IV. Der Erste Kaiser Qin Shihuangdi
Im Jahre 221 v. Chr. hat Ying Zheng den letzten Feudalstaat unterworfen (Zhao 228 v. Chr., Wei 225 v. Chr., Chu 223 v. Chr., Yan 222 v. Chr., Qui 221 v. Chr.) und erhebt sich nun, gerade 38 Jahre alt, zum „Ersten Kaiser unter dem Himmel“. Er nennt sich sogar „Erster Erhabener Gottkaiser“. Fortan trägt er den Namen Qin Shihuangdi, der beinhaltet, dass er eine göttliche und zugleich alles überragende Stellung innehat. Sein Nachfolger wird der „Zweite Kaiser“ sein, gefolgt von dem „Dritten Kaiser“ und so weiter – 10.000 Generationen lang soll seine Dynastie herrschen. Das muss proklamiert und öffentlich gefeiert werden. Li Si ist für die Vorbereitungen verantwortlich und teilt dem König die Planung des Festes mit, bei dem er das Mandat des Himmels erhalten soll:
„Majestät, nach genauen Berechnungen des Obersten Geomanten wird das große Ereignis genau am Mittag des längsten Tages des Jahres, in der Mitte des zweiten Sommermonats, stattfinden. Ihr, der Himmelssohn, werdet Euch im Großen Tempel der Halle des Lichts aufhalten. Ein Orchester aus Qin-Zithern, Si-Gitarren und Xiao-Flöten begleitet die Tänzer. Das glücksbringende Mahl des Erhabenen wird aus Sojabohnen und gegrilltem Huhn bestehen, zum Nachtisch sollen frische Kirschen gereicht werden.
Unser Volk muss sich noch lange mit Freuden an diesen großen Tag erinnern können, deshalb werden die Städte für die ganze Bevölkerung offen stehen. Dazu verzichten die Obrigkeiten auf Stadtzölle und sowohl die Händler als auch die Käufer erhalten freien Zugang zu den Märkten. Auf den öffentlichen Baustellen werden die Rationen der Gefangenen vergrößert, vor allem für diejenigen, die am Bau der Großen Mauer arbeiten. Alle Hinrichtungen müssen an diesem Tage ausgesetzt werden.
Vertreter der früheren Königreiche und der unterworfenen Völker sind eingeladen, um Euch, dem Erhabenen, Gefolgschaft zu schwören und mitzufeiern. Auch die Herrscher unserer Nachbarstaaten erhalten eine Einladung, und die Feierlichkeiten sollen genau drei Monate lang dauern.“
Alles geschieht wie Li Si es geplant hat. Ein Erlass, mit dem das Kaiserreich der Mitte offiziell ausgerufen wird, muss in all seinen Provinzen und den eroberten ehemaligen Königreichen angeschlagen werden. Landauf, landab ist in zinnoberroter Farbe auf mit Holzkohle geschwärzten Tafeln geschrieben:
In der Hauptstadt Xianyang gilt es nun, Statussymbole und Reformen festzulegen. Der Kaiser verfügt, dass die Symbole des neuen Reiches entsprechend der Lehre der Fünf Elemente gewählt werden. Die Idee, dass fünf Elemente – Erde, Holz, Metall, Feuer und Wasser – in regelmäßiger Abfolge die verschiedenen Perioden der Geschichte dominieren, wurde bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. systematisiert. Man glaubte, dass das vorige Königshaus Zhou (1126 - 256 v. Chr.) durch die Macht des Feuers regierte. Daraus ergibt sich, dass dem Hause Qin, das nächste Element der Liste, nämlich das Wasser, zugeordnet wird. Das passt dem Kaiser hervorragend, denn Wasser ist das kalte, unerbittliche Element, das auch die härtesten Steine abschleift, und es entspricht seiner Auffassung von einer guten Regierungsführung. Rot ist die Farbe des Feuers und Schwarz die des Wassers. Die dem Wasser entsprechende Zahl ist sechs. Daraufhin wird Schwarz die Farbe der Kleidung, der Fahnen, der Banner und Wimpel im neuen Reich. Die offiziellen Hüte der Beamten müssen sechs Inches lang sein, die Wagen sechs Fuß breit, und die kaiserliche Karosse wird von sechs schwarzen Pferden gezogen. So hinterlässt der Kaiser auf seinen Inspektionsfahrten einen mächtigen Eindruck, wenn die schwarzbeflaggten dunklen Karossen mit den schwarzgekleideten Menschen, gezogen von kohlrabenschwarzen Pferden durchs Land ziehen.
