V Zaubersprüche
Magie ist außer für Eide, Segnungen und Flüche auch noch für eine große Vielfalt von anderen Zwecken benutzt worden. Formal gesehen besteht auch diese Form der Magie vor allem aus kurzen Texten – den „Zaubersprüchen“.
V 1. Zauberworte
Es ist durchaus denkbar, daß einige der germanischen Zauberworte zusammen mit dem Alphabet in der Zeit von 100 v.Chr. bis 100 n.Chr. von den norditalischen Völkern übernommen worden sind. Da es Priester-Zauberer gewesen zu sein scheinen, die dieses Alphabet in den Norden importiert und dort zu den Runen umgeformt haben, wäre es durchaus denkbar, daß sie gleich auch noch einige zentrale Worte aus den Ritualen dieser Völker mitimportiert haben.
Diese Worte könnten sich dann, weil sie nicht verstanden worden sind, stark verändert und einen Reim entwickelt haben. Auf diese Weise ist auch auch das berühmteste aller abendländischen Zauberworte entstanden: Der zentrale Satz in der Eucharistie sind die Einsetzungsworte, durch die der Wein zu Christi Blut wird: „hunc est corpus“ Daraus wurde durch die einfachen Leute, die kein Latein sprachen, schließlich „Hokuspokus“.
Die beiden frühgermanischen Zauberworte „salusalu“ und „luwatuwa“ haben eine sehr große Ähnlichkeit mit „Hokuspokus“ und auch mit anderen derartigen Worten wird „Holterdipolter“, „Schnickschnack“ oder „Klimbim“, die sehr stark umgeformt worden sind und dabei zu einem „klangvollen Reim-Wort“ wurden.
V 1. a) „alu“
Dieses Zauberwort kann mehrere verschiedene Ursprünge haben – vielleicht treffen auch mehrere gleichzeitig zu:
„alu“ =?= Ritualtrank/Ekstase (germanisch),
„alu“ =?= Zauber (hethitisch),
„alu“ =?= Weihender (etruskisch), oder
„alu“ =?= Schutz (angelsächsisch).
„Alu“ ist das häufigste Runen-Zauberwort. Es scheint als eine Anrufungs- und Weiheformel aufgefaßt worden zu sein – sozusagen als „magische Kraftquelle“. Man kann ihre Bedeutung als „heilig“, „geweiht“ oder „Magie“ übersetzen.
V 1. b) „auja“
Dieses Zauberwort leitet sich von dem Adjektiv „aud“ für „leicht“ ab und bedeutet „göttlicher Schutz, Glück, gutes Gelingen“.
V 1. c) „luwa-tuwa“
„Luwa“ bedeutet „auf der Erde“; „tuwa“ bedeutet „zum Himmel“. „Luwa-tuwa“ ist eine beliebte Formel, die möglicherweise aus dem Kult stammt. Sie erinnert an den Urgegensatz „Himmel und Erde“ in den indogermanischen Mythen und auch an die christliche Formel „Wie im Himmel so auf Erden“.
„Luwa-tuwa“ könnte einfach „überall“ bedeuten.
V 1. d) „salusalu“
Diese Formel läßt sich als die Kombination aus der S-Rune („Sieg“ oder „Sonne“) und der Formel „alu“ („heilig, Magie“) auffassen, die dann, so wie es bei Zaubersprüchen häufig der Fall ist, verdoppelt wurde. Diese Formel würde aufgeschlüsselt somit wie folgt aussehen: „ s.alu – s.alu“.
Da die Rune „S“ entweder „Sonne“ oder „Sieg“ bedeuten kann, ergeben sich die beiden folgenden Übersetzungs-Möglichkeiten: „Sieg-Magie, Sieg-Magie“ oder „Magie der Sonne, Magie der Sonne“. Da bis 500 n.Chr. der Sonnengott-Göttervater Tyr auch der siegreiche Schwertgott gewesen ist, sind beide Deutungen letztlich identisch: „Möge mir der siegreiche Sonnengott-Göttervater Tyr zum Sieg verhelfen!“
Die Formel „alu“ ist oft zusammen mit dem „Swastika“ genannten Sonnensymbol abgebildet worden, was die Deutung der S-Rune als Sonne bestätigt.
V 1. e) „lathu“
Dieses Substantiv bedeutet „Einladung, Anrufung“. Die Formel „lathu“ bezeichnet somit einen Gegenstand, der durch die Anrufung einer Gottheit geweiht worden ist.
V 1. f) „laukar“
Die Rune mit diesem Namen symbolisiert das Wasser und den Lauch. An den Stellen, an denen sie auftaucht, soll sie anscheinend Schutz und Gelingen bringen.
Der Ursprung dieser Assoziation zu „laukaz“ ist die Gleichsetzung des Lauches mit dem Penis. In der altnordischen, der angelsächsischen und auch noch der mittelalterlichen Medizin finden sich viele Hinweise auf diese Bedeutung, die jedoch vor allem in christlichen Kontexten zunehmend unspezifischer als „vitalisierend“ beschrieben wurde.
Konrad von Megenberg schrieb um ca. 1320 in seinem „Buch der Natur“ über den Lauch: „Er fördert den Urin und die Intimität mit den Frauen und er bringt Mangel an Keuschheit und vor allem Samen.“
Auch Sigurd wurde im zweiten Gudrun-Lied als „grüner Lauch der Wiese“ umschrieben – was sich am besten als „potenter, starker Jüngling“ in die heutige Sprache übertragen läßt.
In dem angelsächsischen „Herbarium“, das um ca. 150 n.Chr. von Apuleius von Madaurus verfaßt worden sein soll, wird ein Kraut mit dem lateinischen Namen „satyrion“ („Satyr-Kraut“), das in der angelsächsischen Sprache „Raben-Lauch“ genannt wird, wie folgt beschrieben: „Dies ist das Kraut, das einige 'temolum' und andere 'sengreen' (Haus-Lauch) nennen … … … und seine Wurzel ist voll von Sünde und Übel, ähnlich wie die Wurzel des Lauches.“ Die Satyre in der griechischen Mythologie waren für ihre Lüsternheit bekannt.
V 1. g) „ota“
Das Verb „ota“ bedeutet „vorwärts schieben, drohen“ und wurde für Schutz durch Schrecken und Abwehr verwendet.
V 2. Weihung
Während ein Segen meistens über einen Menschen oder ein Tier ausgesprochen wird, bezieht sich eine Weihung meistens auf einen Gegenstand. Diese Unterscheidung ist jedoch nicht besonders präzise, da man z.B. auch von der „Priesterweihe“ spricht.
V 2. a) Runenstein von El...