Der Bücher zur Judenfeindschaft / zum Antisemitismus gibt es viele.
Dieses soll die Komponenten (=Bestandteile) des Antisemitismus untersuchen, in etwa so, wie früher ein Chemiker einen neuen Stoff (nach seiner Isolation) durch qualitative Analyse seine Elemente (Radikale, etc) bestimmte. Sodann soll bestimmt werden, wie nötig und bestimmend diese Komponenten sind, in etwa so, wie ein Chemiker in quantitativer Analyse die mengenmässige Wichtigkeit der Elemente etc. untersuchte. So dürften wir bestimmt haben, was und wie Antisemitismus ist und erst dann werden wir uns fragen, warum Antisemitismus überhaupt vorhanden ist oder sogar sein muss (im Bilde des Chemikers wäre dies etwa eine physiologische Untersuchung des neuen Stoffes).
Zwei Werke, auf die ich mich des Öfteren beziehen werde, seien hier löblich erwähnt, nämlich Alex Bein: „Die Judenfrage“ (Deutsche Verlags-Anstalt, 2 Bände, Stuttgart, 1980) und die achtbändige deutsche Ausgabe von Léon Poliakovs „Geschichte des Antisemitismus“ (Verlag Georg Heintz, Frankfurt a. M., 1988).
Von den Printmedien zitiere ich häufig die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“), die wöchentlich erscheinende jüdische Zeitschrift „tacheles“ (die in Zürich erscheint) und die christlichjüdische Monatsschrift„Israel heute“ (aus Jerusalem).
Sämtliche Anmerkungen und Quellenangaben habe ich in den Text gelegt (meistens in Klammern), so dass das lästige Nachschlagen entfällt. Auch wird dadurch ein Verzeichnis der benützten Quellen und Literatur überflüssig.
Mein Ursprünglicher Ausgangspunkt ist Wissenschaftlichkeit, d.h. streben nach Methoden möglichst gesicherter Aussagen. In der Physik z.B. liefern Experimente einen mathematischen Beschrieb einer Aussage derart, dass durch die Wiederholbarkeit des Experimentes eine Kontrolle und damit Gesichertheit der Aussagen erreicht wird. Aber dies strebe ich auch in den Geisteswissenschaften an. Davon handelt die Abbildung 18.
Heute liest man meistens ein Buch, besonders ein dickes, nicht mehr durch, sondern man durchblättert es nur noch auf der Suche nach dem, was einen gerade interessiert und das andere lässt man weg. Aber 1½ Jahrtausende Antisemitismus in Europa bergen als Folge die Gefahr in sich, dass man das Nicht-Passende gerne übersieht. Und gerade dies dürfte das Wesentliche sein. Ersteres Vorgehen ist verwandt mit einer virtuellen Begegnung. Erst das Buch ganz zu lesen ist eine reale Begegnung mit dem Thema. Verstärkt wird die Virtualität auch dadurch, dass „the medium is the message“ (Marshall Mc Luhan) und damit der Unterhaltungswert den Informationswert verdrängt.
„Wir laufen Gefahr, allmählich die Unterschiede zwischen einer realen und einer virtuellen Begegnung zu vergessen. (…) Kommunizieren wir digital, (so) vereinfachen wir unsere Fragen. Selbst bei wichtigsten Dingen senken wir das Niveau unserer Kommunikation (…) SMS, Facebook, (usw.) (…) die Macht kleiner Geräte (…) die so gross ist, dass sie nicht nur unsere Gewohnheiten verändern – sondern auch unsere Persönlichkeit.“
(Sherry Turkle, Professorin am MIT, Autorin von „Das zweite Ich“ und „Alone Together“; zitiert nach „Aufbau“, Dez. 2013)
Neben den unbewussten Verfälschungen kommen die absichtlichen z.B. mit folgendem Trick, den ich aus Thilo Sarrazin’s Buch „Der neue Tugend-Terror“ (Deutsche Verlagsanstalt, München, 2014) zitiere:
Medien und Politik beteiligen sich beide an dem Spiel, ungeliebte störende Tatsachen in blosse Meinungen und – umgekehrt – erwünschte Meinungen in angebliche Tatsachen umzuwandeln.
Eine weitere Gefahr der digitalen Entwicklung ist, dass Tablets und Smartphones mit Internet und Google usw. (die alle wunderbar sind) die gewöhnlichen Bücher verdrängen. Aber erst ein Buch zeigt uns das Ganze, ermöglicht uns eine Übersicht, eine Orientierung. Mit einem Lexikon in der Hand können wir die relative Wichtigkeit des Nachgeschlagenen erahnen.
WAS IST ANTISEMITISMUS?
Kapitel 1 bis 7
Herleitung der Antisemitismusdefinition: „Antisemitismus ist inkorrekte Negativierung von Juden“
WIE IST ANTISEMITISMUS?
Kapitel 8 bis 12
Nachweis der Inkorrektheiten bei antisemitischen Phänomen (Büchern, Ereignissen, etc.) verschiedener Zeiten an verschieden Orten
WARUM IST ANTISEMITISMUS?
