Nordlandgeschichten
eBook - ePub

Nordlandgeschichten

Erzählungen

  1. 184 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub

Nordlandgeschichten

Erzählungen

Über dieses Buch

"Nordlandgeschichten" ist eine Sammlung von Erzählungen des US-amerikanischen Schriftsteller und Journalisten Jack London.Inhaltsverzeichnis: - Negore, der Feigling- Der König und sein Schamane- Das Wort der Männer- Der Gott seiner Väter- Das Vorrecht des Priesters- Die Weisheit der Reise- Nam-Bok, der Lügner- Der Bund der Alten- Jan, der Unverbesserliche- Die große Frage- Liwan, die Schöne

Häufig gestellte Fragen

Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
  • Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
  • Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Beide Pläne können monatlich, alle 4 Monate oder jährlich abgerechnet werden.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Nordlandgeschichten von Jack London im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Littérature & Fiction historique. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.

Information

Liwan, die Schöne

»Die Sonne sinkt, Canim, und die Hitze des Tages ist vorbei!« So rief Li Wan ihrem Mann zu, dessen Kopf in dem Eichhörnchenfellgewand verborgen war, aber sie rief es so leise, als wanke sie zwischen der Pflicht, ihn zu wecken, und der Furcht vor ihm, wenn er erwachte. Denn sie fürchtete ihren großen Gatten, der keinem der Männer glich, die sie gekannt hatte.
Das Elchfleisch prasselte über dem Feuer, und sie stellte die Bratpfanne neben die rote Glut. Dabei warf sie einen vorsichtigen Blick auf die beiden Hudsonbuchthunde, von deren scharlachroten Zungen gierig der Geifer troff und die jeder ihrer Bewegungen folgten. Es waren mächtige zottige Gesellen, die auf der vom Wind geschützten Seite des Feuers in dem dünnen Rauch zusammengekauert lagen, um den schwärmenden Myriaden von Moskitos zu entgehen. Als Li Wan den Hang hinabblickte, dorthin, wo der Klondike seine angeschwollenen Fluten zwischen den steilen Ufern dahinwälzte, schlängelte sich einer der Hunde wie ein Wurm vorwärts und warf mit einem geschickten, katzenartigen Pfotenschlag ein Stück des heißen Fleisches auf den Boden. Aber Li Wan stellte ihn auf frischer Tat und gab ihm mit einem Holzscheit einen Schlag über die Schnauze, so daß er schnappend und knurrend zurücksprang.
»Nein, Olo«, lachte sie und hob das Fleisch auf, ohne ihn aus den Augen zu lassen. »Du bist immer hungrig, und dann bringt deine Nase dich in endlose Unannehmlichkeiten.«
Aber Olos Kamerad gesellte sich zu ihm, und gemeinsam trotzten sie der Frau. Die Haare sträubten sich ihnen auf Rücken und Schultern, sie verzerrten und fletschten die dünnen Lippen und entblößten die grausam drohenden Fleischfresser-Fangzähne. Sie knurrten wie Wölfe mit all dem Haß und der ganzen Bosheit ihrer Rasse, bereit, sich auf die Frau zu stürzen und sie zu Boden zu reißen.
»Und du auch, Bash? Du bist so wild wie dein Herr und beugst dich nie der Hand, die dich füttert! Dies ist nicht deine Sache, darum nimm dies! Und das!«
Dies rufend, schlug sie mit dem Scheit nach ihnen, aber sie wichen den Schlägen aus, ohne sich zurückzuziehen. Sie trennten sich und näherten sich je von einer Seite, kriechend und knurrend. Li Wan rang mit dem Wolfshund um die Herrschaft seit der Zeit, da sie zwischen den Fellballen der Teepee herumgezottelt war, und sie wußte, daß eine Krise bevorstand. Bash hatte haltgemacht, seine Muskeln strafften sich zum Sprung; Olo kroch noch in Reichweite ihres Schlages.
