1 Einleitung
1.1 Problemstellung
Knapp sechs Millionen Bundesbürger besaßen Ende 2014 zusammengenommen Aktienfondsanteile im Wert von 288 Mrd. Euro und geschätzte weitere 225 Mrd. Euro in Fondstypen, die partiell ebenfalls in Aktien investierende OGAW-Fonds10 darstellen, jedoch in der Statistik des BVI (Deutscher Fondsverband) nicht als "Aktienfonds" klassifiziert sind.11 Zusammen ergibt diese Summe rund 85.500 Euro pro Fondsanteilbesitzer.12
Ein großer Teil dieser Aktienanlagen in Fonds betreffen ausländische Unternehmen. Die hierbei erzielten Dividendenzahlungen unterliegen im Sitzstaat des Unternehmens (Quellenstaat) in 38 der 46 größten nationalen Aktienmärkte der Welt einer Besteuerung an der Quelle, wenn die Dividenden an ausländische Empfänger (einschl. ausländische regulierte OGAW-Fonds) gehen.13 Unter den 13 größten Aktienmärkten der Welt14 ist Großbritannien das einzige Land, das keine Quellensteuern auf an ausländische Empfänger gezahlte Dividenden erhebt. Diese Steuersätze können bis zu 35% betragen. Im mit Abstand größten Aktienmarkt der Welt, den USA, beträgt der Quellensteuersatz 30%.
Deutschland unterhält mit 40 dieser 45 Aktienmarktstaaten (46 exkl. Deutschland) ein Doppelbesteuerungsabkommen (DBA), das typischerweise einen ggüb. dem o.g. "Non-DBA-Quellensteuersatz" ermäßigten DBA-Quellensteuersatz auf Dividenden im Quellenstaat vorsieht.15
Dividendeneinkünfte von Privatanlegern unterliegen jedoch auch im Ansässigkeitsstaat des Anlegers (hier Deutschland) üblicherweise in gesamter Höhe der Einkommensteuer, vorliegend meist der Abgeltungssteuer in Höhe von 25% zuzüglich Solidaritätszuschlag von 5,5% und ggf. Kirchensteuer.16 Die einbehaltene Quellensteuer und die zu zahlende Einkommensteuer im Ansässigkeitsstaat werden grundsätzlich unabhängig voneinander und additiv erhoben. Das Standardverfahren, die rechtlich und wirtschaftlich unerwünschte Doppelbesteuerung von Portfoliodividenden17 zu reduzieren oder zu vermeiden18, ist die Anrechnung der Quellensteuer auf die Einkommensteuerschuld des Anlegers. Diese Anrechnung ist bei Privatpersonen in Deutschland bis maximal 25,0% zulässig, sowohl für den höheren Non-DBA-Quellensteuersatz (dort, wo kein DBA zwischen den betroffenen Staaten und Deutschland besteht) als auch für den zumeist niedrigeren DBA-Quellensteuersatz (dort, wo ein DBA besteht). Findet keine Anrechnung statt und werden keine Anträge auf möglicherweise "zu viel" bezahlte Quellensteuern gestellt, kann es bei einem deutschen Privatanleger im ungünstigsten Fall zu einem kumulativen Besteuerungssatz aus ausländischer Quellensteuer und deutscher Kapitalertragsteuer + Solidaritätszuschlag auf Dividendeneinkünfte von über 60% kommen.
Weil – wie in dieser Arbeit gezeigt werden wird – nachträgliche Quellensteuerrückerstattungsanträge auf Anlegerebene beim Quellenstaat im Falle von OGAW-Fondsanlegern, und besonders bei Anlegern in konstruktionsbedingt stark diversifizierten Indexfonds, unrealistisch sind, stellt sich die Frage nach alternativen Lösungen.
Die aus OGAW-Fondsanlegersicht attraktivste, also steuerlich i.d.R. günstigste und administrativ einfachste, Lösung besteht in einer eigenständigen DBA-Abkommensberechtigung des Investmentfonds, oder – in OECD-Terminologie – des "Collective Investment Vehicles" (CIVs). 19 Das CIV profitiert dann von einem reduzierten DBA-Quellensteuersatz auf der Basis des DBAs zwischen dem CIV-Domizilstaat (Sitzstaat des Fonds) und dem Quellenstaat. Dieser niedrigere Satz wird mit spezifischen, aber steuerrechtlich und technisch unkritischen Regelungen an den Anleger "weitergereicht". Dieser anlegerfreundliche "Best Case" wird leider in vielen und vermutlich den meisten Fällen nicht erzielt.
