1 Forschungsinteresse
Das Medium Buch ist in den vergangenen Jahren durch neue Angebotsformate und Herstellungsvarianten um einige Facetten reicher geworden. Einige dieser Neuerungen fanden große Beachtung. So wird das Medium E-Book sowohl bei Lesern als auch bei den professionellen Buchmarkt-Akteuren stark diskutiert. Verwunderlich ist dies nicht, denn das E-Book polarisiert. Nirgendwo wurden die Veränderungen des Buchmarktes so deutlich sichtbar wie bei dem Wechsel vom gedruckten zum elektronischen Buch.
Es sind jedoch auch weitere Neuerungen zu beobachten. Diese sind zwar meist nicht ganz so offensichtlich, aber deshalb nicht weniger interessant. Eine dieser aktuellen Entwicklungen nennt sich book on demand – die Bezeichnung für eine bedarfsorientierte Buchherstellung. Bei dieser Herstellungsform werden die Bücher erst auf Bestellung produziert. Die Produktion größerer Auflagen ist nicht mehr erforderlich.
Book on demand wirkt im Verborgenen. Es ist ein neuer Herstellungsprozess, an dessen Ende ein gedrucktes Buch steht. Dieses unterscheidet sich kaum oder gar nicht von einer Publikation die auf herkömmliche Weise produziert wurde. Für die Nutzer ist somit keine Veränderung sichtbar. Dennoch scheinen die möglichen Auswirkungen dieses Produktionsprinzips auf den Buchmarkt durchaus spektakulär zu sein. Nur sind sie nicht so vordergründig wahrnehmbar wie dies beim elektronischen Buch der Fall ist.
Versuchen wir einige der möglichen Auswirkungen des book-on-demand-Prinzips in Bezug auf die jeweiligen Akteure zu subsumieren:
Die Autoren
Autoren können mit Hilfe des book-on-demand-Verfahrens einfacher als bisher Bücher veröffentlichen. Der finanzielle Aufwand für die Herstellung einer Publikation im on-demand-Verfahren ist gering. Eine Beteiligung konventioneller Verlage am Veröffentlichungsprozess ist nicht mehr notwendig. Man könnte dies auch als »Demokratisierung« des Veröffentlichungsprinzips bezeichnen.
Die Verlage
Sie profitieren ebenfalls von den neuen Herstellungsverfahren. Auch sehr kleine Auflagen lassen sich nun produzieren. Bislang vergriffene Bücher können nun on demand neu aufgelegt werden. Auch publizistische Experimente mit ungewissem Ausgang sind nun mit geringem finanziellen Einsatz möglich.
Wenn sich jedoch die Autoren in zunehmenden Maße dieses Veröffentlichungsprinzips bedienen, könnten die Verlage an Bedeutung verlieren.
Die Herstellungsbetriebe
Druckereien müssen sich auf veränderte Aufgabenfelder und Herstellungskonzepte einstellen. Die Nachfrage nach kleinen, bedarfsorientierten Auflagen steigt. Vermutlich können jedoch nicht alle Betriebe von diesen veränderten Marktbedingungen profitieren.
Der Handel
E-Books und print-on-demand-Publikationen sind Medien, die prädestiniert für den Vertrieb über den Online-Handel sind. Eine steigende Nachfrage nach diesen Publikationsformen könnte daher diese Vertriebsform deutlich stärken. Der stationäre Buchhandel würde hingegen geschwächt.
Die Buchkäufer
Den Lesern und Buchkäufern stehen neue Vertriebsstrukturen, erweiterte Recherchemöglichkeiten und neue publizistische Medien zur Verfügung. Sie stoßen jedoch in zunehmenden Maße auf eine steigende Zahl von Wiederveröffentlichungen und von Self-Publishing-Literatur. Zukünftig werden sie immer seltener darauf vertrauen können, verlegerische Qualitätsprodukte zu erhalten.
Allerdings können die Leser auch sehr viel einfacher selbst zu Autoren werden und Bücher veröffentlichen, die über den Buchhandel vertrieben werden. Auch im privaten Bereich werden printoder book-on-demand-Verfahren immer häufiger genutzt. Beispielsweise für die Herstellung individueller Fotobücher.
1.1 E-Book und book on demand
E-Books und book-on-demand-Publikationen unterscheiden sich in einem wesentlichen Merkmal: das E-Book ist eine rein virtuelle elektronische Publikationsform, während eine book-on-demand-Publikation die klassische Form des gedruckten Buches beibehält.
