Ich will Bauer werden.
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Ich will Bauer werden.

Die Geschichte meines Großvaters Christoph Ziegner auf der Domäne Neufrankenroda

  1. 196 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Ich will Bauer werden.

Die Geschichte meines Großvaters Christoph Ziegner auf der Domäne Neufrankenroda

Über dieses Buch

»Einmal kam ich mit einem fanatischen Kommunisten zusammen. Mit ihm war kein Gespräch zu führen. Er stand im Range eines Oberleutnants und wollte mir klarmachen, daß in Russland alles besser wäre. Die Häuser, die öffentlichen Einrichtungen, die Ernährungslage, alles war besser als bei uns. Da wir gerade an ein Radio gelehnt standen, sagte ich?: »Bei uns viele Häuser Radio, in Russland auch??« »Bei uns jeder Radio, nicht nur viele, jeder kann hören«. Erstaunt entgegnete ich, daß dies doch nicht möglich sein könne, davon hätte ich noch gar nichts gehört. Seine Stimme schwoll merklich an, als er mir erklärte, daß in Russland jedes Dorf einen Lautsprecher hätte, der auf dem Dorfplatz stünde. »Da müßt ihr doch alle dasselbe hören, ihr könnt doch da gar nicht hören, was ihr wollt«, antwortete ich ihm. Da schrie er aber los?: »Ihr Deutschen immer jeder etwas anderes machen als der andere. Bei uns Bürgermeister Radio anstellen und das für alle gut, was anderes wollen wir gar nicht hören... «Auszug: »Ich will Bauer werden«

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Information

Jahr
2015
ISBN drucken
9783735726049
eBook-ISBN:
9783738675269
Auflage
1
Thema
Kunst

1. Die Landwirtschaftsausbildung 1942 – 1944

Zottelstedt/Apolda

Bild 1 Auszug aus einem Brief von Christoph Ziegner, 16.05.1943, nach Hause
Christoph Ziegners Bruder Martin kann sich noch erinnern, wie sich Christoph im Sommer 1942 beim Mittagessen über seine berufliche Zukunft äußerte. Er sagte, dass er die Schule verlassen und Bauer werden will. Seitens der Eltern hat es allem Anschein nach keine großen Umstimmungsversuche gegeben. Vielmehr versuchte Vater Oskar Ziegner, eine entsprechende Lehrstelle für den Sohn zu finden. Aus diesem Grund schreibt er die »Landesbauernschaft in Thüringen« an. Der Verband antwortet am 13.01.1943 schriftlich und benennt 16 »Landwirtschaftslehrherren«. Oskar Ziegner entscheidet sich letztendlich für den im Kreis Weimar tätigen Landwirtschaftslehrherren Ernst Radler in Zottelstedt bei Apolda. Es folgt eine Vorstellung bei Bauer Radler und die Lehrausbidlung beginnt am 01.04.1943. Die Gymnasiumszeit endet Ostern 1943. Die folgende Zeit der Ausbildung, jeden Tag 10 Stunden1 auf den Feldern tätig zu sein, bei Sturm und Kälte, haben Christoph Ziegner für sein Leben geprägt. Der Tagesablauf wird in einem Brief nach Hause wie folgt beschrieben:
»… Um 5 Uhr aufstehen, um ½ 7 Kaffee trinken, um 7 aufs Feld, 9 bis ½ 10 Frühstück, 12 Uhr Mittag, 12 bis 2 Uhr Mittag, dann 2 bis 7 ohne Pause wieder aufs Feld. Um 7 vom Feld, um 8 Abendessen, um 9 bis ½ 10 kann ich dann ins Bett. Nächsten Tag um 5 Uhr aufstehen, s.o. …«2
