ANMERKUNGEN/ VERWEISE AUF ZITIERTE STELLEN
1 Der Gier- und der Suchtbegriff sollten immer präzise unterschieden werden: Gier ist zunächst nichts anderes als ein intensives Verlangen nach etwas, wobei hinter dem starken Verlangen ein seelisches oder ein physiologisches Ungleichgewicht stehen kann – etwa die Gier nach etwas Süßem zur Anhebung des Blutzuckerspiegels oder nach Wasser, um starken Durst zu löschen. Gier ist sicherlich eine anthropologische Konstante, sie ist weder gut noch schlecht an sich, der Gegenstand der Gier entscheidet. Wird Gier zur Sucht, gibt es keinen Endpunkt des Verlangens mehr. Sucht ist im Gegensatz zu Gier immer zerstörerisch für das betroffene Individuum. Von diesen Begriffsklärungen ausgehend sollte Kapitalismus nicht als institutionalisierte Gier, sondern als institutionalisierte Sucht verstanden werden, denn das Prinzip der Profitmaximierung kennt keine Grenze: „Das Kapital hat einen horror [sic!; PD] vor Abwesenheit von Profit oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. Beweis: Schmuggel und Sklavenhandel."
[J. Dunning, Trades’ Unions and strikes: their philosophy and intention. London 1860, S. 35f. zit. nach: Marx, Karl (41890): Das Kapital, Band 1, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 1–43, Berlin: Dietz-Verlag, 1956 ff., Band 23, S. 788].
2 Wie schon Georg LUKACS im Jahr 1923 feststellte ist „Natur [...] eine gesellschaftliche Kategorie. D. h., was auf einer bestimmten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung als Natur gilt, wie die Beziehung dieser Natur zum Menschen beschaffen ist, und in welcher Form seine Auseinandersetzung mit ihr stattfindet, also was die Natur der Form und dem Inhalt, dem Umfang und der Gegenständlichkeit nach zu bedeuten hat, ist stets gesellschaftlich bedingt“ [Lukacs, Georg (1983): Geschichte und Klassenbewußtsein. Studien über marxistische Dialektik, Darmstadt/Neuwied: Luchterhand, S. 372]. Vor diesem Hintergrund habe ich lange darüber nachgedacht, wie dieser normativ sehr stark aufgeladene Begriff Natur durch einen wertfreieren ersetzt werden kann. Einen solchen fand ich nach der Begegnung mit dem Schmetterling und in Anlehnung an Pierre BOURDIEUS Begriff des sozialen Raums [vgl. Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und "Klassen". Lecon sur la lecon. Zwei Vorlesungen, Frankfurt am Main: Suhrkamp] im Begriff bio-physikalischer Raum, und so werde ich im Folgenden den Begriff Natur synonym mit diesem verwenden.
3 Karl MARX an Ferdinand LASSALLE (16. Januar 1861), in: Marx-Engels-Werke (MEW), Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 1–43, Berlin: Dietz-Verlag, 1956 ff., Band 30, S. 578.
4 Aus diesem Grund stelle ich MARX heute neben HERAKLIT, Alfred North WHITEHEAD oder Henri BERGSON in die Reihe der sogenannten Prozessphilosophen. Prozessphilosophie gibt dem Prozess Vorrang gegenüber der Substanz, dem Werden gegenüber dem Sein [vgl. Rescher, Nicholas (2000): Process Philosophy. A Survey of Basic Issues, Pittsburgh: University of Pittsburgh Press]. Der Evolutionsbiologe Ernst MAYR verweist auf viele Gemeinsamkeiten in den Denk-Ansätzen des dialektischen Materialismus und der Evolutionsbiologie [Mayr, Ernst (1997): Roots of Dialectical Materialism, in: E. I. Kolcinskij (Red.): Na perelome. Sovjetskaja biologija v 20-30-godach, Vyp. 1, Sankt Petersburg, S. 12–18].
