STATISTISCHER BONUS-TRACK 1
Aktuelle Daten zur psychosozialen Lage in Deutschland
Im digitalen Zeitalter haben die elektronischen Medien längst Einzug gehalten in die persönliche Lebenswelt des Einzelnen – einschließlich seiner Sozialbeziehungen. Dies hat dafür gesorgt, dass in unserer Alltagskultur »… jeder das Recht hat, sich zu zeigen, um gesehen zu werden. Jeder kann auftreten, sobald er irgendwo eine Bühne findet – der Informationskapitalismus genießt offenbar eine hohe Akzeptanz« (Martin Altmeyer: »Auf der Suche nach Resonanz – Wie sich das Seelenleben in der digitalen Moderne verändert«, 2016, S. 205).
Der Psychologe und Soziologe Martin Dornes weist fundiert nach, dass trotz weit verbreiteter Meinung psychische Krankheiten nicht zugenommen haben – zugenommen hat die Sensibilität für Symptome, die früher ignoriert oder als Bestandteil des gewöhnlichen Lebensunglücks verstanden wurden (Martin Dornes: »Macht der Kapitalismus depressiv? – Über seelische Gesundheit und Krankheit in modernen Gesellschaften«, Fischer-TB, 2016).
Heute werden psychische Störungen nur häufiger und genauer wahrgenommen – in der Kriminologie wird das als Dunkelfeldaufhellung bezeichnet: So haben wir den Eindruck, die Gewalt an unseren Schulen nähme zu. Doch in Wirklichkeit betrachten wir heute manches als Gewalt, was früher eine Rauferei gewesen wäre – und die Medien berichten solche Vorfälle häufiger.
Ähnlich ist es mit der Gewalt in der Ehe oder sexuellem Kindesmissbrauch. Sie alle haben stark abgenommen, obwohl der gegenteilige Eindruck entsteht, weil noch nie so viel darüber berichtet wurde.
Dornes Fazit – nach genauer Sichtung von hunderten Untersuchungsergebnissen: Die Krankheitsdiagnosen nehmen zu, aber in Wirklichkeit nehmen die Krankheiten eher ab. Würden wir mit den heutigen diagnostischen Mitteln die Bevölkerung von 1952 untersuchen, würde sich klar zeigen, dass psychische Erkrankungen früher wesentlich häufiger waren.
Das Dunkelfeld vormals unentdeckter Krankheiten wird zudem durch bessere Diagnosen und ein flächendeckendes Versorgungssystem aufgehellt. Die relativ hohe Arztdichte führt zu häufigeren psychischen Diagnosen, zu erhöhten Krankschreibungen und psychisch bedingten Frühberentungen.
In der Frankfurter Rundschau (2015, Nr. 157, S. 40) berichtet S. Sauer, dass die Stadt Würzburg bestens mit Kinderpsychiatern versorgt ist und zudem als Zentrum der ADHS-Forschung in Deutschland gilt. Dort werden bundesweit mit Abstand die meisten ADHS-Diagnosen gestellt.
Ähnlich weist der Kreis Ansbach bundesweit die höchsten Depressionsziffern auf – und verfügt zugleich über eine der größten psychiatrischen Ambulanzen des Landes.
Stress und Burn-out
Trotz massenhafter Publizierung über Burn-out haben 99 % der Deutschen keinerlei Burn-out.
Der Topos des gehetzten Kindes (David Elkind: »Das gehetzte Kind«, 1981) durch Schule, übermäßige (Früh-)Förderung oder verplante Freizeitaktivitäten dient seit 35 Jahren publizistisch als Beleg dafür, dass Kinder heute schon mit zwei Jahren Fremdsprachen lernen. Systematische Überprüfungen dieser These ergeben aber, dass dies schon damals ein absolutes Minderheitenphänomen war und bis auf den heutigen Tag geblieben ist (Dornes, S. 60). Insgesamt gilt:
Unseren Kindern, egal aus welchen Elternhäusern, wird heute in Kindergärten so achtungsvoll begegnet wie in Deutschland in keiner Generation zuvor.
