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Strandgut
Geschichten und Gedichte, die mir das Leben und meine Fantasie zugespült haben
- 192 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
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Strandgut
Geschichten und Gedichte, die mir das Leben und meine Fantasie zugespült haben
Über dieses Buch
Und da war wieder das Gefühl, jemand geht hinter mir. Ganz nah! Ich spüre seine Gegenwart und doch weiß ich genau, wenn ich mich umdrehe, ist da absolut nichts. Ich verdränge diese aufdringliche Empfindung, gehe einfach weiter, konzentriere mich auf den Weg. Die Spätsommersonne wird durch das Laub der Rotbuchen gebrochen und lässt den feinen Staub vor mir flimmern. Der schmale Pfad schlängelt sich stetig bergan. Meine Gedanken kreisen um diese absurde Erscheinung hinter mir. Eigentlich ist es nichts Gegenständliches, nur das Gefühl, dass ich plötzlich nicht mehr allein bin. Ich empfinde seine Gegenwart fast körperlich, womit neckt mich mein überreiztes Hirn da!?
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Information

Isis und Ali
Sie steht an der Mauer des Tempels von Edfu schon eine Ewigkeit. Jahrhunderte konnten im trockenen Klima Ägyptens ihre Konturen nicht beschädigen und selbst der Wind strich voll Ehrfurcht über sie hin. Zwar ist sie nur halb zu sehen, denn der Künstler, der sie vor Jahrtausenden in den Stein schnitt, folgte dem Geschmack der damaligen Zeit und schuf sie als Relief in Seitenansicht. Trotzdem faszinieren das von vorn gezeichnete Auge und die schlanke Gestalt. Ihr Profil ist von erlesener Schönheit und die zart geschwungenen Lippen hätten Isis neidisch machen können, wenn, ja wenn diese Skulptur nicht Isis selbst dargestellt hätte. Doch genauso war es. Die Göttin schmückt eine Seitenwand des Tempels von Edfu, sie fühlt sich wohl in dem Heiligtum, das ihrem Sohn Horus geweiht wurde, ist zufrieden mit ihrem Dasein, in Stein gemeißelt zu sein und vom Südwind gestreichelt zu werden.
Leider gibt es seit einiger Zeit ein kleines Problem, das sie beunruhigt. Dort, wo die zweispitzige Krone ihr Haupt schmückt, hatte sie der Wind zu stürmisch geküsst und ein kleines Loch entstand im Laufe der Zeit. Dieser winzige Riss im Mauerwerk forderte einen Spatz heraus, jeden Abend hineinzuschlüpfen und darin zu nächtigen.
Und eben jener gefiederte Geselle stört sie in ihren Erinnerungen an vergangene Zeiten. Er ist einfach lästig. Ali, wie er sich am ersten Abend bei ihr vorgestellt hatte, denn er ist ein sehr höflicher Spatz, Ali also setzt sich ungeniert auf alle etwas vorstehenden Rundungen und brachte es eines Tages fertig, einen Klecks von sich zu geben auf ihre schön geschwungene klassische Nase. Eben jetzt wieder lässt er sich auf ihrem Kopf nieder, direkt zwischen die Zacken des Zeichens ihrer einstigen Macht und zwitschert munter drauflos: „War das nicht ein wundervoller Tag heute? Ich bin zum Nil geflogen und habe dort ein Spatzenmädel kennengelernt. Liebe Frau Isis, ein Traum von einer Spätzin, kann ich Ihnen sagen! Gefieder wie Seide und Augen schwarz wie Maulbeeren. Auf dem Rückweg haben wir beide sehr gut gespeist. Ein Esel hatte in einer stillen Gasse einen riesigen Haufen hinterlassen. Einfach köstlich!! Nur Hafer hatte der Graurock zuvor gefressen!“
„Scher dich in dein Nest und lass mich denken!“, entgegnet Isis. Aber ein bisschen interessiert sich die Steingestalt doch für die Geschichten ihres Untermieters. Tausende von Jahren an ein und demselben Fleck stehen, lässt selbst die banalsten Begebenheiten interessant erscheinen. Sie weiß genau, dass Ali sich nicht abhalten lässt, nach einem ersten Redeverbot weiter zu schwatzen. Er tschilpt auch schon munter drauflos.
