Von der Arbeiterkultur zur Kultur der Arbeit?
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Von der Arbeiterkultur zur Kultur der Arbeit?

Das kulturelle Erbe der Arbeiterbewegung und politische Kulturarbeit heute

  1. 208 Seiten
  2. German
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  4. Über iOS und Android verfügbar
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Von der Arbeiterkultur zur Kultur der Arbeit?

Das kulturelle Erbe der Arbeiterbewegung und politische Kulturarbeit heute

Über dieses Buch

Wir erhoffen uns von der Veröffentlichung einen Impuls für die Diskussion gewerkschaftlicher Kulturarbeit und einer Kultur, die notwendige gesellschaftliche Veränderungen mit künstlerischen Mitteln (mit-)gestaltet. Es geht um kulturelle Teilhabe heute – weder als unverbindliches "Jeder-kann-mitmachen-Projekt" noch als kulturwirtschaftliche Eventkultur. Wir suchen Ansätze einer engagierten, skandalösen, kritischen, ermutigenden Kultur, die sich mit den gesellschaftlichen Verhältnissen in einem ganz umfassenden Sinn auseinandersetzt. Eine zentrale Bedeutung hat dabei die soziale Frage – im Blick auf gute Arbeit und gutes Leben, soziale Demokratie und Gerechtigkeit, Teilhabe und Mitbestimmung.

