Susanne Reuter
Fundraising wird verstanden als die umfassende Mittelbeschaffung einer Organisation (Finanz- und Sachmittel, Rechte und Informationen, Arbeits-, Zeit- und Dienstleistungen, Kontakte, Beziehungen), wobei der Schwerpunkt meist auf der Einwerbung finanzieller Mittel liegt. Deshalb wird der Begriff häufig mit »Spendenwerbung« übersetzt.
Gemeint ist jedoch mehr: Das Wort stammt aus dem Englischen und ist zusammengesetzt aus »to raise« und »funds«. Das heißt im übertragenen Sinne »Quellen erschließen«, aber das englische Verb hat vielfältige Bedeutungen wie z. B. etwas heben, lüften, hervorrufen, erwecken, auf- oder großziehen, erhöhen, steigern oder beschaffen. Sie alle umschreiben sehr anschaulich, was die Aufgabe von Fundraiserinnen und Fundraisern ist.
Fundraising ist Kommunikation – ganz im Sinne des altbekannten Mottos: Tue Gutes und rede darüber. Ohne fundierte Öffentlichkeitsarbeit, ohne strategische Kommunikation nach außen und nach innen führen auch die ambitioniertesten Bemühungen nicht zum Erfolg. Dabei bedeutet der Begriff »Kommunikation« mehr als die Herausgabe gut gestalteter Faltblätter, Broschüren oder Mailings.
Das Erbschaftsfundraising gilt als »Königsdisziplin« des Fundraising, denn nach dem Modell der Spender-Pyramide stehen Erblasser und Stifter ganz oben an ihrer Spitze – sie »krönen« die Bemühungen der Fundraiser um Spendergunst, Vertrauen und Bindung. Kontaktpflege, Kommunikation und Betreuung dieser besonderen Zielgruppe erfordert große Aufmerksamkeit, Sensibilität und Intensität. Schließlich geht es beim Erbschaftsfundraising darum, potenzielle Förderer um Vermächtnisse (Legate), Erbschaften, (Zu-)Stiftungen und sonstige Zuwendungen zu Lebzeiten und von Todes wegen zu bitten. Oft werden Erbschafts- und Stiftungsfundraising in einem Atemzug genannt, weil sie sehr ähnliche Ziele und Verfahrensweisen verfolgen.
Hintergrund dieser Fundraisingdisziplin ist die aktuelle Entwicklung auf dem »Erbschaftsmarkt« in Deutschland: Es werden immer höhere Vermögensvolumina hinterlassen, und dieser Trend hält schon seit Jahren an. Im ersten Jahrzehnt werden vermutlich zwei Billionen (2 000 000 000 000!) Euro vererbt, bis 2015 nochmals 1,47 Billionen Euro. Neu hinzugekommen sind Veränderungen bei der Besteuerung des Erbes. Da gemeinnützige Organisationen jedoch von der Erbschaftssteuer befreit sind, eröffnen sich in diesem Zusammenhang neue strategische Spielräume.
Viele gemeinnützige Einrichtungen und Verbände haben schon frühzeitig reagiert und zum Beispiel eigene Stiftungen gegründet. Beinahe jeder Spender hat inzwischen eine der Hochglanzbroschüren in Händen gehalten oder die Freianzeigen und Faltblätter zum Thema »Erben und Vererben« gesehen. Aber die Fundraiser haben inzwischen erkannt, dass sich allein mit perfekt gestalteten Printmedien noch keine Zustifter oder Erbschaften gewinnen lassen. Und: Es gibt keine Patentrezepte für das Einwerben von Erbschaften oder Zustiftungen.
Was Erfolg bringt, ist die persönliche Kontaktaufnahme und die Pflege der Kontakte zu den Menschen, die sich möglicherweise als Erblasser oder Zustifter engagieren könnten. Dazu gehört, sich auf diese Menschen ganz einzulassen. Auch auf die Themen oder Anliegen, die damit verbunden sind: Sich als Fundraiser selbst mit Tod, Sterben, Trauer und der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Zu erkennen, dass diese Aspekte bei den meisten Menschen viele Fragen hervorrufen. Zu wissen, welche Fragen beantwortet werden können und welche vielleicht immer offen bleiben. Sich seiner persönlichen Werte bewusst zu sein, aber auch der Wertehaltung der eigenen Organisation, für deren Anliegen geworben wird. Den ethischen, moralischen und theologischen Rahmen zu kennen, innerhalb dessen sich das eigene Bemühen und die entstehenden Beziehungen bewegen. Erbschaftsfundraising ist also mehr als das Anwenden von Methoden und Instrumenten für das Einwerben finanzieller Unterstützung.
Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite gerät die eigene Organisation stark in Bewegung, wenn verantwortliche Personen für diese Form des Fundraising gesucht, überzeugt und gewonnen werden sollen. Das Thema »Erbschaften und Zustiftungen« berührt Tabuthemen, was zunächst Befürchtungen und Skepsis hervorruft (Stichwort »Erbschleicherei«). Für viele Mitarbeitende bilden diese Themen einen Kontrast zum »eigentlichen« Anliegen der Organisation, weshalb sie das Erbschafts- und Stiftungsfundraising nicht selbstverständlich unterstützen oder gar aktiv betreiben.
