Wie gründet man einen Begegnungsort?
In den vergangenen Kapiteln habe ich beschrieben, wie der Alltag in einem Begegnungsort aussehen kann, welche Kompetenzen Helfer und Mitarbeiter mitbringen sollten und warum Begegnungsorte so wichtig sind. Doch viele solcher Begegnungsorte gibt es in Deutschland noch nicht. Sie wollen erst gegründet werden.
Vor der eigentlichen Gründung ist ein wenig Denkarbeit nötig. Die erste Frage, die man sich stellen sollte, ist: Was ist meine Motivation? Oft habe ich Leute erlebt, die sagten: „Ich möchte einen Begegnungsort gründen, um Menschen zu helfen.“ Das waren soziale und christliche Hintergründe. Im Gespräch kam dann aber heraus, dass sie mindestens 40.000 Euro pro Jahr verdienen wollten. Es ging also nicht nur darum, Menschen zu helfen, sondern einen Job für sich selbst zu schaffen. Das ist natürlich völlig in Ordnung, auch die Gründer und Leiter eines Begegnungsorts müssen ja von etwas leben. Doch es ist ein Unterschied, ob ein Begegnungsort von Ehrenamtlichen in einem Raum geführt wird, den man kostenlos zur Verfügung gestellt bekommt und nur von Spenden lebt. Oder ob Miete gezahlt, Kaffee gekauft, Leute eingestellt und die eigene Stelle bezahlt werden soll. Das eine schließt das andere nicht aus.Aber man muss sich dessen bewusst sein, dass Gründung und Betrieb eines Begegnungsorts aufwendiger sind, wenn man davon leben und seine Familie ernähren will.
Meine Motivation für meine Arbeit im why not war: Ich möchte mein Leben leben und gleichzeitig Menschen helfen. Andere Menschen haben andere Motivationen: Ich kenne zum Beispiel eine Frau in Berlin, deren Mann wirklich viel verdient. Sie hat einen Begegnungsort ohne Spenden und sonstige Finanzierung gegründet, weil sie wusste: Es geht, mein Mann unterstützt mich. Und das ist fantastisch, wenn man sagen kann: Ich brauche das Geld nicht.Wenn du aber der Hauptverdiener bist und möchtest, dass deine Familie in Blankenese lebt, brauchst du ein anderes Modell. Sonst kalkulierst du falsch. Aber dazu später mehr.
So langweilig das klingen mag: Ein Begegnungsort, der langfristig funktionieren soll, braucht einen Businessplan. Den kann man mit Freunden, mit Profis oder auch allein erstellen. Darin steht, was der Begegnungsort und die geplanten Angebote kosten, was man einnehmen und welche Finanzierungsquellen es geben kann. Aber keinesfalls sollte man mit dem Businessplan zuerst anfangen. Der Businessplan kommt später. (Wie er erstellt wird, dabei helfen wir dir gern. Mehr dazu im Kapitel „Was wir für Dich tun können“ auf Seite →.) Denn die Finanzplanung ist der Killer jedes Projekts. Eines ist sicher: Das, was du planst, wird so nicht funktionieren. Und besonders dann nicht, wenn du zuerst auf das Geld schaust. Für alles Große, was jemals geplant wurde, gab es mindestens eine Person, die gesagt hat: Das klappt nicht. Das ist viel zu teuer. Wenn man also mit den Finanzen anfängt, wird man schnell desillusioniert, und die Motivation geht flöten.
Deswegen ist der beste erste Schritt: Träumen. Träume erst einmal, träume groß. Überlege dir, was du machen möchtest. Überlege nicht, ob es realistisch ist. Die Realität kommt früh genug, wenn man sich an den Businessplan setzt. Die Umstände, die Finanzen und die Menschen um dich herum werden dich später schon wieder auf den Boden der Tatsachen herunterholen. Dann kannst du deine Pläne immer noch den Möglichkeiten anpassen. Klein und bescheiden träumen und dann jemanden finden, der die Träume größer macht, weil noch mehr möglich ist – das gibt es nicht. Deswegen:Träume groß.
Dabei können dir die typischen W-Fragen helfen, die du für die konkrete Planung ohnehin beantworten musst:Was? Wie? Warum? Wer? Wann? Wo? Wie viel?
Was möchtest Du machen?
Das ist deine Mission. Wie soll der Begegnungsort aussehen? Welche Menschen sollen dort hinkommen? Was möchtest du diesen Menschen anbieten?
