1 ANLIEGEN DIESER BUCHREIHE UND
DIESES BUCHES
Tag um Tag werden wir mit Nachrichten über das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten konfrontiert. Allmählich hat man sich so daran gewöhnt, dass man diese betrüblichen Nachrichten nur noch zur Kenntnis nimmt und nach kurzem Innehalten wieder zum Alltagsgeschäft übergeht. Man kann ja ohnehin nichts bewirken. Also: „business as usual“.
Allerdings erregte am 21. März 2018 doch die Mitteilung, dass „Sudan“, der letzte männliche Vertreter der Art Nördliches Breitmaulnashorn eingeschläfert werden musste, kurzfristig die Gemüter. In manchen Zeitungen schaffte es Sudan sogar aufs Titelblatt. Nashörner stehen uns eben näher als Feldhamster oder gar Insekten. Doch auch diese Nachricht wurde wieder rasch vergessen.
Dieser Einstellung möchte die Buchreihe „Unsere Welt -aus ökologischer Sicht“ entgegenwirken. Sie möchte das Bewusstsein dafür schärfen, was für ein einmaliger Schatz unsere natürlichen Grundlagen sind, und wie leichtfertig dieser heute aufs Spiel gesetzt wird. Jeden Tag verabschieden sich je nach Studie bis zu 130 Pflanzen- und Tierarten leise und unspektakulär auf Nimmerwiedersehen von dieser Erde.
Es ist heute ziemlich mühsam, einen genaueren Überblick über die aktuelle ökologische Situation zu gewinnen. Die Informationen zu den Prozessen, die gegenwärtig ablaufen, sind weit verstreut und dazu oft noch subjektiv gefärbt. Daher wird in dieser Buchreihe der Versuch unternommen, die aktuellen ökologischen Prozesse zusammenfassend zu beschreiben und zu beurteilen. Eine zu oberflächliche Darstellung soll vermieden werden. Allerdings darf und will die Reihe aber auch keinen wissenschaftlichen Anspruch erheben. Sie stellt den Versuch dar, die wesentlichen Ergebnisse einschlägiger wissenschaftlicher Studien und von Berichten seriöser Zeitungen in möglichst prägnanter Weise zum Ausdruck zu bringen. Ihr Hauptanliegen ist daher die Zusammenschau der vielfältigen Prozesse und ihrer Ergebnisse sowie deren Bewertung von einem humanistischen, dem Leben und hier vor allem der Ökologie zugewandten Standpunkt aus.
Bei dieser Betrachtung werden wirtschaftliche Gesichtspunkte keineswegs ausgeklammert – schließlich sind sie für unsere Gesellschaft wichtig. In Zukunft muss der schwierige Spagat zwischen Ökonomie und Ökologie jedoch weitaus besser gelingen als bisher. Seit dem Beginn der Industriellen Revolution vor gut 250 Jahren wurde die ökonomische Seite nahezu stets vorrangig behandelt. Die ökologische Problematik dagegen wurde anfangs völlig ausgeblendet und erst seit den 60er Jahren mehr schlecht als recht berücksichtigt.
Dies war anfänglich ja auch ein durchaus verständliches Denken und Handeln in einer nach Weizsäcker [32] damals noch „leeren“ Welt. Heute dagegen sehen wir uns mit den Problemen einer „vollen“ Welt konfrontiert. Die bisherigen, aus eurozentrischer Sicht so eleganten Möglichkeiten, die ökologischen und sozialen Probleme auf Kosten der Natur oder vieler Länder des Südens externalisierend zu lösen, schwinden rapide dahin. Allerorts werden daher die industrialisierten Gesellschaften zunehmend mit Problemen konfrontiert, die sich nicht mehr allzu lange auf die bisherige Art und Weise werden bewältigen lassen. Das Denken und Handeln im Sinne des 19. Jahrhunderts, das vielleicht in einer „leeren Welt“ noch gerechtfertigt werden konnte, sind heute nicht mehr zielführend und daher nicht mehr zu akzeptieren. Weizsäcker ist zuzustimmen, wenn er in seinem großen Bericht an den Club of Rome „Wir sind dran“ [32] ein grundsätzliches Umdenken und verändertes Handeln einfordert. Das Ziel sollte ein balanciertes Gleichgewicht zwischen den beiden Bereichen Wirtschaft und Ökologie sein. Und dieses Ziel darf kein Fernziel bleiben, sondern muss in absehbarer Zeit erreicht werden.