Was bedeutet dies für das Erbschafts- und Stiftungsfundraising? Wer erfolgreich Erbschaften oder Zustiftungen für seine Organisation einwerben will, sollte den Blick nicht nur nach außen richten – auf die potenziellen Erblasser, Spenderinnen und Stifter –, sondern auch nach innen, auf sich selbst und auf die potenziellen Unterstützer innerhalb des eigenen Umfeldes. Ziele, Strategien und notwendige Maßnahmen müssen klar formuliert und intern ausreichend kommuniziert werden und somit für alle Beteiligten verstehbar sind. Erst wenn die internen Hemmnisse und Stolpersteine erkannt und gebannt worden sind, wenn Rahmenbedingungen und Wege geklärt sind, kann die Organisation Kontakte zu potenziellen Erblassern und Stiftern knüpfen.
Bertold Höcker
»Gott aber kann machen, dass alle Gnade unter euch reichlich sei, damit ihr in allen Dingen allezeit volle Genüge habt und noch reich seid zu jedem guten Werk.« (2. Kor. 9, 8)
Ist mit dem Tod alles aus? Wer immer sich mit Stiftungen und Erbschaften beschäftigt, wird sich diese Frage stellen müssen, denn die Beantwortung dieser Frage entscheidet in der Regel über die Bereitschaft, Vermögen oder Teile davon abzugeben.
Handlungen gemeinnütziger Organisationen und Stiftender sowie die Beschaffung von Unterstützungsleistungen (Fundraising) beruhen auf Werteentscheidungen, denen eine bestimmte Deutung von Wirklichkeit zugrunde liegt. Diese Deutung bestimmt bewusst oder unbewusst alle Handlungen von Stiftenden und Fundraisern. Hinzu tritt eine die eigene Endlichkeit überschreitende Dimension der Beziehung zu Gott und den Menschen, die in jeder Erbschaft eine Rolle spielt.
Es lohnt sich daher, sich der Deutung von Wirklichkeit zu vergewissern, die die Dimensionen Gott, Mensch und Sinn reflektiert und daraus Entscheidungen ableitet, weil diese Deutungen für Erbschaftsfundraising relevant sind. Eine Theologie des Fundraisings beschäftigt sich mit den Grundlagen christlicher Welt- und Lebensdeutung sowie den in unserem Kontext notwendigen biblischen Voraussetzungen. Von diesen leitet sie Maximen theologisch verantworteten Fundraisings ab. Damit zielt sie auf eine konstruktive Sensibilisierung aller in diesem Bereich Handelnden.
Grundsatz theologischer Wirklichkeitsdeutung ist die Erkenntnis, dass es auf Erden keine Sicherheit gibt.1 Alle Planungen und Entscheidungen stehen unter dem Vorbehalt, dass sie sich in der Zukunft als falsch, ihr Ziel verfehlend oder als vergeblich herausstellen können. Sie können auch gelingen. Aber niemand kann sicher wissen, welche Auswirkungen seine Entscheidungen in der Zukunft haben werden. Bereits der reiche Kornbauer, der seine Ernte endlich nach bester Planung auch genießen möchte, wird als Narr bezeichnet, da das Bewusstsein der Endlichkeit seines Daseins sein Leben nicht prägt und alle seine Bemühungen in Hinsicht auf seine Zukunft nur fruchtlos waren.2 Allerdings kennt die Bibel auch das Gegenteil: »Der Reiche arbeitet und kommt dabei zu Geld, und wenn er ausruht, kann er´s auch genießen.«3 So kann an diesem Beispiel bereits verdeutlicht werden, dass der Grundsatz, dass es keine Sicherheit gibt, auch auf biblische Aussagen zutrifft. Sowohl den Reichtum länger zu genießen als auch diesen Genuss nur als Moment des Glücks zur Verfügung zu haben, sind erfahrungsgesättigte biblische Erkenntnisse.
Aus der Bibel ist keine »Theologie des Reichtums« ableitbar. Alles steht unter Vorbehalt der Endlichkeit menschlicher Existenz und Erkenntnismöglichkeit. Ich kann nicht sicher wissen, ob mein Wille so umgesetzt wird, wie ich möchte. Ich kann nicht sicher wissen, ob der gute Zweck, für den ich etwas bestimmt habe, auch gut ist. Ich weiß nicht, ob ich morgen noch lebe. Das klingt zunächst trivial, deutet jedoch eine Dimension an, die bei Entscheidungen über die Verwendung von Vermächtnissen integriert werden muss.
