Gestalttherapie für Einsteiger
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Gestalttherapie für Einsteiger

Eine Anleitung zur Selbstentdeckung

  1. 256 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Gestalttherapie für Einsteiger

Eine Anleitung zur Selbstentdeckung

Über dieses Buch

"Dies Buch ist als Vorgeschmack gedacht, als Appetithappen, als ein Scheibchen von dem, was Gestalttherapie wirklich ist. In einer echten Sitzung mit einem Gestalttherapeuten wird alles, was geschieht, ganz allein nur für dich zubereitet. Hier aber - zumal ich dich nicht kenne - erfinde ich, was zwischen dir und mir geschehen könnte, damit du eine Ahnung davon bekommst, wie das Denken und wie die Techniken funktionieren, die benutzt werden, damit du wachsen, in Berührung mit deinen Gefühlen kommen und versteckte Seiten deiner selbst erforschen kannst, um ganz du selbst zu werden." (Daniel Rosenblatt.)Erheblich erweitere Ausgabe dieses Klassikers der Gestalttherapie.

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ERZÄHLTE GESTALTTHERAPIE PRAXISBERICHTE

In seinen nun folgenden Praxisberichten erzählt Daniel Rosenblatt lebendig von seinen Erfahrungen aus mehr als 40 Jahren gestalttherapeutischer Arbeit mit schwulen Männern – in der Einzeltherapie und in der Gruppentherapie. Liebe heterosexuelle Leserinnen und Leser, bitte zögern Sie nicht weiter zu lesen. Seine Praxisberichte sind ein wahrer Schatz der Gestalttherapie. In ihnen öffnet Daniel Rosenblatt uns großzügig auch die Tür zu seinen eigenen inneren Prozessen, während er arbeitet. Er berichtet von seinen eigenen Wahrnehmungen, von seiner Gegenübertragung, von seinen Werten, seinen Ängsten und seinen eigenen Bedürfnissen – und auch von seinen Fehlern. Auf diese Weise wird deutlich, was es heißt, dass der Gestalttherapeut »sein eigenes wichtigstes Instrument« ist.
Die Herausgeber
Ein sonniges Gemüt
Man kann auf viele Weisen schwul leben. Die Laienpsychologie stellt sich dafür ziemlich klassische Rollen vor: den femininen Mann, die Tunte, der sexuell die passive Rolle einnimmt, und im Gegensatz dazu den machohaften Marlboro-Mann, den hypermännlichen Kämpfer, der Frauen heruntermacht und sexuell die aktive Rolle spielt. Natürlich ist das wirkliche Leben komplizierter. Ein femininer Mann bleibt Mann, und bloß weil er als Sexualpartner andere Männer wählt, verliert sich nicht sein angelerntes männliches Verhalten. Und der hypermaskuline Kerl ist genau so wie sein femininer Freund dem Phalluskult ergeben. Im sexuellen Erleben schwingt stets der Wunsch mit, wie schon Freud beschrieb, passiv dasselbe zu genießen, was man aktiv tut, und umgekehrt genauso. Das macht auch verständlich, warum Frauen manchmal gerne obenauf sind und Matrosen sich gern auf den Bauch legen und von hinten nehmen lassen.
