Moses
Erster Gesang
2. Moses 1 – 15
I
Abglanz der Sonne auf Erden, goldenes Gleichnis der Götter, wassergeborene Heimat ferne gewanderter Fremder, bleibender Nachhall der Zeit, da Riesen und Söhne des Höchsten machtvolle Verse mit frohem, heiligem Ernst rezitierten – das ist Ägypten, Sinnbild der ewigen Zweiheit des Daseins. Oben und Unten, Diesseits und Jenseits verleihen dem Lande feste kristallene Ordnung, ungetrübt klar und beständig. Oben am Flusse die Hirten, unten im Schwemmland die Bauern, diesseits gebunden die Menschen, jenseits die Götter im Fluge, östlich des Stromes das keimende Leben, westlich die Gräber. Tod folgt seit je dem Leben nicht anders als Nacht folgt dem Tage. Trotzdem steigt täglich ein siegreicher Ra in blendender Barke, hebt als Harachte das Haupt und bezwingt die Macht des Apophis. Ewiglich pendelt das Dasein zwischen den Grenzen des Ganzen.
Höher am Himmel zeichnen die Götter die Spuren des Schicksals. Nirgendwo sonst ist das nahe nächtliche Himmelsgewölbe sternenbestückter denn hier in der kühlen Weite der Wüste. Nirgendwo sonst hat man tiefer geschaut der Sterne Bedeutung, lernte man sehen Amun-Ras oberste Absicht und Weisung. Wahrlich wie Erben der Welt vor der Welt bezeugen noch immer stolz ihre hehre Herkunft das Reich und der Reichtum Ägyptens. Unter den Völkern erregen sie allseits Staunen und Ehrfurcht.
Über die tosenden Wasser Erde umwälzender Fluten, über das dunkle, tiefe Rumoren versinkender Welten, durch die Äonen sich unabwendbar verrohender Zeiten leuchtete weiter bis jetzt das Licht seiner gottgleichen Gründer. Uralte, strahlende Weisheit ruht in gigantischen Bauten, Himmel und Erde verbindender Werke einstiger Helden. Schweigsame Priester hüten ein lang überliefertes Wissen.
Aber auch sie, die restlos der Wahrheit des Einen Geweihten, können mit all ihrer Weitsicht, Zauber und Macht nicht verhindern wachsende Schatten im Volk hinauf bis zum Thron seines Herrschers. Einfache Bauern gleich wie die stolzen Beamten des Hofes, strebsame Fürsten und Prinzen, ebenso Schreiber und Händler – alle erfasst mit dem Wandel der Zeit ein Dämon der Lüge. Isfet verdrängt unaufhörlich Ma’at, die Wirrnis das Rechte. Weiter und weiter zieht sich zurück aus den Herzen der Menschen Güte und Sinn für das wirkliche Wesen seiender Götter. Habgier verdrängt mit Gewalt die Tugend der Demut und Milde, Angst macht aus ihnen am Ende Feiglinge, Zweifler und Heuchler. Tausende Jahre lebten die Enkel der Söhne der Götter friedlich für sich, umfriedet von Wasser, von Wüsten und Bergen. Dann aber wittern sie jenseits der Grenzen überall Feinde: Nubier, Libyer, Hyksos, Hethiter – ihnen so ähnlich. Grausame Söhne der neuen finsteren Ära sind alle. Hilflos betrachten die nunmehr geheimen Diener der Wahrheit wie mit dem Wachsen der Schatten Heere und Hass sich verbreiten.
II
Nahezu ganz war das Licht im Lande Ägypten erloschen, als aus dem fernen Kanaan dorthin gelangte ein Sklave, zweitjüngster Sohn eines weit gereisten, vermögenden Mannes. Schnöde und heimlich verkauft war der zart besaitete Junge wenige Wochen zuvor von wütenden, neidischen Brüdern, älteren Söhnen desselben übel getäuschten Erzeugers. Bald allerdings gewann dieser Joseph des neuen Gebieters volles Vertrauen und wurde fernab der Heimat erfolgreich. Schließlich verleumdete ihn die Frau seines Herrn, die Verschmähte, sorgte dafür, dass eingesperrt wurde der schuldlose Diener.