Und was die Freizeitaktivitäten angeht, so ist mittlerweile bekannt, dass sie einer der besten Wege sind, um Kinder zu bilden. Bildungsrückstände von Unterschichtkindern sind in erheblichem Umfang auf einen Mangel an einschlägigen Aktivitäten wie Schwimmen, Tanzen, Malen und Musizieren zurückzuführen, nicht auf ein Übermaß.
Wesentlich detailliertere Informationen über Lebenszufriedenheit und psychisches Wohlbefinden bei Kindern liefert uns der UNICEF-Report von 2013, der aufzeigt, dass Deutschland in der Gesundheitszufriedenheit im internationalen Vergleich auf Platz 5 von 29 Ländern liegt. Die psychische und physische Lebensqualität schätzen 94 % der 6 – 10-Jährigen und 96 % der 11 – 17-Jährigen als gut oder sehr gut ein.
Deutschland ist im Bereich der psychischen Gesundheit im internationalen Vergleich das zweitbeste aller untersuchten Länder (nach Slowenien). Zudem zeigt der UNICEF-Report eine hohe Schulzufriedenheit deutscher Schüler. Und: Das deutsche Schulsystem übt keinen übermäßigen Stress auf Kinder aus (Platz 7 von 29). Auch das Robert Koch-Institut bestätigt, dass das körperliche und psychische Allgemeinbefinden hierzulande auf einem »sehr hohen Niveau« ist (2012, S. 30).
Für die gefühlte Zunahme psychischer Störungen und Burn-out-Leistungsüberforderungen spielt neben der Dunkelfeldaufhellung und der zunehmenden Ärztedichte und Diagnosehäufigkeit auch die mediale Berichterstattung eine bedeutende Rolle.
Der Philosoph Peter Sloterdijk (»Stress und Freiheit«, 2011, S. 11 ff.) schreibt hierzu:
»Indem wir uns in gemeinsamer Besorgnis über alles Mögliche beugen und in täglichen Talkshows ununterbrochen über tatsächliche und phantasierte Probleme reden, halten wir die Gesellschaft in Form einer Sorgen- und Erregungsgemeinschaft zusammen.«
Resümee: Offenbar pflegen die Kinder der digitalen Moderne ein wesentlich entspannteres Verhältnis zu all jenen Widersprüchen zwischen psychischer und äußerer Wirklichkeit als die Menschen in früheren Epochen. Und sie sind immer mehr in der Lage, ihre innere Struktur weit über die Kindheit hinaus offen, lernfähig und veränderbar zu halten. Das Bedürfnis, Kontakt mit anderen aufzunehmen, mit ihnen zu kommunizieren, sich ihnen gegenüber zu öffnen und damit Resonanzen aus der sozialen Umwelt zu bekommen, nutzen sie flexibel für die eigene Identitätsbildung.
Der Autor Michel Serres (»Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Generation«, 2013) gibt eine der wenigen positiven Sichtweisen auf unsere zunehmend komplexer werdende vernetzte Welt:
»Vor der Erfindung des Buchdrucks musste man den Kopf voller Wissen haben. Sich den Platz des Buchs auf dem Regalbrett zu merken, ist mit geringeren ökonomischen Gedächtniskosten verbunden, als seinen Inhalt im Gedächtnis zu behalten.« Die neue Ökonomie ist noch radikaler: Auch den Platz im Bücherregal muss keiner sich mehr merken, weil eine Suchmaschine das für uns erledigt. Und da wir nun immer mehr Wissen im Web zur Verfügung haben, werden wir frei für Kreativität und Intuition: »Ab jetzt ist in unserem Kopf Platz für erfinderische Intelligenz, für eine ›authentische kognitive Subjektivität‹.
Nach der kognitiven Auslagerung von Wissen – was bleibt uns? Die erneuernde und lebendige Intuition! Die Bildung entlässt uns an die helle Erfindungsfreude.«
(Albert Einstein antwortete einmal auf die Frage nach der Schallgeschwindigkeit: »Warum sollte ich das wissen? Das steht doch in den Büchern!«)
Und der Psychologe und Soziologe Martin Altmeyer schreibt auf der letzten Seite seines Buches (»Auf der Suche nach Resonanz – Wie sich das Seelenleben in der digitalen Moderne verändert«, 2016):
»Irgendwie versuchen die Kinder der digitalen Moderne, das Innen mit dem Außen, das Selbst mit dem Anderen zu vermitteln, oder sogar zu versöhnen. Wie sie das genau anstellen und ob ihnen das am Ende wirklich gelingt, können wir Älteren nicht wissen.