Wie möchtest Du das machen?
Das ist deine Vision. Wie möchtest du einen passenden Ort finden, Mitarbeiter ansprechen, die ersten Besucher einladen?
Warum möchtest Du das machen?
Das ist deine Motivation, über die ich vorher schon gesprochen habe.
Wer soll das machen?
Kümmerst du dich allein um die Gründung? Wer soll später im Begegnungsort mithelfen? Ehrenamtliche oder Angestellte? Gründest du den Begegnungsort gemeinsam mit anderen Menschen, die eine gleiche Vision haben? Werden sie später auch im Café mitarbeiten?
Wann legst Du los?
Was ist dein ungefährer Zeitplan? Wann triffst du dich mit einem Berater? Wann beginnst du die Suche nach einem geeigneten Ort? Wann möchtest du das Café eröffnen? Oder auch: Wann kündigst du deinen jetzigen Job, um deinen Traum zu verwirklichen?
Wo willst Du das machen?
Soll der Begegnungsort in einem bestimmten Stadtteil liegen und auch nur die Menschen dieses Stadtteils ansprechen? Willst du irgendwann expandieren und weitere Begegnungsorte gründen?
Wie viel wird das kosten?
Und wie finanzierst du dein Projekt? (Mehr dazu im Kapitel „Finanzielles“ auf Seite →.)
Die konkrete Planung beginnt mit der Frage nach dem Modell. Soll der Begegnungsort ein Profit- oder ein Non-Profit-Café werden? Non-Profit schließt nicht aus, dass man davon leben kann. Man kann beispielsweise einen Verein gründen und sich zu einem angemessenen Gehalt als Geschäftsführer anstellen lassen. Non-Profit bedeutet lediglich, dass der Profit nicht an erster Stelle steht und du dir den Gewinn nicht auszahlen kannst.
Das Modell entscheidet auch über die Rechtsform des Begegnungsorts. Ist es ein Verein, eine gGmbH oder machst du dich selbstständig und erwirtschaftest für dich selber Gewinn? Natürlich kannst du auch ein profitorientiertes Unternehmen gründen. Dann musst du anders planen und kalkulieren. Dann kannst du nämlich nur schlecht Ehrenamtliche hinter der Theke oder im Deutschunterricht einsetzen. Wenn du deinem Netzwerk sagst, du brauchst 20 neue Ehrenamtliche, fährst aber selber die Gewinne ein, dann nimmt dich keiner mehr ernst. Die Ehrenamtlichen werden schnell merken: Ich arbeite hier gratis nach meiner Arbeit und du machst mit meiner kostenlosen Arbeit Gewinn? Wenn du dagegen als Geschäftsführer einer gGmbH festes Gehalt kassierst, ist das völlig in Ordnung. Wenn du jeden Tag im Café bist, deine Arbeit machst, dann solltest du natürlich ein Gehalt bekommen, du musst ja auch von etwas leben. Ich habe als Leiter des Hamburger why not ein Gehalt bekommen, das sich an dem orientierte, was Pastoren der Freien Evangelischen Gemeinde in Hamburg bekommen. Die verdienen nicht wenig und nicht viel. Mit mehr als 3500 Euro brutto im Monat sollte man allerdings nicht rechnen.
Ich rate dazu, einen Begegnungsort als Non-Profit-Unternehmen aufzubauen. Wer auf Gewinn wirtschaften muss, steht nämlich sonst irgendwann vor der Frage: Mache ich am Samstagabend eine Party für afrikanische Geflüchtete, die sich kaum das Bier geschweige denn die Miete für den Raum leisten könnten? Oder vermiete ich die Räume an ein Paar für ihre Hochzeit, für die sie ohnehin tausende Euros ausgeben? Das kannst du machen, aber dann kann das Café nur schwer ein Begegnungsort sein, denn du läufst immer dem Geld hinterher, statt dich um Menschen zu kümmern. Deswegen heißt es auch profitorientiert. Doch auch mit einem profitorientierten Café kannst du Gutes tun, indem du zum Beispiel Geflüchtete oder andere Menschen beschäftigst, die auf dem normalen Arbeitsmarkt wenig Chancen haben.
Die meisten Begegnungsorte sind allerdings Non-Profit-Unternehmen, die in erster Linie gegründet wurden, um Menschen zu helfen und zu integrieren. Mit diesen Menschen kann man schlecht Gewinn erwirtschaften.
