Unsere jüdischen Wurzeln
Zuallererst sprechen wir mal von der göttlichen Offenbarung: Wie uns die Kirche sagt, begegnet uns der sich offenbarende und mitteilende Gott auf drei Wegen. Man spricht auch von den drei hauptsächlichen Quellen des Glaubens und der Theologie: Heilige Schrift, Tradition und Lehramt der Kirche. Man muss diese drei Wege oder Quellen zwar voneinander unterscheiden, aber man darf sie auf gar keinen Fall voneinander trennen. Ihre Zusammengehörigkeit und enge Verbindung hat das Zweite Vatikanum deutlich hervorgehoben: »Es zeigt sich also, dass die Heilige Überlieferung, die Heilige Schrift und das Lehramt der Kirche gemäß dem weisen Ratschluss Gottes so miteinander verknüpft und einander zugesellt sind, dass keine ohne die anderen besteht und dass alle zusammen, jedes auf seine Art, durch das Tun des einen Heiligen Geistes wirksam dem Heil der Seelen dienen« (Die dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung »Dei Verbum«).
P. Anselm Günthör OSB führt dazu im ersten Band seiner Moraltheologie, »Anruf und Antwort«, Patris-Verlag, 1993, auf Seite 25f. Folgendes aus:
»Schrift, Tradition, Kirche erscheinen je nach dem Gesichtspunkt, unter dem man sie betrachtet, in unterschiedlicher Rangordnung. Der Unmittelbarkeit nach steht die Kirche am ersten Platz. Sie ist die nächstliegende Quelle und Norm des Glaubens und der Theologie (norma proxima). Die Offenbarung in Schrift und Tradition ist der Kirche anvertraut. In ihr bleibt sie lebendig. Die Kirche hat den Auftrag, sie zu verkünden und mitzuteilen.
Unter dem Gesichtspunkt des Ranges und der Würde steht die Hl. Schrift an erster Stelle. In ihr hat sich Gott in besonderer Weise mitgeteilt und teilt er sich weiterhin mit. Die Hl. Schrift ist unter dem besonderen Beistand des Heiligen Geistes (Inspiration) geschrieben worden. Sie ist daher in vollem Sinn Wort Gottes und irrtumslos in ihren Aussagen, die unser Heil betreffen.
Die Kirche muss sich ständig am Wort Gottes in der Hl. Schrift orientieren, messen und normieren. Nur als unter dem Wort Gottes stehende und von ihm normierte ist die Kirche unmittelbare, nächste Norm des Glaubens (norma normata). Dagegen unterliegt die Hl. Schrift keiner Norm, sondern sie ist die höchste Norm (norma non normata). An ihr ist auch die kirchliche Überlieferung zu messen, ob sie die Offenbarung Gottes richtig weitergibt.«
Wir halten fest: Die Heilige Schrift – also die Bibel – ist die höchste Norm! Sie umfasst die Schriften des Alten und des Neuen Testaments.
Die Schriften des Alten Testaments nennt man auch Hebräische Bibel. Die Schriften des Neuen Testaments nennt man auch Christliche Bibel.
Die Schriften des Neuen Testaments kennen Sie alle. Dazu gehören die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, die Apostelgeschichte, die Paulinischen Briefe, die Katholischen Briefe sowie die Offenbarung des Johannes.
Mit den Schriften des Alten Testaments – also der Hebräischen Bibel – kennen Sie sich vermutlich weniger gut aus. Aber da ich oben sagte, dass Sie mit Ihrer Katholizität auch gleichzeitig über starke jüdische Wurzeln verfügen, sollten wir uns diese Hebräische Bibel etwas genauer anschauen.
Der Katechismus sagt über das Alte Testament u. a.:
- »Das Alte Testament ist ein unaufgebbarer Teil der Heiligen Schrift. Seine Bücher sind von Gott inspiriert und behalten einen dauernden Wert, denn der Alte Bund ist nie widerrufen worden« (121)
- »Die Christen verehren das Alte Testament als wahres Wort Gottes. Den Gedanken, das Alte Testament aufzugeben, weil das Neue es hinfällig gemacht habe [Markionismus], wies die Kirche stets entschieden zurück« (123)
- Altes und Neues Testament bilden eine Einheit (128 – 130)
- »Die ganze Heilige Schrift ist ein einziges Buch, und dieses Buch ist Christus, denn die ganze göttliche Schrift spricht von Christus, und die ganze göttliche Schrift geht in Christus in Erfüllung« (134).