Das aber ist der Sinn der Generationenfolge: Wenn wir es wüssten, käme nichts Neues mehr, es bliebe nur Wiederholung und Stillstand. Denn jeweils die nächste Generation muss verstehen lernen, was ihr die Vorgängergeneration an Unverstandenem hinterlassen hat.«
BONUS-TRACK 2
Prognosen führender Zukunftsforscher (2017)
Der integrale Vordenker Ken Wilber sagt, dass derzeit 70 % der Weltbevölkerung weitgehend feudalistisch-nationalstaatlich denken. Ihnen liegt an ethnischen Säuberungen (roter Bereich), sie fechten Stammeskriege (purpur und roter Bereich) aus. Sie formieren sich zu feudalistischen Nationalstaaten (Balkan / Naher Osten). China und Russland werden aus dem Nationalstaat (blauer Bereich) herauswachsen in einen Firmenkonzernstaat (oranger Bereich). 20% der Amerikaner (und ein höherer Prozentsatz der Europäer) haben sich dem postmodernen pluralistischen Denken (grüner Bereich) zugewandt.
Davon wird ein kleiner Prozentsatz in den kommenden beiden Jahrzehnten das Denken des postmodernen Nationalstaats (grüner Bereich) aufgeben und den Sprung in eine vernetzte »gelbe« Wirklichkeit vollziehen.
Michio Kaku (»Die Physik der Zukunft«) prognostiziert: Wahrscheinlich werden die Menschen der Zukunft viel weniger Kinder bekommen. Das ist heute schon in Europa und Japan der Fall. »Das stärkste Verhütungsmittel der Welt ist der Wohlstand«, schreibt Kaku und schätzt, dass die Weltbevölkerung nicht ewig rasant weiter wachsen wird, sondern sich im Jahr 2100 auf dem Niveau von etwa elf Milliarden Menschen stabilisieren wird.
Derzeit leben etwa sieben Milliarden Menschen auf der Erde.
»Das Beste, was man tun kann, um das Bevölkerungswachstum zu bremsen, ist, den Gesundheitszustand der betreffenden Menschen zu verbessern. Da, wo die Leute gesünder werden, bekommen sie innerhalb einer halben Generation auch weniger Kinder.«
Dickson Despommier, ein Professor für Gesundheitswesen an der Columbia University in New York, hat eine Lösung für Ernährungsprobleme parat: vertikale Farmen in Form von Wolkenkratzern. 150 vertikale Farmen, die als Hydrokulturen betrieben werden, reichten aus, um New York City mit Nahrung zu versorgen. Parabolspiegel versorgen die Pflanzen mit Sonnenlicht, nachts übernehmen das preisgünstige LED-Wärmelampen.
Fast drei Viertel des Endpreises von Nahrungsmitteln entstehen durch Lagerung, Transport und Versand. Der Kopfsalat aus vertikalen Farmen könnte sich seine Reisekosten sparen. In Japan werden bereits »Pflanzenfabriken« betrieben, in denen die Angestellten bis zu 20-mal im Jahr Salat ernten. Auch in Schweden, China und Singapur wird an solchen Anbaubetrieben gearbeitet.
Die Zukunft der Energie: Fossile Brennstoffe gehen zu Ende. Irgendwann. Doch es gibt Alternativen. »Das Steinzeitalter endete nicht, weil es keine Steine mehr gab. Und das Ölzeitalter wird enden, lange bevor der Welt das Öl ausgeht«, sagt James Canton, Leiter der in San Francisco ansässigen Denkfabrik »Institute for Global Futures«.
Der Verbrauch von fossilen Brennstoffen verändert gerade unser Klima. Über das Ausmaß und die Gefährlichkeit streiten die Experten. Doch Mitte des Jahrhunderts sollten wir dank einer Kombination aus Kernfusion, Sonnenenergie und ...