Aus herstellungs- und vertriebstechnischer Sicht weisen beide Medienformen jedoch eine Vielzahl von Gemeinsamkeiten auf. Eine Publikation, die als Datensatz für die Druckausgabe auf dem Server eines Druck- oder Verlagsdienstleisters liegt, kann natürlich auch als E-Book ausgegeben werden.11
Doch es gibt noch weitere Gemeinsamkeiten:
- Der Vertrieb beider Publikationsformen erfolgt zumeist über den Online-Handel.
- Bei beiden Verfahren existiert nur noch eine virtuelle Lagerhaltung. Eine Produktion bestimmter Stückzahlen ist nicht mehr notwendig.
Auch wenn beide Veröffentlichungsformen starke Parallelen aufweisen, so unterscheiden sie sich doch in einigen Punkten grundlegend.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der E-Books gegenüber dem herkömmlichen Buch besteht darin, dass für die Darstellung des Inhalts ein zusätzliches Wiedergabegerät benötigt wird. Der Nutzer muss entweder über einen sogenannten E-Book-Reader oder ein vergleichbares Ausgabegerät verfügen, um das Buch lesen zu können.12
E-Book-Reader wurden speziell für die Wiedergabe elektronischer Bücher entwickelt. Sie besitzen kein selbstleuchtendes Display. Wie beim Buch benötigt man eine Lichtquelle, um auch bei geringem Umgebungslicht lesen zu können. Das Display des E-Book-Readers besitzt einen papierähnlichen Kontrastumfang. So wird ein ermüdungsfreies Lesen auch über einen längeren Zeitraum ermöglicht. Ausgabegeräte mit selbstleuchtenden Displays, wie Computerbildschirme, Tablets oder Smartphones besitzen hingegen einen hohen Kontrastumfang, um Farben oder Bilder möglichst brillant wiedergeben zu können. Dieser hohe Kontrast lässt die Aufmerksamkeit des Lesers jedoch schneller ermüden.
Ein Vorteil des elektronischen Buches gegenüber gedruckten Medien besteht darin, dass unzählige Publikationen und umfangreiche Wissenssammlungen auf einem Datenspeicher abgelegt werden können. Auch die Aktualisierung von Fachbüchern oder Nachschlagewerken ist problemlos möglich. Nachteilig muss bewertet werden, dass die Schriftauflösung der aktuellen Wiedergabegeräte im Vergleich zum gedruckten Buch noch relativ gering ist. Die Schrift erscheint, insbesondere bei wachsender Schriftgröße, gerastert. Dies könnte sich negativ auf die Lesegeschwindigkeit und Lesedauer auswirken.
Das klassische Buch kann hingegen vollkommen unabhängig von technischen Geräten und überall gelesen werden. Bedingt durch eine Typografie, die über Jahrhunderte optimiert wurde und der Verwendung von geeignetem Papier, ist ein ermüdungsfreies und schnelles Lesen auch über lange Zeiträume möglich. Zudem bietet das Buch ein sinnliches Erlebnis – den Geruch und die Haptik der verwendeten Materialien.
Der Nachteil des gedruckten Buches besteht in seiner geringen Flexibilität gegenüber sich verändernden Inhalten. Auch hinsichtlich seiner Größe, seines Gewichts und seiner Herstellungskosten ist das klassische Buch dem E-Book unterlegen.
Auch wenn E-Book und book on demand einige Parallelen aufweisen und auch ein Vergleich dieser Veröffentlichungsformen durchaus interessante Aspekte aufweist, so wird sich der Fokus dieser Untersuchung auf den Bereich book on demand richten. Ein Bereich, der bislang in der Öffentlichkeit und in der Forschung noch wenig Beachtung fand.
Der Bereich E-Book fand hingegen hinlänglich Beachtung in diversen Untersuchungen. Allein der Börsenverein des deutschen Buchhandels veröffentlichte in den Jahren 2011 und 2012 zwei umfangreiche Studien zu diesem Thema.13
On-demand-Verfahren werden nicht nur für die Buchherstellung, sondern auch in der Werbung und in vielen Bereichen der Industrie genutzt. Ein Vorteil der digitalen Druckverfahren besteht darin, dass die Druckerzeugnisse sehr leicht aktualisiert und verändert werden können. Die Publikationen können so kundenspezifischen Wünschen angepasst werden. Auch die Produktion individueller oder modularisierter Handbücher ist möglich.
