Teil I
Die Forscher
Biographie und Lebenswerk:
Trendelenburg, Lotze, Stumpf, Lewin
1. Friedrich Adolf Trendelenburg: Vom Substanzdualismus zum Bewegungsdualismus
1.1 Zur Person
Friedrich Adolf Trendelenburg wurde am 30.11.1802 in Eutin geboren und starb am 24.1.1872 in Berlin.17 Er studierte Philologie und Philosophie in Kiel, Leipzig und Berlin und promovierte 1826 an der Universität in Berlin mit einer Abhandlung über die Ideenlehre Platons.18
Er stammt aus einer traditionsreichen Wissenschaftlerfamilie. Bekannte Wissenschaftler seiner Familie sind: Adolf Friedrich Trendelenburg (1737–1803), Juraprofessor in Kiel; Adolf Trendelenburg (1844–1941), Archäologe und Philologe; Friedrich Trendelenburg (1844–1924), Arzt, der bis heute bekannt ist durch das Trendelenburg-Zeichen und den dazugehörigen Trendelenburg-Test. Der Arzt Friedrich Trendelenburg ist der Sohn des hier behandelten Philosophen Friedrich Adolf Trendelenburg. Zu nennen ist noch Ferdinand Trendelenburg (1896-1973), Physiker und Vorsitzender der Deutschen Physikalischen Gesellschaft.
Zu den akademischen Lehrern von Friedrich Adolf Trendelenburg gehörten Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831), Friedrich Schleiermacher (1768-1834) und Karl Leonhard Reinhold (17571823).
Reinhold war einer der ersten Interpreten der Philosophie von Immanuel Kant (1724-1804). Er machte Kant in allgemeinverständlichen Erklärungen einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Trendelenburg war einer der letzten Schüler von ihm.
Friedrich Adolf Trendelenburg wurde 1826 für sieben Jahre Hauslehrer bei Karl Ferdinand Friedrich von Nagler. Von Nagler (1770-1846) war in Preußen Generalpostmeister und Mitglied des Staatsrates und er war Schwager von Karl vom Stein zum Altenstein. Vom Stein zum Altenstein (1770-1840) war von 1817-1840 preußischer Kultusminister, mit dem offiziellen Titel „Minister für Cultus, Unterricht und Medicinalwesen“. Als Nachfolger von Wilhelm von Humboldt hatte vom Stein zum Altenstein die Verantwortung für die damaligen großen Bildungsreformen in Preußen.
Friedrich Adolf Trendelenburg wurde von vom Stein zum Altenstein gefördert.
1833 erhielt Trendelenburg eine außerordentliche Professur an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin, der Eliteuniversität in Preußen. Da eine außerordentliche Professur damals nicht angemessen bezahlt wurde, wurde er im Kultusministerium vorübergehend beschäftigt.19
Die außerordentliche Professur wurde 1837 in eine ordentliche Professur für „Praktische Philosophie und Pädagogik“ umgewandelt. Im Alter von 33 Jahren wurde er im Jahre 1835 in die wissenschaftliche Prüfungskommission für Gymnasiallehrer in Deutsch und Philosophie berufen, bei der er von 1847-1860 den Vorsitz hatte. Sein Lehrbuch „Erläuterungen zu den Elementen der Aristotelischen Logik“20, war ab 1836 mehrere Jahrzehnte lang im Philosophieunterricht der Gymnasien in Gebrauch.
Im Jahr 1847 wurde Trendelenburg Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften. Ein Jahr später übernahm er das Amt des Sekretärs der historisch-philosophischen Klasse der Akademie, das er fast bis zu seinem Lebensende inne hatte. Trendelenburg wurde viermal zum Dekan der philosophischen Fakultät gewählt und dreimal zum Rektor der Universität Berlin. Zusätzlich zu seiner wissenschaftlichen Laufbahn war Trendelenburg 1849 bis 1851 Mitglied der preußischen Abgeordnetenkammer.
