Herr aller Tiere
Ich war gerade 24 Jahre alt. Aber innerhalb kürzester Zeit wusste ich schon, dass Ecuador mein Traumland war. Landschaftlich war es außerordentlich schön. Nach Bergsteigen in den eisigen Höhen des Karakorum, Zusammentreffen mit König Akenzua im Königreich Benin, Besuch bei Albert Schweitzer in Lambarene und Erstkontakt mit einigen Amazonasindios in Kolumbien, folgten nun mehrere Jahre der Sesshaftigkeit. Vorläufig waren die unsteten Wanderjahre vorbei. Ich gründete eine Familie, zog Kinder groß und musste nun ständig Geld verdienen.
Ich wurde Tierfänger, der im Amazonasgebiet, in den Anden und den Küstenregionen von Ecuador seltene Wildtiere aufstöberte und Zoos und Tierhandlungen weltweit damit belieferte. Bei allem, was ich tat, wurde ich von einer unsichtbaren Hand geführt. Ob ich wollte oder nicht. Unbewusst wurde ich letztlich immer dorthin geleitet, wohin auch mein allertiefstes Inneres hinstrebte. Nicht immer geradlinig, aber auf und ab, über einen holprigen, beschwerlichen Weg, der mir so viel schenkte, wie ich mir selbst nie hätte ausdenken können.
Als Erster und Einziger würde ich nun von einer ständigen Basis aus die seltenen Anden-Tapire, auch Berg- oder Woll-Tapire genannt, ausfindig machen, unter Expeditionsbedingungen einfangen, für das Leben in fernen Breiten eingewöhnen, um sie dann als Zuchtpärchen mit dem Flugzeug an große Zoos zu verschicken.
Wie fängt man so ein scheues Tier wie den Tapir, das größte Landsäugetier in Südamerika? Der Woll-Tapir war ja so scheu, dass ihn kaum ein Mensch bisher überhaupt gesehen hatte. Man veranstaltet ja keine Jagdsafari mit einem Abschuss, man will die Tiere einzig und allein lebendig einfangen, um die Art zu erhalten, falls der natürliche Lebensraum eines Tages durch Abholzung verschwindet und dies zum Aussterben der einheimischen Fauna führen sollte.
Ein kalter Morgen in den Ostanden. Vor Spannung knistert die Luft, die Jagdhunde haben gerade die Fährte aufgenommen und sausen los, um den Tapir von den steilen, dicht bewachsenen Urwaldhängen herab zu jagen. Wie können wir die Beute überlisten? Ganz bestimmt versucht das Tier den brausenden Palora zu erreichen, der in den Pastaza und dieser wiederum in den Amazonas mündete. Dieser eisige Bergbach entspringt auf den schneebedeckten Vulkanen der Ostkordillere von Ecuador. Ungebändigt fließt der Palora ins Tal. Kein Mensch würde dort einen fliehenden Tapir verfolgen. Doch das Tier wird von seinem Instinkt getrieben und wird sich bestimmt in den Wassern des Palora vor den Jägern sicher wägen. Der Tapir brach tatsächlich durch das Dickicht am steinigen Fluss. Es waren dies packende Sekunden, als sich der mächtige Bergtapir durch die undurchdringliche und nicht einsehbare grüne Dschungelwand plötzlich seinen Weg in den Palora bahnte. Das Flussbett bestand aus Felsblöcken jeglicher Größe und mir erschien es unfassbar, wie der Tapir es schaffte, sich da rasend schnell und geschickt
durchzukämpfen. Das tosende Wasser hätte jeden Menschen, der es betrat, in den Tod gerissen. Nur die mutigen Indios unserer Fangmannschaft waren bereit, sich beim Fang in die Flut zu wagen oder notfalls den Fluss sogar zu überqueren. Diese Indios waren gut auf diesen Moment vorbereitet. Ich hatte die tüchtigsten Helfer dabei, Bewohner der Paramo Region, so heißt das teilweise über 4000 Meter hohe Bergland der Anden. Dort behüteten sie die Vieherden von Großgrundbesitzern.
