1. Der Anfang
Um die Klimadebatte richtig einordnen zu können und um zu verstehen, worum es im Kern geht, lohnt sich ein Rückblick in die 1950er-Jahre in das »Atomzeitalter« nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals wurde in allen großen Industrieländern der Erde mit größter Begeisterung daran gearbeitet, die bei der Spaltung von Atomkernen frei werdende Energie statt in Kriegen mit Atomwaffen besser für friedliche Zwecke, sprich zur Erzeugung von ungeheuer viel Wärme und vor allem Strom zu nutzen.
Kernenergie, der Traum vom ewigen
Energieüberfluss
Die Staaten gründeten riesige Kernforschungszentren, in denen erste Reaktoren zur Kernspaltung gebaut und erprobt wurden. Staatlicherseits stark geförderte Privatunternehmen schlossen sich an und begannen mit dem Bau großer Elektrizitätswerke auf Basis der Atomkernspaltung. Diese Elektrizitätswerke wurden Atom- oder Kernkraftwerke genannt. Sie lieferten einen mit der Zeit stark steigenden Anteil des in der Wirtschaft wie in den privaten Haushalten verbrauchten Stroms. Entsprechend sank die Bedeutung der herkömmlichen Träger sogenannter Primärenergie, nämlich der Kohle, des Erdöls und des Erdgases. Diese Brennstoffe sind in geologischer Vorzeit aus Abbauprodukten von toten Pflanzen und Tieren entstanden, gehören also in die Kategorie »Fossilien«. Darum nennt man sie auch fossile Energieträger oder fossile Brennstoffe.
Zwar sind die weltweiten Vorräte der in Millionen von Jahren entstandenen fossilen Brennstoffe immer noch riesig. Aber sie sind begrenzt, sie sind endlich. Bei anhaltendem Abbau und Verbrauch werden sie eines Tages knapp und letztlich nicht mehr verfügbar sein.
Gegen diese Gefahr der langfristigen Energieknappheit galt es sich zu wappnen. Dazu kam die Kernenergie wie gerufen. Als neue Energiequelle konnte und sollte sie zu den fossilen Energieträgern in Konkurrenz treten und diese schließlich vollständig überflüssig machen.
Die Euphorie ging sogar so weit, dass man in fernerer Zukunft nur noch »Schnelle Brüter« haben werde. Das sind Kernkraftwerke, die über Wärme Strom erzeugen sowie gleichzeitig den zu ihrem Betrieb erforderlichen Brennstoff »erbrüten«, also selbst produzieren. Sie sind unabhängig von spaltbarem Material, genannt »Kernbrennstoff«, das von außen zugeführt werden muss.
Wer wollte bei der Vorstellung solcher sich selbst fütternder und gleichzeitig Strom erzeugender Riesenöfen nicht euphorisch werden! Aber leider führt Euphorie allzu oft zu Einseitigkeit und Unbesonnenheit. Genau dies war beim begeisterten Aufbau der Energieversorgung mit Kernenergie der Fall.
Natürlich wussten die staatlicherseits Verantwortlichen ebenso wie die in Forschung und Industrie Beteiligten vom ersten Tag an, dass bei der Kernspaltung radioaktive Strahlung entsteht. Die radioaktive Strahlung, insbesondere in Art der Neutronenstrahlung, befällt den Reaktor wie die Materialreste der Kernspaltung, und beide strahlen dann unvermeidbar und lebensgefährlich über Hunderte, gar Tausende von Jahren.
Wie hätte man diese Strahlungsgefahren auch übersehen können? Um Kernreaktoren zu entwickeln und zu bauen, braucht man höchst qualifizierte Naturwissenschaftler, an erster Stelle natürlich Kernphysiker, und ebenfalls hoch qualifizierte Techniker. Sie alle kannten die Strahlungsrisiken der Kernenergie sehr genau. Entsprechendes gilt für diejenigen, die in Regierung und Parlament die forschungs- und energiepolitischen Entscheidungen zugunsten der Kernenergie vorbereiteten und letztlich auch die erforderlichen Forschungs-, Entwicklungs- und sonstigen Fördergelder bereitstellten.