Ich muss entscheiden, was mit meinem Vermögen geschieht, denn ich kann nicht nicht entscheiden. Jede Entscheidung aber kann meinem ganzen Willen letztlich entgegenarbeiten. Jede Entscheidung kann auch genau die Konsequenzen haben, die ich mir wünsche. Dieses so gut wie möglich abzusichern, ohne die Begrenztheit dieser Absicherung zu verneinen, ist Kriterium seriösen Erbschaftsfundraisings. Hier gilt es für alle Stiftenden und Fundraiser mit der einzigen Sicherheit umzugehen, die es gibt, nämlich der, dass es aus theologischer Sicht keine gibt.
Es bleibt immer ambivalent: Meine Entscheidung kann von seriösen Vertretenden auch nach dem Tode respektiert und ausgeführt werden oder mit Ränken und Rankünen anderen Absichten unterworfen werden. Für diese Ambivalenz alle Beteiligten zu sensibilisieren, nimmt die Bemühungen ernst, diese Grundkonstante aller menschlichen Handlungen in allen Überlegungen zu berücksichtigen und mit Versprechen überaus vorsichtig zu sein. Die Zusage, eine Willensentscheidung durchzusetzen, ist umso glaubwürdiger, je mehr sie die beschriebenen Grundvoraussetzungen allen Handelns integrieren kann.
Eine weitere Konstante theologischer Wirklichkeitsdeutung und biblischen Menschenbildes ist die Erkenntnis, dass Menschen verführbar sind, aber auch selbstlos handeln können. Der Mensch kann sich frei zum Guten oder zum Bösen verhalten.4 Kain hätte Abel nicht zu erschlagen brauchen; Eva den Apfel von Baum des Paradieses nicht zu essen nötig gehabt. Fast jeder Mensch kann dazu verführt werden, seine Interessen über die der anderen oder Gottes zu stellen.
Dieses zu wissen und die Durchsetzung der eigenen Entscheidung gegenüber allen anderen so gut wie möglich abzusichern, nimmt diese biblische Erkenntnis ernst. Wenn ich weiß, dass mein Gegenüber und ich selbst verführbar sind, gilt es, dieser Versuchung wechselseitig zu widerstehen. Dadurch entsteht ein grundlegendes Vertrauen, das Unterstellungen und Unsicherheiten im Vererben und Erben abzubauen hilft. Ein Fundraiser kann einen möglichen Erblasser oder Erben zur Spende verführen. Aber der Zweck heiligt nicht alle Mittel. Die Verpflichtung, den freien Willen eines Erblassenden herauszufinden und umzusetzen, gründet in der Anerkennung der Würde (und der daraus erwachsenen Freiheit) jeder Person.5 Diese theologische Voraussetzung zu benennen und in ihrer Wertigkeit zu verdeutlichen, wird einerseits dem Anspruch seriösen Vorgehens gerecht und andererseits der Achtung vor der Willensentscheidung aller Beteiligten. Schon Paulus räumte der Freiwilligkeit bei seiner Geldsammlung Priorität ein: »Ein jeder, wie er´s sich im Herzen vorgenommen hat, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn einen fröhlichen Geber hat Gott lieb« (2. Kor 9, 7).
Der Versuchung, selbst mit bester Absicht, den freien Willen eines möglichen Erblassers zu umgehen, ist zu widerstehen. Das Beispiel des Paulus kann helfen, theologische Motive für eine Spende potenziellen Erblassenden nahezubringen. Paulus sammelte Geld für einzelne Gemeinden, die er besuchte. Sein Eintreten für den wirtschaftlichen Ausgleich unter diesen Gemeinden wurde kritisiert. Davon legen die Kapitel 6 und 7 des 2. Korintherbriefes Zeugnis ab. Doch durch die Angriffe gegen die Geldsammlung ausgelöst, formulierte Paulus Sinn und Zweck seines Tuns: »Denn wenn der gute Wille da ist, so ist er willkommen nach dem, was einer hat. Nicht, dass die anderen gute Tage haben sollen und ihr Not leidet, sondern dass es zu einem Ausgleich komme.« (2. Kor 8, 12 f) Ziel war der freiwillige finanzielle Ausgleich zwischen Reichen und Armen. Dabei sagte Paulus nichts dazu, ob dieser Ausgleich durch Spende oder Vermächtnis geschehen sollte. Alle Menschen, die freiwillig Unterstützungsleistungen im weitesten Sinne, ob zu Lebzeiten oder danach, für den Ausgleich zwischen Arm und Reich geben, handeln damit in Übereinstimmung mit der Heiligen Schrift selbst. Erbschaftsfundraising hilft damit dem Ziel, einen Ausgleich herzustellen und damit zumindest partielle Verteilungsgerechtigkeit als Teil allgemeiner Gerechtigkeit durchzusetzen.
Freiwilligkeit und Freude auf der Seite des Gebenden sowie Willkommenheit der Spende bei den Nehmenden sind biblische Voraussetzungen allen Tuns, das dem Ziel des wirtschaftlichen Ausgleichs unter den Beteiligten eines Gemeinwesens dient. Einen solchen Grundsatz Erblassenden oder Erben ge...