Aber auch unten im dunklen Verlies erbarmte sich seiner Jahwe, der Gott seines Vaters, gab ihm die Gabe des Sehers. So gut verstand er es Träume zu deuten, dass ihn zum Hofe holen ließ endlich der Pharao selbst, den Traumbilder plagten. Sichtlich beeindruckt von Josephs klarer und geistvoller Deutung, machte der König den Sklaven, froh einen solchen zu haben, noch an dem selbigen Tag zum höchsten Verwalter des Reiches. Umsichtig, ehrlich und klug versah der Vertraute des Königs treu seinen Dienst zum Wohle des Volkes die folgenden Jahre.
Wie er dem Pharao einst prophezeite, tags nach den Träumen, wuchsen und reiften so üppig wie nie die Früchte der Felder, während zu stattlichem Vieh die Kälber und Böcklein gediehen. Sieben gesegnete Jahre schenkte das Land den Fellachen Ernte in Überfluss: Gerste und Emmer, Wein und Gewürze. Davon ließ Joseph als Steuer immer die Hälfte erheben. Bald waren neue, größere Speicher im Lande vonnöten. Keiner im Volk musste darben, aber auch nichts ward verschwendet.
Dann fingen an die sieben von Elend gezeichneten Jahre. Regen blieb aus im Marschland am Meer, in den Bergen bei Theben. aber auch weiter hinauf im Bogenland, Nubiens Wüste, bis in den Hochlanden Punts, im Schoße des Flusses. Nächstens versiegten im Lande die ersten kleineren Ströme. Dann blieb die Nilschwemme aus und nunmehr entmachtet war Hapi, lang der verlässliche Wächter über die jährlichen Fluten. Kaum etwas blieb noch zu ernten, das Saatgut konnte nicht keimen. Rinder und Kleinvieh verkümmerten, schrumpften, fielen zusammen. Joseph ließ nun allerorten öffnen die Tore der Speicher, geben vom riesigen Vorrat an Korn den hungernden Massen.
Jenseits der Grenzen des Landes herrschte nun ebenfalls Elend. Unter den darbenden Völkern sprach sich herum binnen kurzem: Brot gibt es reichlich drüben beim sparsamen Volk der Ägypter. Bald kam die Kunde vom rettenden Korn zu Kanaans Stämmen. Nirgends im Lande gab es noch ausreichend Öl oder Weizen. Also entsandte auch Jakob zehn seiner Söhne zu kaufen Lagergetreide vom Nil, zu retten die Sippe zu Hause.
Nach der beschwerlichen Reise traten die Männer am Ende flehend vor Joseph; keiner erkannte den eigenen Bruder. Doch der Verwalter des Reiches wusste sehr wohl, wer dort kniete. Innerlich aufgewühlt stand er zunächst für kurze Zeit reglos, nahm in sich auf den Anblick der Söhne des eigenen Vaters. Während er andere, fremde Bittsteller freundlich begrüßte, redete Joseph mit diesen Hebräern hart und bestimmend.
Aber nicht Hass oder Rachegedanken trug er im Herzen. Wohl aber wollte er prüfen Treue und Liebe der Brüder, nötigte sie nach Ägypten zu holen den Jüngsten von ihnen. Dieser, der Benjamin hieß, der teuerste Sohn seiner Mutter, Frucht aus dem Schoße, der einmal auch ihn behutsam umfasste, harrte der Rückkehr der Brüder daheim als Augapfel Jakobs. Einen der Halbbrüder nahm er indes für diesen als Faustpfand.
Monate später erschienen vor ihm erneut die Geschwister. Endlich stand Benjamin, zart und verletzlich, ihm gegenüber. Doch auch der Sohn seiner Mutter erkannte nicht seinen Bruder. Ihm, den sein Vater unwillig nur hatte wegziehen lassen, stellte der durchaus geschickte Wesir eine sichere Falle. Benjamin wurde danach zu Unrecht des Diebstahls bezichtigt. Nun aber waren die Brüder bereit dem Jüngsten zu helfen, wollten sogar für Benjamins Leben das ihrige opfern. Joseph erkannte zu Tränen gerührt, die einstigen Neider, Sklaven des Hasses, waren veredelt im Feuer des Schicksals. Reue verwandelte Vorwurf und Schuld in mutige Liebe.