5 Sehr erhellend ist hier immer wieder die Kritik Michail BAKUNINS an diesem Konzept aus dem Jahr 1871, die schon all diese Entwicklungen prophezeite: „Sie [die Kommunisten; PD] werden alle Regierungsgewalten in ihren starken Händen konzentrieren, weil die bloße Tatsache, daß die Massen unwissend sind, starke, besorgte Lenkung durch die Regierung notwendig macht.“ [Bakunin, Michail (1871): Sozialismus und Freiheit, https://www.marxists.org/deutsch/referenz/bakunin/1871/xx/freiheit.htm, Zugriff: 16.4.2015].
6 Marx, Karl (1845): Thesen über Feuerbach, in: Marx-Engels-Werke (MEW), Herausgegeben vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED, Bd. 1–43, Berlin: Dietz-Verlag, 1956 ff., Band 3, S. 6
7 Luhmann, Niklas (1987): Soziale Systeme. Grundriss einer allgemeinen Theorie, Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 346.
8 Luhmann, Niklas (1998): Die Gesellschaft der Gesellschaft (2 Teilbände), Frankfurt am Main: Suhrkamp, S. 24.
9 Einer der wenigen Soziologen, der Soziologie immer in diesem Sinne verstanden hat, war Norbert ELIAS: „Die Soziologie beschäftigt sich mit Menschen; deren Interdependenzen stehen im Mittelpunkt ihrer Arbeit.“ (Elias, Norbert (102004): Was ist Soziologie?, Weinheim/München: Juventa, S. 105f.).
10 Behrend, Hanna/Döge, Peter (2001): Nachhaltigkeit als Politische Ökologie. Eine Kontroverse über Natur, Technik und Umweltpolitik, Berlin: Trafo; Döge, Peter (2002): "Klein ist schön". Neuere Technikkritik als Kritik an der Großen Technik, in: Reinhold Reith/Dorothea Schmidt (Hg.): Small is beautiful? Small is awful?, in: Cottbuser Studien zur Geschichte von Technik, Arbeit und Umwelt, Münster: Waxmann, S. 123–138.
11 Fraser, Gordon (2006): Introduction. The new physics for the Twenty-First Century, in: Ders. (Hg.): The New Physics for the twenty-first century, Cambridge: Cambridge University Press, S. 1
12 Corning, Peter A. (1983): Politik und Evolution: Kybernetik und Synergismus in der Entstehung komplexer Gesellschaften, in: Heiner Flohr/Wolfgang Tönnesmann (Hg.): Politik und Biologie. Beiträge zur Life-Sciences-Orientierung der Sozialwissenschaften, Berlin/Hamburg: Paul Parey, S. 38–60.
13 Döge, Peter (2012): Politik neu denken. Politiktheorie, Politikanalyse und Politische Ethik jenseits von Newton und Descartes. Eine nichtduale Perspektive, Frankfurt am Main: Peter Lang.
14 Laotse: Tao Te King – Das Buch des Alten vom Sinn und Leben. Übersetzt und mit einem Kommentar von Richard Wilhelm, Düsseldorf/Köln: Eugen Diederichs Verlag, 1952, Vers 2, S. 4.
15 Döge, Peter (2001): Geschlechterdemokratie als Männlichkeitskritik. Blockaden und Perspektiven einer Neugestaltung des Geschlechterverhältnisses, Bielefeld: Kleine.
16 Gruber, Hans (2001): Alles in Buddha, in: Psychologie Heute, Juli 2001, S. 34–39.
17 Emerson, Ralph Waldo (1906/1992): Von der Schönheit des Guten. Betrachtungen und Beobachtungen, Zürich: Diogenes, S. 43.
18 Als einen der wenigen deutschsprachigen Philosophen, die die asiatischen Denkkulturen zum einen überhaupt als Philosophie verstehen und zum anderen auffordern, diese gleichwertig zu den europäischen zu behandeln, habe ich Karl JASPERS erfahren: „Philosophie in großem Stil und im systematischen Zusammenhang gibt es seit zweieinhalb ...