PMI ein: Hier wird, umgelegt auf die zuvor vorgestellte Sichtweise, sowohl die Vorprojektphase als auch die Nachprojektphase als Teil des Projekts selbst gesehen.9
Vorprojektphase
In der Vorprojektphase wird, basierend auf einer (Projekt-)Idee, eine grobe Projektwürdigkeitsprüfung durchgeführt, die Antworten auf die Fragen, ob die Idee zur Strategie der projektdurchführenden Organisation passt und ob die Organisation, die zur Realisierung der Idee notwendigen Ressourcen besitzt bzw. sie diese beschaffen kann. Fällt diese Prüfung positiv aus, so stehen als Realisationsformen für die Idee die Organisationsformen „Projekt“ und „Programm“ zur Wahl. Sollten Projekt- oder Programmorganisation nicht den passenden organisatorischen Rahmen für die Umsetzung der Idee bieten, steht alternativ dazu die Organisationsform „Stammorganisation“ zur Wahl. Die Aufbereitung der Entscheidungsgrundlagen für die Projektwürdigkeitsprüfung erfolgt idealtypisch durch eine Gruppe von Personen in einem Antragsteam, die Entscheidung selbst wird ebenfalls von einer Gruppe entsprechend dazu ermächtigter Personen der Organisation getroffen. Als Entscheidungsgrundlagen werden Grobvarianten der in der Projektstartphase erzeugten Projektmanagementdokumentation, wie beispielsweise Business Case Analyse, Projektdefinition, Projektauftrag oder Projektumweltanalyse, verwendet.10
Projektstartphase
In der Projektstartphase „[…] werden vor allem die notwendigen Strukturen und Voraussetzungen betreffend die involvierten Systeme geschaffen bzw. beschafft. Das Schwergewicht dieser Phase liegt auf dem In-Gang-Setzen.“11 Einerseits wird das Projekt mit seinen organisatorisch-technisch-sozialen Strukturen etabliert, andererseits werden die in der Vorprojektphase erstellten Grobvarianten der Projektmanagementdokumentationen verfeinert und fertiggestellt:12
- Projektorganisation und Projektkultur werden entwickelt.
- Die Beziehungen zu den Projektumwelten werden etabliert.
- Die Eckpunkte des in Darstellung 2 abgebildeten magischen PM Dreiecks Anforderungen, Zeit und Ressourcen werden fixiert.
- Risikoplanung und Diskontinuitätenvorsorge werden vorgenommen.
Darstellung 2: Magisches PM Dreieck13
In Tabelle 1 sind die für die Projektstartphase notwendigen PM-Werkzeuge zusammengefasst.14