An dieser Stelle möchte ich aber nicht ausführlicher über Sexualverhalten reden, sondern auf zwei Arten schwul zu leben eingehen. Einen entscheidenden Unterschied macht es, ob jemand versteckt lebt oder offen. Wer sein Schwulsein versteckt, lebt ängstlich, misstrauisch, auf der Hut und auf dem Sprung, gegenüber Freunden, Eltern, ggf. auch Frau und Kindern getarnt und für Erpressungen ein leichtes Opfer. Ich kann mitfühlen, dass jemand aus einem Übermaß an Scham, Schuld und Angst seine Gefühle einkapselt und sein Leben als Schrankschwester1 hinter verschlossenen Türen führt. Dennoch ist mein Wunsch, dass Schwule aufstehen und sich das Recht nehmen, sie selber zu sein, stolz auf ihre einmalige Individualität, unabhängig von den Erwartungen der Gesellschaft drumherum. In der anthropologischen Forschung zeigten Clyde und Florence Kluckhohn,2 dass eine Gesellschaft gerade durch die alternativen Lebensweisen neben dem Normalverhalten bereichert wird. Ich möchte Klienten zu der Stärke und dem Mut verhelfen, genau so stolz wie die Drag Queen3 im Film La Cage aux Folles4 zu sagen: »Ich bin, wer ich bin.«
Das Gegenteil der Schrankschwester ist die aufgedrehte, überschwengliche, schrille Tucke, auf die die Bezeichnung gay (lustig) ursprünglich gemünzt war und die die Ironie des Lebens, dass soziale und sexuelle Rollen verkehrt sind, zum Dauerspaß des Herumtuckens5 hochstilisiert. »Aber meine Teuerste« ist zum Beispiel eine klassische Formulierung, wenn eine Schwester mit ihren Freundinnen am Tucken ist. In unserer heutigen emanzipierten Zeit ist es politisch inkorrekt, sich auf diese Art weiblich anzureden. Aber in einer früheren dunklen Epoche, in der man sich unter Schwulen genau wie unter Schwarzen und Juden das Leben mit Humor erträglicher und leichter machte und einfach gern lachte, war »Tucke« ein Kompliment. Der Dreh am Tucken ist einfach, über die Absurdität des Lebens lachen zu können, ob schwul oder hetero, angesichts von Tragödien Leichtigkeit zu bewahren und trotz Unterdrückung Würde und Stil zu kultivieren. Ich gebe freimütig zu, dass ich Tucken den Vorzug vor Schrankschwestern gebe. Ich mag, wie sie mit Kunst und Witz die Umstände eines offen schwulen Lebens aufs Korn nehmen und, statt Katastrophenschwestern zu spielen, daraus Spaß und Unterhaltung gewinnen.
Ron war aus dem Versteck herausgekommen und leuchtete auf. Er lebte das schwule Leben in vollen Zügen. Er liebte schnellen und leichten Sex. Er ging in die Bars und Saunen, cruiste6 auf der Christopher Street7 und liebte besonders die trucks.8 Ihn machte es ganz besonders an, wie in dem weiten dunklem Raum nur nackte und halbnackte Leiber nach einander tasteten, sich gegenseitig packten und mit hemmungsloser sexueller Errregung in einen Rausch der Lust abhoben. Einmal wurde ihm dort die Brieftasche gestohlen, aber er wurde darüber nicht böse oder vorwurfsvoll. Beim nächsten Mal nahm er einfach nur Kleingeld mit und ließ den Personalausweis zu Hause. So oft es ging, fuhr Ron im Sommer nach The Pines auf Fire Island. Er mochte die salzige Luft, die geheimnisvollen Nebel und das klare Sonnenlicht, das knorzige Kieferngebüsch und den langen breiten Strand aus hellem Sand. Am meisten aber liebte er den endlosen Strom perfekt gebräunter, perfekt gestylter schöner Körper mit winziger Badehose oder, noch gewagter, ganz ohne. Wie viele seiner Freunde, nahm Ron zur Steigerung seiner sexuellen Erlebnisse auf dem Fleischmarkt9 Drogen ein. Sex bei Vollmond unter Bäumen mit einer der neuesten Designerdrogen, das war für Ron das Höchste im Leben.
Warum kam Ron überhaupt in Psychotherapie? Er hatte dafür mehrere Gründe. Ron merkte, dass er bei seinem energiegeladenen Treiben auf der Suche nach Gelegenheitssex sich ständig getrieben fühlte und sehr viel Zeit aufwandte. Seine katholische Erziehung sagte, dass er ein Sünder und daher schuldig sei, und obwohl er nicht daran glauben wollte, empfand er doch ziemlich viel Angst und Depression. Außerdem wollte Ron einen richtigen Partner finden. Er wollte sein Leben mit jemandem teilen, mehr Ruhe und mehr Stabilität gewinnen. Wie er und sein Partner das dornige Problem mit Drogen und Treue lösen würden, wusste er nicht, aber bei einer guten Beziehung wollte er sich dem stellen. Des weiteren wollte sich Ron beruflich verbessern. Gegenwärtig war er beim sozialen Dienst der Stadt New York als Einzelfallhelfer beschäftigt. Er arbeitete mit einer Gruppe schwarzer Mädchen im Teenageralter, die schwanger geworden waren oder ebenfalls Drogen konsumierten. Es waren harte, verwahrloste Mädchen, die an Erziehung kein Interesse hatten und Autoritäten zurückwiesen. Sie hatten Erfahrungen auf der Straße, viele auch mit Prostitution, manche hatten schon ein oder zwei Kinder von verschiedenen Vätern. Ron konnte sich mit ihnen identifizieren. Sie hatten viele Sexualpartner, er genau so. Sie standen auf Drogen, er genau so. Sie wollten keine Arbeit mit ewigem Aufstieg, er genau so wenig. Ron konnte sich in ihre Lage so gut einfühlen wie in seine eigene. Er behandelte sie wie schwule »Schwestern«, tuckte mit ihnen herum und gab sich alle Mühe, sie zur Kooperation mit der Wohlfahrt zu bewegen, war dabei aber nicht moralisierend, sondern hatte Witz und Stil. Die Mädchen reagierten auf seine leichte Art positiv. Sie hatten für diesen seltsamen schönen weißen Mann, der so gut mit ihrer Situation und ihren Bedürfnissen umgehen konnte, Bewunderung übrig. Trotz alledem wollte Ron seinen Lebensunterhalt lieber auf eine andere Art verdienen, bei der er seine Kreativität besser entfalten könnte und leichter Zugang bekäme zum Glanz und Luxus des New Yorker Highlifes.