Aber auch ein Non-Profit-Café muss natürlich wirtschaftlich arbeiten, um sich finanzieren zu können. Wirtschaftlich bedeutet: Profit ist nicht das Ziel, aber trotzdem musst du darauf achten, dass der Kaffee nicht der teuerste ist, dass Miete und Strom bezahlt werden können, dass genug Umsatz gemacht wird. Wer einen Begegnungsort plant, in dem alles gratis ist oder auf Spendenbasis ausgegeben werden soll, braucht ein umso sichereres Finanzierungskonzept. In der Regel schließt es sich aber nicht aus, Menschen helfen zu wollen und einen Begegnungsort zu betreiben, in dem auch Umsatz gemacht werden muss. Im Gegenteil, so kommen sogar unterschiedlichere Menschen in dein Café. Denn ein Ort, an dem alles gratis ist, wird wahrscheinlich niemanden anziehen, der es gewohnt ist, vier Euro für seinen Cappuccino auszugeben. Diese Leute möchtest du aber auch in deinem Café haben. Schließlich sollen sich Menschen aller Schichten und Fähigkeiten begegnen können.
Wie bringt man nun Verkaufen und Helfen zusammen? Wir haben zum Beispiel im why not eine doppelte Preisliste. Eine Preisliste für Gäste und eine für die Schüler des Cafés, die wir kennen. Andere Cafés sagen, wir machen alles über Spenden. Bei wieder anderen gibt es eine Preisliste für alle. Mein Ziel im why not war immer, an einem Tisch Menschen mit völlig unterschiedlichem Hintergrund zu integrieren. Das ist schwer. Für den einen ist ein Kaffee für einen Euro noch zu teuer, der andere kauft jeden Morgen seinen Cappuccino für 3,80 Euro und erwartet auch entsprechende Qualität. Damit diese Menschen sich an einen Tisch setzen können und jeder etwas zu trinken hat, brauchst du eine gewisse Palette an Angeboten. Deswegen haben wir im why not guten Filterkaffee für einen Euro,Wasser ist gratis, und daneben bieten wir gute Kaffeespezialitäten zu gehobenen Preisen an. Zusätzlich haben wir Essens- und Getränkegutscheine als Dankeschön für Ehrenamtliche, aber auch für Menschen, die einfach Hilfe brauchen. Wenn jemand mit einem Gutschein bezahlt, weiß keiner, ob er geholfen hat oder bedürftig ist. Der Großverdiener, der ehrenamtlich mithilft, bekommt also auch einen Gutschein. Er kann ja dann selber entscheiden, ob er zusätzlich spenden will oder den Gutschein gar nicht erst einlöst. So bekommt man wirklich viele Menschen an einen Tisch.
Die Durchmischung von Arm und Reich, Arbeitslos und Arbeitgebend, Studiert und ohne Schulabschluss ist für einen Begegnungsort sehr wichtig. Ich kenne gute Projekte, die Essen für Bedürftige anbieten. Die machen eine gute Arbeit, aber wer da hineingeht, kommt nicht mehr hinaus. Die Leute, die sich dort treffen, sind alle in einer ähnlich schwierigen Situation. Da ist niemand darunter, der dem anderen helfen, eine Arbeit vermitteln oder Nachhilfe geben kann. Aber wenn du Kaffee für 25 Cent anbietest, dann kommen eben nur die, die sich nicht mehr leisten können. Dann integrierst du nicht, sondern trennst. In manchen Situationen, bei Drogenabhängigen oder Obdachlosen, mögen sehr günstige Preise nötig sein. Aber in der Suppenküche lernt man eben keinen potentiellen Arbeitgeber kennen oder einen Studenten, der vielleicht bald ein Zimmer in seiner WG frei hat.
Ich kenne ein Café in der Hamburger Innenstadt, wo der Kaffee und die Snacks auf Spendenbasis angeboten werden. Das Café hat einen gehobenen Standard, in der Straße sind um die Mittagszeit Banker und Angestellte unterwegs. Diese Leute spenden dann auch die 3,80 Euro für ihren Kaffee, die sie anderswo sowieso bezahlen würden. In anderen Ecken Hamburgs würde das nicht funktionieren. Ich denke außerdem, ein wichtiger Teil der Integration ist es, den Migranten zu vermitteln, wie unsere Gesellschaft funktioniert. Und unsere Gesellschaft tickt so, dass du eben für alles bezahlst. Das gibt dir auch ein gewisses Selbstwertgefühl. Ich habe oft gesehen, dass sich jemand einen guten Cappuccino gönnt und dafür gern die 3,80 Euro bezahlt – als Geschenk an sich selbst. Das fühlt sich gut an, man arbeitet schließlich dafür, sich auch etwas gönnen zu können.