Die harte Ausbildung hatte zur Folge, dass Christoph Ziegner sich innerhalb kürzester Zeit Gelenkrheumatismus zuzog, was aber nicht behandelt wurde. Nachdem im September 1943 keine Post mehr aus Zottelstedt kam – Christoph schrieb sonst ganz regelmäßig nach Hause –, machten sich der Vater und Bruder Martin auf den Weg nach Zottelstedt, um nach Christoph zu schauen. Sie fanden ihn mit steifen Gelenken in einer Dachkammer liegen. Sofort wurde er in das Apoldaer Krankenhaus eingewiesen und mit dem 29.09.1943 arbeitsunfähig geschrieben. Das war auch gleichzeitg das Ende der Landwirtschaftsausbildung in Zottelstedt. Vater und Bruder haben seine paar Habseligkeiten gepackt und Zottelstedt verlassen. Da der Vater ahnte, dass sich Bauer Radler wegen des Krankheitsbildes beim zuständigen Arzt erkundigen würde, hat er an Dr. Schmidt vorsorglich seine Sicht schriftlich erläutert. »… Sehr geehrter Herr Dr. Schmidt! In Kürze wird Sie der Bauer Radler aufsuchen, um über die wegen Erkrankung erfolgte Entlassung meines Sohnes Christoph aus der Lehrlingsstelle bei ihm zu sprechen. Seit 1.4. war mein Sohn in Zottelstedt. Er ist nach Feststellung des Arztes so überanstrengt worden, daß er körperlich einen Zusammenbruch erlebte. Ausgebrochen ist dieser zusammen mit einer Erkrankung an Gelenkrheumatismus. Bei der Anmeldung erklärte mir Herr Radler, daß ein Lehrling bei ihm nicht als volle Arbeitskraft eingesetzt und auch zu den schwersten Arbeiten nicht herangezogen werden würde. Darauf habe ich ihn gestern bei einer Rücksprache hingewiesen. Er bestritt, meinem Sohn schwere Arbeiten zugemutet zu haben, die ihn überanstrengt haben könnten. Um deutlich zu machen, was ich unter schwerer Arbeit für einen Jungen im 17. Lebensjahre verstehe, nannte ich Folgendes: Zusammen mit einem 16-jährigen Bulldogführer hat er 71 Zentner Kartoffeln in Apolda bei Händlern abgeladen und zum Teil in eine Torfahrt gestellt und ausgeleert, zum anderen Teil in enge Stellen, zu denen es Treppenstufen herauf und herunter ging, getragen. 12 eineinhalb Zentner schwere Getreidesäcke trug er auf einer Wendeltreppe ein Stockwerk hinauf und 25 gleichschwere Säcke dort herunter. 100 Zentner Rübensamen hat er mit dem erwähnten anderen Jungen allein aufgeladen. Herr Radler bestritt zunächst alles. Dann nannte er alles keine schwere Arbeit, weil ein 16-jähriger Mensch solche Arbeit leisten müßte, wenn er in die Landwirtschaft wolle. Mein Sohn hat das Gymnasium bis in die Klasse 6 besucht und es verlassen aus Liebe zum Landwirtberuf. Er hat bei Herrn Radler selbstverständlich sehr viel gelernt. Er hat große Lust an seinem Beruf mitbekommen und hat die Eigentümlichkeiten des Herrn Radler und seiner Frau hingenommen, wie sich das für einen jungen Menschen gehört. Er hat auch gern gearbeitet und Freude an der Arbeit gehabt bis zuletzt. Wenn jetzt Kinder aus anderen Ständen in den Bauernberuf gehen, dann sollten die Bauern mehr Verständnis dafür haben, daß sie keine Bauernkinder vor sich haben, sondern aus Familien Söhne anvertraut erhalten, die aus Jahren geringerer Ernährung und dadurch geringerer Kraft kommen. Mein Sohn ist groß und stark und seit 5 Jahren nicht krank gewesen und ganz gesund zu Herrn Radler gekommen. Ich habe mir erlaubt, Ihnen diesen Bericht zu geben in dem Vertrauen, daß Sie meine Lage als Vater verstehen werden. Mit deutschem Gruß! Ihr ergebener (Unterschrift Ziegner) …«3 Kein Gymnasium mehr, aber zu Hause von Mutter Helene wieder gesund gepflegt. Rechtzeitig wieder auf den Füßen, um das Winterhalbjahr auf der Landwirtschaftsschule Gotha zu verbringen.