In der Tat wird mit der Frage der Abkommensberechtigung von CIVs seit über 50 Jahren zwischen den Staaten gerungen, nach wie vor ohne ein wirklich zufriedenstellendes Ergebnis aus Anlegersicht erreicht zu haben. Immerhin jedoch haben sich hier seit etwa 2006 aufgrund mehrerer CIV-bezogener Initiativen der OECD merkliche Fortschritte ergeben, die für OGAW-Privatanleger nennenswerte Verbesserungen bringen können. Nicht auszuschließen ist sogar, dass hier – aufgrund einer auf Informationstechnologie und bilateralen oder multilateralen Informationsaustauschabkommen basierenden OECD-Initiative – in den nächsten Jahren ein "Quantensprung" erzielt werden könnte.
Ebenfalls ab etwa 2006 erfolgten mehrere richtungsweisende Urteile des EuGH, die einzelstaatliche Diskriminierung bei der Besteuerung von Dividenden an ausländische Empfänger und darunter spezifisch auch Investmentfonds, insbes. innerhalb der EU aber auch z.T. darüber hinaus, einschränkten.
Dennoch kann von einer klaren oder befriedigenden Rechtslage und Besteuerungspraxis bei Dividenden, die von CIVs vereinnahmt werden, nach wie vor nicht die Rede sein, und es ist unstrittig, dass es in vielen (in der vorliegenden Arbeit dargestellten) Konstellationen zu teilweiser oder u.U. sogar maximaler Doppelbesteuerung kommt.
Diese quellensteuerliche Problematik ist für einen Fondsanleger, der für den Aktienteil seines Gesamtportfolios einen "passiven" Ansatz wählt, besonders bedeutend und rechtlich tendenziell noch komplexer als für einen Anleger, der in aktiv gemanagte Aktienfonds investiert.20 Dies hat drei Gründe: (a) Passive Fonds sind für eine gegebene Investmentzielregion (das kann ein einzelner oder mehrere nationale Aktienmärkte sein) wohl stets stärker diversifiziert als aktive Fonds, d.h., die Zahl der einzelnen Aktienpositionen pro investierter Geldeinheit wird bei einem passiven Fonds wesentlich größer sein als bei einem aktiven Fonds. (b) Zu einem passiven Investmentansatz gehört – auf Anlegerebene oder Fondsebene – i.d.R. auch ausgeprägte internationale Diversifikation, so dass in einer größeren Anzahl von Quellenstaaten Investments getätigt werden als dies bei einem aktiven Ansatz der Fall ist. 21 (c) Während bei aktiv gemanagten "konventionellen" OGAW-Fonds "deutsche" Fonds (Fonds mit Domizil Deutschland) einen Marktanteil von ca. 11% (bei ca. 10.600 Fonds/Teilfonds) besitzen, beläuft sich dieser bei Indexfonds (in Europa in erster Linie rechtlich organisiert als Exchange Traded Funds / ETFs22) auf noch weniger, nämlich 4% (bei ca. 800 in Deutschland aktiv vertriebenen ETFs), da diese überwiegend in Luxemburg und Irland domiziliert sind. 23 Für viele Asset-Klassen wird unter diesen rund 800 ETFs lediglich ein in Luxemburg oder Irland domizilierter Fonds verfügbar sein. Rein rechtlich gesehen wird durch die Einbeziehung einer zusätzlichen Steuerjurisdiktion (Fondsdomizilstaat statt lediglich Anlegerstaat und Quellenstaat) der quellensteuerliche Sachverhalt komplexer. Andererseits können sich aus der Nutzung eines Auslandsfonds – im Vergleich zu einem deutschen Fonds – unter gewissen Voraussetzungen sogar quellensteuerliche Vorteile für den Anleger erzielen lassen.
Wie dieser steuerrechtlich komplexe und in den vergangenen Jahren vielfachen Änderungen unterliegende Sachverhalt in der vorliegenden Arbeit adressiert wird, geht aus den folgenden drei Abschnitten hervor.
1.2 Zielsetzung der Arbeit
Dieser Arbeit liegt der Fall einer in Deutschland steuerlich ansässigen und nach § 1 EStG der unbeschränkten Steuerpflicht unterliegenden, natürlichen Person zugrunde ("Privatanleger"). Dieser Privatanleger besitzt bereits ein oder plant kurzfristig den Aufbau eines Aktienportfolios, das er in seinem Privatvermögen hält. Daraus erzielt er regelmäßig Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 Abs. 1 und 2 EStG. Das Portfolio besteht ausschließlich aus OGAW-Fonds in der Form von Indexfonds (z.B. ETFs) mit – im Vergleich zu aktiv gemanagten CIV-Portfolien 24 – niedrigen Kaufkosten und laufenden Nebenkosten. Die regionale Asset-Allokation innerhalb dieses Portfolios ist für die Zwecke dieser Untersuchung zwar nicht en détail festgeschrieben, soll aber annahmegemäß umfassend global diversifiziert sein und konzeptionell alle 46 nationalen Aktienmärkte (Industrie- und Schwellenländer) abdecken, die zum MSCI All Country World Index (MSCI ACWI) oder einem vergleichbaren globalen Aktienindex gehören.25 Laufendes Trading oder Switching der Fonds-Anteile ist aus investmenttheoretischen Gründen nicht vorgesehen (Buy-and-Hold-Ansatz). Es handelt sich mithin um ein passiv gemanagtes Portfolio bzw. einen passiven Portfolio Management-Ansatz.