Es ging um riesige Beträge. Wer sie erfolgreich »auf den Weg bringen« will, muss seine Aufgabe bestens verstehen.
Euphorie statt Besonnenheit
Aber trotz ihrer unbestreitbar großen fachlichen Qualifikationen haben die Verantwortlichen organisatorisch und politisch entscheidend versagt. Sie haben sich der Herausforderung tödlicher Strahlung über Jahrhunderte nicht rechtzeitig und nicht in angemessener Weise gestellt.
Erst als es zu spät war, wurde erkannt, dass Reaktorsicherheit und Atommüllentsorgung in der Anfangseuphorie über Gebühr vernachlässigt wurden. Während der Staat auch damals schon dazu neigte, sich mit Gesetzen und Verordnungen bis in die hintersten Winkel in das Leben seiner Bürger einzumischen, versagte er völlig, diese Bürger über die von ihm selbst geschaffenen Riesengefahren der Kernenergie befriedigend aufzuklären und sie rechtzeitig auf gesetzlichem Weg vor den Risiken verlässlich zu schützen.
Das konnte nicht gut gehen, und das ist tatsächlich in vielen Ländern nicht gut gegangen; besonders in Deutschland.
»Atom« hatte nach dem Zweiten Weltkrieg den Beiklang »Bombe«. Die schrecklichen Bilder zu Massentod, Verstrahlung und Zerstörung als Folge der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki waren weltweit und ganz tief im menschlichen Bewusstsein verankert. Entsprechend schwelten in der Bevölkerung große Unsicherheit, Unbehagen und Angst gegenüber der Atomtechnik mit ihren unermesslichen Strahlungsgefahren. Diesem stark ablehnenden Grundgefühl war nicht dadurch beizukommen, dass man schlicht und einfach »friedlich« vor »Nutzung der Kernenergie« schrieb.
Die ausgeprägte Atomskepsis großer Bevölkerungskreise existierte anfangs weitgehend lautlos. Sie drang erst in den 1970er-Jahren über eine organisierte und massenhafte Anti-Atomkraft-Bewegung zunehmend in die Öffentlichkeit. Eine neue politische Partei, »Die Grünen«, trat hinzu und trug die Forderungen der Anti-Atomkraft-Bewegung auch in die Parlamente. Zusätzlich untermauert und befördert wurde die Anti-Atom-Bewegung durch die Reaktorkatastrophen 1979 in Harrisburg, USA, und 1986 in Tschernobyl, Ukraine.
Schließlich wurden der öffentliche und der politische Druck gegen die Kernenergie so groß, dass im Jahr 2002 tatsächlich per Gesetz der schrittweise Atomausstieg, zunächst bis zum Jahr 2032, beschlossen wurde.
Im Jahr 2011 allerdings führte eine Naturkatastrophe, ein Taifun über dem Meer vor Fukushima in Japan, zur teilweisen Überflutung des dortigen großen Atomkraftwerks. Die hereinbrechenden Wassermassen lösten eine schreckliche Reaktorkatastrophe mit sehr vielen Strahlungsopfern aus. Mit dieser Katastrophe vor Augen reagierten Bundesregierung und Parlament sehr rasch und sehr entschieden. Die Frist für den Atomausstieg wurde um zehn Jahre verkürzt. Der Endtermin ist nun das Jahr 2022. Acht Kernkraftwerke wurden nach erneuter Sicherheitsüberprüfung im Katastrophenjahr 2011 sofort abgeschaltet.
Ohne Atomausstieg keine Klimadebatte
Du wirst fragen, liebe Sophia, was das alles mit Klimawandel zu tun hat, warum ich Dir das alles erzähle. Diese Frage ist mehr als berechtigt, und die Antwort wird nicht nur Dich überraschen. Sie lautet kurz und knapp: Würde es den Atomausstieg nicht geben, sondern würde stattdessen die Versorgung mit Energie aus Kernkraftwerken weiter auf- und ausgebaut, gäbe es heute keine Debatte über Erderwärmung und Klimawandel.