Daher ist entschlossenes, baldiges Handeln zugunsten der ökologischen Seite angesagt. Noch steht das Zeitfenster offen. Es hat allerdings bereits begonnen, sich langsam, aber sicher zu schließen. Und niemand weiß mit auch nur halbwegs ausreichender Sicherheit, ob die „tipping points“, nach denen eine Rückkehr zu den bisherigen Verhältnissen nicht mehr so einfach möglich sein dürfte, bei einem „Weiter so!“ der Industriegesellschaften schon in 20 oder erst in 50 Jahren eintreten werden. Dass die ökologischen Verhältnisse für die Menschheit allerdings dann, wenn dieser Punkt erreicht ist, ziemlich ungemütlich werden dürften, darüber sind sich nahezu alle Experten einig. Außerdem verlangt allein schon die Generationengerechtigkeit – die Verantwortung, die wir Heutigen für Kinder und Enkel tragen – gebieterisch, dass wir unser bisheriges Handeln und Lassen im Lichte der bereits heute deutlich sich abzeichnenden negativen Entwicklungen genauer überdenken. Eine neue Aufklärung ist nach Weizsäcker, nach der Enzyklika „Laudato Sí“ von Papst Franziskus [20] sogar eine „Kulturrevolution“ vonnöten.
Diese Buchreihe wendet sich bevorzugt an den Leser, der mit offenen Augen durch diese Welt geht und sich seine eigenen Gedanken zu den tagtäglichen ökologischen, weit überwiegend bedrückenden Nachrichten macht. Sie will tragfähige Informationen liefern und damit selbst ein Mosaikstein dieser notwendigen „neuen“ Aufklärung sein. Die Hoffnung besteht, dass auch diese möglichst objektiven, fundierten Beurteilungen der aktuellen Entwicklungen den einen oder anderen Leser anregen mögen, über sein bisheriges und zukünftiges Verhalten als „homo oeconomicus“, vor allem aber auch als Konsument nachzudenken.
Die Grundlage dieser Bücher bildet die jahrzehntelange Beschäftigung des Verfassers mit ökologischen Fragen in Wort, aber auch Tat. Angeregt durch die Tatsache, dass sich die ökologischen Verhältnisse in den letzten Jahrzehnten deutlich verschlechtert haben, wurden 22 zentrale ökologische Problembereiche systematisch und grundlegend erarbeitet. Die Ergebnisse dieser Bemühungen sollen ihren Niederschlag in einer Reihe von neun Bänden – „Unsere Welt – aus ökologischer Sicht“ – finden, die jeweils spezifischen Themen aus diesen Bereichen gewidmet sind. Da jedoch in der Ökologie wie im richtigen Leben alles mit allem zusammenhängt, kommt es zwangsläufig zu zahlreichen Überschneidungen. Diese sind nicht nur unvermeidlich, sondern sogar ausdrücklich gewollt.
Es ist außerdem beabsichtigt, herausragende Experten um ein Geleitwort für die verschiedenen Bücher zu bitten.
Neben dem hier vorliegenden ersten Band, für den der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und des BUND Naturschutz in Bayern, Prof. Dr. Hubert Weiger, das Geleitwort übernommen hat, sollen im Laufe der nächsten zwei Jahre die folgenden acht Bücher vorgelegt werden:
Geleitwort: Prof. Dr. C. Kemfert
- Industrielle Landwirtschaft (Titel NN)
Geleitwort; Prof. Dr. M. Succow
Geleitwort: Oberforstdirektor Dr. L. Fähser
- Gesellschaft und Ökologie (Titel NN)
Geleitwort: Prof. Dr. E.-U. von Weizsäcker
- Klimawandel (Titel NN)
- Verkehrswende? Ja bitte!
- Meere (Titel NN)
- Süßwasser (Titel NN).
Nicht ohne Grund steht dieses Buch, das sich mit dem weltweiten Verlust an Biodiversität befasst, am Anfang dieser Reihe. Wir leben zwar in den Industriestaaten weithin in einer von der Natur abgeschotteten, entfremdeten Welt, ja sogar immer häufiger mehr oder weniger lange Zeit in ausgesprochen virtuellen Welten. Dennoch sind und bleiben wir Menschen weiterhin auch ein Teil der Natur und sind daher in Zukunft auch weiterhin auf sie in vielfältiger Weise angewiesen.