Zunächst möchte ich Ihnen einen kurzen Überblick über die Grobstruktur der Hebräischen Bibel verschaffen. Weiterführende Informationen finden Sie dann im Anhang.
Die Juden nennen ihre Bibel natürlich nicht Altes Testament, sondern »TaNaKh«. Die Konsonantenfolge TNK ist das Akronym der Anfangsbuchstaben der drei Hauptteile der Hebräischen Bibel: Torah (»Weisung«), Nevi’im (»Propheten«) und Ktuvim (»Schriften«).
Die Dreiteilung spiegelt einen abnehmenden Grad an Inspiration wider:
- Die Torah beruht auf direkter Zwiesprache des Mose mit Gott
- Die Nevi’im beruhen auf Prophetie, also durch Gott gesandte Träume und Visionen
- Die Ktuvim beruhen auf indirekter Beeinflussung der menschlichen Autoren durch den Heiligen Geist.
Die schriftliche Torah, also die Torah im engeren Sinne, besteht aus 5 Teilen (hebräisch: chumash; griechisch: Pentateuch):
- B’reshit (»Im Anfang schuf …«)
- Sh’mot (»Dies sind die Namen …«)
- Vayiqra (»Und es rief JHVH …«)
- BaMidbar (»Und es redete JHVH in der Wüste …«)
- D’varim (»Dies sind die Worte …«)
Die griechischen bzw. latinisierten Begriffe lauten: Genesis, Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium.
Über die Torah möchte ich Ihnen etwas mehr erzählen, weil sie eine Sonderstellung einnimmt, und weil es über die fünf Bücher Mosis dermaßen viel Spannendes zu berichten gibt, dass Sie die folgenden Zeilen wahrscheinlich mit großer innerer Bereicherung lesen werden. Die rabbinische Literatur über die Torah konvergiert natürlich gegen Unendlich, und sie wächst unablässig weiter. Für eine umfassende Bewertung haben wir im vorliegenden Buch aber weder den Platz, noch wird es das Hauptthema sein. Deshalb möchte ich im Folgenden nur zwei Stimmen zu Wort kommen lassen, die für Sie einen kleinen Zipfel des Schleiers der Torah lüften werden.
Unter dem Link www.hagalil.com/judentum/torah/torah-heute/torah.htm finden Sie einen Artikel des Arztes Dr. Eli Erich Lasch (1929 – 2009), aus dem ich auszugsweise zitieren werde. Der Artikel ist überschrieben mit: »Die Torah – eine Brücke zwischen Religion und moderner Wissenschaft«.
