
- 144 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Über dieses Buch
Kurz, prägnant und klar beschreibt Kulananda Lehre und Methoden des Buddhismus, Ethik und Meditation und skizziert Entstehung und Entwicklung dieser 2500 Jahre alten Religion.
Ideal für Einsteiger, aber auch als kleines Handbuch sehr nützlich (mit Glossar).
INHALT:
1. Der Buddha;
2. Der Dharma - die Lehre: 2.1. Die Vier Edlen Wahrheiten, 2.2. Der Edle Achtfache Pfad (Der Pfad der Schauung, Der Pfad der Wandlung;);
3. Der Sangha - die spirituelle Gemeinschaft: 3.1. Zufluchtnehmen, 3.2. Wachstum und Entfaltung des Sanghas, 3.3. Die Entfaltung der spirituellen Schätze des Arya-Sanghas, 3.4. Weitere Entwicklungen des Sanghas, 3.5. Frauen im Buddhismus, 3.6. Spirituelle Freundschaft;
4. Buddhistische Ethik: 4.1. Karma, 4.2. Wiedergeburt, 4.3. Die Fünf Vorsätze;
5. Meditation: 5.1. Samatha, 5.2. Die Vergegenwärtigung des Atems, 5.3. Die Dhyanas, 5.4. Die Metta-bhavana, 5.5. Vipassana, 5.6. Die Sechs-Elemente-Praktik , 5.7. Visualisierungsübungen, 5.8. Formlose Meditationen, 5.9. Hingabe und Ritual;
6. Die Verbreitung und Entwicklung des Buddhismus: 6.1. Buddhismus heute, 6.2. Der Buddhismus im Westen;
Anmerkungen; Begriffserläuterungen
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Buddhismus auf einen Blick von Kulananda, Buddhawege e.V. im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theologie & Religion & Religion. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
1. DER BUDDHA
„Buddha“ ist kein Name, sondern ein Titel und bedeutet „der Erwachte“ – erwacht im Hinblick auf die höchste Wirklichkeit, auf die Tatsache, wie die Dinge wirklich sind. Man wird zu einem Buddha, indem man Erleuchtung erlangt – einen Zustand transzendenter Einsicht in die wahre Natur der Wirklichkeit. In der Geschichte des Buddhismus hat es viele erleuchtete Menschen gegeben, doch wird der Titel „Buddha“ normalerweise nur für einen bestimmten Erleuchteten verwendet, nämlich für Siddhártha Gáutama, den Begründer der buddhistischen Religion, den ersten Menschen unseres Zeitalters, der den Weg zur Erleuchtung gegangen ist.
Siddhártha wurde etwa um das Jahr 485 vor unserer Zeitrechnung in Lumbini geboren. Lumbini lag nahe bei der Stadt Kapilavastu in einer Region unterhalb der Ausläufer des Himalaja, dem heutigen Grenzgebiet zwischen Nepal und Indien. Es war eine Zeit großer politischer Umwälzungen. Etwas südlicher, im zentralen Ganges-Becken entstanden mächtige neue Königreiche, die sich allmählich die älteren, stammesregierten Republiken einverleibten. Einige Republiken konnten noch standhalten, und in einer davon, dem Reich der Schakjer, wurde Siddhártha Gáutama geboren.
Siddhárthas Familie gehörte zur Kaste der Krieger, und sein Vater war ein Mitglied der herrschenden Schicht. Spätere Überlieferungen, die nur noch die Monarchien kannten, die bald darauf die ehemaligen Republiken eroberten, betitelten Siddhártha als „Prinzen“ und seinen Vater Schuddhódana als „König“. Wie auch immer seine korrekte Bezeichnung war, wir wissen, dass Schuddhódana reich und mächtig gewesen ist und dass der junge Siddhártha ein privilegiertes Leben geführt hat.