Auch muss das neue große Reich gesichert werden. Der Kaiser und sein Minister Li Si beginnen das Feudalsystem der unterworfenen Reiche abzubauen. Sie teilen das gesamte Reich in 36 Kommandanturen und rund 1000 Landkreise auf, jeweils mit einem militärischen und einem bürgerlichen Gouverneur. Die Beamten müssen genau Buch führen und den Bericht vor Ablauf des achten Mondmonats in die Hauptstadt schicken. Darin wird Folgendes akribisch dokumentiert:
Die Regenmenge und Fläche des beregneten Gebietes – Stürme, Dürren, Insektenplagen, Überflutungen und andere Naturkatastrophen.
Ebenso verlangt der Kaiser einen Nachweis, ob alle Gesetze, welche die Landwirtschaft betreffen, befolgt wurden. Da heißt es zum Beispiel:
Im Zeitraum zwischen dem zweiten Frühlingsmonat und dem Ende des Sommers darf kein Holz in den Wäldern geschlagen, dürfen keine Fische vergiftet, keine Dämme errichtet, keine Vogelnester gesammelt, keine Fallen und Netze aufgestellt werden, und es muss das vom Kaiser ausgegebene Saatgut auf den Feldern ausgebracht werden.
Wer seine Scheunendächer nicht repariert oder die Ackergeräte vernachlässigt, muss mit Züchtigung rechnen. Drastische Strafen erwarten die Zuwiderhandelnden.
Alle ehemaligen Adligen und Prinzen der unterworfenen Reiche und außerdem jedermann, der eine mögliche Gefahr darstellen kann, wird in die Hauptstadt beordert. So siedelt man 120.000 mächtige Familien nach Xianyang um. Für die Adligen werden am Nordufer des Wei die Paläste ihres Heimatreiches detailgetreu nachgebaut. Hier können sie zwar in Luxus, aber stets unter dem wachsamen Auge des Herrschers leben. Um auch die militärische Macht hier zu konzentrieren, ergeht die strikte Order, alle Verteidigungsanlagen anderer Städte einzureißen und sämtliche Waffen einzusammeln. Die Waffen werden eingeschmolzen und aus dem gewonnenen Metall schaffen Künstler mehrere Glocken und zwölf 30 Tonnen schwere Kolossalstatuen, die als Wächterfiguren um den Palast aufgestellt werden.
Damit die Verwaltung vereinfacht wird, plant man weitere Maßnahmen. Der Kaiser reist durch das Land, um sich einen Überblick zu verschaffen.
Eines Tages kommt er zur Stadt Pucheng. Von hier führt eine lange Brücke über den Gelben Fluss zur Stadt Jincheng. An dieser Stelle herrscht immer reger Verkehr, da die Brücke die Verbindung von der Hauptstadt Xianyang zu den zentralen Ebenen ist.
