Das Hoheitsgebiet und seine Abgrenzung aus völkerrechtlicher Sicht, an historischen Beispielen dargestellt
1. Völkerrecht und Staatsgrenzen I
Es ist im modernen Völkerrecht unbestritten, dass Staatsgrenzen das Hoheitsgebiet jedes Staates umschließen bzw. abgrenzen. Das Hoheitsgebiet ist ein dreidimensionaler Raum, der nach oben bis an den Weltraum und ins Erdinnere bis zu dessen Mittelpunkt reicht. Alle Staatsgrenzen aller Staaten der Welt treffen sich theoretisch an diesem Punkt.
Diese (Rechts-) Definitionen haben seit Beginn des 20. Jahrhunderts eine Entwicklung durchlaufen, die im Folgenden beispielhaft dargestellt wird. Das trifft selbstverständlich auch auf das territoriale Grenzregime der DDR zu, das sich während der 41 jährigen Existenz dieses Staates entwickelte.
Konsequent wird zwischen der Staatsgrenze einerseits und dem territorialen Grenzregime andererseits auch an dieser Grenze unterschieden: Während die völkerrechtlichen Fragen grundsätzlich durch Vereinbarungen zwischen den Anliegerstaaten geregelt werden, ist das territoriale Grenzregime, seine konkrete Ausstattung und Ausgestaltung, seine Sicherung durch entsprechende Maßnahmen und entsprechendes Personal, immer eine souveräne Angelegenheit des Staates, der es anwendet.
1.1. Bonfils definiert im Jahre 1904 wie folgt:
„Der der Souveränität eines Staates unterworfene Raum wird durch die Staatsgrenzen, die Schranken des Staatsgebietes, umschrieben.
Die souveräne Gewalt des Staates findet an den Grenzen ihr Ende. - Die Grenzen sind entweder natürliche oder künstliche. Natürliche Grenzen sind die, welche die Natur selbst vorzeichnet, wie z.B. eine Gebirgskette, ein Fluss, das Meer. Einige Staatsmänner und Publizisten wollen den Umfang und sogar die Bildung der Staaten der Theorie von den natürlichen Grenzen unterwerfen. Dieser Versuch,der den geschichtlichen Überlieferungen widerstreitet, gehört mehr dem Bereiche der Politik als dem des Völkerrechts an. Diese Theorie hatte in Frankreich viele Anhänger. – Es ist zweifellos, dass sich die Bodengestaltung, wie sie die Natur bietet, besser ist als eine bloss gedachte Linie zur Verteidigung gegen äussere Angriffe eignet. Ein Fluss oder eine Gebirgskette sind militärisch unstreitig von Wert, da sie durch das Hindernis, das sie dem Feinde entgegensetzen Sicherheit gewähren… “ 58
1.2. Bei Anzilotti (1929)
und anderen Völkerrechtlern wird grundsätzlich nachgewiesen, dass Staaten Rechtssubjekte, Träger von Rechten und Pflichten, des Völkerrechts sind. Ohne es besonders zu betonen, wird die Dreiteilung aller Staaten in Staatsvolk-Gebiet-Staatsmacht und selbstverständlich seine Abgrenzung mittels Staatsgrenzen vorausgesetzt.
1.3. Vanselow (1931)
definiert den Staat als „ein auf eigenem Gebier ansässiges organisiertes Volk, das durch Staatsorgane rechtswirksam vertreten wird und Herrschaftsgewalt ausüben läßt. Ein Staat ist unbeschränkt souverän, wenn er selbst höchste Instanz (suprema potestas) ist, d. i. unabhängig von fremden Willen handeln kann; Beschränkungen der Souveränität sind häufig, ohne daß sie dem Staat seine Eigenschaft nehmen, Völkerrechtssubjekt zu sein…. Das ´Staatslandgebiet´ ist das feste von den Staatsgrenzen umhegte Land und die zum Staate gehörenden Enklaven und Inseln. Küsten und Watten gehören dazu, soweit sie bei Ebbe trocken fallen, Zum Landgebiet zählen die nicht schiffbaren Wasserläufe und Seen innerhalb der Staatsgrenzen. `Staatswassergebiet´ a) im engeren Sinne sind die Binnengewässer also schiffbare Binnenseen, Flüsse, Kanäle und der Teil der Küstengewässer, der der uneingeschränkten Hoheit des Uferstaates unterworfen ist.
b) im weiteren Sinne auch die Küstengewässer (Territorialgewässer), in denen der Uferstaat fremdes Durchfahrtsrecht anerkennen muß. Wie Staatsgebiet behandelt man die nationalen auf dem Boden der freien See liegenden Kabel.
`Staatsluftgebiet´ ist der Luftraum, der von einer lotrecht auf Staatsgrenzen gedachten Wand umschlossen wird.“59
1.4. Radbruch 1929/1952 „Nie wieder Krieg“
Der bürgerliche Rechtswissenschaftler Gustav Radbruch (1878-1949) erlangte eine erneute Aktualität nach dem Anschluß der DDR an die BRD in den sog. Mauerschützen Prozessen.