Dies war für ihn der Moment sich selbst als ihr Bruder zu zeigen. Joseph vergab seinen Quälern von einst, umarmte sie herzlich. Dort in der Fremde, im vornehmen Haus des einstmals Versklavten feierten wiedergefundene Eintracht Israels Söhne. Dann schickte Joseph die Brüder nach Hause diesmal zu holen Jakob, den Vater und all seine Enkel, Mägde und Sklaven. Israels Stamm sollte nun in Ägypten glücklich gedeihen. Noch war die Zeit der verheerenden Dürre nicht überstanden. Dank des am Ende von Jahwe entsandten, geistreichen Bruders wurden trotz allem die siebzig Nachkommen Jakobs gesättigt. So kamen Israels Söhne und Töchter einst nach Ägypten, wuchsen heran mit den Jahren zum Volk im Volke des Königs.
III
Lang nach dem Tod von Kanaans furchtlosem Engelsbezwinger, lange nachdem der begnadete Joseph, Volkes Erretter, einhundertzehn Jahre alt im Kreis seiner Kinder gestorben, herrschte am Hof ein neuer, eroberungssüchtiger König. Dieser gestrenge Gebieter kannte nicht Joseph noch Jahwe, wusste weder von warnenden Träumen noch schrecklicher Dürre, sah keinen Anlass Hebräern zu danken, sie gar zu ehren. Mehr noch, es ärgerte ihn, wie sehr sie als Volksstamm gediehen.
Er war der Herr über Hirten und Bauern, Biene und Binse, nun aber drohten Kanaans Leute sein Volk zu verdrängen. Zöge ein Feind gegen unsere Städte, zahlreich und kampfstark, wo stünden dann, so fragte er, Israels Söhne und Sklaven? Ihrer sind viele, das Fruchtland der Heimat wäre verloren, schlügen sich alle plötzlich vereint auf die Seite des Gegners. Ja, bei der Herrlichkeit Ras, seines Vaters, es galt diese Fremden hart und entschieden zu knechten, ihnen an Einfluss zu nehmen.
Also erteilte der hohe Monarch den beiden Wesiren, mächtigen Herren fürwahr des gelben und schwarzen der Lande, Pharaos Auftrag sämtliche Männer vom Volk der Hebräer ohne Erbarmen und unverzüglich zu Frondienst zu zwingen. Fronvögte führten die Aufsicht, ließen wie Sklaven sie schuften. Zwei neue Städte, dort zu lagern die staatlichen Vorräte, sollten aus eigener Kraft die Nachkommen Israels bauen. Mühsam und oftmals in sengender Hitze schichteten diese Stein über Stein und ließen erstehen Pitom und Ramses.
Aber je mehr die Beamten Israels Enkel bedrängten, umso beharrlicher wuchs das fleißige Volk der Hebräer. Daraufhin graute vor ihnen erst recht den Herrschern Ägyptens. Mitleidlos schindeten sie mit Gewalt die maßlosen Fremden. Israels Kinder, die Alten und Jungen quälten sich nur noch, pressten zu Ziegeln den schweren fettigen Lehm aus den Auen, trieben am Ende der Flut die Ochsen zu pflügen die Felder, schnitten und worfelten Korn im glühenden Monat der Reife. Alles vergebens! Die zwölf von Jahwe gesegneten Stämme, Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs wurden nicht minder.
Nun ließ der König erzürnt hebräische Hebammen holen. Schifra und Pua, verängstigte Wehmütter, standen bald vor ihm. Ihnen befahl er alle von nun an entbundenen Jungen, Söhne hebräischer Mütter, gleich auf der Stelle zu töten. Einzig die weiblichen Früchte sollten die beiden verschonen. Aber die Hebammen fürchteten Gott und töteten keinen, ließen die männlichen Kinder weiterhin alle am Leben. Freilich erfuhr das der König alsbald und zürnte dem Boten, herrschte ihn an, sofort diese wertlosen Weiber zu holen.
Kurze Zeit später sah er vom Throne auf beide herunter, fühlte die Hitze des Hasses, stellte die Frauen zur Rede. Furchtsam noch feige erklärten Schifra und Pua dem Herrscher, nicht in der Art wie ägyptische seien hebräische Frauen, hätten, robust wie sie wären, immer allein schon geboren. Nie seien sie eines männlichen Kindes habhaft geworden. Ob dieser schützenden Lüge segnete Jahwe die Weiber. Da sie nun ehrfürchtig hielten zu Ihm, dem wahren Gebieter, baute Er Häuser für sie und tat ihnen fürderhin Gutes.