Bei Siddhárthas Geburt verkündete ein Wahrsager, der Knabe würde entweder ein politisches oder ein spirituelles Reich anführen (der Name Siddhártha bedeutet „der sein Ziel erreichen wird“). Den Legenden zufolge wünschte der Vater des hübschen, begabten Knaben, dass er das Leben eines politischen und nicht eines spirituellen Führers führen sollte. Also versuchte er, ihn an die Vorzüge von Reichtum und Macht zu binden, indem er ihn mit jedem verfügbaren Luxus verwöhnte und ihn von den unangenehmen Tatsachen der Welt abschirmte. Er arrangierte Siddhárthas Heirat mit einer schönen, vornehmen und gebildeten jungen Frau namens Yáschodhára, die ihm einen Sohn mit Namen Ráhula schenkte.
Doch in Siddhártha wuchs allmählich ein nagendes Gefühl von Unzufriedenheit. Er spürte, wie hohl sein an der Oberfläche angenehmes Leben war, und er konnte dieses Gefühl nicht länger unterdrücken. Aufgrund der ihm eigenen Integrität konnte er nicht so tun, als sei alles in Ordnung. Ihm drängten sich intellektuelle und spirituelle Fragen auf, für die es in seiner privilegierten Umgebung keine Antworten gab. Diese Zeit des Erforschens und Fragens ist sehr plastisch in der Geschichte von den so genannten Vier Ausfahrten beschrieben, vier Erlebnissen, die dem jungen Krieger bei Fahrten mit seinem Wagen widerfuhren und die einen entscheidenden Einfluss auf ihn ausübten.
Der Legende nach erblickte er eines Tages am Straßenrand zum ersten Mal in seinem Leben einen alten Mann und erkannte erstmals die Unausweichlichkeit des Alterns. In ähnlicher Weise wurde er danach mit Krankheit und Tod konfrontiert. Diese Erlebnisse überwältigten ihn völlig. Was machte ein Leben voller Vergnügen und Luxus für einen Sinn, wenn im Hintergrund Alter, Krankheit und Tod darauf lauerten, bis sie auch ihn, seine Familie und seine Freunde ergreifen konnten? Schließlich sah Siddhártha einen umherziehenden Bettelmönch, durch dessen Anblick er zu ahnen begann, dass es vielleicht eine Alternative gab, als Alter, Krankheit und Tod passiv hinzunehmen. Aber er erkannte gleichzeitig, dass er einige radikale, sogar schmerzhafte Schritte unternehmen müsste, wollte er sich auf die Suche nach dieser Alternative machen.
So verbrachte Siddhártha seine jungen Jahre: ruhelos, von zutiefst existentiellen Fragen geplagt, hin und her gerissen zwischen dem Leben, das seine Familie für ihn vorgesehen hatte und der religiösen Suche, zu der sein rastloser Geist ihn antrieb. Nachdem er Alter, Krankheit und Tod als unausweichlich erkannt hatte, riefen die Vergnügungen und Unternehmungen der Schakjer-Oberschicht nur quälende Leere in ihm hervor. Die Familientradition verlangte, dass er „mitmachte“, dass er sein Gefühl der Nichtigkeit all dessen überwand und sich um seine Aufgaben als Krieger und in der Regierung kümmerte. Doch wenn er ganz ehrlich zu sich war, wusste er tief in seinem Herzen, dass ein Leben, das die grundlegendsten Wahrheiten ignorierte, nichts für ihn war. Er stand nun vor der Wahl zwischen zwei gleichermaßen schwierigen Alternativen. Er konnte seine Augen vor der Realität verschließen, oder auf Familie, Luxus und Macht verzichten.
Er entschied sich für die Suche nach der Realität und schlich sich im Alter von 29 Jahren, ohne dass seine Frau und sein Vater es gewusst oder gar gebilligt hätten, heimlich aus dem Haus und ließ Frau, Kind, Familie und sozialen Status hinter sich. Er schor sich Haare und Bart ab, tauschte seine Kriegertracht gegen das Lumpengewand eines Bettelmönchs und begann seine Suche nach Wahrheit und Befreiung.
