Auf der Straße, die aus dem Markomannenland1 über Regina Castra, Virunum, Aemona nach Sirmiuni und von da eines Teiles der Donau entlang nach Troesmis, anderen Teiles über Naissus nach Byzanz führte, ritt etwa zwanzig Miglien2 vor Aemona3 eine Anzahl Männer. Obgleich es August war, waren sie doch mit roh aus Tierfellen gearbeiteten Mänteln, die ihnen etwa bis zu den Waden herabreichten, bekleidet. Sie trugen runde Schilde und waren mit kurzen Schlachtschwertern, Wurfspießen und außerdem mit Bogen und Pfeilen bewaffnet. Ihre Haare wallten lang und rotblond von Kopf und Bart herab; ihr Haupt war, so weit nicht durch das Fell bedeckt, frei und offen der Sonne und dem Regen ausgesetzt; ihre Züge waren hart, verwittert, meist roh; ihre Gestalten hünenhaft, von unbeschreiblicher Wildheit und ungebändigter Energie. Ihre Kleidung bestand außer den Fellmänteln nur in linnenen Hemden, die nach Art der römischen Tuniken über den Hüften gegürtet waren. Die Beine waren nackt, die Füße aber steckten in sogenannten Bundschuhen, Lederfetzen, die künstlich durch einen Riemen um die Füße zusammengehalten wurden.
Es waren im Ganzen sechzehn Männer, von denen sich aber zwei, die an der Spitze ritten, sehr lebhaft durch Tracht und Mienen abhoben. Der eine, ein Druide, trug abweichend von allen übrigen das Haupthaar kurz, den Bart lang, beides von fast dunkelroter Farbe. Sein Körper war von oben bis unten mit einem Unterkleid aus brauner Wolle bedeckt. Darüber trug er einen weißen Mantel, der durch eine hölzerne Spange auf der linken Schulter zusammengehalten wurde. An seinem Gürtel hing an einer Holzkette ein in Gold gefasstes Schlangenei.
Der andere, der mit ihm dem Trupp vorausritt, war vornehmer gekleidet. Er trug eine elegante Seidentunika, die mit einem goldenen Gürtel um die Hüfte geschürzt war, darüber einen Gurtpanzer und ein fast Toga ähnliches Gewand, das er malerisch zu drapieren verstand. Seine Füße steckten in mit Seide gefütterte ledernen Schnürstiefeln. Er war der einzige im ganzen Trupp, der einen Helm, nach Art der römischen Legionäre, trug, und stach von dem Barbarenhaufen entschieden ab. Und doch gehörten alle einem Stamm an, oder sogar einer Abstammung. Es waren Germanen. Der Druide war ein geborener Alane, der andere ein Westgote, der bei Troesmis4 an der Donaumündung geboren, aber durch stete Berührung mit dem Römertum vielfach römische Sitten angenommen hatte. Auch seine Bewaffnung war römisch, obwohl die Ausrüstungsgegenstände aus der Waffenfabrik des Gotenkönigs Alarich in Illyrien5 stammten.
Der Druide versuchte den anderen augenscheinlich zu irgendetwas zu überreden. Er sprach anhaltend und erregt auf ihn ein.
„Und eben diese Hilfe wollen wir ja bringen!" sagte er, „Verstehst du nicht? Was kümmert es dich, ob es Christen sind, oder nicht? Sind die Alanen, Hunnen, Quaden, Sueven nicht genauso gute Kämpfer wie die Goten? Dein König Alarich ist eben doch ein Träumer, der sich von jenem Stilicho6 an der Nase herumführen lässt!"
Der andere, Guimar mit Namen, hörte still zu und schaute etwas verächtlich auf seinen Begleiter. Fast spöttisch blieb sein Blick auf dem Schlangenei haften, das infolge der Bewegung des Reiters aus dem etwas zu zeremoniellen Priesterkleid seines Begleiters hervorbaumelte.