Dr. Lasch hatte im Jahre 1984 ein mystisches Erlebnis, das er selbst als »Licht- oder Gotteserlebnis« bezeichnete. Wie es auf seiner Website heißt, veränderte dieses Erlebnis sein Leben. »Er bekam Einblick in eine andere Dimension, in eine andere Realität. Aus dem Atheisten wurde ein Gläubiger, aus dem rational denkenden Naturwissenschaftlicher und Forscher ein Mystiker. Die Bibel öffnete sich ihm und gab ihre Geheimnisse preis, und so entwickelte sich das, was er ‚Kabbala heute’ nannte.« Er wirkte fortan als Geistheiler und gab Seminare über die Bibel, die Kabbala und alternative Heilmethoden. »1999 hörte er mit dem Heilen auf und widmete sich wieder ganz der Erforschung der Bibel und der Kabbala.« Dr. Eli Erich Lasch verstarb am 1. April 2009. Näheres finden Sie auf der Website www.kabbala-heute.de
Ein hochkarätiger Exeget der Torah ist der jüdisch-chassidische Erzähler und Schriftsteller Friedrich Weinreb (1910 – 1988). Sein Hauptwerk »Schöpfung im Wort – Die Struktur der Bibel in jüdischer Überlieferung« ist ein absolutes must have. Auf Wikipedia heißt es: »Voraussetzung für ein tieferes Verständnis der Bibel ist dabei die Anerkennung der hebräischen biblischen Sprache als wesentlicher Mitteilung grundlegender überzeitlicher Wahrheit. Dabei kommen vor allem kabbalistische Überlieferungen zum Tragen, die einen Zusammenhang zwischen Wort und Zahl aufzeigen.«
Bevor wir gleich ins Detail gehen, möchte ich noch erwähnen, dass weder Eli Lasch noch Friedrich Weinreb irgendeine Gemeinsamkeit mit den modernen Bibelforschern haben, die eine göttliche Urheberschaft der Torah notorisch leugnen und sie durch diese Leugnung mehr oder weniger irrelevant für unser Zeitalter machen wollen. Und Weinreb sagt sogar: »Eine Million Menschen könnten in einer Million Jahren nichts Vergleichbares wie die Torah hervorbringen.« Wenn Sie Weinrebs Hauptwerk »Schöpfung im Wort«, in dem er eine Vielzahl von absolut überzeugenden Beweisen für die göttliche Urheberschaft anführt, wirklich aufmerksam gelesen haben, dann werden Sie auch mir zustimmen: Die Torah ist unmöglich Menschenwerk. Sie kann es nicht sein!
Doch zunächst zu dem Artikel von Eli Lasch.
Er beginnt seinen Artikel mit einem Zitat aus seinem eigenen Buch »Let There Be Freedom – The Bible Unveiled«, 1989: »Ich hatte das Gefühl, als ob es mir wie Schuppen von den Augen fiele. Plötzlich öffneten sich die Mauern, die über Jahrhunderte um das Kernstück der Bibel gebaut worden waren. Ich sah und verstand, dass die Torah, auch Pentateuch genannt, nicht bloß ein geschichtliches Relikt ist, eine Sammlung altertümlicher Sagen, Mythen und Gesetze, nur tauglich für ein Volk der Antike, sondern eine Botschaft, die heute ebenso bedeutsam ist, wie sie es vor dreiunddreißig Jahrhunderten, zur Zeit von Mose war. Eine zeitlose Botschaft, die der Menschheit ermöglichen kann, den nächsten Schritt ins neue Jahrhundert zu gehen.«
Dann weist Lasch darauf hin, dass die Torah weder ein literarisches noch ein vorwiegend theologisches Dokument ist. Sie ist auch kein Geschichtsbuch. Die Torah ist ein Wegweiser, »ein Buch des Wissens, in dem das Wort ‚glauben’ im heutigen Sinne kein einziges Mal vorkommt. Der Begriff ‚wissen’ erscheint dafür 990 (!) Mal.«
Lasch verweist auch auf die ganzen naturwissenschaftlichen Informationen, mit denen die Torah gespickt ist, von denen kein Mensch etwas zu der Zeit der Entstehung der Torah etwas wissen konnte. Das Spektrum reicht von der Paläontologie bis hin zu den modernen astrophysikalischen Theorien.
Am wichtigsten ist ihm allerdings die Bestätigung des sogenannten Bibelcodes, von dem bereits sowohl der RaMBaM, besser bekannt unter dem Namen Moses Maimonides (1135 – 1204), als auch der Gaon von Wilna (1720 – 1797) gesprochen haben. Lasch schreibt dazu: »Plötzlich stellt sich heraus, dass die uralte Warnung: ‚Wer beim Schreiben der Torah einen einzigen Buchstaben auslässt oder hinzufügt, zerstört die Welt und alles, was sie enthält’, mehr als eine poetische Metapher ist. Jetzt können wir diese Warnung verstehen: Die Veränderung eines Buchstabens würde den Code zerstören.«
Und dann zitiert Lasch einen hervorragenden Computerspezialisten: »Was ich nicht verstehe, ist Folgendes: Wie ist es möglich, einen Code, oder vielmehr ein Computerprogramm von solchem Umfang und solcher Komplexität zu entw...