1 Vorbemerkungen
Es gibt Menschen, die Angst vor Fremden haben. Dann gibt es aber auch Menschen, die diese Angst für völlig unbegründet halten. Irgendwie scheint es nun eine ausgemachte Sache zu sein, dass die Guten, die Klugen und Aufgeklärten diejenigen sind, die keine Angst vor Fremden haben (oder diese zumindest nicht zeigen) und daher die multikulturelle Gesellschaft gut finden. Auf der anderen Seite gelten diejenigen, die das anders sehen und den Zuzug von so vielen Fremden eher als Bedrohung empfinden, schnell als die Dummen, Tumben, Einfältigen, die Mitläufer, die Fremdenfeindlichen, die Rassisten usw.
War meine persönliche Einschätzung der scheinbar so selbstverständlichen Entwicklung hin zur multikulturellen Gesellschaft anfangs durchaus von Zustimmung, aber mit vorsichtigem Hinterfragen geprägt, so wandelte sich dies bald angesichts des gleichsam religiösen Eifers, der jeder Äußerung der geringsten Skepsis entgegengeschleudert wurde und der daraus erwachsenen Verdammnis, welcher ein jeder Kritiker anheimfiel. Durch diese drastische Beurteilung, die auf der einen Seite nur wünschenswerte Buntheit und unabänderliche Wahrheiten sah, während auf der anderen, der skeptischen Seite, ausschließlich niedere Instinkte und Verführtheit ausgemacht wurden (und immer noch werden), wuchsen zunächst meine Zweifel an den Verfechtern von Multikulti stärker und zunehmend stellte sich auch das ganze Konzept der bunten, multikulturellen Gesellschaft inhaltlich fragwürdiger dar. Inzwischen erscheint es mir mehr und mehr nicht bis zum Ende durchdacht, sondern eher als eine sich verselbstständigende Entwicklung, deren Rechtfertigung in großen Teilen aus einer übertriebenen, ideologisch angefeuerten Gegenreaktion auf die vormalige, rassistisch motivierte Ablehnung jeglicher Vermischung vor allem während der Nazizeit gezogen wird.
Dabei werden natürliche Gegebenheiten und Gesetzmäßigkeiten - wie so oft bei Ideologen - übersehen oder bewusst ignoriert, anders Denkende verteufelt und dadurch die eigenen Ansichten derart moralisch überhöht, dass jeder ernsthaften Kritik die Legitimität abgesprochen wird. Denn die Befürworter von Multikulti und der fortgesetzten Zuwanderung in großer Zahl reklamieren für sich mit großer Selbstverständlichkeit, die wahren Hüter von Humanität und Menschenrechten zu sein. Besonders angesichts der Auseinandersetzungen um die unbegrenzte Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten scheint dieser Anspruch geradezu zwangsläufig Bestätigung zu finden.
Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich mit dieser Gegenüberstellung der „Guten
und „Bösen
. Es werden die Begleitumstände einer starken Zuwanderung in historisch kurzer Zeit sowie die möglichen Folgen von verschiedenen Seiten beleuchtet. Darüber hinaus wird gefragt, ob die Dummen, die Tumben und Mitläufer tatsächlich so einfach zu identifizieren sind, wie das angesichts etwa der
Pegida-Demonstrationen in der medialen Öffentlichkeit hingestellt wird. Oder ist es hier genauso wie immer, wenn mit dem Finger auf andere gezeigt wird: Es zeigen drei Finger auf einen selbst zurück?
Diese Abhandlung soll somit dazu beitragen, die „unumstößlichen Wahrheiten
zu hinterfragen und durchaus auch der all zu selbstherrlichen Sichtweise der „Guten
einen Spiegel vorhalten. Vielleicht schieße ich in meiner Wortwahl dabei bisweilen etwas über das Ziel hinaus, aber dies ist nicht nur der Versuch einer Bestandsaufnahme, sondern auch eine Streitschrift. Eine Streitschrift deshalb, weil die Schwarz-Weiß-Malerei im Umgang mit dem Thema - hier die Aufgeschlossenen, Fortschrittlichen, dort die Tumben - inzwischen so weit fortgeschritten ist, dass eine rein nüchterne Beschreibung kaum noch angebracht erscheint.
Grundsätzlich wird die Zuwanderung und die daraus entstandene multikulturelle Gesellschaft von ihren Befürwortern als unabänderlicher Fakt angesehen. Wie unabänderlich dieser Fakt tatsächlich ist, und welche Begleitumstände daran hängen, wird hier von verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet, die, soweit ich das überblicken kann, in der Regel nicht oder nur wenig in Medien und Öffentlichkeit zur Sprache kommen. So werden beispielsweise die Allheilmittel für alle zunehmend stärker zu Tage tretenden Schwierigkeiten bei der Integration, ein gegenseitiges Sich-Kennenlernen, intensives Erklären und vor allem mehr Bildung, auf den Prüfstand gestellt. Aber auch die fundamentalen Grundlagen unserer westlichen Wertvorstellungen, der Stellenwert von Humanität und Menschenwürde, auf denen unser Umgang etwa mit Kriegsflüchtlingen basiert, können nicht unbeachtet bleiben.
