Tagebuchtexte vom 30.9 bis 24.12.1962 im Original und in der bearbeiteten Fassung
30. September 1962, Sonntag
Man sieht vor sich einen großen Platz. Ich habe dann das Bedürfnis, Dinge zu sehen, die mit dem Platz einen Zusammenhang haben. Ich habe früher diese Schwäche verflucht. Heute macht sie mich noch traurig und hilflos. Ich möchte dann ausweichen mit meinen Gedanken. Aber das führt zu nichts anderem. Ich fühle mich gelebt. Ich fühle, wie ich gehe, ohne gehen zu wollen, wie meine Hand Worte schreibt, die sie schreiben muss. Was lenkt meine Hand? Wie kann ich froh sein, wenn es nicht mein Eigenes ist, wenn der, den ich vertrete, eine Puppe ist, die alles tut, was in ihren Kräften ist. Wie kann ich das Bewegende erkennen, die Idee, die durch eine Hand mich zwingt zu leben? Kann ich es fühlen? Aber ich spüre nur die Berührung. So muss ich dann dauernd ertasten, alles muss auf meine Haut wirken. Und das Unsichtbare? Gibt es das? Es gibt für meine Augen Unsichtbares und für meine Ohren Unhörbares. Aber ist das für meine Augen Unsichtbare wirklich unsichtbar?
Ich habe keine Idee mehr. Ich habe alle Definitionen verloren, ich weiß nicht mehr den Sinn unserer Sprache. Was rede ich? Was höre ich? Ich misstraue meinen Sinnen. Ich weiß nicht, was Sinne sind und wie viele es gibt und wozu sie da sind. Ich sehe eine Straße vor mir.
Dort, wo ich ging, war Feld. Ich wollte nach der Uhr schauen. Ich trug keine am Arm. Wäre ich nur im Feld geboren. Ich liege im Feld – oder ich gehe dort. Kämen sie doch jetzt. Ich gehe lange. Immer noch Feld, einfaches Feld am Weg, Erde, rau, aufgeworfen. Ich höre sie in der Ferne. Sie schreien: aufge – worfen, rau, aufgeworfen.
Meine Ohren schmerzen. Meine Hände greifen ins Gesicht. Könnte ich sie nur halten. Mich friert. Alles tanzt vor meinen Augen. Es wird Nacht. Kaum spüre ich das. Ich liege am Boden. Ich wundere mich. Es ist still. Keine Geräusche. Wie arm ich bin. Lebe ich? Habe ich einen Gedanken? Und wenn ich einen hätte.
Nach der Bearbeitung des Textes circa 50 Jahre später
Man sieht vor sich einen großen Platz. Ich habe dann das Bedürfnis, Dinge zu sehen, die mit dem Platz einen Zusammenhang haben. Ich habe früher diese Schwäche verflucht. Heute macht sie mich noch traurig und hilflos. Ich möchte dann ausweichen mit meinen Gedanken. Aber das führt zu nichts anderem. Ich fühle mich gelebt. Ich fühle, wie ich gehe, ohne gehen zu wollen, wie meine Hand Worte schreibt, die sie schreiben muss. Was lenkt meine Hand? Wie kann ich froh sein, wenn es nicht mein Eigenes ist, wenn der, den ich vertrete, eine Puppe ist, die alles tut, was in ihren Kräften ist? Wie kann ich das Bewegende erkennen, die Idee, die durch eine Hand mich zwingt zu leben? Kann ich es fühlen? Aber ich spüre nur die Berührung. So muss ich dann dauernd ertasten, alles muss auf meine Haut wirken.
Und das Unsichtbare?
Gibt es das? Es gibt für meine Augen Unsichtbares und für meine Ohren Unhörbares. Aber ist das für meine Augen Unsichtbare wirklich unsichtbar?
Ich habe keine Idee mehr. Ich habe alle Definitionen verloren, ich weiß nicht mehr den Sinn unserer Sprache. Was rede ich? Was höre ich? Ich misstraue meinen Sinnen. Ich weiß nicht, was Sinne sind und wie viele es gibt und wozu sie da sind. Ich sehe eine Straße vor mir.