Kapitel 13
Der Antisemitismus ist begründet durch die ethische Revolution der jüdisch-jesuanischen Ethik der Symmetrie in Auseinandersetzung zur bisherigen Naturethik
Insbesondere soll jetzt der Begriff„Antisemitismus“ etwas geklärt werden. Eigentlich logisch wäre es, wenn wir statt vom „Anti – Semitismus“ (anti = gegen) zuerst vom „Semitismus“ sprechen würden. Aber wenn wir z.B. im Duden (Dudenverlag, Mannheim/Wien/Zürich) nachschlagen, so finden wir dort wohl „Antisemitismus“ (= Abneigung oder Feindschaft gegen Juden), aber nicht „Semitismus“. Auch im FremdwörterDuden von 1982 fehlt es und ebenso im 20 bändigen Brockhaus von 1970 (F.A.Brockhaus Wiesbaden). Aber im Brockhaus von 1898 werden wir fündig:
„Semitismus, Bezeichnung für das ausschliesslich vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum. Der Semitismus begreift daher nur die Judenschaft als Volksstamm aber nicht auch als Glaubensgenossenschaft, wie dies bei der Bezeichnung Judentum der Fall ist, während Mosaismus sich vorzugsweise auf die religiösen und religionspolitischen Verhältnisse bezieht.“
Gleich wie im alten Brockhaus steht im alten Meyer Konversationslexikon von 1897 (Bibliographisches Institut, Leipzig und Wien):
„Semitismus = Bezeichnung für die Gesamtheit der Juden als Volksstamm, ohne Berücksichtigung der Religion.“
Judentum wäre dann die jüdische Religion oder der Judaismus oder der Mosaismus (die Begriffe sind in etwa gleich) und gegen die jüdische Religion zu sein wäre dann Antijudaismus.
Dieser war früher (z.B. im Mittelalter) sehr ausgeprägt vorhanden: man sagte z.B. die Juden seien ungläubig, und seien Gottesmörder usw. Aber in der Neuzeit verlor die Religion immer mehr an Wichtigkeit. Die Abneigung gegen die Juden aber blieb stark vorhanden. Sie musste anders begründet werden: wirtschaftlich oder völkisch-rassisch und dafür setzte sich der Begriff Antisemitismus durch, der gerade in der Neuzeit kreiert wurde. Denn in seinem Jugendwerk „Nouvelles considérations sur le caractère général des peuples sémitiques“ (1859) schrieb der Orientalist Ernest Renan (zitiert nach Alex Bein, a.a.O.):
„Hier, unter diesen grob sinnlichen, brennend lüsternen Menschen ohne alles Zartgefühl, die nie das Interesse von der Sittlichkeit abgesondert haben, diesen Arabern, diesen Juden…“
Nun aber wandten sich zwei jüdische Gelehrte, Steinschneider und Steinthal, besonders gegen das Herabmachen der Juden und nannten diese Haltung „Antisemitismus“. Seither bezieht sich dieser Begriff ausschliesslich auf Juden und nicht mehr auf Araber oder andere Völker der semitischen Sprachfamilie. Heute wird der Begriff „Semitismus“ nur noch sprachlich, nämlich für die Besonderheiten der semitischen Sprachen gebraucht.
Aber in einem späteren Essai („De la part des peuples sémitiques dans l’histoire de la civilisation“, Michel Lévy Frères, Libraires-Éditeurs, Paris, zweite Auflage, 1862) rühmt Renan die Juden, wirft aber den Muslimen Despotismus vor, der jeden Individualismus zermalme und dass die Idee des öffentlichen Wohles ihnen völlig mangle.
Wenn (neuzeitlich) populär von „Semiten“ gesprochen wurde oder (vor 1900) von „Palästinensern“, so waren damit die Juden gemeint. So schrieb z.B. Kant (in „Anthropologie in pragmatischer Hinsicht“, 1798):
„Die unter uns lebenden Palästinenser sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil, auch was die grösste Menge betrifft, in dem nicht unbegründeten Ruf des Betruges gekommen. Es scheint zwar befremdlich, sich eine Nation von Betrügern zu denken…“
Aber auch der Begriff„Jude“ war so abfällig, dass die Juden, um dem zu entgehen, den Begriff „Israeliten“ brauchten und die Religionszugehörigkeit mit „israelitisch“ bezeichneten. Hingegen bezieht sich „israelisch“ auf den Staat Israel, dessen Bürger „Israeli“ heissen. Man unterscheide also zwischen „israelisch“ und „israelitisch“.
