1. Variante
Wie so oft in der deutschen Geschichte war Krieg der Wegbereiter für grundlegende Veränderungen. Daher bekamen drei Waffengänge die Bezeichnung Einigungskriege. Im sogenannten Deutschen Krieg von 1866, dem zweiten dieser Einigungskriege, siegte das Königreich Preußen mit seinen Verbündeten gegen den Deutschen Bund mit seiner Führungsmacht Österreich. Im Vorfrieden mit Österreich sicherte Preußen sich das Zugeständnis, die Verhältnisse im Norden Deutschlands bis zur Mainlinie politisch neu zu ordnen. In diesem Zusammenhang taucht erstmals die Bezeichnung „Norddeutscher Bund“ in der Geschichte auf.
Am 18. August 1866 schloss Preußen mit 15 nord- und mitteldeutschen Staaten das sogenannte Augustbündnis. Neben seinem primären Zweck als Verteidigungsbündnis, war dies bereits ein Vorvertrag zur späteren Gründung eines Bundesstaates.
Am 1. Oktober 1866 annektierte Preußen vier seiner Kriegsgegner nördlich des Mains: Hannover, Kurhessen, Nassau und Frankfurt. Die übrigen Staaten durften ihre Gebiete fast ohne Änderungen behalten. Drei weitere Kriegsgegner nördlich des Mains, das Königreich Sachsen, Sachsen-Meiningen und Reuß älterer Linie, wurden in den Friedensschlüssen dazu verpflichtet, dem Norddeutschen Bund beizutreten. Das Großherzogtum Hessen musste sich mit seiner Provinz Oberhessen dem Bund anschließen.
Nach diesen umfassenden Vorbereitungen wurden im Dezember 1866 durch den Bundeskanzler Bismarck mit den Staaten des Norddeutschen Bundes Verhandlungen über die Annahme einer Verfassung des Bundes aufgenommen. Hier stellte sich nun auch die Frage nach äußeren Symbolen des Bundes und damit auch die der Flagge.
Otto von Bismarck, von 1867 bis 1871 Bundeskanzler des Norddeutschen Bundes
Bereits am 22. September 1866 hatte Adolf Soetbeer im Bremer Handelsblatt unter der Überschrift „Deutsche und auswärtige Rhederei und die deutschen Flaggen“ einen Artikel veröffentlicht, in dem er die Notwendigkeit einheitlicher äußerer Symbole für die deutschen Staaten zum Ausdruck brachte. Hier ein Auszug aus seinem Artikel:
Wie aber steht es mit einer gemeinschaftlichen deutschen Handelsflagge? Das vom Reichsverweser Erzherzog Johann am 12. November 1848 erlassene Reichsgesetz vom 12. November 1848 gab hierfür folgende Anordnung: Art. 3. „Die deutsche Handelsflagge soll aus drei gleich breiten, horizontalen, schwarz, roth, gelben Streifen bestehen, wie die Kriegsflagge, jedoch mit einem Unterschiede, daß sie nicht das Reichswappen trägt.“ – Art. 4. „Diese Flagge wird von allen deutschen Handelsschiffen als Nationalflagge ohne Unterschied geführt. Besondere Farben und sonstige Abzeichen der Einzelstaaten dürfen in dieselbe nicht aufgenommen werden. Dabei soll es jedoch den Handelsschiffen frei stehen, neben der allgemeinen deutschen Reichsflagge, noch die besondere Landes- oder eine örtliche Flagge zu zeigen.“ Die oben angeführte Stelle der Grundzüge der Bundesverfassung spricht von „der deutschen Schifffahrt und ihren Flaggen“ und scheint hierdurch anzudeuten, daß bei Entwerfung derselben eine gemeinsame deutsche Handelsflagge, wie solche im Reichsgesetze von 1848 vorgeschrieben war, noch nicht in bestimmte Aussicht genommen ist. Damals (am 14. Juni 1866) war aber noch nicht an das Aufgehen Hannovers in Preußen gedacht, das sich jetzt vollzogen hat. Uns erscheint es aber als eine der Aufgaben des norddeutschen Parlaments, auf die Gemeinsamkeit der Flagge auch sämtliche norddeutsche Handelsschiffe Bedacht zu nehmen und hierdurch dem Auslande die Existenz eines deutschen Bundesstaates evident zu machen. Die Vorschrift der Verordnung von 1848, daß die gemeinsame Flagge durchaus keine Abzeichen der Einzelstaaten mit aufzunehmen, möchte übrigens vielleicht zu modifizieren sein. Wenn außer der schwarzweißen Flagge auf den preußischen und den bisherigen hannoverschen und schleswig-holsteinischen Schiffen noch die besonderen Flaggen für Mecklenburg, Oldenburg und jede der drei Hansestädte ohne eine obere gemeinsame Flagge fortbestehen werden, so wird trotz der gemeinschaftlichen Kriegsschiffe dem fernen Auslande der Begriff der Zerrissenheit Deutschlands nach wie vor bleiben. Bekanntlich ändert der Schiffer nicht gern die Flagge, unter welcher er bereits längere Zeit glücklich gefahren hat, und den nichtpreußischen Seeleuten gefallen die lebhafteren Farben besser als schwarz-weiß; auch mag vielen Rhedern die Annahme einer neuen gemeinsamen Flagge statt der gewohnten und ehrenwerthen particularen Flagge widerstreben – allein Opfer dieser Art müssen von allen Seiten gebracht werden und die Beibehaltung einer particularen Flagge in geeigneter Verbindung mit der Hauptflagge kann immerhin zugestanden werden.