–
Dort, wo ich ging, war Feld. Ich wollte nach der Uhr schauen. Ich trug keine am Arm. Wäre ich nur im Feld geboren! Ich liege im Feld – oder ich gehe dort. Kämen sie doch jetzt!
Ich gehe lange. Immer noch Feld, einfaches Feld am Weg, Erde, rau, aufgeworfen. Ich höre sie in der Ferne. Sie schreien:
Aufge – worfen, rau, aufgeworfen!
Meine Ohren schmerzen. Meine Hände greifen ins Gesicht. Könnte ich sie nur halten. Mich friert. Alles tanzt vor meinen Augen. Es wird Nacht. Kaum spüre ich das. Ich liege am Boden. Ich wundere mich. Es ist still, keine Geräusche. Wie arm ich bin! Lebe ich? Habe ich einen Gedanken? Und wenn ich einen hätte …
(Fortsetzung 2. Oktober)
2. Oktober 1962 (Fortsetzung vom 30. September)
Wenn nur Gedanken dort wären. Meine Hände greifen in den Boden. Die Erde schiebt sich an den Armen empor. Wie ich sie fühle. Was kommt auf mich zu? Ich denke an ein kreisrundes Rad mit Feuer, das sich um meinen Hals legt. Die Erde schiebt sich empor, schwer, steinig, schmerzend. Die Erde ist warm. In ihr steckt die Wärme des Tages, während ich liege und während es dunkel ist und während ich sie rufen höre. Rufen sie wirklich? Wie viele sind es? Dieses Geschrei habe ich noch nie gehört. Meine verfluchten Ohren. Immer täuschen sie mich, gaukeln sie mir Lügen vor wie Marktfrauen, die faulen Fisch für frischen verkaufen, die falsch gedüngtes Gemüse zu teuren Preisen anbieten. Doch ich liebe das alles, ich liebe meinen Tod und die Qual einer Krankheit und den entseelenden Schmerz. Ich liebe das alles, was auch Mord und Verbrechen birgt, was so konfus ist wie der vom Wind aufgewirbelte Sand.
Fühlte ich nur die Erde! Hörte ich sie nur reden! Was bringt sie mir, sie, die an meinen Leib geschmiegte? Habe ich ihre Sprache verloren wie der moderne Mensch, der sich nur noch im Schlaf kennt?
Ich habe die Luft kennengelernt. Zuerst fand ich sie nicht. Ich kannte die Erde nicht. Ich kannte nur ein leeres Wort. Jetzt, wo ich die Erde fühle, denke ich an die Luft. Sie ist wie ein Glas, durch das man hindurch sieht, das man erst greift, wenn man es kennt.
Nach der Bearbeitung des Textes circa 50 Jahre später
… wenn nur Gedanken dort wären! Meine Hände greifen in den Boden. Die Erde schiebt sich an den Armen empor. Wie ich sie fühle! Was kommt auf mich zu? Ich denke an ein kreisrundes Rad mit Feuer, das sich um meinen Hals legt. Die Erde schiebt sich empor, schwer, steinig, schmerzend, …
Die Erde ist warm. In ihr steckt die Wärme des Tages!
… während ich liege und während es dunkel ist und während ich sie rufen höre. – Rufen sie wirklich? Wie viele sind es? Dieses Geschrei habe ich noch nie gehört. Meine verfluchten Ohren. Immer täuschen sie mich, gaukeln sie mir Lügen vor wie Marktfrauen, die faulen Fisch für frischen verkaufen, die falsch gedüngtes Gemüse zu teuren Preisen anbieten.
- Ich bitte die zu Unrecht beschuldigten Marktfrauen um Verzeihung!
Doch ich liebe das alles, ich liebe meinen Tod und die Qual einer Krankheit und den entseelenden Schmerz. Ich liebe das alles, was auch Mord und Verbrechen birgt, was so konfus ist wie der vom Wind aufgewirbelte Sand.