„Dann haben wir die Frauen auf dem Markt geärgert und so getan, als würden wir von ihren Gewürzen naschen. Nur so als ob, verstehen Sie, Frau Isis? Die Gewürze kann man doch nicht verspeisen, man kann nur in manchen baden. Leider haben wir uns danach aus den Augen verloren, als uns die Marktweiber verjagten. Morgen suche ich sie, meine Spätzin.“ Damit verschwindet Ali in seinem Loch und Isis ist wieder allein mit sich und ihren Gedanken.
Der Morgen beginnt wie jeder Morgen in Ägypten mit tiefblauem Himmel. Ali kriecht beim ersten Strahl der Sonne aus seinem Loch in der Wand. Im Traum war ihm das süße Spatzenmädel erschienen. Heute musste er es wiederfinden. So flattert er munter von Stein zu Stein und dann auf eine Palme, bevor er ganz aus Isis Blickfeld entschwindet.
Die steinerne Göttin ist wieder allein, aber bald wird sich die Gasse neben ihr mit Menschen füllen, die sie anstarren. Dann setzt sie ihr erhabenes Gesicht auf und demonstriert eine Pose der Macht und Schönheit. Spätestens mittags wird ihr das Angestarrtwerden langweilig und am späten Nachmittag, wenn die letzten Besucher den Tempel verlassen, wartet sie insgeheim auf den Spatz und seine Geschichten von der Welt außerhalb dieser Mauern. Heute kommt der kleine Geselle recht spät heim. Die Schatten der gegenüberliegenden Mauer bedecken fast ihre Gestalt, als er sich endlich einfindet. Diesmal schwatzt er nicht sofort los, sondern sitzt an seinem Lieblingsplatz auf ihrem Kopf und lässt die Flügel hängen. Das kann sie sehen, weil der Künstler der sie schuf, ihr Auge sehr groß gemeißelt hat und etwas schräg nach oben stellte. Der ganze, kleine gefiederte Kerl ist ein einziges Bündel von Traurigkeit. Isis ahnt, dass sie diesmal die Initiative beim Gespräch ergreifen muss. Sie räuspert sich zweimal „Hrmm, Hrmm“ und als das keine Wirkung bei ihm zeigt, beginnt sie zu sprechen.
„War wohl nicht dein großer Tag heute?“
Das Nein ist kaum zu hören und wird von einem Seufzer begleitet, der selbst ein steinernes Herz erweicht hätte.
So viel Kummer kann nur Liebeskummer sein, damit kennt Isis sich aus, und so beginnt sie heute eine Geschichte zu erzählen.
„Wir waren vier Geschwister. Meine Schwester Nephthys versuchte stets zu vermitteln, wenn sich unsere Brüder Osiris und Seth stritten. Osiris, der Strahlende, der Gerechte, der Barmherzige, der von allen Geliebte! Osiris, mein Mann.“
Ali lässt weiter die Flügel hängen, aber er beginnt doch, hier und da eine Feder zurechtzuzupfen. „Ich denke er war Ihr Bruder, Frau Isis?“
„Ja, er war mein Bruder und er war auch mein Mann. Dieses Gesetz der alten Zeit, dass man nur einen Gatten erwählen durfte, der auf einer ebenbürtigen Stufe mit einem stand, fanden alle vernünftig. Was ist ebenbürtiger als Bruder und Schwester?
Aber ich will weitererzählen. Osiris zeigte den ungehobelten Menschen, wie man Felder bewirtschaften muss. Er lehrte sie Früchte anzubauen, sie zu ernten und Hütten zu errichten. Alle verehrten ihn und das erregte den Neid unseres Bruders Seth, des nach der Macht im Lande Gierendenden, des Hässlichen, des Falschen, des Grausamen, des von allen Gefürchteten.
„Da können Sie ja froh sein, Frau Isis, dass Sie mit Osiris und nicht mit Seth verheiratet waren!“ Die Gefiederpflege ist geschafft. Der Spatz sitzt jetzt in alter Manier mit angelegten Flügeln und aufmerksamen Augen, das Köpfchen geneigt, damit ihm kein Wort seiner sonst so schweigsamen Wirtin entgeht, auf ihrem Kopf.