Die allgemeinen und speziellen quellensteuerlichen Gesichtspunkte bezogen auf die Dividendeneinkünfte des Privatanlegers aus diesem Portfolio sollen primär in rechtlicher und sekundär in ökonomischer Hinsicht beschrieben und sodann analysiert werden. Aus Gründen, die in der Arbeit näher erläutert werden, erfahren dabei die Fondsdomizilstaaten Deutschland, Luxemburg und Irland sowie deren DBAs besondere Berücksichtigung. Hauptziel der Arbeit ist es, die rechtlichen und ökonomischen Einflussfaktoren zu identifizieren und, soweit möglich, zu quantifizieren, die eine Bestimmung der gesamten Quellensteuerlast des Privatanlegers auf Portfolioebene erlaubt. Einige dieser Einflussfaktoren lassen sich vom Anleger beeinflussen, andere nicht. Wo es sich um beeinflussbare Faktoren handelt, sollen schließlich auch für Privatanleger praktikable Gestaltungsmöglichkeiten zur Minimierung der laufenden Steuerbelastung aufgezeigt werden.
1.3 Vorgehensweise
Nach der Einleitung (Kapitel 1) werden in Kapitel 2 zunächst die aufsichtsrechtlichen und steuerrechtlichen Rahmenbedingungen für Investments eines in Deutschland steuerlich ansässigen Privatanlegers in OGAW-Fonds mit Domizil im Inland oder Ausland beschrieben. Diese Rahmenbedingungen änderten sich geringfügig für OGAW-Fonds26 im Juli 2013 mit der Transformierung des regulatorischen Rahmens in Gestalt des InvG a.F. in das neue KAGB (Kapitalanlagengesetzbuch). Das zum InvG a.F. bzw. KAGB komplementäre InvStG erfuhr im Dezember 2013 ebenfalls eine Neufassung, die jedoch bezogen auf OGAW-Fonds wiederum nur marginale Änderungen mit sich brachte (die hier unbeachtlichen steuerlichen Änderungen für eine Reihe anderer CIVs, insbes. geschlossene Fonds, waren hingegen einschneidend).
Kapitel 3 beschreibt und quantifiziert die quellensteuerlich relevanten Rahmenbedingungen internationaler Aktieninvestments aus der Perspektive eines deutschen Privatanlegers, der ein passives, global diversifiziertes Aktienportfolio besitzt, das wirtschaftlich über einen oder mehrere OGAW-Indexfonds gehalten wird. Zunächst wird die investmenttheoretische Herleitung eines solchen Portfolioansatzes zusammengefasst. Es folgt eine Darstellung der (hohen) technisch-administrativen Hürden, mit denen sich ein Privatanleger konfrontiert sieht, der seine eigene Abkommensberechtigung (qua seiner Eigenschaft als Nutzungsberechtigter) vis-à-vis einem Quellenstaat bzgl. der ausländischen Investments, die "sein" OGAW-Fonds tätigt, nutzen will. Da diese rechtlich relativ unproblematische Hürde sich technisch-administrativ als für die Zwecke grundsätzlich möglicher Steuererstattungen de facto kaum überwindbar herausstellt, ergibt sich als verbleibende Alternative das Anstreben einer Abkommensberechtigung und die Nutzung von Erstattungsmöglichkeiten auf der Ebene des Fonds-Vehikels.
Es folgt eine Beschreibung der wirtschaftlichen Bedeutung von OGAW-Investments einschl. der Unterkategorie Indexfonds in Deutschland. Danach wird eine ökonomische Analyse und Abschätzung der tatsächlich beobachtbaren "Quellensteuerkosten" in einem global diversifizierten passiven Aktienportfolio ohne Vorteile aus Abkommensberechtigungen auf Fonds- oder Anlegerebene vorgenommen. Diese Analyse ist Voraussetzung, um die Opportunitätskosten einer fehlenden Abkommensberechtigung des hypothetischen Anlegers und seiner Fonds im folgenden Kapitel näherungsweise quantifizieren zu können. ...