Weiter indessen erstarkten und wuchsen Israels Stämme. Schäumend vor Wut verlangte der König vom eigenen Volke alle hebräischen Söhnchen den vollen Brüste der Mütter ohne Verzug zu entreißen, jedes im Fluss zu ertränken. Schonen jedoch sollte Volkes Verfolgung weibliche Kinder.
IV
Groß ist die Trauer, wo Israels Töchter Söhne geboren. Groß ist die Angst den Erben im reißenden Strom zu verlieren. Hoch ist die Not, wo jegliche Hoffnung im Wasser versunken. Niemals war schwerer das Los, das Gott für die Seinen bestimmte. Viele versuchen die wehrlosen Jungen rasch zu verstecken, trachten am Ende die mordende Menge doch noch zu täuschen.
Eine der Nachkommen Levis hält ihr entzückendes Söhnchen drei bange Monate lang im Innern der Hütte verborgen. Dort ist den Eltern das lebhafte Knäblein länger nicht sicher. Plötzlich von Glauben und Hoffnung erfüllt, entscheidet die Mutter ihn, ihren strahlenden Erben, Gott in die Hände zu legen. Dann fällt ihr Blick auf ein Kästchen aus Rohr, dem Holz des Papyrus. Klar wie die ersten der Sterne drüben am westlichen Himmel sieht sie sogleich, was getan werden muss den Jungen zu retten. Sorgfältig dichtet sie ab das Kistchen mit Pech und Bitumen. Anschließend nimmt sie das Söhnchen, wickelt es ein in ein Deckchen, hebt es ein letztes Mal hoch, küsst es und legt es ins Kästlein.
Heimlich im Schutze des Dunkels trägt sie das Kleinod ans Ufer. Ahnungsreich folgt ihr die ältere Tochter, hält sich verborgen, sieht, wie die Mutter ein Päckchen vorsichtig abstellt im Wasser. Schnell ist ihr klar, wer drüben im Schilfe sein Schicksal erwartet. Ja, sie versteht ihre Mutter, weiß um die schrecklichen Morde. Aber in diesem Moment beschließt sie beim Bruder zu bleiben. Gleich was passiert, sie lässt ihr Geschwisterchen hier nicht alleine. Stunden lang kauert das Mädchen unter dem mondlosen Himmel, betet zu Gott, er möge behüten den Kleinen dort draußen.
Rufe erfüllt von Erstaunen wecken die Schwester am Morgen. Hoch ist das Haupt der Harachte erhoben, nahe das Wasser. „Schaut mal dort vorne, beeilt euch, da liegt etwas, drüben im Röhricht!“ Aufgeregt späht die Hüterin blinzelnd zum Ufer hinüber. Kaum hat ihr Auge erfasst das Bild des verblüffenden Schauspiels, fällt jede Müdigkeit ab vom ernsthaften wachsamen Kinde. Hüfttief im Wasser steht dort eine junge vornehme Herrin. Weich fällt ihr dunkles schimmerndes Haar auf die bronzenen Brüste. Mehrere Mädchen so zierlich wie hübsch durchstreifen das Schilfrohr, heben das Brüderchen bald aus dem Fluss, vom Anblick verzaubert. „Seht doch nur, Herrin, wie süß!“, erklingt eine kindliche Stimme. „Ist das zu fassen, es lächelt uns an“ ergänzt eine zweite.
Plötzlich versteht die Versteckte, wen sie beim Baden betrachtet. Pharaos eigene Tochter findet im endlosen Flusse Israels Hoffnung und holt sie zurück ins Leben der Menschen. Aufmerksam, ehrfürchtig fast besieht die Prinzessin den Jungen, wiegt ihn gedankenverloren, immer noch stehend im Wasser, hält, wie sie weiß, das schreiende Unrecht des Vaters in Armen. Denn ihr ist klar, gefunden hat sie ein Kind der Hebräer. Hier am Gestade des Nils, den wehrlosen Säugling in Händen, spürt sie zum ersten Mal Mitgefühls Wärme erschütternd im Herzen. Auch ihr verspieltes Gefolge merkt, dass sich etwas verändert.
Wandlung erkennt noch in ihrem Versteck die spähende Schwester. Deshalb getraut sie sich nun den Platz des Geschicks zu betreten. Während die höfischen Mägde weiter das Knäblein bestaunen, hebt die Prinzessin ihr Haupt, sobald sich die Schwester ihr nähert. Unverwandt blickt sie der kleinen Hebräerin fest in die Augen. Plötzlich erscheinen von mehreren Seiten wehrhafte Wachen finstere Männer, welche das Mädchen am Weitergehn hindern. „Lasst sie vorbei“, befiehlt aber dann überraschend die Herrin. Leicht und kaum merklich hebt sie ihr Haupt als die Wächter gehorchen.