Es war eine unruhige Zeit. Rivalisierende Könige trachteten danach, ihre Reiche zu vergrößern, und brachten allmählich die ursprünglich familien- und stammesorientierte Gesellschaftsordnung unter ihre Kontrolle. Die alte vedische Religion mit ihrer brahmanischen Priesterschaft geriet mehr und mehr ins Fahrwasser dieser zentralisierten Regierungen, und so entstand eine neue Gruppe von Religionsausübenden. Dies waren die Wanderasketen, die, unzufrieden mit den herrschenden Sitten und den leeren Ritualen der etablierten Religion, ihr Zuhause und ihre soziale Stellung aufgaben, um nach Belieben umherzuwandern, von Almosen zu leben und die spirituelle Befreiung zu suchen. Siddhártha wurde solch ein „Wanderer“.
Er besuchte die berühmtesten spirituellen Lehrer seiner Zeit, die er jeweils schon bald in ihren spirituellen Einsichten übertraf. Er sah, dass selbst die erhabensten Geisteshöhen, in die sie ihn führten, ihm nicht die Antworten gaben, nach denen er suchte. So verließ er einen Lehrer nach dem anderen und setzte seine Suche allein fort.
Es war damals ein weit verbreiteter Glaube, dass man zur Befreiung des Geistes das Gefängnis des fleischlichen Körpers schwächen müsste. Also übte Siddhártha sich während der folgenden sechs Jahre in einigen extrem strengen Formen religiöser Kasteiung. Er trug keine Kleider, wusch sich nicht und verbrachte immer längere Zeiten ohne Essen und Schlaf.
… meine Glieder wurden wie dürres Rohr; wie ein Kamelhuf wurde mein Gesäß, mein Rückgrat wie eine Kugelkette, meine Rippen wie Dachsparren eines alten Hauses. Wie Wassersterne tief unten in einem Brunnen, so erschienen meine Augensterne tief versunken in meinen Augenhöhlen. Wie ein aufgeschnittener Kürbis in heißer Sonne, so schrumpfte meine Kopfhaut zusammen. Wenn ich meinen Bauch anfühlen wollte, berührte ich mein Rückgrat, und wenn ich das Rückgrat anfühlen wollte, berührte ich die Bauchhaut. … Wenn ich mit der Hand die Glieder rieb, fielen die wurzelfaulen Haare ab.1
Er erlangte großen Ruhm für die Intensität seiner asketischen Praxis. „Wie der Klang einer Glocke“ verbreitete sich dieser Ruhm in Nordindien und brachte ihm eine richtige Anhängerschaft. Doch das stellte ihn immer noch nicht zufrieden. Sechs Jahre nachdem er sein Zuhause verlassen hatte, war er der Lösung der grundlegenden Fragen der Existenz kein bisschen näher gekommen. Siddhártha erkannte, dass seine Entbehrungen ihn nirgendwohin gebracht hatten. Trotz seines großen Namens und hervorragenden Rufs als heiliger Asket hatte er den Mut, auch diesen Weg aufzugeben. Er begann wieder mäßig zu essen, woraufhin ihn seine Schüler, empört und entsetzt über seinen Rückfall, verließen.
Jetzt war er völlig auf sich gestellt. Familie, Stamm, Ansehen, Anhänger – er hatte alles hinter sich gelassen. Sämtliche Versuche, den Schleier der Unwissenheit zu durchdringen, waren gescheitert. Er war verzweifelt und wusste nicht, was er nun tun sollte. Nur eins wusste er genau: Er würde seine Suche nicht aufgeben.
Da fiel ihm ein früheres Erlebnis wieder ein. Als Junge hatte er einmal im Schatten eines Rosenapfelbaums gesessen und seinem Vater beim Pflügen zugesehen. Entspannt vom langsamen, stetigen Rhythmus der beiden Ochsen und zufrieden im kühlen Schatten sitzend, war er spontan in einen konzentrierten meditativen Zustand hinübergeglitten. Könnte dies der Weg zur Erleuchtung sein?