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I. Beiträge

Prolog – drei persönliche Stellungnahmen

„Ich möchte gerne eine Frage stellen, wenn ich darf. Reden wir jetzt nicht im Moment ein bisschen zur sehr über allgemeine Politik. Und ein bisschen zu wenig über die Frage, wie kombinieren wir das mit Arbeiterkultur, worüber wir sprechen. Und da will ich mal aus meinem sehr langen Leben etwas berichten, vor 1933 hatten wir in der kleinen Stadt Emden einen Arbeiterradfahrerclub, wir hatten einen Arbeiterkanuclub, wir hatten einen Arbeitersegelverein, wir hatten einen Arbeiterradioclub, wir hatten eine Arbeitervolkstanzgruppe, einen Arbeitergesangsverein und auch einen Arbeiterschachclub. Der Vater meiner Frau hat bis an sein Lebensende in seinem Selbstbewusstsein davon gelebt, dass er mal in einer Auseinandersetzung mit dem bürgerlichen Schachclub den Vorsitzenden des bürgerlichen Schachclubs geschlagen hat. In einer Auseinandersetzung am Brett. Das alles gibt es heute nicht mehr. Und jetzt habe ich die Frage, warum haben wir das heute nicht mehr? Vor 33 war es der Ausdruck einer Klassensituation, jetzt gibt es diese Arbeiterkultur nicht mehr, können wir daraus schließen, wir haben auch den Klassencharakter dieser Gesellschaft nicht mehr? Wenn ich zu dem Ergebnis komme, die Klasse ist noch da, aber die Kultur nicht mehr, dann muss man die Frage stellen warum nicht“. (Johannes Bruns3, Meldung aus dem Publikum)
„Ich habe bei Krupp in der Gießerei gearbeitet, als Werkstoffprüfer. Ich habe nicht in einem Labor meine Pause gemacht, sondern bin immer raus in die Halle gelaufen und habe mit den Leuten von dem Sandstrahlgebläse mein Butterbrot gegessen. Die Leute im Labor wussten gar nicht, warum geht der immer in die Halle. Das wusste ich damals auch noch nicht. Bis ich dann plötzlich die Möglichkeit bekam mit dem alten Johannes, Baujahr 1903, zu reden. Der war 17 Jahre als er die Märzrevolution 1920 mitgekriegt hat, und wo vor seinen Augen Reichswehr Freikorps Soldaten jemanden erschießen, der als Aufpasser in der Siedlung geblieben ist, als die anderen an der Front gewesen sind und in der Roten Ruhrarmee gekämpft haben. Der hat mit 17 Jahren angefangen Texte und Lieder zu machen und da bin ich hingegangen und habe das Tonband mitlaufen lassen und habe gehört und gehört und gehört. Und der hat gesungen und erzählt und gesungen und erzählt und daraus haben wir dann eine CD gemacht, die heißt „Lieder der Märzrevolution 1920“ und die haben wir nach draußen geschickt. Wir haben erst gedacht, die will kein Schwein hören, was wollen die mit so einer Platte „März 1920“, was wollen die heute? Das war 2005 oder 2006. Und auf einmal merkten wir, die ist weg die CD. Das war eine wichtige Produktion für mich, um rauszukriegen was hat der Johannes als 17 Jähriger mitgekriegt und wie hat der das immer noch in seinem Kopf, schwer verarbeitet und holt sich da so einen Liedermacher und sagt, „Du musst das singen!“ und dann fing ich an und wir sangen diese Lieder der Märzrevolution von 1920“. (Frank Baier, Liedermacher)
„Ich habe im vergangenen Jahr in Zusammenhang mit dem 150-jährigen Jubiläum der SPD alte Texte der Arbeiterbewegung wieder aus dem Schrank geholt. Die hatte ich jahrzehntelang nicht gelesen – Kautzki, Bernstein und Wilhelm Liebknecht. Man sieht die ganzen Formen von kultureller Betätigung, die ja aus der Illegalität gegen das Sozialistengesetz kam. Solidarität zum Beispiel übt man, indem man sich kulturell betätigt, ein Lied singt, eine Sportart betreibt, eine Wanderung organisiert oder ein gemeinsames Essen – und dabei kann man dann auch politisieren. Diese Formen haben sich dann in Vereinen konkretisiert und dabei ist eine Kultur entstanden, die nach meinem Eindruck verschiedene Charakteristika hat: So sind wir stolz auf das, was wir als Arbeiter darzustellen haben. Man vergisst heute bei den ganzen Debatten um Ziele der Sozialdemokratie, der Linken oder der Gewerkschaften, dass es nicht nur um Geld ging, es ging auch um die Ehre des Arbeiterstandes, um die Verachtung, die damals aus dem bürgerlich-adligen-militärischen Leben gegenüber der arbeitenden Bevölkerung kam. In Hannover ist gerade eine Ausstellung über den Simplicissimus. Und da gibt es eine tolle Karikatur, da ist eine vornehme Dame zu Besuch in Leipzig und sagt: „Ich höre, Leipzig hat 500.000 Einwohner? Nein, 50.000, die anderen sind Arbeiter“. Man muss wissen, dass die Spaltung der deutschen Gesellschaft in die Herrschenden, den Adel und die bürgerliche Gesellschaft, also das Bürgertum gegen die Arbeiter so tief war, dass es kaum möglich war kulturell miteinander zu kommunizieren. Trotzdem ist in Arbeiterbildungsvereinen immer auch ein Teil dessen, was wir bürgerliche Kultur nennen, hochgehalten worden; Schillers Glocke konnten fast alle Arbeiter auswendig, weil Schiller eben auch als Befreiungsdichter galt. Eben Bildung zu haben und teilzuhaben an der Gesamtheit der Kultur, nicht nur der Herrschaftskultur, sondern Kultur als eine Möglichkeit menschlicher Entfaltung zu verstehen. Und für sich auch zu reklamieren. Und dieser Aspekt, das ist mir erst in den letzten Jahren deutlich geworden, hat mich schon in meiner Jugendzeit fasziniert. Deshalb habe ich gerne Volkstanz gemacht, auch beim 1. Mai in der DDR, das hat mir Spaß gemacht, warum soll ich das nicht sagen. Wenn ich bei Gewerkschaften oder bei der SPD Arbeiterlieder höre, dann habe ich immer das Gefühl, das hast du alles in der DDR gelernt. Man muss fragen, was bedeutet eigentlich diese Tradition in der gegenwärtigen kulturellen Landschaft. Ich habe unter Bildung immer verstanden, dass die Menschen, das was sie sagen, auch verstehen. Und das bedeutet nicht, dass man alles Mögliche auswendig kann, sondern dass man Herr seiner Selbst wird. Das kann sehr unterschiedliche Aspekte haben und wenn man das erkannt hat, bekommt man auch einen Zugang zu den neuen Formen der Kultur. Alles was mit Internet und Youtube zu tun hat, das sind ja ganz andere Formen als die der traditionellen Arbeiterbewegung. Wie können moderne Formen mit politischen Inhalten verbunden werden, so dass die Menschen bei sich bleiben und sich nicht nur ständig kommerziell verwirren lassen? Das ist mein Impetus dabei. Und was ich bei den alten Arbeitern in Stöcken, wo ich seit 1969 wohne, gelernt habe. Das hatte ich an der Hochschule nicht gelernt, auf dem Dorf schon lange nicht und in Seminaren auch nicht, nämlich dass man sich auf einander verlassen kann, das ist schon eine Erfahrung“. (Rolf Wernstedt, Nds. Kultusminister a.D.)