Seit den 1840er Jahren war Trendelenburg der einflussreichste Bildungspolitiker und Wissenschaftsmanager in Preußen und im Deutschen Reich.
Wilhelm Dilthey (1833-1911) schrieb über den Einfluss Trendelenburgs.
Dilthey
„Und hier ist mir nun mein Lehrer und Freund Trendelenburg vor allem gegenwärtig, der auf mich den größten Einfluß gewann. Von seiner Machtstellung damals macht man sich heute keine Vorstellung mehr .“21
Trendelenburg hat eine Vielzahl Wissenschaftler unterrichtet, die zu den bestimmenden Größen der deutschsprachigen Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zählten. Dazu gehören:
Franz Brentano, Jürgen Bona-Meyer, Georg Cantor, Hermann Cohen, Wilhelm Dilthey, Rudolf Eucken, Karl Eugen Dühring, Julius Kaftan, Andreas Ludwig Kym, Ernst Laas, Andreas Ludwig, Anton Marty, Friedrich Paulsen, Carl von Prantl, Alois Riehl, Friedrich Ueberweg, Hans Vaihinger, Georg von Hertling und Otto Willmann.22
Trendelenburgs Hauptwerk, „Logische Untersuchungen“, hat drei nicht vollständig textidentische erweiterte Auflagen erfahren (1840, 1862, 1870).
Sein gesamtes Werk widmet sich dem geistesgeschichtlichen Fundament der Wissenschaften. Er beschäftigte sich mit neuzeitlichen und antiken Klassikern wie Leibniz, Spinoza, Aristoteles oder Platon und auch mit der systematischen Aufarbeitung der damals aktuellen Theoretiker, wie Johann Friedrich Herbart, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Immanuel Kant.
Trendelenburg wurde als scharfer Kritiker Hegels bekannt. 1843 veröffentlichte er die „Logische Frage in Hegels System“. Eine Geschichte der Kategorienlehre von Aristoteles bis Kant erschien von 1846-1867.
Zwei heute noch bekannte Forscher stellten sich in die Nachfolge Trendelenburgs. Sie verwendeten den Titel von Trendelenburgs Hauptwerk, „Logische Untersuchungen“, als Titel oder Untertitel ihrer wichtigsten Arbeiten. Das sind Edmund Husserl (1859-1938) mit seinem Buch „Logische Untersuchungen“ und Gottlob Frege (18481925) mit „Der Gedanke. Eine logische Untersuchung“.23
1.2 Zur wissenschaftlichen Leistung
Der Wissenschaftler Friedrich Adolf Trendelenburg war der Überzeugung, dass der Substanzdualismus in einen Bewegungsdualismus umgewandelt werden muss. Auf die physikalische Theorie der Bewegung, wie sie die klassische Mechanik darstellt, folgt ein Bewegungsübergang in eine andersgeartete „Denkbewegung“, die bei Trendelenburg „construktive Bewegung“ genannt wird.
Trendelenburg
„So ist die Bewegung als eine dem Geiste und der Natur identische Thätigkeit der Schlüssel zu den grössten und ausgedehntesten Erzeugnissen der menschlichen Erkenntnis. Dieselbe ursprüngliche Thätigkeit, die constructive Bewegung, ist der wirkende Grund, wenn sich der Geist die äussere Welt durch die Sinne aneignet. Indem er von aussen empfängt, ist er durch die entwerfende Bewegung von innen thätig. Dieser geistige Anteil in der sinnlichen Wahrnehmung erscheint bei näherer Untersuchung mitten in der Empirie und ist namentlich in den höheren Sinnen wohl zu erkennen. So ist die Bewegung die apriorische Bedingung der sinnlichen Erkenntnis.“ 24
Trendelenburg vollzog mit dem Übergang zum dynamischen Ansatz des Denkens, eine schon bei Kant angelegte Neuerung.25 Seine „construktive Bewegung“ entspricht der modernen Prozessauffassung des Denkens.
In seinen "Logischen Untersuchungen" und in anderen Sch...