GANGSTER'S PARADISE
„Ich glaube, unser Weg ist uns vorherbestimmt“, meint T. Und wie er dies sagt, wirkt er keinesfalls resigniert. Vielmehr scheint es, als präsentiere er mir diesen Satz als stolzes Resultat eines längeren Denkprozesses.
Eines Abends steht er in seinem Trainingsanzug vor einer der altmodischen Telefonzellen am Rande des Innenhofs der JVA. Nebenbei rauchend erzählt er mir aus seinem Leben. „Das einzige, was mir hilft, ist bedingungslose Liebe“, erklärt er weiter und berichtet, wie sehr ihn seine ehemalige Sozialbetreuerin beeinflusst hatte, als sie ihn einige Jahre privat und aus eigener Tasche betreut habe. „Sie hat mich jede Woche besucht, für mich eingekauft und mir Hoffnung gegeben.“ Für den Sprung aus dem Milieu des sozialen Wohnungsbaus heraus in ein besseres Leben hatte es dennoch irgendwie nicht gereicht.
„Ich bin in Fahrwasser geraten, aus denen du aus eigener Kraft nicht mehr herauskommst: Du hängst immer mit den falschen Typen ab, die die falschen Dinge tun. Und du machst mit, schon allein aus Langeweile. Irgendwann aus Frust. Ich hab so zwei, drei Kleinigkeiten gemacht, deswegen sitze ich jetzt hier. Außerdem glaube ich, haben die vor Gericht alles aufgezählt, was ich jemals angestellt habe, seit ich 14 Jahre alt bin.“
Vor wenigen Stunden noch schneite an genau dieser Stelle das Paradies herein: Der fahrende Händler, ein Kiosk auf Rädern, mit vollen Regalen. Einmal pro Woche können sich die Häftlinge mit Lebens- und Genussmitteln aller Art eindecken. Im Wagen ist es so eng, dass sie maximal zu zweit eintreten dürfen. Die anderen bilden eine Schlange von mehreren Metern und warten geduldig. Erstanden werden Getränke, die in der Kantine nicht angeboten werden, Süßigkeiten, Obst, Gemüse und Dinge, die sie dann nach Feierabend in den Gemeinschaftsküchen zubereiten. Ob er denn vorhin auch etwas gekauft habe, frage ich T.. „Nein, da kauf ich nicht! Das ist doch total überteuert“, schimpft er und schüttelt energisch den Kopf. Die Verkäuferin kaufe ihre Ware selbst irgendwo in einem Supermarkt und verkaufe sie doppelt so teuer weiter, so sein Vorwurf. „Alle bescheißen. Überall. Richter, Verkäufer, alle.“ Später wolle er Betriebswirtschaft studieren. Dann könne er selber auf hohem Niveau bescheißen. „Ich kann gut rechnen“, sagt er über sich und möchte damit seinen Plan untermauern.
Plötzlich öffnet sich eine der grauen Telefonzellen. Recht lässig heraus geschlurft kommt ein Mithäftling, der sich sogleich zu uns gesellt. Das sei doch auch die totale Abzocke, keift T. erneut und deutet mit dem Daumen in Richtung Fernsprechanlage. „Drei Minuten – fünf Euro!“ Allmählich nerven mich seine Beschwerden, weshalb ich frech daran erinnere, dass er sich hier ja immerhin im Knast befände und nicht im Hotel Astoria, wo er jederzeit Südfrüchte inklusive erwarten dürfe. „Ich war schon in anderen Gefängnissen“, antwortet T. trotzig „da war alles besser.“ Kaum ausgesprochen wendet er sich an seinen Kumpel, um ihn zurecht zu weisen. Dieser solle doch bitteschön sein soeben fallen gelassenes Kaugummipapier in den Mülleimer neben sich werfen. Da kann ich nicht anders und entgegne: „Du hast doch auch gerade deine Kippe einfach fallen lassen. Guck mal, hier liegt sie!“
T. senkt suchend seinen Blick. Als er die Kippe entdeckt, stutzt er. „Ach, der kleine Rest? Ja, der verglüht doch von alleine!“
Spaghetti oder lieber Pizza? „Nach Feierabend kochen wir hier oft gemeinsam“, erzählen die Häftlinge. „Ich kann gut kochen“, sagt einer von ihnen. „Anbraten, schön Zwiebeln, Soße und so...“ Die individuellen Vorlieben sind ganz verschieden und um Nutzungszeiten zu vereinbaren, müssen sie sich absprechen. Verbale Kommunikation, statt die Sprache der Fäuste.
Für die Gemeinschaftsküche gilt das genauso wie für das „Lernfeld Haftraum“. Die Gefangenen sollen auch hier lernen auf einander Rücksicht zu nehmen, sich in Toleranz zu üben und die Grundregeln von Ordnung und Sauberkeit anzuwenden.
Zwei Gefangene stehen an die Wand gelehnt im breiten Flur. Von rechts nähern sich noch drei. Sie flüstern sich etwas zu, einer von ihnen nickt, während ein anderer wie beiläufig nach hinten über die Schulter blickt und sich am Nacken kratzt. Links öffnet sich eine Tür. Heraus kommen zwei weitere Häftlinge, breitbeinig, den Kopf hängend, aber den etwas nicht! Sofort springen sie auf. Innerhalb von Sekunden könnten sich jetzt die Aggressionen in einer wilden Prügelei entladen. „Schwirrt ab!“ Klare Ansage. Das harsche Kommando eines der Bediensteten hallt über den Flur. In Verbindung mit einer Armbewegung, wie man sie vom Boxen her kennt, ein Zeichen des Auseinandergehens, weichen die Blick nach oben gerichtet. Stress liegt in der Luft. Kontrahenten? Offene Rechnungen? Ihre plötzliche geballte Präsenz, das maskuline Gehabe und die Positionen der Männer zueinander, wirken massiv bedrohlich. Jetzt wird es eng im breiten Flur, das spüren die Bediensteten sofort. Von ihrem Büro aus haben sie alles im Blick -und hier stimmt Häftlinge zurück. „Das Land NRW hat Millionen in eure Hafträume investiert. Ihr müsst also nicht auf dem Flur abhängen!“ Das Gelächter ist nur kurz. Die Häftlinge spüren, der Spruch enthält eine sehr ernste Botschaft. Und so verströmt die Horde schnell wieder in die Zimmer des Flures: Direkt zurück in ihre Hafträume, zum Kicken in den Gesellschaftsraum oder zum Frisieren ins Bad. Wen es heute Abend in die Teeküche verschlagen hat, will nicht kochen oder backen. Heute Abend heißt es „rappen“. Und böse gucken. Aus einem CD-Spieler dröhnt jetzt ein Mono-Beat. Ghetto. „Pscht“, flüstern sie, „aber nicht so laut! Wenn jetzt einer kommt, gibt‘ s richtig Ärger! Hier dürfen höchstens vier Leute rein.“ Okay-kleines Ghetto.
EIN HÄFTLING ERZÄHLT:
»Neulich hab ich ´ne Knarre im Rhein gefunden.
Ehrlich!«
Jeden Dienstagabend heißt es für alle Gefang...