Teil III Theismus
So wie wir den Materialismus und den Spiritualismus vorstehend betrachtet haben, handelt es sich in beiden Fällen um monistische Philosophien. Und wie wir wissen, soll beim Monismus „Alles, was ist“ auf ein einziges Prinzip zurückgeführt werden. Beim Materialismus ist dieses einzige Prinzip die Materie und beim Spiritualismus ist es der Geist.
Dass es sich bei beiden Philosophien, also auch beim Spiritualismus, bei genauer Betrachtung um atheistische Lehren handelt und beide Philosophien keine objektiven Werte und Normen beinhalten oder vermitteln können, mag auf den ersten Blick überraschend sein. Bei genauerer Betrachtung erkennen wir jedoch sehr schnell, dass der Grund für die nicht vorhandenen Werte und Normen sowie für das Nichtvorhandensein von Gott bei beiden Philosophien auf der Ursachenebene liegt, also bei der Beschreibung des letzten Prinzips, das „Allem, was ist“, zugrunde liegt. Während uns das Resultat beim Materialismus nicht besonders überrascht – schließlich ist Gott etwas anderes als Materie, und Materie ist halt wert- und sinnfrei –, ist es beim Spiritualismus umso überraschender!
Rein gefühlsmäßig hätte man erwarten können, dass der Spiritualismus, der ja den Geist als Ursachenebene und letztes Prinzip definiert, sowohl Werte und Normen als auch eine göttliche Existenz beinhaltet. Dass dies nicht so ist, liegt daran, dass der Spiritualismus den Geist als homogene, eigenschaftslose Energie beschreibt. Da es sich um eine monistische Philosophie handelt, geht das auch gar nicht anders! Denn der Geist, als der Urgrund und damit als das grundlegende Element allen Seins, muss eine ungeteilte Einheit bilden. Nur dann wird er dem Anspruch des Monismus gerecht (griechisch monos = einzig, allein). Und als ungeteilte, undifferenzierte Einheit kann er weder eine Form besitzen noch Eigenschaften haben oder mit Bewusstsein ausgestattet sein. Er muss „Nichts“ sein! Denn wäre er „Etwas“, wären also irgendwelche Merkmale vorhanden, würde es sich eben nicht um die letzte Einheit handeln, sondern um etwas Zusammengesetztes, das wiederum in seine Einzelteile zerlegt werden kann und somit nicht den Grundstein bildet.
Mit dieser Konsequenz werden die auf dem Spiritualismus gründenden Lehren und Philosophien jedoch meist nicht zu Ende gedacht. So schwirren oft mehr oder weniger diffuse Begriffe von Gott als formlose Bewusstseins-, Lebens- oder Liebesenergie und ähnliche Vorstellungen in diesen Lehren umher. Zugleich wird sorgsam darauf geachtet, möglichst nicht zu werten und vor allem nichts zu bewerten, denn objektive Werte gibt es ja ebenfalls nicht. Alles ist wertneutral, so, wie es eben ist. Eine Wertung entsteht danach erst bei der Betrachtung durch den Menschen. Auch hier wird zumeist nicht hinterfragt, ob das wirklich stimmt, ob also Krieg tatsächlich von Natur aus gleichwertig ist mit Frieden und Liebe tatsächlich gleichwertig mit Hass. Sogar Licht und Schatten werden oft als gleichwertige Gegensätze dargestellt, obwohl jedem klar sein sollte, dass Licht von sich aus keinen Schatten wirft.
Wo liegt nun der entscheidende Fehler, der Gott zu einem eigenschaftslosen „Nichts“ macht und zu einer so verzerrten Wahrnehmung der Wirklichkeit, ohne objektive Werte und Normen führt? Es ist genau diese Forderung des Monismus, nach einer ungeteilten ersten Einheit als Grundlage des Seins, die uns auf Abwege geraten lässt. Denn der Monismus berücksichtigt nicht die transzendente Natur der Seinsgrundlage! Er lässt außer Acht, dass es sich beim Fundament von „Allem, was ist“, also bei Gott, um ein Jenseitiges Sein, um Transzendentes Sein bzw. Absolutes Sein handelt. Stattdessen definiert der Monismus Gott nach den Vorgaben des Diesseitigen Seins und damit nach den Regeln unserer relativen Welt.
Gott jedoch gehört in seinem ewigen absoluten Sein nicht zu unserer relativen Welt (lateinisch relatus = bezüglich, bezogen auf). Vielmehr ist Gott die transzendente Grundlage unserer relativen Welt. Unsere Welt ist abhängig von Gott – Gott ist nicht abhängig von unserer Welt. Gott ist absolut! (lateinisch absolutus = unabhängig, losgelöst, vollendet) Somit kann und darf Gott nicht nach den Vorgaben unserer relativen Welt definiert werden. Die Forderung des Monismus, dass es sich bei Gott um eine homogene, form- und eigenschaftslose Energie zu handeln hat, ist schlicht falsch! Dies wurde schon vor mehr als tausend Jahren von dem indischen Philosophen Ramanuja in der Lehre des Vishishta Advaita formuliert. Dort heißt es: Gott ist der unteilbare Eine, die homogene Grundlage des Seins, aber er besitzt dennoch Qualitäten, also Eigenschaften! Wie geht das? Nun, Gott ist in erster Linie transzendental. Er befindet sich damit außerhalb der Reichweite des Monismus! Er befindet sich jenseits der monistischen Definitionen! Gott ist absolut! Er ist vollkommen unabhängig von jeder äußeren Vorgabe oder Beschreibung. Gott kann sein, wie er will, und wie er sein will, bestimmt nur er, ohne dass irgendjemand oder irgendetwas darauf Einfluss nehmen könnte. Gott ist absolut unabhängig! Genau das macht ihn ja zu Gott, und genau dadurch, durch seine absolute Unabhängigkeit, unterscheidet er sich von allem anderen, was ist. Denn alles andere, was ist, hat seinen Ursprung in Gott und ist daher von ihm abhängig.