Der Legende nach setzte sich Siddhártha in diesem Zustand akuten, existenziellen Alleinseins mit gleichwohl unerschütterlicher Entschlossenheit unter einen Baum und erklärte:
Mein Fleisch möge welken und mein Blut vertrocknen, doch ich werde diesen Sitz nicht eher verlassen, bis ich Erleuchtung erlangt habe!
Viele Tage und Nächte lang saß er dort in tiefer Meditation. Die Legenden schildern lebhaft den existentiellen Kampf, den Siddhártha damals durchmachte. Dabei begegnete er Mara, dem Bösen – der archetypischen Verkörperung all dessen, was zwischen uns und der Wahrheit steht. Als er Siddhártha so entschlossen in tiefer Meditation sitzen sah, bekam es Mara mit der Angst zu tun:
Er hatte seine drei Söhne – Zerstreuung, Frohsinn und Dünkel – bei sich sowie seine Töchter – Unzufriedenheit, Verzückung und Lust. Sie fragten ihn, weshalb er so beunruhigt war. Er antwortete ihnen mit den Worten: „Seht diesen Weisen da, bekleidet mit der Rüstung der Entschlossenheit, mit Wahrhaftigkeit und spiritueller Tugend als seinen Waffen, die Pfeile seines Intellekts bereit zum Schuss! Er hat sich dort mit der festen Absicht niedergelassen, mein Reich zu erobern. Kein Wunder, dass ich mir Sorgen mache! Falls er mich erfolgreich überwinden und der Welt den Weg zum endgültigen Glück zeigen sollte, wäre mein Reich vernichtet. Doch noch hat er nicht das vollständige Wissen erlangt. Noch befindet er sich in meinem Einflussbereich. Solange noch Zeit dazu ist, will ich seinen feierlichen Vorsatz brechen und mich auf ihn werfen wie ein reißender Fluss gegen die Uferböschung!“ Doch Mara konnte gegen den künftigen Buddha nichts ausrichten. Samt seiner Armee wurde er besiegt und sie flohen in alle Richtungen: ihr Jubel verstummte, ihre Anstrengungen brachten kein Ergebnis, ihre Felsbrocken und Baumstämme lagen überall verstreut. Sie glichen einer feindlichen Armee, deren Anführer im Kampf geschlagen worden war. Besiegt, rannte Mara mit seiner Gefolgschaft davon. Der große Seher, befreit vom Staub der Leidenschaft, siegreich über die bedrückenden Mächte der Dunkelheit, hatte ihn überwunden.2
Siddhártha saß ruhig unter dem Baum und gestattete seinem Geist, Stille zu finden. Nach und nach begannen die verschiedenen Strömungen seines Geistes zusammenzufließen. Seine Konzentration nahm stetig zu. Je gesammelter Siddhárthas Geist wurde, desto klarer und leuchtender wurde er. Siddhártha ließ diesen Prozess durch nichts stören oder behindern, sondern erlaubte ihm sich zu entfalten und an Kraft zu gewinnen. Immer weiter und immer tiefer versenkte sich sein Geist in die Meditation, bis er so klar wie ein funkelnder Diamant war und immer heller strahlte. Siddhártha erfüllte dabei ein Gefühl tiefer Freude, das ihn jedoch nicht abzulenken vermochte. Er ließ auch diese Freude los und erreichte so Bewusstseinszustände von immer tieferem Gleichmut.