„Seth war mir immer verhasst!“, beginnt Isis von Neuem. „Nie hätte ich das Lager mit ihm geteilt! Ich glaube, Nephthys hat sich nur zu ihm gelegt, um ihn zu beruhigen. Sie hatte die Auffassung, alles befrieden zu wollen. Dumme Nephthys! Aber später half sie mir, meinen Sohn Horus zu retten.“
„Ein Kind hattet Ihr auch, Frau Isis?“
„Natürlich! Dieser ganze Tempel ist ihm geweiht! Sag bloß, du wusstest das nicht?“
„Ich weiß es ja jetzt, aber erzählen Sie bitte weiter. Langsam wird Ihre Geschichte spannend.“
„Osiris herrschte über ein großes Reich. Es gehörte zu seinen Pflichten, auch entlegene Provinzen ab und zu aufzusuchen. Ich gab immer ein Fest, wenn er von einer langen Reise zurückkam.
Bei einem solchen Fest dachte sich Seth einen teuflischen Plan aus. Er hatte einen kunstvollen Sarg bauen lassen und sagte, dass er ein tolles neues Spiel darbieten werde. Jeder solle in den Sarg kriechen und wem er passte, der dürfe ihn behalten.“
“Aber wer kriecht denn freiwillig in einen Sarg, Frau Isis? Das muss ja ein ganz Irrer sein!“
„Du kennst die damaligen Gepflogenheiten nicht, Spatz. Ein Totenschrein, noch dazu so ein kunstvoller, war ein edles Geschenk. Alles war damals auf das Jenseits ausgerichtet.
Also kroch einer nach dem anderen in den Sarg. Seth hatte ihn aber so herstellen lassen, dass dieser Schrein nur Osiris passte. Als der hineinkroch, klappte Seth schnell den Deckel zu und verschloss ihn mit einem magischen Zauber. Osiris, mein geliebter Gatte, mein Bruder erstickte darin elendiglich.“
„Das ist ja fürchterlich, Frau Isis! Ist Seth für diese schlimme Tat bestraft worden?“
„Wer sollte ihn bestrafen? Oh nein, er setzte sich zum Herrscher über das ganze Land ein, obwohl mein Sohn Horus, der eigentliche Nachfolger von Osiris, auf dem Thron hätte sitzen sollen. Horus war aber noch zu jung zum Regieren. Ich wusste genau, dass Seth keine Gelegenheit auslassen würde, ihn in einen tödlichen Unfall zu verstricken und bangte immer um sein Leben. Mir blieb nichts anderes übrig, als den Palast zu verlassen und mit meinem Sohn in die Wildnis zu gehen. Ein paar Jahre lebten wir nur von dem, was wir im Wald fanden. Seth war so hinterlistig, dass er meinen Sohn selbst dort verfolgte und von einem Skorpion stechen ließ, der mit besonders starkem magischen Gift infiziert war. Meiner Schwester Nephthys verdanke ich es, dass Horus nicht daran starb. Sie hatte Seth beim Zubereiten des Giftes heimlich beobachtet und konnte die magischen Zeichen rückgängig machen.“
„Arme Frau Isis, Sie hatten auch kein leichtes Leben!“ Ali ist durch die Geschichte von seinem eigenen Kummer abgelenkt und putzt wieder munter sein Gefieder. „Mir geht es da doch etwas besser, auch wenn ich zusehen muss, wie meine Traumspätzin mit einem anderen Spatzen davonfliegt. Stellen Sie sich das vor, Frau Isis, macht sich mit ihm auf und davon und nur, weil er zwei weiße Federn auf dem Rücken hat! Hennen!“
Bevor Ali erneut in Trübsal verfällt, beginnt Isis: „Das ist nicht das Ende meiner Geschichte. Die Götter selbst erkannten das große Unrecht und beriefen die uralte Göttin der Kriegsführung Neith zum Schiedsrichter. Ich will nicht die vielen Tricks aufzählen, die Seth anwandte, um seine Herrschaft zu behalten, aber die Götter setzten meinen Sohn Horus als rechtmäßigen Erben auf den Thron und als äußeres Zeichen seiner Macht gaben sie ihm einen Falken zur Seite. Seit dieser Zeit werden alle lebenden Herrscher Ägyptens mit Horus gleichgesetzt und alle, die das Tor zur Unterwelt überschritten haben, gehen ein in das Reich von Osiris.“

Horos
„Ich verstehe, Ihrem Sohn ist dieser Tempel geweiht, also auch dem Pharao, der damals lebte.“
„So ist es.“
„Aber warum hat man auch Sie hier als Statue abgebildet? Und der Mann Ihnen gegenüber, mit über der Brust gekreuzten Armen, ist dann wohl Ihr Mann?“
„Ja, das ist mein geliebter Mann Osiris, mit dem ich mich in Vollmondnächten unterhalte. Er ist ein viel beschäftigter Gott musst du wissen, denn jeden Tag hat er in seinem Imperium Neuzugänge.