Im sozialen Dienst verdiente Ron wenig. Da er sich Einzeltherapie damit nicht leisten konnte, ging er in die Therapiegruppe für schwule Männer. Rasch fand er dort einen eigenen Platz. Er war groß, schlank, schön und gewandt. Sein Umgangston war leicht und erfrischend, aber wenn wichtige Themen bearbeitet wurden, konnte er auch nüchtern und ernsthaft sein. Obwohl er sich gerne auf Parties bewegte und sich eine schöne Zeit machte, kam er nicht zum Vergnügen in die Therapiegruppe. Er wollte Wege finden, um sein Leben zu verbessern, und Therapie schien ihm dafür die besten Möglichkeiten zu bieten.
Ich schätzte Ron in der Gruppe sehr. Auch wenn seine Lebensweise außerhalb der Gruppe als oberflächlich erschien, war er doch ein sehr konstruktives Gruppenmitglied. Er war klug und offen, nachdenklich und einsichtig. Aus seiner Arbeit mit den Mädchen brachte er viel Verständnis dafür mit, wie schwierig und vielschichtig es sein kann, Menschen zu einer Lebensänderung zu ihrem eigenen Besten zu bewegen. Auf die Bedürfnisse der anderen Gruppenmitglieder ging er ernsthaft und besonnen ein. Unter seiner spielerischen, spaßigen Fassade hatte Ron etwas von einem Chorknaben bewahrt, und ich fand dies neben seiner jungenhaften, frischen Art sehr ansprechend. Ron war achtundzwandzig Jahre alt, hatte aber nichts von seinem jungenhaften Schwung verloren. Er hatte viel Erfahrung, war aber über nichts verbittert oder verdrossen. Er genoss sein Leben sehr und strebte nach noch mehr Freude und Erfüllung.
Die Therapie gab Ron Gelegenheit, sich die Bedingungen seines Lebens genauer anzusehen. Wie er das Leben der anderen Gruppenmitglieder klar und ernsthaft betrachten konnte, so auch sein eigenes. In den zwei Stunden einer Gruppensitzung konnte er die Rolle eines verwirrten und chaotischen Billie Burke oder Zazu Pitts10 ablegen und sich auf seine tieferen Gefühle konzentrieren. Er begann, zum Thema Autorität zu arbeiten. Zum Beispiel sprach er über seine Erinnerung an die Nonnen in der Pfarrschule und wie er ihnen für die gelegentlichen Zurechtweisungen mit Linealschlägen grollte. Und er kam auf seine desinteressierten Vorgesetzten beim sozialen Dienst, die sich um organisatorische und bürokratische Fragen kümmerten statt um eine bessere Betreuung der schwangeren Teenager.
Über die Arbeit an den strafenden Nonnen und den vernachlässigenden Vorgesetzten kam Ron auf seinen Vater und seine Mutter. Ron war in Fall River in Massachussetts auf die Welt gekommen und aufgewachsen. Seine Eltern waren gläubige Katholiken. Trotz seines wilden Lebens in New York hatte er ihnen nie von seiner Homosexualität erzählt, denn er war sicher, dass sie ihn mit ihrer strengen und kleinstädtisch engen Weltsicht ablehnen würden. In der Gruppe spielte er in einem Rollenspiel, wie er ihnen sagte, schwul zu sein. Dabei konnte er sich überhaupt nicht vorstellen, dass sie diese Mitteilung hinnehmen und irgendwie richtig einordnen könnten. Aber mitten im Spiel fiel ihm ein, dass ein Bruder seiner Mutter mit seinem »Freund« zusammenlebte und dennoch akzeptiert wurde. Und ihm fiel ein Cousin väterlicherseits ein, der Florist war und mit einem Frisör zusammenlebte, ohne dass je ein Wort darüber verloren wurde. Unter diesen Umständen könnte er vielleicht doch zu seinen Eltern ehrlich sein.