„Sieh dir erst den König und dann den Stilicho an und anschließend sprich von Nasführen und von nasführen lassen!" antwortete Guimar nach einer Pause. „Du machst eine sonderbare Figur als Gesandter, und so sehr ich wünsche, dass deine Sendung guten Erfolg hat, so sehr zweifle ich daran, dass sie überhaupt Erfolg hat."
„Weshalb?"
„Weil du gar nicht weißt, um was es sich handelt, gar nicht weißt, was du erreichen musst, wenn du etwas ausrichten willst! Glaubst du denn, Alarich hat nur auf euch gewartet, um mit euch Ruhm und Beute zu teilen? Glaubt ihr, was ihr könnt, könnte er nicht auch?"
„Das glaube ich allerdings." sagte der Druide trocken. „Was habt ihr denn nun bewirkt? Was haben euch die Feldzüge nach Griechenland und Italien genützt? Ihr seid heute noch Herren ohne Land, Ackerknechte der Römer, ein Staat von Romes Gnaden! Stilichos Name allein jagt euch nach Illyrien zurück, wenn ihr riskieren solltet, es zu verlassen. Ist das ein Jammer! Ein freies, großes, mächtiges Volk, das Ostrom samt seinem Kaiser unter die Füße getreten hat und siegreich unter den Mauern von Byzanz stand, wo es sich mit Kornsäcken abfüttern und wüste Wälder als Wohnplätze zuweisen lässt! Ist das euer Germanentum? Schande über euch!"
„Man kann es euch anhören," sagte Guimar ruhig, „dass ihr noch nicht vor Römerheeren gestanden habt! Wenn ihr erst eines besiegt habt, dann kommt zum Alarich! Wer die langen, bangen Nächte mit uns in Elis7 durchgemacht hat, wo Durst und Seuchen unsere Völker dezimierten und Stilicho uns in eiserner Umarmung gefangen hielt, der spricht nicht so von Stilicho! Als er uns den Peneios8, das einzige Wasser abgeleitet hatte, und wir verdurstend unter unseren eignen Waffen fielen — mein lieber Freund, schon die Erinnerung daran dämpft die Kampflust! Noch sehe ich mit den grausig verzerrten Zügen die Leichen der Kinder und Weiber, die der Durst und das Fieber dahingerafft hatte, in den öden Steppen von Elis liegen, und jede Leiche forderte zehnfache Opfer — und erhielt sie. Es war ein furchtbares Sterben in jenen Tagen, und ohne Schlacht hätte Stilicho unseren Untergang erzwingen können, wenn uns Alarich nicht auch aus dieser Not gerettet hätte!"
„Wie ging das zu?"
Guimar war nachdenklich, fast weich geworden und langsam, bedächtig, sinnend erwiderte er endlich:
„Ich weiß es nicht; ich erinnere mich bloß an die eine Nacht, in der ich die Wache am Zelt des Königs hatte. Es war eine sternenhelle, schwüle, griechische Nacht. Da trat der König plötzlich allein aus seinem Zelt und hatte seinen jungen Sohn Evermud auf dem Arm. Bleich und zitternd schritt der gewaltige Mann allein durch die Lagerzelte in Richtung Wall, den er auch überstieg, weiter sah ich nichts! Man sagt, er hätte in derselben Nacht eine lange Zusammenkunft mit Stilicho gehabt und wichtige Abmachungen wären getroffen worden. Den jungen Evermud sah niemand wieder! Wir aber zogen in der nächsten Nacht fast mitten durch die römischen Reihen hindurch, die, wie man sagt, absichtlich schwer der Siegesgöttin geopfert hatten, und kamen heil und ganz mit allen Schätzen und Gepäck nach Epirus!"
„Wie soll ich das verstehen?" fragte der Druide langsam und bedeutend auf Guimar hinblickend. „Gab Alarich sein eigen Fleisch und Blut, den einzigen Sohn, für die Rettung seines Volks — oder?"
„Nimm es wie du willst, ich weiß es nicht!"
„Und weshalb nahm Stilicho das Opfer an? Wäre es nicht klüger gewesen, seine Feinde zu vernichten, wo er sie fand? Rom hätte ihm wohl Triumphbogen, Säulen und Tempel genug dafür erbaut!"