Männer, die mit ihren Lassos umzugehen wissen. Wie aber wussten die Indios, wo sie sich zu positionieren hatten? Sobald die Hunde den Tapir im dichten Bergurwald gestellt hatten, begannen sie zu bellen und folgten dem Tier, das den Palora zu erreichen versuchte. Am Gebell der Hunde erkannten die Fänger auch, wo in etwa der Tapir den Fluss erreichen würde. Sie mussten in Windeseile entsprechende Positionen einnehmen. In Sekundenschnelle flogen die Seile durch die Luft. Ein Indio zog das Lasso fest um den Hals des Tieres, eines Männchens. Der Bann war gebrochen. Der Kampf war aber noch nicht beendet. Die Männer fesselten ohne zu zögern das in Todesangst strampelnde Tier. Wegen seiner kraftvollen Erscheinung für die Indios nach wie vor eine „Bestie".
Beheimatet sind sie im Bergurwald und den Grasebenen der Hochanden. Dieser Bergurwald bedeckt die steilen Flanken der Ostanden und zieht sich bis zum flachen Amazonasbecken hin. Der Lebensraum dieser Tapirart reicht also fast bis ins Tiefland. Als nächtliche Pflanzenfresser verstecken sie sich gewöhnlich tagsüber unter dem Blätterwerk in Flussnähe. An die Lebensbedingungen des Bergwaldes haben sie sich gründlich angepasst. Die in dieser Höhe vorherrschende Vegetationszone des Paramo ist von harten Gräsern, kleinen Sträuchern und Krüppelwald bewachsen, in tieferen Gebieten findet sich dichter, meist nebelverhangener Regenwald.
Die Heimat des Berg-Tapirs ist eingerahmt von den Schneegipfeln „schlafender" Vulkane: Cayambe, Antisana, Cotopaxi und Altar. Zwei äußerst aktive Feuerberge, Sangay und Tungurahua, stoßen regelmäßig Rauch und Asche aus.
Das Schicksal der erbeuteten Tiere hat mich stets beschäftigt. Alles wollte ich tun, um sie angesichts des gewaltigen Schocks durch die plötzliche Gefangenschaft und Verletzungsgefahr am Leben zu erhalten, damit sie sicher in die zoologischen Gärten gelangen konnten.
Nach seiner Gefangennahme blieb der Tapir eine Zeit lang in einem Gehege, das ich im Fanggebiet errichtet hatte. Der Tapir sollte sich beruhigen und allmählich an die andersartige Nahrung gewöhnen, die er in seinem neuen Zuhause erhalten würde. Einige Tage später gelang uns ein weiterer Fang. Es war ein Weibchen. Wir hatten unser Fanggebiet etwas ausgeweitet. Es reichte nun flussabwärts bis zur Einmündung des kleinen reißenden Sordo-Flüsschens.
Der Überseetransport startete von Quito aus, dorthin mussten nun die Tapire. Ein riskantes Unterfangen, das alle Kräfte von Tier und Mensch beanspruchte. Einen ganzen Tag lang zogen die Männer die Tapire am Lasso hinter sich her, bis sie den Landrover erreicht hatten. Oder meine kraftvolle Crew benutzte gleich an Ort und Stelle die von mir bereitgestellten Transportbehälter, in denen die Tapire von den Indios zu den Fahrzeugen geschleppt wurden. Hier im Fanggebiet des Palora aber nutzten keine Transportbehälter, der Aufstieg durch den extrem steilen, schlammig-feucht und dichten Berg-dschungel erlaubte keine sperrigen Kisten.
In Quito verbrachten die Tapire dann Wochen auf meiner Tierfarm. Wichtig ist die Umstellung der Ernährung. Woll-Tapire lieben die Blätter der Chilca- und Colca- Sträucher, die nur in den höheren Lagen der Anden wachsen. Zoos in Übersee haben keinen gleichwertigen Futterersatz. Wir mussten experimentieren, bis die Tiere Futter, das in Europa und den USA verfügbar war, annahmen.
Viele zoologische Gärten hatten im Laufe der Zeit angefangen, sich Exemplare bestimmter seltener exotischer Tiere zu beschaffen, damit sie dadurch Möglichkeiten zum Schutz und zur Aufzucht solcher bedrohter Arten hatten. Dazu brauchte man Männer wie mich.