Bei der nächsten Sitzung berichtete Ron stolz, er hätte gleich einen Tagspäter seine Mutter angerufen und ihr gesagt, dass er schwul ist. Sie hätte geweint, aber beteuert, dass sie ihn weiterlieben werde, was auch immer er sei, und auch wenn sie nicht gerade beglückt sei, würde sie ihm sehr wünschen, dass er damit glücklich werde. Ron war erstaunt und erleichtert und nahm sich vor, in zwei Wochen beim nächsten Besuch anlässlich des Erntedanktags mit seinem Vater zu reden.
Als Ron aus Fall River zurückkam, strahlte er. Er meinte, seine Mutter müsse seinen Vater schon heimlich darauf vorbereitet haben. Jedenfalls hatte sein Vater die Neuigkeit mit Fassung aufgenommen. Er hatte nicht geweint, sondern ihm Glück gewünscht und versichert, dass er ihn weiter als seinen Sohn betrachte und liebe. Er sei auch nicht wegen Einzelheiten aus seinem schwulen Leben in New York bedrängt worden. Ron zweifelte noch, ob nun, da er alles offen gemacht hatte, das Thema für immer vom Tisch sei so wie bei seinem Onkel und seinem Cousin. Aber er war stolz, dass er nun nie wieder Fragen nach Freundinnen, Verabredungen und Heiratsmöglichkeiten zu ertragen habe. Er fand es viel entspannter, nun nicht mehr lügen zu müssen. Er fühlte sich jetzt kräftiger und wirkte trotz seiner Schlankheit auch kräftiger, weniger jungenhaft und erwachsener geworden.
Rons Arbeit in der Gruppe und ihre Wirkung bei den Eltern ermutigte zwei andere Gruppenmitglieder, dasselbe mit ihren Eltern zu unternehmen. Als Weihnachten nahte, freute sich die ganze Gruppe, dass schon drei von ihnen, mit Ron an der Spitze, ihre Eltern in ihre Homosexualität eingeweiht hatten. Sonst ist Weihnachten oft eine sehr bedrückende Zeit für Klienten. Sie fahren zu ihrer Familie heim und spielen all die schmerzvollen Muster, die nie aufgelöst werden konnten, abermals mit. Für schwule Klienten kann es besonders schwierig sein, wenn sie an solchen Festtagen ihren gegenwärtigen Freund nicht in den Familienkreis mitbringen können. Dieses Mal lag aber auf Weihnachten kein solcher Schatten, sondern die Gruppe brach, dank Rons Initiative, guter Dinge auf. Ich dachte daran, wie schwer es einst mir selbst gefallen war, auf meine verwitwete Mutter zuzugehen, und war über die Entwicklung in der Gruppe ganz beglückt.
Ron hatte also geschafft, was für viele homosexuelle Männer und Frauen überaus ängstigend und schmerzvoll sein kann: er hatte seinen Eltern, seinen Erzeugern, gestanden, dass er sie nicht zu Großeltern machen würde, dass er zu einer verhassten Minderheit gehöre, und dass er vorhabe, sein Leben in einer verachteten Subkultur mit Würde und Stolz zu leben. Die Möglichkeit, seinen Eltern einen Freund vorzustellen, hatte er noch nicht angesprochen. So weit war er für sich selbst noch nicht, und die weiteren Konsequenzen aus seinem Schwulsein wollte er seinen Eltern später noch beibringen, irgendwann einmal.
Jetzt wollte Ron sich erst einmal selber beibringen, wie er einen festen Partner fände. Er brachte in der Gruppe seine Abenteuer mit Verabredungen ein. Obwohl er weiterhin einen großen Teil seiner Zeit in den trucks und Saunen zubrachte, achtete er jetzt genauer auf das, was geschah, wenn auf ihn Männer mit ernsthaften Absichten zukamen. Ron war schlank und hübsch und mit seinem jungenhaften Lachen und seiner fröhlichen Art sehr begehrt. Liebhaber zu finden fiel ihm nicht schwer. Jede Woche konnte er vom neuesten Stand seiner Romanzen erzählen, aber länger als eine oder zwei Wochen dauerte ohnehin keine. Erst erzählte er immer, wie fantastisch dieser neue Mann sei, wie attraktiv, welchen tollen Körper er habe und wie unglaublich der Sex mit ihm sei. Aber schon beim nächsten Gruppentreffen hatte er das Interesse an ihm verloren. Milton war zu geizig und zu ordentlich. Paul war zu verschwenderisch und nahm zu viel Drogen. Harold wollte nur der Dominante sein und sich von Ron nicht bumsen lassen.