Weil es sich um den alles entscheidenden Faktor unserer Betrachtungen handelt, hier noch einmal die zentrale Aussage: Gott befindet sich außerhalb unseres Bezugssystems und kann daher nicht mit den Mitteln unseres Systems vollständig definiert und beschrieben werden. Gott ist transzendent – also jenseits unserer Welt bzw. über unsere Welt hinausgehend. Gott ist absolut, das heißt, er ist allumfassend, vollkommen unabhängig und nur aus sich selbst heraus seiend.
Die Tatsache, dass Gott ein absolutes Wesen ist und sich außerhalb unserer relativen Welt befindet, heißt aber nicht, dass er für uns ganz und gar unerkennbar ist und bleibt. Denn wenn er vollständig unerkennbar wäre, dann wäre er nicht absolut! Gott entzieht sich zwar auf der einen Seite den Definitionen der relativen Welt, aber auf der anderen Seite gibt er sich uns dennoch zu erkennen.
Und dieses Erkennen ist vielfach und immer wieder geschehen. Wir besitzen unendlich viele Berichte und Beschreibungen, die in transzendentalen Erlebnissen und Begegnungen mit Gott gewonnen wurden. Wir kennen seine Erscheinung und seine Eigenschaften aus erster Hand. Wir haben Wissen von ihm und von den absoluten Werten, für die er steht.
Wenn die Prinzipien der gleichzeitigen Transzendenz und Immanenz einmal verstanden worden sind und zusätzlich auch Klarheit bezüglich der Unterschiede zwischen absolutem und relativem Sein gewonnen werden konnte, wird sofort deutlich, dass es in der relativen Welt, also auch in unserer materiellen Wirklichkeit, nichts geben kann, was nicht zuvor bereits in der absoluten Welt vorhanden ist. Denn die relative Welt ist von der absoluten Welt abhängig, ja sie entspringt ihr. Das heißt also, unsere materielle Welt und alle feinstofflichen Welten über oder neben ihr sind so etwas wie ein Spiegel der transzendenten Inhalte von Gottes Allmächtigkeit. „Alles, was ist“ hat seinen Samen, seinen Kern in Gott. Und um es bereits an dieser Stelle deutlich zu sagen: Dies gilt selbstverständlich auch für jeden einzelnen Menschen und für die Individualität aller Geschöpfe. Wir alle, und alle unsere Mitgeschöpfe, sind Teile oder „Kinder“ Gottes!
Das heißt andersherum: Wenn es in den relativen Welten, also in unserer materiellen Wirklichkeit und in den parallelen, feinstofflichen Ebenen des Universums so etwas wie individuelles Sein, nämliche Persönlichkeit und Individualität mit Formen und Eigenschaften gibt, dann muss dies zwingend bereits zuvor in der absoluten Welt vorhanden sein, denn die absolute Welt ist die Grundlage der relativen Welt.
Im Klartext: Wenn wir in unserer relativen Welt individuelle Wesen sind, mit Körpern und Eigenschaften, dann muss dies auch für Gott in seiner absoluten Welt gelten. Etwas anderes ist nicht möglich, denn das Relative kann nicht mehr sein als das Absolute, dem es entstammt.
Dieser Sachverhalt spiegelt sich auch in der biblischen Schöpfungsgeschichte wider. Dort heißt es: „Und Gott sprach, lasset uns Menschen schaffen, als unser Abbild, uns ähnlich.“ (Gen. 1.26)
Wir können daher bereits jetzt festhalten: Gott ist Person! Zumindest aber ist er auch Person! Er ist nicht auf personales Sein beschränkt und er muss sich nicht auf personales Sein beschränken, aber er kann Person, mit Form und Eigenschaften, sein, wenn er dies will! Und damit ist auch klar, dass Gott selbstverständlich Bewusstsein besitzt und über einen Willen verfügt. Wir können Gott als Person, als Gegenüber, als einem Individuum mit Eigenschaften und Bewusstsein begegnen!
Ohne Bewusstsein und ohne Willen, also ohne zielgerichtete Intention von Gott gäbe es keine Schöpfung und selbstverständlich auch keine Geschöpfe! Wir und alle Lebewesen sowie die Welten und Universen um uns herum sind das Produkt von Gottes zielgerichtetem Willen. Ein unbewusstes „Nichts“ bringt nämlich nichts hervor und das unbewusste „Alles“ ebenso wenig.
Gott ist das absolute, ewige, allumfassende Individuum, dem nicht nur wir, sondern das gesamte relative Sein seine Existenz verdanken. Und der Begriff Individuum verweist tats...