Allmählich begann das leuchtende Strahlen seines konzentrierten Geistes auch seine Vergangenheit zu erhellen. Siddhártha konnte sich an alle Einzelheiten bis hin zu seiner frühesten Kindheit erinnern. Und dann, plötzlich, konnte er sogar noch weiter zurückblicken, und frühere Leben tauchten in seinem Gedächtnis auf. Während seine Konzentration sich mehr und mehr vertiefte, konnte er immer weiter zurückschauen, und er sah, wie ein endloser Strom vergangener Leben in unaufhörlicher Folge vor seinem inneren Auge vorüberzog. Hier war er geboren worden, mit diesem Namen, hatte auf diese Art gelebt, war in diesem Alter gestorben und an jenem Ort wieder auf die Welt gekommen – immer und immer wieder. Er sah jedes seiner Leben mit all ihren Einzelheiten, weiter und weiter, in einem nie endenden Rhythmus. Geburt, Altern, Krankheit und Tod; Geburt, Altern, Krankheit und Tod – ein Kreislauf ohne Ende.
Dann fielen die Begrenzungen, die ihn von anderen getrennt hatten, von ihm ab, und er sah die Leben zahlloser anderer Wesen vor sich, ihre Mühen, ihre Erfolge und ihr Scheitern, und erlebte den unausweichlichen Rhythmus ihres Lebens: Geburt und Tod, Geburt und Tod, Geburt und Tod – den zeitlosen Pulsschlag der leidenden Menschheit.
Allmählich konnte Siddhártha in diesem nicht endenden Fluss von Veränderung ein Muster erkennen. Diejenigen, deren Leben von Freundlichkeit und Großzügigkeit geprägt war, wurden unter glücklichen Umständen wiedergeboren; wer sich von Gier und Hass hatte leiten lassen, kam unausweichlich unter leidhaften Bedingungen wieder auf die Welt. Indem er Leben um Leben betrachtete, entdeckte er, dass er die Folgen menschlicher Handlungen vorhersagen konnte. Wer anderen zu Glück verhalf, brachte auch für sich selbst glückliche Umstände hervor; wer Leiden und Trennung verursachte, fand sich allein in einer feindlichen Welt wieder. Dies war so offensichtlich, und doch konnten die Menschen es nicht erkennen, weil sie zu sehr mit ihren kleinen Alltagssorgen beschäftigt waren.
Nach und nach erkannte Siddhártha jeden einzelnen Schritt in diesem endlosen Prozess von Geburt und Tod. Geburt und Tod waren die Folge von Begehren. Ihr verzweifeltes Verlangen nach Existenz führte die Wesen in einem endlosen Kreislauf des Leidens von einem Leben ins nächste. Wenn das Begehren aufhörte, hörten auch Geburt, Tod und Leiden auf. Nachdem Siddhártha den Zusammenhang zwischen Begehren und Leiden so direkt erkannt hatte, konnte er nicht mehr zu dem falschen Glauben zurückkehren, dass Begehren auf irgendeine Weise zu Glück führen könnte. Diese Einsicht veränderte seine gesamte Existenz von Grund auf. Jeglicher Rest von Begehren erstarb in ihm. Geburt und Tod lösten sich auf. Die begrenzte menschliche Persönlichkeit „Siddhártha“ fiel einfach von ihm ab. Nichts weiter als völlige, leuchtende Klarheit blieb zurück: vollkommenes Verstehen, grenzenlose Freiheit und uneingeschränkte Kreativität.
In dieser Vollmondnacht im Mai während der letzten Nachtwache brach endlich die vollkommene Erleuchtung an. Siddhártha Gáutama wurde zum Buddha.
Wie das sanfte Lächeln eines Mädchens erleuchtete der Mond den Himmel, und süß duftende, mit Nektar gefüllte Blüten regnete es von oben auf die Erde herab.3
Siddhártha verbrachte mehrere Wochen damit, diese tiefgreifenden Erfahrungen zu verarbeiten. Er überlegte einige Zeit, ob er diese so subtile Entdeckung der Erleuchtung anderen mitteilen sollte oder nicht. Zur Erleuchtung zu gelangen erforderte Stille und hohe Konzentration. Doch die Menschen waren in ihren kleinlichen Wünschen verfangen, mit Geldverdienen und Geldausgeben beschäftigt, hingen an Familie, Freunden, Reichtum und Ansehen.