Allerdings stehen ökologisch die Zeichen heute eher auf Sturm. Um nur einige wenige Symptome zu benennen: So hat sich beispielsweise der Biodiversitätsindex seit 1970 mehr als halbiert. Etwas mehr als die Hälfte der Wälder in den Tropen und Subtropen sind in dieser Zeit weitgehend zerstört worden. Die Weltbevölkerung vermehrt sich weiter und ist im oben genannten Zeitraum mit heute 7,6 Milliarden Menschen auf das Doppelte angewachsen. Ihr Wachstum schwächt sich inzwischen zwar leicht ab, wird aber voraussichtlich erst bei einer Bevölkerung von etwa 10 Milliarden Menschen Mitte dieses Jahrhunderts zum Stillstand kommen. Außerdem hat sich der generelle Pro-Kopf-Verbrauch an Umweltflächen wie auch an Konsumgütern in der genannten Periode mehr als verdoppelt. Der jährliche Ausstoß an Treibhausgasen ist in diesem Zeitraum ebenfalls auf das nahezu Doppelte angewachsen. Der globale ökologische Fußabdruck hat inzwischen die Größe von 1,6 Planeten erreicht. Er ist besonders groß in den urbanen Zentren der westlichen Welt.
Hierfür zitiert Weizsäcker [32] zwei eindrucksvolle Beispiele (S. 75): Nach Girardet beträgt „der ökologische Fußabdruck Londons das 125-Fache der Fläche der Stadt selbst, was ungefähr das Äquivalent des gesamten produktiven Landes Englands ist“. Und weiter teilt er mit: „Eine typisch nordamerikanische Stadt mit einer Bevölkerung von 650.000 würde 30.000 Quadratkilometer Land benötigen, ein Gebiet ungefähr von der Größe Belgiens, rein um ihre materiellen Bedürfnisse zu erfüllen“.
In dem Buch „Planetary Boundaries: Exploring the safe operating space for humanity” haben Rockström u. a. neun „planetarische Lebenserhaltungssysteme“, die nahezu alle primär ökologischen Charakter tragen, behandelt. Unter diesen „Kontrollvariablen“ wird die „Integrität der Biosphäre“, mit der sich dieses Buch beschäftigt, für das Überleben der Menschheit als besonders wichtig, aber zugleich auch als hochgefährdet angesehen. Die „genetische Vielfalt befindet sich nach dieser Grafik (siehe umseitige Abbildung 1) bereits im „Hochrisikobereich“. Auch fehlen noch die Voraussetzungen, um die „Belastungsgrenze“ quantifizieren zu können. Ihre Kenntnis ist jedoch erforderlich, wenn man bei weiteren Eingriffen in die Biodiversität unabsehbare Folgen vermeiden möchte.
jenseits des Unsicherheitsbereichs (Hochrisiko)
innerhalb des Unsicherheitsbereichs (zunehmnedes Risiko)
unterhalb der Belastungsgrenze (sicher)
Belastungsgrenze noch nicht quantifiziert
Abbildung 1: Kontrollvariable des Klimawandels
Quelle: http://science.sciencemag.org/content /347/8223/1259855 (Copyright vom 25.04.2018)
Auf der UNEP-Tagung 2012 wurde anlässlich der Vergabe des Blue Planet Prizes der „Imperative to Act“ vorgestellt. Er ist von allen 18 bisherigen Preisträgern unterschrieben worden und wird wegen seiner Bedeutung hier angeführt:
Die menschliche Fähigkeit, zu handeln, hat die menschliche Fähigkeit, zu verstehen, weit übertroffen. Daraus erwächst für die Zivilisation ein Orkan von Problemen, ausgelöst durch Überbevölkerung. Überkonsum der Reichen, Einsatz umweltschädlicher Technologien und schlimme Ungleichheiten.… Die sich rasch verschlechternde biophysikalische Situation ... wird von der Weltgemeinschaft kaum erkannt, die dem irrationalen Glauben verfallen ist, dass die Wirtschaft physisch endlos wachsen könne.
Albert Schweitzer hat bereits vor 70 Jahren diese Entwicklungen vorausgeahnt und die Menschen zu tatkräftigem, jedoch ethisch fundiertem Handeln angesichts der technischen Möglichkeiten und ihrer Bedrohung für unsere Welt aufgerufen: „Die einzig sinnvolle Lebensweise ist ... die des aktiven Eingreifens in die Welt. Es geht dabei nicht um die Aktivität um ihrer selbst willen, sondern ganz spezifisch um die Aktivität des Lebens und Sorgens für den Mitmenschen...