Im Bereich der Werbung wird der digitale Druck verstärkt für individualisierte Mailing-Aktionen eingesetzt. Nicht nur der Name, sondern auch Inhalte, können dabei dem Profil des Kunden individuell angepasst werden.
Die zunehmende Anwendung dieses Verfahrens im privaten Bereich wurde bereits genannt. Der Schritt von der Gestaltung eines Buches für das private Umfeld hin zur Veröffentlichung für einen größeren Kreis von Nutzern ist ebenfalls ohne weiteres realisierbar.
Die Anwendungen aus Industrie, Werbung und dem privaten Umfeld spielen jedoch keine Rolle hinsichtlich möglicher Veränderung des publizistischen Marktes. Deshalb werden die genannten Anwendungsbereiche aus der Industrie und der Werbewirtschaft im Rahmen dieser Untersuchung nicht näher betrachtet.
Im Fokus dieser Untersuchung steht vorrangig die gesellschaftliche Dimension des Themas book on demand.
So stellt sich beispielsweise die Frage nach der veränderten Rolle von Autoren und Verlagen, dem Rollenwechsel vom Leser zum Autor. Interessant ist auch die Frage, ob sich auf Grund der vielfältigen neue Angebote das Selektionsverhalten der Leser ändern wird.
Befördern die neuen Publikationsverfahren – in geringem Umfang – vielleicht sogar eine Veränderung der Inhalte? Gewinnen gar zukünftig Genres oder publizistische Inhalte an Bedeutung, die bislang von Verlagen gar nicht oder nur sehr selten veröffentlicht werden?
Das traditionsreiche Medium Buch erlebt aktuell einen starken Wandel. Einen Wandel, der unter anderem ausgelöst wurde durch die Einführung des book-on-demand-Verfahrens.
2 Forschungsfragen
Das Forschungsinteresse lässt sich auf eine zentrale Frage fokussieren. Diese lautet:
2.1 Welche Auswirkungen haben die book-on-demand-Prozesse auf den deutschen Buchmarkt?
Die Fragestellung gewinnt deutlich an Komplexität, wenn man die möglichen Auswirkungen hinsichtlich aller Prozessbeteiligten betrachtet. Die jeweiligen Akteure werden das book-on-demand-Verfahren aus ihrer jeweiligen Perspektive unterschiedlich bewerten.
Es muss daher zunächst eine Differenzierung der Fragestellung hinsichtlich der jeweiligen Prozessbeteiligten erfolgen.
Im vorangegangenen Kapitel wurden die Prozessverläufe von konventionellen und von book-on-demand-Veröffentlichungen analysiert. An einer konventionellen Verlagsveröffentlichung sind fünf Akteure beteiligt:
- Autor
- Verlag
- Hersteller
- Händler
- Buchkäufer
Beim book-on-demand-Prozess finden die Aufgabenbereiche der Akteursebenen zwei bis vier meist innerhalb eines Unternehmens statt.
Wie lassen sich die einzelnen Gruppen charakterisieren?
1. Autoren
Verfasser eines Werkes der Literatur, eines Textes, (seltener) Urheber eines Werks der Musik, Kunst, Fotografie, Filmkunst14
Hinsichtlich der dargestellten Publikationsprozesse werden nur Autoren betrachtet, die ihre Werke in Form gedruckter Bücher oder als E-Books veröffentlichen. Diese Autoren werden in drei Gruppen unterteilt:
- Autoren, die ihre Publikationen nur über Verlage veröffentlichen
- Autoren, die bislang ausschließlich im book-on-demand-Verfahren veröffentlicht haben.
- Autoren, die mit beiden Veröffentlichungsformen Erfahrungen sammeln konnten
2. Verlage
Unternehmen, das Manuskripte erzeugt und erwirbt, daraus vorwiegend Druckerzeugnisse herstellt und diese vorwiegend über den Buchhandel verkauft15
Die Aufgabe von Verlagen besteht in der Koordinierung und Beauftragung aller Aufgaben, die für die Herstellung, das Marketing und den Vertrieb der Publikationen notwendig sind. Hinsichtlich ihrer inhaltlichen und wirtschaftlichen Konzepte können sich Verlage stark voneinander unterscheiden.
Im Rahmen dieser Untersuchung werden Verlage in drei Gruppen unterteilt:
- Verlage, die ihr Geschäft auf klassische Weise betreiben. Das bedeutet, innerhalb des Verlags wird die wirtschaftliche Entscheidung getroffen, welche Publikation...