Fühlte ich nur die Erde! Hörte ich sie nur reden! Was bringt sie mir, sie, die an meinen Leib geschmiegte? Habe ich ihre Sprache verloren wie der moderne Mensch, der sich nur noch im Schlaf kennt?
Ich habe die Luft kennengelernt. Zuerst fand ich sie nicht. Ich kannte die Erde nicht. Ich kannte nur ein leeres Wort. Jetzt, wo ich die Erde fühle, denke ich an die Luft. Sie ist wie ein Glas, durch das man hindurchsieht, das man erst greift, wenn man es kennt.
3. Oktober 1962
Ein großes Loch, in das man lebt, in das man ist, in das ich mich erfasse. Und ich fordere die Welt. Lautlos erhebe ich mich. Eine Sonne scheint mir, mir ganz allein, ein Lied höre ich und ihre Stimmen, ein Gebrüll wilder Kehlen. Dort, wo der Himmel ist, liegen Steine, liegt Feuer. Ich vertreibe den Spuk und finde mich im Feld, jenem quadratischen, das mir am Rücken liegt. Wie oft empfinde ich es. In der Nacht hat es grauschwarze Formen, die sich schnell verwischen. Zähle ich die Jahre, die ich hier verbringe? Wo ist das Feld? Habe ich es verloren?
Nach der Bearbeitung des Textes circa 50 Jahre später
Ein großes Loch, in das man lebt, in das man is(s)t, in das ich mich erfasse. Und ich fordere die Welt. Lautlos erhebe ich mich. Eine Sonne scheint mir, mir ganz allein. Ein Lied höre ich und ihre Stimmen, ein Gebrüll wilder Kehlen:
„Dort, wo der Himmel ist, liegen Steine, liegt Feuer!“
Ich vertreibe den Spuk und finde mich im Feld, jenem quadratischen, das mir am Rücken liegt. Wie oft empfinde ich es? In der Nacht hat es grau-schwarze Formen, die sich schnell verwischen, zähle ich die Jahre, die ich hier verbringe. – Wo ist das Feld? Habe ich es verloren?
5. Oktober 1962
Wie ist das Gefühl? Sie haben Wertvolles verloren. Sie sind traurig. Der Schmerz verändert Sie. Er steckt Sie auf oder sabotiert Sie. Dann vergessen Sie. Irgendwann einmal, erinnern Sie sich, tat mir das Herz weh. Was empfinden Sie? Es ist wie ein Buch, aus dem Seiten herausgerissen werden. Sie haben die Geschichte gelesen, möchten aber nach Jahren noch einmal wissen, wie es zuging. Sie finden das Buch zerstört. Die Zeit hat den Druck zersetzt, die Feuchtigkeit das Papier aufgeweicht. Schicksal, sagen Sie? Glauben Sie, dass Menschen Bücher so verwahren, dass sie unbefleckt bleiben. Ja, Bücher schon, aber sich selbst nicht. Alles ist im Fluss. Du findest dich in jedem Augenblick anders. Was nützen dir erhaltene Seiten, wenn deine Augen blind wurden und dein Mund stumm, wenn dein Herz müde geworden und deine Lippen den Kuss nicht mehr spüren. Macht es dich traurig? Vielleicht. Es verändert dich. Doch du lachst mit dem nächsten Menschen und betest dann zu Gott und bewunderst die Schönheit der Blumen, die du im Dreck findest. Blumen, die dort wuchsen, die die Sonne aufgehen sahen und ihren Untergang, die das Nass des Regens spürten und im Sturm ihre zarten Stiele beinahe in den Tod bogen, die in der Glut der Sonne welkten und schließlich verschwanden und nur noch in deinem Geist herumspuken. Betest du zu ihnen? Beten Sie?