Schließlich ist die ganze Ausarbeitung von der Frage durchdrungen, was passieren kann, wenn die Anstrengungen zur Integration der Zuwanderer trotz aller Notwendigkeiten, moralischer Vorhaltungen und teilweise überzogener gutmenschelnder Forderungen nicht gelingen. Gerade diese Möglichkeit wird in der Öffentlichkeit, in seriösen Veröffentlichungen, Diskussionen und Foren viel zu wenig beachtet, um nicht zu sagen verdrängt, denn hier sorgen die Totschlag-Phrasen
„Panikmache
und
„Ängste schüren
sogleich für Ruhe.
Dieses drohende Scheitern beruht aber zu großen Teilen auf einem bei uns zwar teilweise verborgenen, weil als falsch und verwerflich angesehenen, aber gleichwohl existenziellen Aspekt des menschlichen Daseins: der Angst vor Fremden. Deshalb steht am Anfang meiner Ausführungen die Behauptung vieler Multikultibefürworter, die Angst vor den Fremden sei völlig unbegründet.
Zuvor noch zwei kurze Hinweise zum Schriftbild:
Hervorgehobene Textstellen sind mit „
(Gänsefüßchen) eingefasst, während Zitate mit »« und kursiv gekennzeichnet sind. Längere Zitate sind zusätzlich etwas eingerückt dargestellt.
Ferner werden gelegentliche Ergänzungen in Form von Fußnoten (A, B, C, ...) auf der betreffenden Seite aufgeführt, Quellenangaben (1, 2, 3, …) sind hingegen am Ende des Buches zu finden.
2 Ur-Angst
Über eine Entwicklungszeit der Menschwerdung von mehreren Millionen Jahren war es in der bei Weitem längsten Phase nicht nur sinnvoll, sondern geradezu überlebensnotwendig, Angst vor Fremden zu haben. Die Menschen lebten in Gruppen von meist ca. 70 bis 200 Personen, hatten enge Beziehungen zu den eigenen Sippenmitgliedern, nicht mehr ganz so enge zu den Nachbarsippen und kaum welche zu weiter entfernten Gruppen. Tauchten Fremde in größerer Anzahl auf, so bedeutete dies in aller Regel Gefahr für Leib und Leben des Einzelnen und der ganzen Sippe. Deshalb ist mit dem tief verwurzelten Gefühl der Angst vor Fremden auch das Bedürfnis nach Abgrenzung gegen Fremde verbunden. Wen man nicht kannte, den ließ man besser nicht so nah an sich herankommen.
Die moderne Neurowissenschaft hat herausgefunden, dass
Aggression, Angst und Wut auf Gehirnareale zurückgehen, die im älteren Teil des Gehirns sitzen. Deren Kontrolle wird dagegen von Nervenzellen in entwicklungsphysiologisch neueren Gehirnregionen gesteuert.
1 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die Angst vor dem „Fremden
, ob in Form von gefährlichen Tieren oder anderen Artgenossen, sich schon sehr früh im Laufe der Entwicklung tief in unser Gehirn eingebrannt hat (ebenso wie die Aggressionsbereitschaft), sie wäre damit im wahrsten Sinne des Wortes eine
„Ur-Angst"
A - und sie war definitiv über die längste Entwicklungszeit des Menschen alles andere als unbegründet.
Gewalt gegen Angehörige des eigenen Gemeinwesens war frühzeitig gewissen Regeln und Sanktionen unterworfen. Manche Wissenschaftler sehen in der friedlichen Kooperation innerhalb der sozialen Gruppe gar einen evolutionären Vorteil, der sich im Laufe der Entwicklung als sehr erfolgreich gezeigt und sich deshalb durchgesetzt hat. Über die längste Zeit der uns bekannten Geschichte der Menschheit waren Mitgliedern fremder Sippen, Stämme oder Völker gegenüber jedoch nur wenige oder gar keine Beschränkungen in Bezug auf Gewaltanwendung zu beachten. Zahllose Aufzeichnungen, die wir über vergangene Jahrhunderte und Jahrtausende haben, zeigen immer wieder, wie Fremde ohne erkennbare Gewissensbisse bedroht, gedemütigt, angegriffen, erschlagen oder versklavt wurden. Viele Kulturen verlangten geradezu das Töten eines Feindes, weil ihre männlichen Mitglieder dadurch nicht nur materiellen Gewinn, sondern vor allem auch eine höhere gesellschaftliche Anerkennung erreichen konnten. Evolutionsbiologisch betrachtet wurde mit jedem getöteten (Fress-)Feind das eigene Überleben und das der eigenen Sippe und der eigenen Nachkommen verbessert.
Trotzdem wurde immer wieder versucht zu zeigen, das Gegenteil sei richtig, dass nämlich weder Aggressionen noch Fremdenangst von Natur aus in uns steckten, sondern nur erlernt und durch die Umstände auferlegt seien. Die unverfälschte Ur-Gesellschaft sei vielmehr doch frei von allem Bösen wie etwa Krieg und fremdenfeindlichem Verhalten. So hatte in den 1920er Jahren die Anthropologin Margaret Mead von einer Eingeborenengesellschaft auf Samoa berichtet, die scheinbar vollkommen harmonisch und im Einklang mit sich und der Welt lebte, auf Autoritäten innerhalb der Familie verzichtete und Gewalttätigkeiten praktisch nicht kannte2. Dieser bei allen Friedensbewegten und Fundamentalpazifisten bis heute beliebten Idylle wurden (und werden) dann sogar noch Beobachtungen aus dem Tierreich zur Seite gestellt:
E...