Allmählich wurde Ron klar, dass Milton, Paul, Harold und all die andern zwar ihre Fehler hatten, aber dass da noch etwas anderes in ihm ablief, weswegen er sie leichterhand fallen ließ. Er entdeckte, dass er bei jeder Affäre spätestens nach drei Wochen Angst bekam. Er hatte zwar geglaubt, er wäre über das Schuldgefühl wegen seines Schwulseins und eines Freundes hinaus, aber offenbar gelang es ihm nicht, über längere Zeit einem Mann wirklich nahe zu sein.
Als ich mit meiner psychotherapeutischen Praxis begann, war ich von schwulen Klienten wie Ron, die viele sexuelle Abenteuer mit verschiedenen Männern anscheinend genossen, ganz beeindruckt. Ich nahm an, dass bei ihnen im Unterschied zu mir keine Erbschaft von Scham und Schuld auf dem Sexualverhalten lag. Ich beneidete sie darum, ohne jüdische Mittelschichtsozialisation ihre homosexuellen Gefühle viel freier ausdrücken zu können. Mit der Zeit bemerkte ich, dass ich mich täuschte. Meine Scham- und Schuldgefühle waren mir unmittelbar an der Oberfläche gegenwärtig. Bei Ron und anderen waren die Gefühle von Demütigung, Abscheu, Scham, Angst und Schuld jedoch nur tiefer verborgen. Ron und die andern hatten für negative Einstellungen zum Schwulsein keine Sprache, sondern konnten sie nur durch ihr Verhalten zum Ausdruck bringen.
Ron hatte nicht einen unstillbaren Hunger nach immer neuen sexuellen Erfahrungen, sondern er konnte es bloß nicht aushalten, sich öffentlich in einer Paarbeziehung sehen zu lassen. Bei seinen anonymen Abenteuern wusste niemand, was vor sich ging, wen er geangelt hatte und was sie miteinander trieben; jenseits des Betts blieb er mit seinen Partnern ohne jede soziale Verbindung. Mit seinen Freunden konnte er durchaus offen schwul auftreten, aber das war etwas anderes, als wenn er als Teil einer etablierten Zweiheit sichtbar würde. Nun, nachdem er das Coming-out bei seinen Eltern geschafft hatte, machte ihm der Gedanke an einen sichtbaren festen Partner nichts mehr aus. Er fühlte sich frei, es mit einem Partner für länger als drei Wochen auszuprobieren.
Allmählich dauerten Rons Beziehungen länger. Die mit Les hielt sechs Wochen, ein Rekord. Les war zwölf Jahre älter als Ron, arbeitete in der Werbebranche und hatte eine eigene Hütte am Strand von Cherry Grove auf Fire Island. Anfangs genoss Ron Les' Stellung als erfolgreicher Geschäftsmann, sein Strandhaus und seine Einladungen in teure Restaurants. Jedoch Les war immer noch sehr mit seinem bisherigen Partner verbunden, sprach täglich mit ihm und hatte auch weiterhin Sex mit ihm. Ron entdeckte, dass er eifersüchtig wurde und es nicht aushielt, dass Les über seine fortgesetzten Kontakte zu seinem Ex-Freund log.
Dann begann Ron eine Beziehung mit Jules, einem hübschen 23-jährigen Jungen. Sie gingen zusammen in Studio 54, Limelight und Anvil11 und tanzten auf den verschiedensten Drogen die Nächte durch. Jules besaß ein Tambourin und schlug es einmal mit der flachen Hand so heftig, dass sie am nächsten Tag blau und schwarz anlief. Zwei Monate lang zogen Ron und Jules durch die Discos, tanzten bis zum Umfallen und schliefen dann, einer im Arm des andern, ihren schweren Rausch wieder aus. Ihr Sexua...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über den Autor
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Anke und Erhard Doubrawa: Zum Geleit
  4. Erhard Doubrawa: Brief an Dan
  5. Gestalttherapie für Einsteiger: Eine Anleitung zur Selbstentdeckung
  6. Erzählte Gestalttherapie: Praxisberichte
  7. Erzählte Geschichte der Gestalttherapie: Daniel Rosenblatt im Gespräch mit Anna und Milan Sreckovic
  8. Quellenangaben
  9. Literaturempfehlungen
  10. Anmerkungen
  11. Weitere Informationen
  12. Impressum