Die Farbe des Feldes ist verloren mit der Frucht, die eingeholt ist. Wie die Frucht starb, so starb der Bauer mit jedem Schnitt, den seine Maschine in das Leben hinein tat, und wie die Frucht fiel, so fiel die Welt in ein Chaos, in ein geordnetes Chaos, dessen Anwesenheit unheimlich massiv ist.
Ich frage Sie, lieben Sie das Feld, jenes grauschwarze oder das in der Quadratur oder im Zirkel oder im üblichen Rechteck. Hören Sie die Glocken und sehen Sie diese Massen von Rauch, welche einem hohen Turm entsteigen? Lieben Sie die Nacht und ihren Regen und ihre unendliche Einsamkeit, lieben Sie das Kratzen einer Feder und das Geschrei der Kinder? Deine Augen, wie große Feuerbälle, spiegeln das Licht der Sonne, und dein Atem geht wie die Uhr ohne Besitzer.
Weit ist der Horizont und in der Ferne verlöschen die Gedanken.
Nach der Bearbeitung des Textes circa 50 Jahre später
Wie ist das Gefühl? Sie haben Wertvolles verloren, Sie sind traurig. Der Schmerz verändert Sie. Er steckt Sie auf oder sabotiert Sie. Dann vergessen Sie. „Irgendwann einmal“, erinnern Sie sich, „tat mir das Herz weh.“ Was empfinden Sie? Es ist wie ein Buch, aus dem Seiten herausgerissen werden. Sie haben die Geschichte gelesen, möchten aber nach Jahren noch einmal wissen, wie es zuging. Sie finden das Buch zerstört. Die Zeit hat den Druck zersetzt, die Feuchtigkeit das Papier aufgeweicht. „Schicksal“, sagen Sie? Glauben Sie, dass Menschen Bücher so verwahren, dass sie unbefleckt bleiben?
Ja, Bücher schon, aber sich selbst nicht! Alles ist im Fluss! Du findest dich in jedem Augenblick anders! Was nützen dir erhaltene Seiten, wenn deine Augen blind wurden und dein Mund stumm, wenn dein Herz müde geworden und deine Lippen den Kuss nicht mehr spüren?! Macht es dich traurig? Vielleicht. Es verändert dich! Doch du lachst mit dem nächsten Menschen und betest dann zu Gott und bewunderst die Schönheit der Blumen, die du im Dreck findest! Blumen, die dort wuchsen, die die Sonne aufgehen sahen und ihren Untergang, die das Nass des Regens spürten und im Sturm ihre zarten Stiele beinahe in den Tod bogen, die in der Glut der Sonne welkten und schließlich verschwanden und nur noch in deinem Geist herumspuken. Betest du zu ihnen?!
Beten Sie?
Die Farbe des Feldes ist verloren mit der Frucht, die eingeholt ist!
Wie die Frucht starb, so starb der Bauer mit jedem Schnitt, den seine Maschine in das Leben hinein tat, und wie die Frucht fiel, so fiel die Welt in ein Chaos …
In ein geordnetes Chaos!
… dessen Anwesenheit unheimlich massiv ist. – Ich frage Sie, lieben Sie das Feld, jenes grauschwarze oder das in der Quadratur oder im Zirkel oder im üblichen Rechteck? Hören Sie die Glocken und sehen Sie diese Massen von Rauch, welche einem hohen Turm entsteigen? Lieben Sie die Nacht und ihren Regen und ihre unendliche Einsamkeit? Lieben Sie das Kratzen einer Feder und das Geschrei der Kinder?
Deine Augen, wie große Feuerbälle, spiegeln das Licht der Sonne, und dein Atem geht wie die Uhr ohne Besitzer! Weit ist der Horizont und in der Ferne verlöschen die Gedanken!
7. Oktober 1962
Wieder unvernünftig gewesen letzte Nacht. Erst um 4:00 Uhr ins Bett. Zu viel getrunken. Heute erschöpft, Kopfschmerzen. Am Mittag Spaghetti, Chianti, betrunken, geschlafen bis zum Abend. Jetzt einigermaßen wach, Hitzegefüh...