Mich schnitt man in den Stein, weil ich die Beschützerin der jeweils herrschenden Familie war. Aber auch das einfache Volk verehrte mich. Ich lehrte sie in ihren Träumen die tollsten Liebesspiele. Ich glaube, Ägyptens Kinderreichtum ist ein bisschen mir zu verdanken.
Übrigens solltest du dir morgen die Skulptur im Mittelgang ansehen, die nur einen Arm und ein Bein hat. Heute habe ich genug erzählt.“ Damit verschließt sie sich innerlich und ist nur noch eine in Stein gehauene Göttin. Ali schlüpft in seine kleine Höhle und versucht zu schlafen, ohne von der Spätzin zu träumen.
Wieder strahlt der Himmel morgens im ewig langweiligen Blau über Ägypten, dem Nil, Edfu und dem Horostempel. Wieder hat sich Ali über die Mauer und die Palmen davongemacht und wieder wirft sich Isis in ihre von uralten Zeiten her gewohnte Pose der Macht und Schönheit und – aber das habe ich alles schon mal erzählt.
Etwas ist an diesem Tag jedoch anders als an den Tagen vorher. Isis hat einem simplen Spatz, dessen Umgang die Straße, Spatzen, Esel und Marktweiber sind, ihre Lebensgeschichte erzählt. Sie schämt sich deshalb und hofft, dass Ali nicht auf das Gespräch am vergangenen Abend zurückkommt.
Ihre Sorge ist völlig unbegründet, denn heute flattert nicht nur ein gefiederter Geselle heran, gleich zwei Spatzen schwingen sich kühn über die Mauer und landen auf ihrem gekrönten Haupt. Sie nehmen keinerlei Notiz von ihr, wuseln auf ihrem Kopf herum, kraulen sich gegenseitig zärtlich am Hals und dabei zwitschern sie ganz aufgeregt. Ali beginnt sogar an der Mauer zu seinem Höhleneingang kräftig zu picken. Feiner Sand und ein paar kleine Steinchen rieseln Isis in das Auge. Wenn sie könnte, würde sie jetzt die Stirn runzeln, aber leider vermag sie nur immer wieder ein Hrmm, Hrmm auszustoßen und damit ihr Missfallen zu äußern. Ali scheint es gehört zu haben. Er fliegt auf ihre Nase, da kann er am besten in ihr großes Auge sehen.
„Oh verzeihen Sie bitte, Frau Isis, ich vergaß, Ihnen meine Freundin vorzustellen. Die Spätzin auf Ihrem Kopf ist Salindora Magoritima. Sie können Dora zu ihr sagen. Sie stammt aus einem ganz alten Spatzengeschlecht, das hat sie mir jedenfalls versichert.“
„Also hat sich dein Spatzenmädel mit dem Seidengefieder und den schwarzen Maulbeeraugen wieder von Weißfeder verabschiedet?“
„Nein, nein! An die will ich gar nicht mehr denken. Sie war auch in Wirklichkeit gar nicht so schön. Dora dagegen ist doch allerliebst, finden Sie nicht auch, Frau Isis? Ich lernte sie heute bei den Garstuben kennen. Dort liegen immer herrliche Brocken auf dem Boden. Man braucht nur zu picken.“ Ali senkt verschämt den Kopf und flüstert: „Wir wollen zusammen ein Nest bauen, Hochzeit haben wir schon gehalten.“
„Und wo soll das Nest sein, doch nicht auf meinem Kopf?“ Isis ist entrüstet.