Der Kaiser reist inkognito; er lässt seine Karosse in einem Seitenweg halten und begibt sich, nur begleitet von einigen Gehilfen, zur Brücke. Da bemerkt er einen Tumult und geht neugierig näher. Ein Bauer und ein Verkäufer streiten lautstark miteinander. Der kräftige Landwirt hebt seine Faust und schreit mit puterrotem Gesicht: „Wir haben unser Leben lang mit diesem Geld bezahlt. Wie kannst du es wagen zu behaupten, es sei wertlos?“ Auch die umstehenden Neugierigen beteiligen sich am Streit und rufen: „Du Unruhestifter, warum stellst du dich so an? Am besten verschwindest du!“
Da mischt sich der Kaiser ein und sagt: „Halt, lasst den Mann doch erklären, warum er das Geld nicht will!“ Zitternd stammelt der Alte: „Ich wohne westlich vom Gelben Fluss, wo man Qin-Geld benutzt, aber hier will man mich mit Jin-Geld bezahlen. Und das kann ich nicht annehmen.“ Der Kaiser ist erstaunt: „Warum denn das; es ist doch auch Geld?“ Da erklärt der Händler: „Meine Leute zu Hause wollen kein Jin-Geld, denn der Staat Jin ist besiegt worden und sein Geld wird bald nichts mehr wert sein. Was soll ich nur machen? Ich brauche eine gültige Währung für meine Waren!“
Da meldet sich ein weißbärtiger Alter: „Hört auf zu streiten. Der Händler hat keine Schuld; verantwortlich für das Problem ist der Kaiser. Er hat es geschafft, die verschiedenen Reiche zu vereinen, warum kann er nicht auch eine Währung für alle bestimmen?“ Die Umstehenden nicken beifällig und einer ruft: „Wir müssen eine Eingabe machen! Lasst uns ein Schriftstück an den Hof senden!“
Nun meldet sich der Kaiser zu Wort: „Leute hört zu! Ich komme aus Xianyang und kann bei der nächsten Audienz dem Kaiser euren Vorschlag zu Gehör bringen!“
Dieses Angebot nehmen alle dankend an, und sie erinnern sich später gerne an den Fremden, der ihnen Hilfe versprochen hat. Denn der Kaiser kehrt an seinen Hof zurück, ruft seine Minister zusammen und erteilt ihnen den Auftrag, das Problem zu lösen.
Bisher gibt es eine Vielzahl unterschiedlicher Zahlungsmittel. Jeder Staat benutzt seine eigenen - manche sind aus Gold, Silber oder Bronze, andere aus Textilien, Schildkrötenpanzern oder Muscheln.
Nun führt der Kaiser neue Münzen ein, die fortan im ganzen Reich gelten. Es sind runde Gold- und Bronzemünzen mit einem quadratischen Loch in der Mitte, damit man die Geldstücke auf Schnüre aufreihen kann. Diese Form wird in China noch bis ins 20. Jahrhundert nahezu unverändert beibehalten.
Neben dem Geld wird aufAnraten von Li Si auch das Schriftsystem nach dem Muster der Schrift von Qin standardisiert. Es fallen dabei circa ein Viertel aller Schriftzeichen weg, und die verbleibenden werden deutlich einfacher geschrieben. Diese Reform schafft nicht die lokalen Dialekte ab, erzielt aber eine einheitliche Schrift, die das chinesische Volk eint. Gleichzeitig wird es einfacher, die vielen neuen Gesetze und Regularien aufzuschreiben. Noch heutzutage verständigen sich in China Menschen unterschiedlicher Sprachen, indem sie die Zeichen auf ein Papier oder im Notfall auf die Handfläche malen.
(CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1522030)
Damit Soldaten undArbeiter sich schneller fortbewegen können, lässt der Kaiser die Infrastruktur im Reich verbessern. 6800 Kilometer dreispurige Straßen werden angelegt und mit Schatten spendenden Bäumen gesäumt. Die mittlere Spur ist für die kaiserlichen Karossen reserviert, für Karren und Kutschen wird eine Standard-Achsbreite festgelegt, damit sie alle in die Spuren der Straßen passen. Ausgangspunkt und Ziel sämtlicher Wege ist die Hauptstadt Xianyang. Besonders zu erwähnen ist die „Gerade Straße“, die vom kaiserlichen Sommerpalast Yunyang rund 800 Kilometer fast schnurgerade nach Norden führt, bis tief in die Innere Mongolei.
Einem solch bedeutenden Kaiser gebührt auch eine imposante Begräbnisstätte, und so verfügt Qin Shihuangdi, dass die von ihm schon in früheren Jahren in Auftrag gegebene Grabanlage am Berg Li folgendermaßen gestaltet werden soll:
„Die Grube muss sehr tief, tiefer als drei unterirdische Flüsse sein, und wenn die Grabung fertig ist, wird geschmolzenes Kupfer um den äußeren Sarg gegossen. In der zentralen Kammer wird die Decke mit himmlischen Konstellationen bemalt, Perlen stellen Sonne, Mond und Sterne dar. Auf dem Fußboden zeigt eine steinerne Landkarte nicht nur die höchsten Berge meines Reiches, sondern auch die längsten Flüsse. Sie werden durch Quecksilber dargestellt, das sich mit Hilfe eines mechanischen Geräts bewegt, i...