Thorn/Danzig (Westpreußen)

Doch schon am 14.02.1944 wird Christoph Ziegner zum Reichsarbeitsdienst nach Danzig/Westpreußen »eingezogen«. Hier im Arbeitslager hat er durch die schlechten Bedingungen einen heftigen gesundheitlichen Rückfall. Er schreibt an die Eltern: »… Entschuldigt bitte meine schlechte Schrift, aber in den letzten Tagen geht es mir sauschlecht. Durch die fortwährenden Spritzen, die man hier bekommt, hat man Kopfschmerzen. Halsschmerzen haben wir alle. Und auch der Rheumatismus macht sich bemerkbar … Draußen ist ein Sauwetter, kalt und ein ziemlicher Schneesturm …«4
Bild 2 Morgenappell im Lager Thorn / Westpreußen 1944 (Originalaufnahme)
Am 25.04.1944 ist der Reichsarbeitsdienst abgeschlossen und es geht wieder nach Hause, wo sich Christoph erst einmal wieder auskurieren muss. Dr. Pudor, Hausarzt in Warza, schreibt folgendes Gutachten: »Chr.5 Ziegner hat heute seine Einberufung zum Wehrdienst erhalten. Da er z. Zt. bettlägerig ist, kann er dieser Einberufung nicht Folge leisten. Im Jahr 43 hat Z.6 einen schweren Gelenkrheumatismus durchgemacht. Danach trat zunächst ein leichtes Vitium7 in Form einer Insuffizienz8 der Aortenklappe auf. Durch die Ableistung des Arbeitsdienstes hat sich dieser Herzfehler erheblich verschlechtert. Es besteht jetzt ein lautes blasendes Geräusch über der Herzspitze und über der Aorta. Die Herzaktion ist beschleunigt. Die Röntgenaufnahme vom 17.5.1944 ergab: flachliegendes aortenkonfiguriertes Herz mit Erweiterung nach beiden Seiten, besonders nach links, während der rechte Vorhof sich kaum hebt. Auch die Aorta ist für den jungen Menschen auffallend weit. Nach diesem Untersuchungsbefund halte ich Z.9, der z. Zt. mit Fieber im Bett liegt, zunächst überhaupt nicht wehrdienstfähig. Ich bitte deswegen um eine Nachmusterung. Warza, den 20. Mai 1944, gez. Dr. Pudor«.10 Vater Oskar Ziegner versucht jetzt eine anerkannte Dienstbeschädigung zu erreichen. Er schreibt an den Führer des Arbeitsgaues des Reichsarbeitsdienstes in Danzig: »… Mein Sohn Christoph Ziegner (geb. 27.12.1926) erkrankte im September 1943 in seiner landwirtschaftlichen Lehrstelle an Gelenkrheumatismus. Anfang Dezember war er wieder in der Lage, die landwirtschaftliche Winterschule in Gotha zu besuchen. Auf die Lehrstelle konnte er noch nicht zurück. Als er Anfang Januar 44 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen werden sollte, stellte der Arzt eine Bescheinigung aus, daß er noch Schonzeit benötigte. Anfang Februar wurde er ohne ganz genesen zu sein zum Reichsarbeitsdienst nach Schmolln bei Thorn, Lager 2 / 26, eingezogen. Ende März bekam er vereiterte Mandeln, die ihm der Arzt schneiden mußte. Am 25.4. wurde er entlassen. Nach kurzem Aufenthalt zu Haus erkrankte er von neuem. Der Arzt stellte eine Verschlechterung seines Herzfehlers fest. Der Einberufung zum Wehrdienst am 24.5.
Bild 3 Obstgut Neufrankenroda, Fliegeraufnahme 1931 (Festschrift: »50 Jahre Friedrichswerther Tier- und Pflanzenzucht «, 1935, S. 11)
Bild 4 Domäne Neufrankenroda, Gebäude um 1945
konnte mein Sohn nicht Folge leisten. Mein Sohn hat sich die Verschlimmerung seines Herzfehlers im RAD11 zugezogen, zu dem er eingezogen worden ist, ohne daß er sich von seinem Gelenkrheumatismus und dem in seiner Folge entstandenen Herzfehlers hatte erholen können. Ein ärztliches Gutachten mit Röntgenaufnahmeergebnis lege ich anbei. Ich beantrage hiermit die Einleitung eines Verfahrens, das die Dienstbeschädigung meines Sohnes in der Zeit seines Arbeitsdienstes feststellt. Ferner bitte ich darum, daß der Reichsarbeitsdienst meinem Sohn zu rechter Behandlung und Ausheilung verhilft. Heil Hitler! …«12 In den Unterlagen findet sich eine Anerkennung der Dienstbeschädigung sowie einen Anspruch auf Versehrtengeld in Höhe von monatlich 15,00 Reichsmark. Zumindestens wurde dies bis 31.12.1944 ausgezahlt. Nach der Genesung in Warza versuchte Christoph Ziegner eine Höhere Landbauschule zu besuchen, was ihm aber wegen seiner zu geringen praktischen Vorbildung an mehreren Landwirtschaftsschulen nicht ermöglicht wurde. So griff Oskar Ziegner wahrscheinlich auf sein Netzwerk als Pfarrer von Warza und in Vertretung für Metebach/Neufrankenroda zurück und schaffte es, dass Sohn Christoph ab 01. November 1944 als Verwalter auf der Wirtschaft Neufrankenroda tätig werden konnte. Neufrankenroda war mit 1000 Morgen ein Nebenbetrieb der Saatzuchtwirtschaft Eduard Meyer, Friedrichswerth. Die Zeit in Neufrankenroda hat nicht nur Christoph Ziegner für sein ganzes weitere Leben geprägt, sondern auch über Jahrzehnte das Erzählen über diese Zeit in der Familie Ziegner.

1 Auszug Postkarte nach Hause, 07.04.1943
2 Auszug aus einem Brief nach Hause, 09.04.1943
3 Brief Oskar Ziegner an Dr. Schmidt, betr. Landwirtschaftliche Lehrlingsstelle bei Bauer Radler, Zottelstedt; 08.10.1943
4 Auszug Brief vom Reichsarbeitsdienst nach Hause, 15.03.1944
5 Christoph
6 Ziegner
7 organischer Fehler od...

Inhaltsverzeichnis

  1. Hinweis
  2. Titelbild
  3. Motto
  4. Inhaltsverzeichnis
  5. Vorwort
  6. 1. Die Landwirtschaftsausbildung 1942 – 1944
  7. 2. Domäne Neufrankenroda
  8. 3. Zeit der Theorie und Praxis
  9. 4. Rückführung der ostzonalen Landwirtschaft in das deutsche Wirtschaftssytem
  10. 5. Der Landwirt
  11. 6. Kurzbiografien
  12. 7. Literaturverzeichnis
  13. 8. Abkürzungsverzeichnis
  14. Impressum