„Oh nein, Frau Isis, wir vergrößern nur den Eingang zur Höhle ein bisschen. Sie ist groß genug für eine kuschelig weiche Unterlage.“ Und wirklich verschwinden beide nacheinander hinter der Mauer.
Isis muss sich an die neue Situation erst einmal gewöhnen. Der Einsiedler in der Mauerritze war ihr schon oft recht unangenehm. Nun würde bald eine ganze Spatzenfamilie für Unruhe und natürlich auch für Unrat sorgen. Aber es bleibt ihr nichts anderes übrig, als sich in das Unvermeidliche zu fügen.
Ein neuer Tag. Blauer Himmel, milder Südwind, Sonnenflecken auf dem träge dahinfließenden Nil. Isis nimmt alles nicht recht wahr, denn oberhalb ihres Kopfes begann schon in den frühesten Morgenstunden ein reges Treiben. Ali pickt wieder am Eingang der Höhle herum und Dora ist damit beschäftigt, das Innere spatzenwohntauglich zu gestalten. Eben kommt sie mit ein paar winzigen Zweiglein im Schnabel angeflogen. Kaum hat sie die abgelegt, startet sie wieder zu neuen Besorgungen. Ali scheint für die Innenarchitektur verantwortlich zu sein, aber im Laufe des Tages fliegt auch er auf Beutezug. Sogar der Fetzen eines Papiertaschentuchs scheint geeignet zum Polstern des Nestes. Zwischen all dieser Betriebsamkeit finden die beiden gefiederten Gesellen trotzdem Zeit, zu schnäbeln und immer wieder Hochzeit zu halten. Irgendwann verschwinden sie für eine Weile und kommen mit gefülltem Kropf zurück.
Isis merkt, dass sie sich mit dem Treiben oberhalb ihres Kopfes abfinden muss. Eigentlich bringt so eine Spatzenfamilie auch Abwechslung in ihr Stein-Dasein. Und schließlich ist sie nicht selbst für die Fortpflanzung aller Kreaturen mit verantwortlich? So schickt sie sich in das Unvermeidliche.
Die folgenden Tage basteln die Eheleute mit großem Eifer an ihrem Nest. Isis bemerkt auch, dass Dora molliger geworden ist. Als sie Ali daraufhin anspricht, meint er nur stolz: „Sie trägt jetzt Eier in ihrem Bauch. Morgen wird sie vielleicht das erste ins Nest legen.“
Und wieder ein Tag mit dem unvermeidlich blauen Himmel und Sonne. Der aufgeregte Ali flattert umher. Allein!! Er fliegt über die Mauer, auf die nächste Palme, wieder auf die Mauer, dann auf Isis Kopf und schaut immer wieder in die Höhle.
„Sie will jetzt allein sein.“, erklärt er der Göttin. „Das Eierlegen ist eine feierliche, aber auch anstrengende Tätigkeit, müssen Sie wissen. Ich bin ja sooo aufgeregt!“
Isis findet, dass sie ihrem kleinen Freund in diesen schwierigen Stunden zur Seite stehen muss. Um ihn etwas abzulenken, beginnt sie wieder zu sp...
Inhaltsverzeichnis
- Widmung
- Inhaltsverzeichnis
- Strandgut
- Im Frühlicht
- Eine Schifffahrt
- Bollulu
- Wellen
- Mykene
- Abgestürzt
- Usus
- Hochzeitstag
- Ein kurzer Abschied
- Die Suche
- Was ist ein Klauer
- Sauna
- Mein freier Tag
- Stufen
- November
- Schwarze Vögel
- Begegnung
- Ein Brötchen
- Heimkehr
- Der gelbe Hund
- Scherben
- Meine Brücke
- Piestany
- Mont-Saint-Michel
- Der hinter mir...
- Die Anprobe
- Härte
- Der Raum
- Fauxpas
- Unruhe
- Ein Strudel
- Slibowitz
- Pittiplatsch
- Die Schöne
- ..und führe uns nicht in Versuchung
- Eineuroneunzig
- Pfefferkuchen
- Moritz
- Flucht
- Isis und Ali
- Wieder daheim
- Impressum