Kapitel 1 Region und Erinnerung.
Meine Abhandlung versucht einen Überblick, eine Spurensuche nach den Konfliktlinien, nach möglichen Grundelementen, nach Widersprüchen die den Zeitraum in den hinter uns liegenden Jahrhunderten in der Würmregion vielleicht geprägt haben.
„Würmfreiheit“ ist mein Begriff, der die Freiheitsbestrebungen von Menschen in der Würmregion einfängt. Sie treten ein für Unabhängigkeit, Demokratie und Gerechtigkeit. Sie sind konfrontiert mit der Unterdrückung durch die Grundherren, mit dem Zusammengehen von Thron und Altar im Ersten Weltkrieg Krieg (1914 -1918), mit dem Terror der Nationalsozialisten seit 1933 und im Zweiten Weltkrieg (1939 -1945) sowie der Befreiung 1945.
Es geht heute nicht mehr in erster Linie darum, festzustellen, wer ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Person in den Hitlerstaat verstrickt? Nein, es geht darum, immer auch nach Gründen zu forschen, die belegen könnten, warum das politisch-gesellschaftliche Klima sich so entwickeln kann, dass 1933 scheinbar aus dem NICHTS heraus Hitler, also ein rechtskräftig verurteilter Terrorist8, und seine Bande die Macht erobern und mit kriminellen Methoden auch noch festigen können. Warum folgen ihnen Millionen?
Bei der Suche nach Antworten gerät die machtorientierte Methode der Minderheitenhetze gegen Juden, der Zuweisung von Schuld für Missstände an Minderheiten, in den Brennpunkt der Erkenntnissuche. Die Anwendung dieser Methode der Machterschleichung und Erhaltung durch die Nationalsozialisten operiert mit eliminatorischem Eifer und entsprechender Zielstellung unter Zurückgreifen auf eine bereits länger vorhandene Stigmatisierung
Auf der Linken sollen es die Kapitalisten sein die es gelte zu eliminieren, wenn auch ohne deren erklärte physische Vernichtung. Auch hier eine als schuldig gebrandmarkte Minderheit. Dies obwohl Erzvater Karl Marx eine Schuldzuweisung an Minderheiten oder Einzelpersonen für den Verlauf der Geschichte, „als einen naturgeschichtlichen Prozess“, scharf verurteilt9.
Heute drohen Flüchtlinge und Ausländer in den Brennpunkt der Methoden zur Machterschleichung mittels Minderheitenhetze zu geraten, ohne dass die vorausgegangenen Eliminierungsstrategien ihre Potentiale eingebüßt hätten. Dem gilt es auch durch aufklärende Geschichtsschreibung gegen zu steuern.
Während einerseits die Welt des Würmtals um die Jahrhundertwende 1900 noch in Ordnung zu sein scheint, eine romantische Darstellung des Tals bevorzugt wird, leuchten andererseits bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert Signale einer Neuen Zeit auf. So etwa als der Pasinger Müller Blasius Steiner 1852 beim königlichen Bezirksamt die Erlaubnis zum Betrieb einer „amerikanischen Kunstmühle“ beantragt. Die an Amerika orientierte industrielle Moderne kündigt sich an und wird seitdem begleitet von kulturpessimistischer andererseits aber auch euphorischer Kommentierung. So stellt der profilierte Würmtal - Historiker Franz Schaehle 1921, also 70 Jahre später in Pasing „amerikanischen Superlativismus“ fest.
Noch Jahrzehnte weiter, reduzieren andere Autoren Pasing, Gräfelfing, Obermenzing, Allach oder Gauting auf die romantische Postkartenidylle im Alpenvorland, obwohl etwa Pasing längst Industriestadt ist.
Gegen Ende des 20. sowie zu Beginn des 21. Jahrhunderts liegen mehrere Bildbände vor und veranschaulichen den Wandel der Zeiten, ohne einen Versuch, deren Hintergründe aufzuhellen.
Kapitel 1.1 Warum die Würmregion?
Region als Geflecht von Orten lebt einerseits von deren Verbindungen und ihren Nutzern, andererseits siedeln sich überregional vernetzte Infrastrukturen, Betriebe, sowie Persönlichkeiten und meinungsgeprägte Einrichtungen oder Parteien an.
Zunächst spiegelt der Flussverlauf10 der Würm die Region. Ihm folgend entsteht das kleinteilige Netz der Getreide-, Pulver- und Sägemühlen, später der Stromturbinen. Die aufkommende Eisenbahnplanung11 folgt dieser regionalen Entwicklung, um sie dann zu prägen. In Pasing entsteht ein Knotenpunkt der regionalen und überregionalen Schienenstränge und der frühen, das Mühlenzeitalter hinter sich lassenden Industrialisierung des Würmtals. Die in Pasing unterbrochene Nord – Süd Entwicklungsrichtung wendet sich hier nach Osten und erreicht München. Aus Münchner Sicht wird das südliche Würmtal zur Gartenstadt12 der Landeshauptstadt13. Die Entwicklungspolitik der Stadt Pasing sorgt seit 1901 mit einer Ferngasleitung von Starnberg bis Dachau und Freimann für Industriegas, Beleuchtung und Heizung. Dies ermöglicht auch den Wegfall von Kohletransport und Kohleverbrennung in vielen Wohngebäuden.
Karl Haushofer entwickelt in und nach dem I. Weltkrieg auf dem Hartschimmelhof oberhalb Starnberg sowie als Professor der Münchner Universität seine theoretisch den Kontinent übergreifende Geopolitik. Die Kriegswirtschaft während des ersten und zweiten Weltkrieges greift über den Talbereich der Würm hinaus in die Region. Es entstehen das Großtanklager der Wifo zwischen Krailling und Germering im Kreuzlinger Forst sowie nach und nach die Rüstungsregionen Aubing / Neuaubing / Allach mit KZ - Außenlagern und Zwangsarbeiterkomplexen. Geopolitik und Technik ergänzen einander als Manifestation nationalsozialistischer Gewaltherrschaft. In Dachau errichten die Nationalsozialisten ihr erstes Konzentrationslager.
In und um Landsberg am Lech entstehen 11 Zwangsarbeiterlager als Außenlager des KZ-Dachau. Die Insassen werden unter mörderischen Bedingungen zum Bau von Luftwaffeneinrichtungen gezwungen.
In Töging am Inn schuften Zwangsarbeiter und KZ – Deportierte in der Aluminiumproduktion, deren Strom das vorgeschaltete Wasserkraftwerk liefert; beide Voraussetzung der Standortwahl regionaler Luftrüstungsbetriebe.
Erst die militärische Befreiung schafft 1945 den Ansatzpunkt für demokratischen Neubeginn und sieben Jahrzehnte Frieden in Mitteleuropa.
In Starnberg arbeitet von 1970 bis 1984 das >Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt< mit den Direktoren Carl Friedrich von Weizsäcker und Jürgen Habermas.
Kapitel 1.1.1 Früher Aufbruch in das regenerative Zeitalter?
Neuaubing Reparaturwerk Orientexpress Foto 2015
1913, am Vorabend des Ersten Weltkrieges eröffnet die Compagnie internationale des wagons lits14 in Neuaubing ein Reparaturwerk für die Schlaf- und Salonwagen des Orientexpress. Eigentümer und Großinvestor Nagelmacker aus Belgien – Hotelinvestor und Touristikmanager in Paris – sieht im Bahnverkehr eine den Kontinent übergreifende Investitionsperspektive.
Der Handel mit Eisenbahnschwellen boomt auch in Pasing15; die Bagdad Bahn wird verwirklicht16. Die Finanzierung der Großprojekte entgl...