Wohlweislich wirft sich sogleich die Schwester des Findlings hernieder, drückt ihre Stirn in den würzigen Lehm und schweigt dann ergeben. „Sprich schon!“, beginnt die Prinzessin, „was führt dich hierher, was willst du?“ „Herrin“, erwidert die Schwester beherzt, „verzeiht meine Störung! Ahatgleich sah ich Euch eben nehmen ein Kind aus dem Flusse, wahrlich die Tat einer gütigen Göttin, Tochter des Horus! Dies Euer Kindlein wollt ihr doch sicherlich ausreichend nähren. Wenn meine Herrin es wünscht, so hol ich dem Kind eine Amme.“
Sieh einer an, überlegt die Prinzessin, klug ist das Mädchen. Ganz und gar zufällig stand sie womöglich nicht in der Nähe. Doch mir gefällt ihre mutige, ungekünstelte Weise. Soll sie die Amme mir bringen, hüten will ich dieses Knäblein. „Wohl denn, erhebe dich!“, heißt sie mit Kraft die wackere Schwester, „geh und besorge dem Kind eine Amme, aber beeil dich!“ Hastig verbeugt sich das Mädchen dankend vor Pharaos Tochter, läuft dann als glückliche Botin wehenden Haares nach Hause.
Rufend begrüßt sie von Ferne ihre sich sorgenden Eltern. Erst als sie näher gekommen, sieht sie, dass auch ihre Mutter ohne zu schlafen die Nacht des großen Vertrauens durchwachte. Hastig erzählt ihr das Mädchen, wie durch ein Wunder soeben Pharaos Tochter ihr Söhnchen dümpelnd im Wasser gefunden. Jahwe erbarme sich seiner, flüstert sie wieder und wieder.
Ihr, die so trotzig den Bruder gehütet, soll sie nun folgen hin zu der Herrin am Flusse, dieser als Amme zu dienen. Sollte es wahr sein, mein Herr Elohim, erwägt sie im Stillen, gibst du mir wieder mein Kind, das ich deiner Güte anheimgab? Ahnte ich nicht, dass lang und gewunden sein Weg werden würde? Nun also willst du am Hofe ihn gar als Prinzen erziehen? Immer noch ganz von der raschen Wende des Schicksals benommen, eilt sie der Tochter zum Fluss hinterher, glückselig und dankbar.
Dort hat die Herrin derweil ihr kühles Vergnügen beendet. Hauchdünn und zart liegt ihr edles Gewand auf Busen und Schultern. Schweres Geschmeide am Haupte und Hals verrät ihre Herkunft. Nunmehr sitzt sie vom Gefolge umringt, bereit zu gebieten, würdig auf ihrem so reichlich verzierten Schemel im Schatten. Wach aber still liegt das Kind aus dem Strome ihr auf den Schenkeln.
Wieder beeindruckt vom tüchtigen Mädchen lächelt sie stille, als es sich ihr mit der Amme zur Seite demütig nähert. Prall sind gefüllt, erkennt sie auf Anhieb, die Brüste des Weibes. Wahrlich es scheint, der Gott der Hebräer segnet sie alle. „Fremde, erhebe dich“, winkt sie dem Weib, „du darfst dich mir nähern. Säuge für mich diesen Jungen, bis er gelernt hat zu laufen! Dann soll er weiter unter den Schwingen der Herrin gedeihen. Lohnen wird dir deine selbstlose Sorge Amun-Ras Tochter.“
Einzig den Ausdruck der Amme fest in den prüfenden Augen hebt die Prinzessin sogleich das Deckchen und zeigt ihr den Jungen. Aber der Mutter gelingt es die tiefe Freude des Herzens fern ihrer Augen und Lippen sicher verborgen zu halten. Schließlich streckt ihr die Tochter des Königs das Bündel entgegen. Schweigend bejaht sie den Auftrag, welcher schon Gott ihr gegeben.
Glückliche Monde nährt sich das Kind von der Milch seines Stammes, wächst und wird kräftig, lernt sich zuletzt auf die Füße zu stellen. Dann eines Tages bringt ihn die Mutte...