…
Wir haben die Meinung äußern hören, ob nicht vielleicht die künftige gemeinsame deutsche Flagge in der Weise zu bilden sei, daß mit dem preußischen Schwarzweiß das alte Rothweiß zu einer Tricolore vereinigt werde, um allen Theilen gerecht zu werden – also Schwarz-rothweiß oder Schwarz-weiß-roth. Die Neuheit einer solchen Flagge möchte an sich als ein wesentliches Hinderniß nicht zu erachten sein, denn sie würde gerade recht auffällig im nahen und fernen Auslande darthun, daß für die staatlichen und nationalen Zustände Deutschlands eine neue Epoche eingetreten ist, und wenn eine und dieselbe Flagge unter Beseitigung von neun oder mehr bisherigen deutschen Einzelflaggen auf mehr als 7000 Seeschiffen in allen Meeren weht, so wird sie bald überall genugsam bekannt sein. Eine combinirte neue Flagge dieser Art oder die gleichmäßige Annahme der schwarzweißen Farben als künftige norddeutsche Flagge, zwischen diesen wird die Wahl zu treffen sein. Wie man auch hierin entscheiden möge, die Hauptsache ist die baldige Einführung einer gemeinschaftlichen Handelsflagge für ganz Norddeutschland von Emden bis Sylt und von Hadersleben bis Memel.“
Bismarck wird den Artikel des Bremer Handelsblattes wahrscheinlich nicht selbst gelesen haben. Man geht davon aus, dass Bismarcks Berater Lothar Bucher die Anregung aus dem Artikel aufgegriffen hat und bei einer Besprechung der Flaggenfrage schwarz-weiß-rot ins Spiel gebracht hat. Bismarck schloss sich dieser Idee an. So versah Bismarck höchsteigenhändig den entsprechenden Artikel des Verfassungsentwurfes des Norddeutschen Bundes mit der Randnotiz „Die Kauffahrteischiffe sämtlicher Bundesstaaten führen dieselbe Flagge: Schwarz-Weiß-Rot.“
In einem Brief an den Sohn von Adolf Soetbeer vom 09. Februar 1893 begründet Bismarck die Farbwahl dann jedoch mit den brandenburgischen Farben.
Er schreibt: „…ich weiß nicht mehr, ob die Entscheidung über die Farben der Norddeutschen Flagge vor oder nach dem 22. September 1866 beim Könige erfolgt ist; wahrscheinlich geschah dies schon im August. Für mich ist ein Anlaß zu dem betreffenden Antrage beim Könige die Erinnerung an meine Heimatprovinz Brandenburg gewesen. Die brandenburgischen Farben sind weiß-rot und waren unsere amtlichen bis zur Annahme des Namens Preußen im Anfange des vorigen Jahrhunderts. Außerdem spielte die Tatsache mit, daß die seefahrenden Glieder Norddeutschlands, die Hansestädte und Holstein, auch viele deutsche Städte, die weißrote Flagge führten. Der Name Ihres Herrn Vaters hat bei mir in seiner hanseatischen Stellung jederzeit in hoher Achtung gestanden, und ich werde seine Befürwortung der neuen Farben jederzeit gewiß dankbar empfunden haben. Die erste Anregung aber zu dieser Wahl lag in kurbrandenburgischen Erinnerungen.“
Titelblatt des Bremer Handelsblattes vom 22. September 1866
Welche Intention jede der handelnden Personen letztendlich tatsächlich zur Annahme der Farben schwarz-weiß-rot bewegte, mag abschließend nie wirklich geklärt werden. Wichtig ist jedoch, dass sich jede der beteiligten Parteien in dieser Farbfolge wiederfinden konnte. Die beste Basis für eine gemeinsame Flaggenfindung.