Das nun wachsende Umweltbewusstsein trieb auch mich an, damals 1964, und erst 24 Jahre alt. Ich stürzte mich mit Begeisterung und Pioniergeist in diese Aufgabe. Trotz aller Unsicherheiten arbeitete ich mich nun Schritt für Schritt von der Pike auf in das Metier ein. Auf der Liste der Geschäftspartner und befreundeter Experten stand auch Professor Dr. Bernhard Grzimek, der weltweit bekannte Tier-schützer der frühen sechziger Jahre.
Ich hatte mit harter Arbeit und dem entsprechenden Quäntchen Glück meine Nische gefunden und mir einen Namen im internationalen Tierhandel geschaffen. Dabei legte ich meine Aben-teurermentalität nie ab und kannte einfach auch keine Angst vor großen oder kleinen Gefahren.
Quito, die Hauptstadt Ecuadors, 2900 Meter über dem Meeresspiegel gelegen, blieb meine Basis. Hier hatte ich auch Verbindung zu allen Regierungsstellen. Denn Exportpapiere waren genauso wichtig wie der internationale Flughafen. Überall im Urwald legte ich Tiersammelstellen an, die erste davon in Coca.
Um nach Coca zu gelangen, musste man zunächst mit dem Auto die „Avenida de los Volcanes“ in südlicher Richtung fahren. So heißt dieser Abschnitt auf dem Panamericana-Highway. Ich fuhr selbst oder wurde von einem Angestellten gefahren. Immer lag dabei das majestätische Panorama der über die Wolken ragenden Berge vor meinen Augen. Weithin leuchteten die gleißenden Schnee- und Gletscherfelder, zumindest bei gutem Wetter.
Über Ambato fuhr ich gewöhnlich nach Banios, einem liebenswürdigen Ort im Tal unterhalb des Tungurahua, wo Thermalbäder mit schwefligem Heilwasser die Besucher anziehen. Die Fahrt ging dann nach Durchfahrt eines engen Tunnels auf schwindelerregender Straße hinunter ins Tiefland des Amazonasbeckens, dem „Oriente“ entgegen. Als Oriente wird der Amazonasteil von Ecuador bezeichnet.
Wenn hier Busse oder Fahrzeuge durch Steinschlag oder Erdrutsch begraben wurden oder in die Tiefe stürzten, war die Straße für Tage oder Wochen durch die damit verbundenen Schlammlawinen unpassierbar. Wer weiter wollte, musste über ausgewaschene Pfade diese Stellen umklettern.
Von den Einheimischen wird der Tunnel „Puerta al Cielo“, Pforte zum Himmel, genannt. Fahrer und vor allem die Passagiere erfassten nun Beklemmungen, denn die Felswände fielen hier vom rechten Straßenrand der nur einspurigen Piste, fast senkrecht in große Tiefen ab. Wasserrinnsale stürzten von den teilweise überhängenden Felsen auf die Fahrzeuge hernieder, kleine Bäche fluteten Teilstücke dieser Gebirgsstraße und mussten vorsichtig durchquert werden. Nach starken Regenfällen ging gar nichts mehr. Tief unten in der Schlucht des Pastaza konnte man Wracks abgestürzter Fahrzeuge sehen. Am Straßenrand standen Kreuze, die an die Unfallopfer erinnern sollten. Brenzlig wurde die Fahrerei bei Gegenverkehr. Oft musste ein Auto zurücksetzen, bis eine Ausweichstelle gefunden war. Ein Beifahrer sprang dann heraus und legte Steine vor oder hinter die Räder des Fahrzeugs, weil damals viel Laster und Busse, aber auch kleinere Fahrzeuge, keine funktionierenden Handbremsen hatten. Schlimm auch wenn ein schweres Fahrzeug mitten auf der Strecke eine Panne hatte, die nicht schnell zu beheben war. Anders waren die Gefühle, wenn man aus dem Amazonas-Tiefland kommend endlich heil das Himmelstor erreicht und durchfahren hatte. Welch eine Erleichterung, jeder fühlte sich plötzlich froh und entspannt. Auch ich fuhr diese Strecke unzählige Male und wurde immer schneller und somit leichtsinniger. Wie leicht konnte da der äußere Straßenrand unter der Last der Räder einfach abrutschen. Es existierten ja keine Begrenzungsmarkierungen wie auf unseren kurvenreichen Bergstraßen. Doch nach und nach zog auch hier die Technik ein und es wurden stabilere...