Jetzt wirst Du erst recht die Stirn runzeln und denken: »Welch steile These! Wie soll ich die denn verstehen? Was haben die Wärme auf der Erde und das Klima mit der Atomenergie zu tun?«
Der Zusammenhang ist nicht auf den ersten Blick erkennbar. Er existiert nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar. Er führt über die bereits vor der Atomenergie fest etablierten fossilen Energieträger Kohle, Erdöl und Erdgas. Wie wir gesehen haben, hoffte und glaubte man ursprünglich, dass die fossilen Energieträger längerfristig mit dem Ausbau der Kernenergie überflüssig würden. Sie sollten dauerhaft durch die Atomenergie ersetzt, im Fachjargon »substituiert« werden.
Diese Hoffnung löste sich am Ende des vorigen Jahrhunderts mehr und mehr auf. Ab dem Ende der 1980er-Jahre wurde deutlich, dass sich die Blütenträume zur Kernenergie nicht erfüllen würden. Mit dem Atomausstieg wurde es erkennbar ernst, und die Techniken zur Gewinnung der sogenannten »Erneuerbaren Energie«, vor allem von Sonnen- und Windenergie, standen erst ganz am Anfang. Die Folge des Atomausstiegs würde daher sein, dass die fossilen Energieträger wieder in den Mittelpunkt rückten. Sie würden künftig eher in größerem statt in immer kleinerem Umfang zum Einsatz kommen.
Diese Aussicht weckte vor allem bei umweltbewussten und ökologisch orientierten Menschen Widerspruch und Widerstand. Man kann folglich mit Fug und Recht sagen, dass die Gegner der fossilen Brennstoffe ebenso wie zuvor die Atomgegner überwiegend den Kreisen der Bevölkerung angehören, in denen man sich überdurchschnittlich interessiert und überdurchschnittlich engagiert mit der Umwelt und den Wechselbeziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt, der sogenannten »Ökologie«, befasst. Beide Bewegungen richten sich gegen Träger von Primärenergie, und beide Bewegungen sind deutlich »grün«.
Zwar hatte das Argument der abnehmenden Versorgungssicherheit deutlich an Bedeutung verloren. Bei den weltweiten Explorationen zu Kohle, Erdöl und Erdgas wurden und werden immer wieder unerwartet viele und riesige Lagerstätten neu entdeckt. In aller Welt werden Jahr für Jahr neue Kraftwerke zur Gewinnung von Energie aus fossilen Brennstoffen in Betrieb genommen, allerdings nicht in Deutschland.
Ein neues Feindbild: Fossile Energieträger
Aber neben »Endlichkeit der Reserven« existierten weitere Gründe, Ansichten und Gefühle gegen die fossilen Energieträger, zum Beispiel »Ausbeutung der Erde«, »Leben auf Kosten der nächsten Generationen«, »Landschaftszerstörung« oder »Ruß und Staub«.
Ähnlich wie »Endlichkeit« sind auch diese Argumente ernst zu nehmen. Aber sie sind bei weitem nicht der eine einzige und allseits unmittelbar akzeptierte Ablehnungsgrund, wie er beim Widerstand gegen die Kernenergie mit »Atomstrahlung« gegeben war. Der Widerstand gegen die Kernenergie musste nicht großartig begründet werden. Der Grund für die Ablehnung lag und liegt seit jeher offen und für jedermann nachvollziehbar auf dem Tisch. Er besteht naturgesetzlich in den immensen und schier unendlich lange anhaltenden Gefahren der mit der Kernspaltung untrennbar verbundenen radioaktiven Strahlung. Ein solches »Fundamentalargument« gegen die fossilen Energieträger gab es nicht. Argumentativ standen die sich in den 1990er-Jahren zunächst nur lose formierenden Gegner fossiler Energieträger mit vergleichsweise leeren Händen da. Wollten sie gegen Kohle, Erdöl und Erdgas, also das bis dato zentrale, von mächtigsten Interessen bestimmte und Tausende von Milliarden Euro schwere Geschäft mit den fossilen Energieträgern ähnlich erfolgreich kämpfen, wie es den Atomgegnern bereits gelungen war, brauchten sie – neben dem allseitigen Vertrauen in die »Erneuerbaren Energien« als Lückenfüller – unbedingt ein mindestens so starkes, naturgesetzlich abgesichertes und...