Aber dann, so berichtet die Legende, erschien ein himmlisches Wesen und flehte ihn an, sein Wissen weiterzugeben. Denn es gäbe doch einige Wesen auf dieser Welt, deren Augen mit „nur wenig Staub“ bedeckt wären und die ohne seine Lehren zugrunde gingen.
Mit seinem visionären Auge sah der Buddha alle Wesen dieser Welt. Sie erschienen ihm wie ein weites Feld von Lotosblüten. Einige Blüten steckten noch tief im Schlamm, andere hatten ihre Köpfe bis zur Wasseroberfläche erhoben, und wieder andere ragten bereits deutlich über das Wasser hinaus. Obwohl sie mit ihren Wurzeln im Schlamm steckten, strebten sie aufwärts zum Licht. Es gab also tatsächlich Wesen, die verstehen würden, was er zu sagen hatte. Und so beschloss der Buddha zu lehren.
Er verließ den Ort, der heute als Bodh-Gaya bekannt ist, und wanderte etwa hundert Meilen nach Sarnath, nahe der uralten Stadt Varanasi (Benares), wo sich einige seiner früheren Schüler in einem mit Rehen bevölkerten Wildpark aufhielten. Als er sich näherte, warfen sie sich abschätzige Blicke zu: Hier kam der Versager Gáutama, der frühere Eremit. Was wollte der denn? Sie hatten jedenfalls nicht vor, ihm irgendwelchen Respekt zu erweisen. Doch als der Buddha näherkam, wurden sie von seinem ruhigen, strahlenden Wesen so überwältigt, dass sie nicht anders konnten, als sich vor ihm zu verbeugen.
Diese Männer waren nicht leicht zu beeindrucken. Gestählt durch die harten Jahre der Askese, gestandene Experten in der spirituellen Suche, waren sie überzeugt, dass sie inzwischen alles gehört hatten. Doch der Buddha schien sich dem Leben von einer völlig neuen Dimension her zu nähern. Er wirkte auf unerklärliche Weise verändert. Sie setzten sich also zusammen, um zu diskutieren. Es war eine heftige, unverblümte Debatte, die direkt auf das Herz der Dinge zielte. Ihre Gespräche dauerten tagelang. Hin und wieder ging jemand fort, um für sich und die anderen um Almosen zu betteln, und kehrte dann wieder zum „Kampfplatz“ zurück. Die innere Gewissheit und das Selbstvertrauen des Buddha waren absolut. Er hatte den hilfreichen Mittleren Weg zur Erleuchtung gefunden, einen Pfad, der zwischen den Extremen von Hedonismus und Askese, von Nihilismus und Eternalismus verläuft.
Endlich schaffte der Asket Káundinya den Durchbruch. Er erkannte, worauf der Buddha hinauswollte, und dies keineswegs nur intellektuell, denn er machte dieselbe Art von Erfahrung, die der Buddha unter jenem Baum in Bodh-Gaya gemacht hatte. Sein Anhaften an die eigene begrenzte Persönlichkeit fiel von ihm ab, und auch er war jetzt frei von den Fesseln des Begehrens.
Die Freude des Buddha war groß. „Káundinya hat verstanden!“, rief er aus, „Káundinya hat verstanden!...
Inhaltsverzeichnis
- Über den Autor
- Widmung
- Inhaltsverzeichnis
- Danksagung
- EinfüHrung
- 1. Der Buddha
- 2. Der Dharma – Die Lehre
- 3. Der Sangha – die spirituelle Gemeinschaft
- 4. Buddhistische Ethik
- 5. Meditation
- 6. Die Verbreitung und Entwicklung des Buddhismus
- Anmerkungen
- Begriffserläuterungen
- Adressen
- Impressum