„Und doch hat er es nicht getan!"
„Und musste Stilicho nicht um sich selbst fürchten, wenn man in Rom erfuhr, wie schonend er mit den Barbaren umgegangen war?"
„Mag sein und doch er tat es nicht!"
„Die Sache sieht sehr geheimnisvoll und dunkel aus und selbst du, der dabei war, scheinst nicht klar zu sehen!"
„Ich sah bloß, dass wir gerettet wurden, als wir hoffnungslos verloren waren!"
„Glaubst du an ein Abkommen zwischen dem König und Stilicho?"
„Der König spricht nie davon und wünscht nicht, dass man ihn danach fragt. Nimm dich also in Acht, deine Neugier könnte dir übel bekommen!"
Zu beiden Seiten der außerordentlich sorgfältig und solide angelegten Straße (es war eine römische Heerstraße aus Trajans Zeit) zogen sich lange meilenweite Wälder hin, die sich über Berge und Täler erstreckten; nur selten boten sich Lichtungen, entweder wilde Felsenpartien, wo überhaupt jede Vegetation aufhörte, oder eine Niederlassung, ein Dorf, d.h. einige rohe Blockhäuser, Strohhütten, eine Unmenge von zweirädrigen Transportkarren, des Weiteren große Umzäunungen für die zahlreichen Pferd- und Rindviehherden, und verschwindend wenig angebautes Land. Das Volk der Goten, die hier und im südlichen Illyrien, das noch wilder war, ihre Niederlassungen hatten, war so zahlreich, dass es mit seinen Leibern das Land hätte bedecken können, wo seine Nahrung hätte wachsen sollen! — Die Knechte, die hinter den zwei vorderen Reitern her ritten, erzählten sich frühere Kriegsfahrten und während die beiden seit einer Weile schweigend vorwärts trabten, klangen ab und zu wildes Geschrei und abgerissene Sätze zu ihnen.
„Es ist nicht wahr, es war keine Niederlage!" schrie einer wild und aufgeregt, während ein anderer antwortete: „Es war auch kein Sieg!"
„Die Römer haben es stets als einen Sieg gefeiert und haben Recht getan. Die Erfolge haben es gezeigt."
„Schöne Erfolge! Unsere Pferde tranken schon aus dem Arno, als Alarich freiwillig und unbezwungen die Rückfahrt beschloss!"
„Von welcher Zeit ist denn die Rede dort?" fragte der Druide.
„Wohl von vor fünf und sechs Jahren, von unserem Zug nach Italien."
„Was ist das für ein Sieg, der keiner war?"
„Die Schlacht von Pollentia in den cottischen Alpen."
„Wie war es damit? Erzähl' doch! Du tust mir einen großen Gefallen, wenn du mich in diese Geschichten einweihst, denn ich werde dann meine Sachen umso besser führen können."
„Wir hatten zu jener Zeit immer Not mit den Getreidelieferungen, die wir von Rom zu erhalten haben und da der König auch glaubte, von Stilicho, oder doch von Rom hintergangen worden zu sein, entschloss er sich kurzer Hand, überschritt die julischen Alpen und überraschte den Kaiser mit seiner ganzen Hofbagage in Mailand. Es soll ein entsetzlicher Wirrwarr gewesen sein! Das ganze liederliche Hofgesindel mit dem Eunuchen- und Sklavengesindel mussten mitsamt dem Kaiser Honorius bei Nacht und Nebel fort auf die Flucht. Sie entkamen zum befestigten Asti, an dessen Mauern wir uns dann eine Weile die Köpfe einrannten, bis unerwartet und unbegreiflicherweise Stilicho in Gewaltmärschen aus Gallien herabkam, wo er rasch alle verfügbaren Truppen zusammengerafft hatte. Es war eine Schande! Gallier, Alemannen, Sueven, selbst Goten stellte er uns gegenüber, er selbst kein Römer, er selbst mehr Germane als Römer — du weißt doch, dass er dem Stamm nach ein Vandale ist — keine zwanzigtausend Römer hatte er in seinem Heer! Auch wollte sich der König