Doch nun wieder zum Begriff „Antisemitismus“. Populär wurde dieser Begriff durch die Gründung der Antisemitenliga 1879, einer politischen Vereinigung, die sich gegen die Gleichberechtigung der Juden in Deutschland wandte. Einer der Mitbegründer war Wilhelm Marr, der kurz zuvor ein Pamphlet veröffentlicht hatte („Der Sieg des Judentums über das Germanentum – Vom nicht confessionalen Standpunkt aus betrachtet“, Rudolph Costenoble, Bern, 1879), das innerhalb eines Jahres 12 Auflagen erreichte. Daraus ein Zitat:
„Es ist gleich anfangs nach der Zerstreuung der Juden im Abendlande eine bemerkenswerte kulturgeschichtliche Erscheinung gewesen, dass das Judentum sich in die Städte warf und der Arbeit des Landbaues und der Kolonisation sich noch abholder zeigte als in Palästina und noch früher in Aegypten. Nicht die Axt und der Pflug: die List und die Verschlagenheit des Schachergeistes waren die Waffen mit welchen die Juden das Abendland eroberten und namentlich aus Deutschland ein Neu-Palästina gemacht haben…“
Nun schreibt Alex Bein (a.a.O.):
„…die allmähliche Uebernahme des Begriffs Antisemitismus bis zur Anerkennung als offizieller Name für eine Bewegung, die schliesslich dann nur noch unter diesem Namen bekannt ist. Danach überträgt man oft den Namen auch auf Vorläufer oder ähnliche Bewegungen in früheren Zeiten – ein Vorgang, der meiner Ansicht nach als anachronistisch abzulehnen ist. Man sollte also nicht vom Antisemitismus im Altertum, im Mittelalter usw. sprechen, sondern vom Judenhass, judenfeindlichen Bewegungen usw., und den Begriff Antisemitismus nur für diejenige Bewegung gebrauchen, die sich selbst so nannte – mindestens aber nicht für Bewegungen, die vor Schaffung des Begriffes wirkten.“
Doch gerade hier will ich Alex Bein nicht folgen und den Begriff„Antisemitismus“ allgemein für Judenhass brauchen. Hannes Sulzenbacher schreibt (in „Die Juden von Hohenems“ aus dem Buche Heimat Diaspora, Jüdisches Museum Hohenems, 2008):
„Der Begriff Antisemitismus kam erst in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts als ein Synonym für Judenhass auf und verbreitete sich rasch, gab er dem uralten Hass doch einen scheinbaren objektiven Anstrich.“
Auch Léon Poliakov benützt den Begriff im allgemeineren Sinn. So schreibt er (a.a.O.):
„Da nun aber der Begriff Antisemitismus sich in allen westlichen Sprachen eingebürgert hat, bleibt auch mir nichts anderes übrig als mich seiner im Sinne eines alle Arten von Andijudaismus aller Zeiten bezeichnenden Ausdrucks zu bedienen.“
Aber die Juden in Europa, wenn sie unter sich waren, sprachen nicht von Antisemitismus, sondern von „Risches“ („Rosche“ war ein Antisemit). Dies vom Hebräischen „rascha“ = „frevelhaft, schuldig“. Der jiddische Begriff „Risches“ ist älter als der Begriff „Antisemitismus“.
Aber das Buch von Alex Bein trägt den Titel „Die Judenfrage“ und dies umfasst mehr als nur den Antisemitismus. Dazu gehört auch die Frage, wie das Judentum fast zwei Jahrtausende überleben konnte ohne eigenes Land. Populär wurde dieses Thema durch den Artikel von Bruno Bauer „die Judenfrage“ in den „Deutschen Jahrbüchern für Wissenschaft und Kunst“, 1842. Alex Bein schreibt dazu:
„Keiner vor ihm hat die Judenfrage als Problem der Eingliederung der Juden in die christlichen Staaten Europas so scharf und umfassend zur Diskussion gestellt.“
Zwecks einer andern Formulierung der Judenfrage möchte ich Rudolf Kittel zitieren aus seinem Buche „Gestalten und Gedanken in Israel“ (Quelle&Meyer, Leipzig, 1925).
Dieser protestantische Theologe (1853 – 1929) wurde auch dadurch bekannt, dass er die hebräische Bibel mit allen Lesarten herausgab: BHK = biblia hebraica editione Kittel; in der Neuausgabe BHS = biblia hebraica Stuttgartensia sind auch die Lesarten durch die Qumranfunde berücksichtigt. Kittel schreibt:
„Seit mehr als zwei Jahrtausenden ist das Judentum Problem und Schicksal der Menschheit. Die Wahrheit bleibt bestehen, sei man dem Volke hold oder gram: die einen erkennen sie mit Stolz und Freude, die andern mit Schmerz – leugnen wird sie niemand.“
Sei es zum Guten, so fällt darunter der phänomenologische Gottesbeweis (siehe weiter unten), seis zum Schlechten, so fällt darunter der Antisemitismus. Obiger Gottesbeweis ist das Phänomen der Weiterexistenz des jüdischen Volkes, denn nach Karl Thieme („Judenfeindschaft“, Fischer Bücherei, Frankfurt, 1963), war es C. F. Graf von Reventlow, der auf die spöttische Frage Friedrich des Grosssen „Können Sie...