In diesen Prozessen „ging es sowohl um die Strafbarkeit ehemaliger DDR-Grenzsoldaten, die im Rahmen der Ausübung ihres Dienstes an der innerdeutschen Grenze DDR-Staatsbürger auf der Flucht von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland erschossen hatten, als auch um die Strafbarkeit ihrer Befehlshaber als mittelbare Täter. Nach überwiegender Ansicht rechtfertigte das geschriebene Recht der DDR die Tötung unbewaffneter Flüchtlinge im Grenzgebiet.“60
Die von Radbruch entwickelte Formel hin und her! Die Tatsache, dass Radbruch ein entschiedener Kriegsgegner war, wird immer verschwiegen! Unter der Überschrift „Nie wieder Krieg“ heißt es bei ihm: „Kriegsromantik und Kriegsethik verhinderten vor den Weltkriegen viele, namentlich junge Menschen, der dumpfen Ahnung: der Krieg muß kommen! Den klaren Willen entgegenzusetzen: der Krieg darf nicht kommen!, trieben wie der Schwindel, der Grauen vor der Tiefe und doch zugleich Zug in die Tiefe ist, der Katastrophe zu. Es darf nicht noch einmal kommen… Hören wir unsererseits nicht auf, gelobend und beschwörend in die Welt hinauszurufen: Nie wieder Krieg!“61
Wenn viele Jahrzehnte später zwei namhafte Militärs der DDR62 ihrem Buch den Titel gaben „Ohne die Mauer hätte es Krieg gegeben“, dann wird allein damit dokumentiert, dass die Erhaltung des Friedens oberstes Gebot war. Die Grenzsicherungsmaßnahmen, beginnend am 13. August 1961, ihre `menschliche Seite´ und die damit verbundenen Emotionen „spielten damals keine, allenfalls nachrangige Rolle. Westliche Militärs würden das Kollateralschaden nennen. Um nicht mißverstanden zu werden: Die Führung der DDR, wir beide eingeschlossen, hat jeden einzelnen Todesfall an der Staatsgrenze bedauert. Kein einziger war gewollt. Und nicht nur, weil dadurch der Sozialismus Schaden nahm. Der Sozialismus war und ist von seinem Anspruch her humanistisch, der Klassenauftrag der NVA und der Grenztruppen lautete, den Frieden zu sichern und zu bewähren, nicht in den Krieg zu ziehen. Weder gegen Völker noch gegen einzelne Gesetzes- und Grenzverletzer.“63
1.5. Entschließung des Deutschen Bundestages vom 7. April 1954 zur „Souveränität“ der DDR.
„Entschließung des Deutschen Bundestages über die Nichtanerkennung der `Souveränität´ der Sowjetzonenregierung, 7. April 1954
Entschließung des Deutschen Bundestages
In seiner 23. Sitzung vom 7. April 1954 nahm der Deutsche Bundestag nachstehenden Entschließungsantrag einstimmig an:
Der Deutsche Bundestag erklärt, daß das deutsche Volk sich niemals mit der Spaltung abfinden und die Existenz zweier deutscher Staaten hinnehmen wird. Er wiederholt die Feststellung, das das kommunistische Regime in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands nur durch Gewalt existiert und keine Vertretung des deutschen Volkes ist. Die Bundesregierung als die einzige demokratisch und frei gewählte deutsche Regierung ist allein berechtigt, für alle Deutschen zu sprechen. An dieser oft bekundeten Stellungnahme hat sich durch die Erklärung der Regierung der Sowjetunion vom 25. März 195464 nichts geändert.“
1.6. Verdross (1955) setzt folgende Prämissen:
Da „das Staatsgebiet ein dreidimensionaler Raum ist, sind die Grenzen gegenüber den Nachbargebieten und der hohen See, im Luftraume und unterhalb der Erdoberfläche zu bestimmen.
1. Die zwischenstaatlichen Landgrenzen (nicht Landesgrenzen! K.E.) werden gegenwärtig in der Regel durch Grenzverträge vereinbart und auf Grund dieser Verträge durch Grenzkommissionen abgesteckt….
Die Landgrenzen können längst einer natürlichen Grenze, z.B. einer Bergkette oder eines Flusses verlaufen, niemals aber bestimmt die natürliche Grenze als solche die Staatsgrenze. Bei Gebirgsgrenzen werden entweder der höchste Gebirgskamm oder die Wasserscheide gewählt. Bei schiffbaren Flüssen wird die Grenze, mangels abweichender Vertragsnormen oder mangels einer gegenteiligen Übung, durch die tiefste Schiffahrtsrinne, den sog. Talweg (downway), bei nicht schiffbaren Flüssen durch die Mittellinie des Wasserlaufes gebildet.
Solche Grenzen sind veränderlich, da sich diese Linien durch Anspülungen (alluvio) und Anschwemmungen (avulsio) verschieben können. Die Grenze folgt bei allmählichen Veränderungen dem jeweiligen Talweg oder der jeweiligen Mittellinie. Hingegen bleibt ...