anfangs gar nicht schlagen. Asti wurde aufgegeben und unentschlossen zog das Heer tagelang hin und her, wechselte die Sitze und niemand wusste was geschehen würde. Es hieß, der König warte auf gute Vorzeichen und so war es auch. Eines Nachts ließ die Königin Amalasunta eine alte Druidin aus dem Tungernland9, eine alte Heidenhexe, eine Zigeunerin, eine Wahrsagerin, oder ähnliches, zu sich kommen und befragte sie! Diese machte denn auch ihre Konstellationen, ihren Hokuspokus — — — was hast du denn?" unterbrach sich plötzlich Guimar, indem er verwundert seinen Begleiter anstarrte. Dieser hatte nämlich sein Pferd angehalten, fasste das herabbaumelnde Schlangenei an der goldenen Umhüllung und hielt es vorsichtig mit zwei Fingern gefasst, um ja das Ei nicht selbst zu berühren, gegen Norden, während er selbst starr in die entgegengesetzten Richtung blickte. Dabei murmelte er leise, aber doch so, dass es Guimar verstehen konnte: „Hört ihn nicht, ihr Rachegötter dort droben und nehmt dies Zeichen zum Schutz gegen den Einfluss seiner Worte."
Wie, um ganz sicher zu gehen, auch wirklich gegen den bösen Einfluss der gottlosen Worte seines Begleiters geschützt zu sein, wiederholte er diese Worte dreimal.
Die Knechte, die mittlerweile näher gekommen waren, verstummten, als sie die wunderlichen Zeremonien des Priesters sahen und hielten ihre Pferde auch an. Einige bekreuzigten sich, während andere ein wunderliches Zeichen mit der linken Hand machten. Sie streckten nämlich den kleinen Finger und den Zeigefinger nach Guimar hin, während die anderen Finger in der Faust zusammengeballt blieben, womit sie sich offenbar zu schützen glaubten gegen Verzauberung oder Verhexung.
Endlich wandte sich der Druide wieder zu Guimar und sagte weiterreitend:
„Willst du mich und dich verderben mit solchen gottlosen Reden über heilige Dinge?"
Guimar war sich im Innern eigentlich keiner Sünde bewusst, aber als sich alle vor ihm bekreuzigten und ihre Zeichen machten, da hatte er sich auch bekreuzigt, allerdings mehr in dem Gedanken, sich zu schützen gegen ein Übel, was vielleicht vorhanden sein könnte. Jedenfalls schadete es nichts, sich einmal zu bekreuzigen, wenn auch die sonderbaren Zeichen der anderen und auch das Schlangenei des Priesters für ihn ein überwundener Standpunkt war.
„Verzeih'," sagte er langsam und fast demütig, „ich tat es aus Unbedachtheit!"
„Was also sagte die Priesterin?"
„Du weißt, dass wir keine Priesterinnen haben, sagte Guimar, und dass Beschwörungen, Zauberei und dergleichen bei uns streng bestraft werden. Wie wenig aber doch das Volk sich von solchen Dingen abzuwenden vermag, solltest gerade du aus dieser Geschichte erkennen! Nach den üblichen Opfern und Beobachtungen der Sterne sagt also die alte Tungerin: ‚Der König wird noch in diesem Monat die Urbs10 sehen, wenn er sich morgen schlägt!‘ — Am nächsten Tag schlug man die außerordentlich blutige Schlacht von Pollentia."
„Wo ihr geschlagen wurdet!"
„Das nicht, aber es war ein schrecklicher Tag und wir hatten furchtbare Verluste. Unser Lager mit allem Gepäck, mit der ganzen griechischen Beute, vielen tausend Pfund Gold und Silber, edle Steine und anderes fielen in Stilichos Hand —“
„Aber der König sah die Urbs nicht?"
„Doch, die Wahrsagerin hatte Recht. Der König sah die Urbs sogar noch in derselben Nacht! Wir bezogen nämlich in der Nacht noch, da unser Lager in Feindeshand gekommen war, zwei Hügel, die im Süden d...