Als mit Schaffung des Norddeutschen Bundes die preußische Kriegsmarine zur norddeutschen Bundeskriegsmarine wurde, sah sich Kaiser Wilhelm I. veranlasst, unter weitgehender Beibehaltung der Farben und Symbole der alten preußischen Kriegsflagge die schwarzweiß-roten Farben in eine neu zu schaffende Kriegsflagge zu überführen. Er beauftragte den Kommandierenden Admiral Prinz Adalbert von Preußen ihm einen Entwurf über die neue Flagge vorzulegen.
Der 1811 geborene Prinz Adalbert von Preußen war ein Enkel König Friedrich Wilhelms III. Bereits bei der ersten Reichsflotte 1848 saß Prinz Adalbert von Preußen in Frankfurt von 1848 bis Februar 1849 der Technischen Marinekommission bei der Marineabteilung vor.
Direkt nach dieser Tätigkeit konzentrierte er sich auf den Aufbau der preußischen Kriegsmarine. Am 30. März 1854 wurde Prinz Adalbert zum Admiral der preußischen Küsten und Oberbefehlshaber der Marine ernannt. Später, 1867 wurde er Oberbefehlshaber der Norddeutschen Bundesmarine. Er galt als absoluter Fachmann für Marineangelegenheiten.
Prinz Adalbert von Preußen
Am 1. Weihnachtstag 1866 referierte Prinz Adalbert vor dem König und dem Kronprinzen (dem späteren Kaiser Friedrich III.) über die Flaggenfarben. Aus diesem Gespräch heraus, machte er sich folgende Notizen für den später folgenden Thronbericht:
„A. Gründe für meine Flaggenvorschläge in dem Bericht an S.M. den König
- Die Zusammengehörigkeit mit der Norddeutschen Kauffahrtei-Marine muß deutlich markiert sein.
- Für die Flotte ist es wünschenswerth, das weiße Flaggentuch beizubehalten und die 3 Farben –die zugleich die vereinigten Farben von Brandenburg und Preußen sind- in den Jack (Anm. linke Oberecke der Flagge) zu setzen.
- Alle Kreuze in Flaggen haben stets gerade Arme, nie ausgeschweifte, wie: England, Schweden, Norwegen, Dänemark.
- Die Flotte legt den Hauptwerth auf das Eiserne Kreuz“
Über die Feiertage machte sich Prinz Adalbert Gedanken über die möglichen Gestaltungsformen der Handelsflagge und der Kriegsflagge des Norddeutschen Bundes. Nachdem er bereits für die Reichsflotte 1848 eine Vielzahl von Flaggenentwürfen angefertigt hatte, musste er nur die Farbfolge von schwarz-rot-gelb auf schwarz-weiß-rot ändern. Auf diese Weise gelang es ihm, innerhalb von kürzester Zeit einen Umfassenden Thronbericht anzufertigen. Dieser Bericht lautete wie folgt:
„An des Königs Majestät.
Berlin, den 9. Januar 1867
Eurer Kl. Majestät überreiche ich auf Allerhöchstderselben mündlichen Befehl in der Anlage allerunterthänigst:
1. Einen Entwurf zur Flagge der Kauffahrteischiffe des norddeutschen Bundes. Dieselbe wird von mir allerunterthänigst horizontal gestreift vorgeschlagen, weil eine vertical gestreifte Flagge in derselben Farbenfolge Schwarz-weiß-roth, welche Eure Königliche Majestät bereits bestimmt haben, sicher zu Verwechslungen mit der französischen führen würden. Auch horizontal gestreift erscheint mir der vorliegende Entwurf als der einzig ausführbare, da roth oben zu Verwechslungen mit der niederländischen Flagge führen würde.
Als Lotsenflagge (Signal um einen Losten an Bord zu rufen) würde, weil es so gebräuchlich, dieselbe Flagge mit einem weiß...