Für die Gründung eines Non-Profit-Begegnungsorts brauchst du nicht unbedingt ein Vermögen. Im Gegenteil, für viele Anschaffungen brauchst du gar kein Geld. Die Profit-Welt funktioniert mit Euros. Die Non-Profit-Welt nicht. Sie funktioniert mit Ressourcen. Und wer einen Non-Profit-Begegnungsort gründen will, muss lernen, in Ressourcen statt in Euros zu denken. In meinem Businessplan gibt es eine Spalte mit Euros und eine Spalte mit Ressourcen. Wenn du einen Kühlschrank brauchst, der 500 Euro kostet, kannst du natürlich überlegen:Wo bekomme ich die 500 Euro her? Oder du machst Augen und Ohren auf:Wen kennst du, der vielleicht einen funktionierenden Kühlschrank übrig hat? Wen kennst du, der jemanden kennen könnte, der Wohnungsauflösungen organisiert? Wen kennst du, der einen Geschirrspüler reparieren kann, falls du irgendwo ein defektes Gerät geschenkt bekommst?
Für ein Café brauchst du natürlich eine Kaffeemaschine. Professionelle Automaten sind sehr teuer. Aber in Städten gibt es so viele Cafés. Rede mit denen. Sei leidenschaftlich und erzähle von deinerVision. Die meisten Coffee Shops haben eine dritte oder vierte Kaffeemaschine im Keller, die sie im Moment nicht brauchen, aber aufheben wollen, falls eine andere Maschine kaputt geht. Da könntest du fragen: Hey, kann ich mir die Maschine im Keller leihen? Und wenn deine neue Maschine kaputt geht, gebe ich dir deine alte natürlich zurück. Aber bis es soweit ist, hast du schon mit deinem Café angefangen, hast bereits Geld eingenommen, etwas angespart und kannst dir eine eigene Maschine kaufen. Und: Keine Scheu.Wenn du keine direkte Konkurrenz bist, wenn du deine Vision rüberbringen kannst und klar machst, dass du ein soziales Projekt gründen willst und nicht einfach nur ein weiteres Café, dann sehen dich die meisten auch nicht als Konkurrenz, sondern helfen wahrscheinlich gern. So könnt ihr Hand in Hand eine Community aufbauen und vielleicht gemeinsam neue Kunden gewinnen.
An Tische und Stühle kommst du gut über Restaurants, die pleite gegangen sind. Dafür musst du manchmal schnell sein.An einem Weihnachtstag rief mich einmal ein Bekannter an. Das Restaurant, das er geführt hatte, war bankrott, die Räume mussten am 30. Dezember sauber und leer übergeben werden.Aber die Küche war noch komplett eingerichtet. Ich konnte mit einem Wagen kommen und alles abholen. Da bin ich sofort hingefahren. Meine Familie war nicht so begeistert, dass ich während der Feiertage arbeiten wollte, aber die großen Töpfe und alles für die Küche war da, das war fantastisch. Geschlossene Schulen, aufgegebene Projekte, das alles sind Gelegenheiten, deinen Begegnungsort auszustatten.
Wir hatten anfangs zum Beispiel nicht genug Geschirr. Natürlich kann es der Stil deines Cafés sein, dass Geschirr und Stühle bunt durcheinandergewürfelt sind und nicht zusammenpassen. Ich habe aber zusammenpassendes Geschirr gesucht und habe das gepostet. Da hat sich eine Kirchengemeinde gemeldet, die ihr altes Geschirr mit dem grünen Rand satt hatte und modernes Geschirr kaufen wollte mit viereckigen Tellern. Die haben uns ihr altes Geschirr geschenkt. Du musst also lernen, nach Dingen zu fragen und alle wissen zu lassen, was du brauchst. Du kannst zum Beispiel zu einem Baumarkt gehen, von deiner Idee erzählen und fragen, ob es vielleicht Material gibt, dass sie nicht mehr verkaufen können und sowieso entsorgen wollen.
Wahrscheinlich wünschst du dir eine perfekt ausgestattete Küche, mit einer tollen Spülmaschine. Das wäre Plan A.Wenn dafür aber erst einmal ni...