3 Johannes „Joke“ Bruns, ehem. Nds. SPD-Landesvorsitzender/Vorsitzender der SPD-Landtagsfraktion
Ulrike Obermayr

Arbeiterkultur im Wandel aus der Sicht der Gewerkschaften

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bedanke mich für die Einladung zu Eurer Tagung und freue mich, hier sprechen zu dürfen. Freilich möchte ich eingangs etwas Bescheidenheit üben. Ich kann euch weder eine historisch-politische Untersuchung zum Thema vorlegen, noch werde ich den Versuch wagen, einen neuen programmatischen Anlauf zu unternehmen. Denn die Kulturdebatte in den Gewerkschaften stagniert, wie ihr wisst. Ich kann nur als Praktikerin der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit, die eigentlich – systematisch gesehen – Teil einer gewerkschaftlichen Kulturarbeit sein müsste, ein paar Überlegungen vorstellen, ein paar Anstöße geben, von denen ich hoffe, dass sie helfen Perspektiven zu öffnen.
Ich beginne mit einem Frankfurter Denkmal, das man eigentlich kennen müsste (und ihr vielleicht auch kennt), weil es so spektakulär ist. Dennoch erregt es außerhalb der kleinen Minderheit von Kultur-Engagierten und Kunst-Interessierten wenig Aufsehen. Vor dem Eingang der Frankfurter Messe, nicht eben ein unbedeutender Platz, steht seit zwei Jahrzehnten eine 23 Meter hohe und 32 Tonnen schwere schwarze Figur, der „Hammering Man“. Der Rücken des hageren Mannes ist gebeugt, er schaut mit gesenktem Kopf nach unten und bearbeitet mit einem motorgetriebenen Hammer ein Werkstück. Der Hammer bewegt sich langsam herunter und wieder hoch. Er ist nicht der aus der sozialistischen Kunst bekannte Skulpturentyp4, der aufsteigt, stetig aufsteigt, unaufhaltsam aufsteigt, bis in die Fingerspitzen aufsteigt, und den Wolf Biermann unsanft landen ließ, indem er ihn dem allgemeinen Gelächter preisgab, siehe sein Gedicht „Der Aufsteigende“.
Abb. „Hammering Man“
Der Aufsteigende (Wolf Biermann)
„Mühsam aufsteigender – Stetig aufsteigender – Unaufhaltsam aufsteigender Mann.
Mann, das iss mir ja’n schöner Aufstieg: Der stürzt ja! Der stürzt ja fast!
Der sieht ja aus, als stürze er. Fast sieht der ja aus, als könnte er stürzen.
Steigt aber auf – Der steigt auf – Der steigt eben auf!
Der steigt aber mächtig auf! Der hat Newtons berühmten Apfel gegessen:
Der steigt einfach auf. Noch nicht die kralligen Zehen,
aber die Hacke riss er schon vom Boden
Über das Knie zerren die Sehnen das Bein
Auf Biegen und Brechen zur Geraden
Das wieder stemmt hoch ins Becken
Die Hüften wuchten nach oben
Aufwärts auch quält sich der massige Bauch.
Die den Brustkorb umgürten: Die Muskelstränge,
sie münden – Vorbei am mächtig gebeugten Kopf
In jener Schulter. Ergießen sich dann in jenen Arm.
Und stürzen weiter bis in die Hand.
Schnellen hoch in die Fingerspitzen. Ja!
Dieser Fleischklotz strebt auf
Dieser Koloss steigt und steigt – das ist eben ein Aufsteigender!
Der steigt unaufhaltsam auf
mühsam auch, ich sagte es schon –
Diesen Mann da nennen wir zu Recht: den Aufsteigenden
Nun sag uns nur noch das: Wohin steigt dieser da?
Da oben, wohin er steigt
was ist da? Ist da überhaupt oben?
Du, steigt der auf zu uns? Oder steigt er von uns auf?
Geht uns der voran? Oder verlässt er uns?
Verfolgt er wen? Oder flieht er wen?
Macht er Fortschritte – Oder macht er Karriere?
Oder soll er etwa, was wir schon ahnten
– ein Symbol sein der Gattung Mensch?
Steigt das da auf zur Freiheit, oder, was wir schon ahnten
zu den Fleischtöpfen?
Oder steigt da die Menschheit auf im Atompilz zu Gott
und, was wir schon ahnten, ins Nichts?
Nein, der Hammermann ist kein Held der Arbeit, sondern ein Mensch der Arbeit. „Der Arbeiter in uns allen“, sagt sein Erschaffer Jonathan Borofsky. Freilich hat der US-Künstler von der Figur her kaum sich selbst porträtiert, sondern eher einen Arbeiter der 3. Welt. Oder sogar einen Zwangsarbeiter aus einem KZ. Mühsal der Arbeit, Monotonie der Arbeit, Unterwerfung unter die Arbeit – aber auch Beherrschung der Tätigkeit, Verwandlung des Rohstoffs in ein Produkt, Nachdenklichkeit beim gemessenen Gebrauch des Werkzeugs, Leben und Überleben. Der Hammermann ist der biblischen Genesis näher als dem Klassenkampf: „Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis dass du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist.“
Aber das Monument steht vis-à-vis vor dem Eingang zur Frankfurter Messe, einem Tempel von Handel, Konsum und Kapitalismus. Eine andere Version steht übrigens in Basel vor der Zentrale der Schweizer Großbank UBS. Also ist die Platzierung kein Zufall. Die schwarze Silhouette vor den glänzenden Fassaden, der gebeugte Mensch vor den aufsteigenden Symbolen von Macht und Reichtum. Krasser – und mit Verlaub: klassenkämpferischer – kann der Widerspruch mit künstlerischen Mitteln kaum inszeniert werden. Deutlicher kann man kaum darstellen, wer den Reichtum schafft und wer ihn ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Vorwort
  3. I. Beiträge
  4. II. Fundsachen, Basistexte, Beschlüsse
  5. III. In eigener Sache
  6. Impressum