Sie ergriff zwei qualmende Scheite an den verkohlten Enden und trat den Bestien entgegen. Die eine hielt sich zurück, aber Bash sprang zu, und ihre brennende Waffe traf ihn in der Luft, ein scharfes Schmerzgeheul ertönte, und der Geruch von verbranntem Haar und Fleisch machte sich bemerkbar, während das Tier in den Schmutz rollte und die Frau ihm den schwelenden Scheit in den Rachen stieß. Wild schnappend warf er sich zur Seite und suchte in fast wahnsinniger Furcht das Weite. Olo hatte schon seinen Rückzug begonnen, als Li Wan ihn an ihre Übermacht gemahnte, indem sie ihm ein schweres Holzscheit in die Rippen jagte. Unter einem Regen von Brennholz zog sich das Paar zurück und begann sich am Rande des Lagerplatzes, abwechselnd wimmernd und knurrend, die Wunden zu lecken.
Li Wan blies die Asche vom Fleisch und setzte sich wieder. Ihr Herz hatte nicht schneller geschlagen, sie war solche Zwischenfälle gewohnt, sie gehörten mit zu ihrem täglichen Leben. Canim hatte sich bei dem Lärm nicht gerührt, sondern nur kräftig geschnarcht.
»Komm, Canim!« rief sie. »Die Hitze des Tages ist vorüber, und der Weg wartet auf uns.«
Das Eichhörnchenfell geriet in Bewegung und wurde durch einen braunen Arm beiseite geworfen. Das Augenlid des Mannes zuckte und senkte sich wieder. Seine Last ist schwer, dachte sie, und er ist noch müde von der Morgenarbeit.
Ein Moskito stach sie in den Nacken, und sie betupfte sich die ungeschützte Stelle mit feuchtem Lehm aus einem Klumpen, den sie immer zur Hand hatte. Den ganzen Morgen hatten sich Mann und Frau, während sie sich, in eine Wolke dieser Pest eingehüllt, zur Wasserscheide hinaufgeschleppt hatten, mit dieser klebrigen Masse beschmiert, die in der Sonne trocknete und ihre Gesichter mit einer Lehmmaske bedeckte. Diese Masken rissen an verschiedenen Stellen durch die Bewegung der Gesichtsmuskeln und mußten beständig erneuert werden, so daß der Überzug unregelmäßig stark und von seltsamem Aussehen war.
Li Wan schüttelte Canim sanft, aber anhaltend, bis er völlig erwachte und sich aufsetzte. Sein erster Blick galt der Sonne, und nachdem er die Himmelsuhr befragt hatte, beugte er sich über das Feuer und machte sich gierig über das Fleisch her. Er war ein großer Indianer, volle sechs Fuß hoch, mit breiter Brust und schweren Muskeln, und seine Augen blickten kühner und zeugten von einer Geisteskraft, wie sie bei seiner Rasse selten ist. Linien, von Energie geprägt, hatten tiefe Furchen in sein Antlitz gegraben und ließen einen Mann erkennen, der gewohnt war, seinen Willen unerschütterlich durchzusetzen und Versuchen, ihn zu durchkreuzen, mit tückischer Grausamkeit zu begegnen.
»Morgen, Li Wan, werden wir ein Festessen haben.«
Er saugte einen Markknochen aus und warf ihn den Hunden zu. »In Speck gebratene Pfannkuchen und, was noch besser schmeckt, Zucker ...«
»Pfannkuchen?« fragte sie, das Wort neugierig genießend.
»Ja«, antwortete Canim überlegen, »und ich werde dir neue Kochkünste beibringen. Die Dinge, von denen ich spreche, kennst du nicht und vieles andere auch nicht. Du hast deine Tage in einem kleinen entlegenen Winkel verlebt und weißt nichts. Ich aber«, er richtete sich auf und blickte sie stolz an, »ich bin ein großer Wanderer und war überall, selbst unter den Weißen, und ich kenne ihre Gebräuche und die vieler anderer Völker. Ich bin kein Baum, der immer auf demselben Platz steht und nicht weiß, was hinter dem nächsten Hügel liegt; ich bin Canim, das Kanu, geschaffen, hierhin und dorthin zu wandern und die Welt der Länge und Breite nach zu durchreisen und zu durchforschen.«
Sie neigte demütig ihr Haupt. »Es ist wahr. Ich habe all meine Tage Fisch, Fleisch und Beeren gegessen und in einem kleinen Winkel gelebt. Ich ließ mir nicht träumen, daß die Welt so groß war, bis du mich meinem Volke entführtest und ich auf endlosen Wegen für dich kochte und Lasten trug.«
Sie sah plötzlich zu ihm auf.
»Sag mir, hat dieser Weg nie ein Ende?«
»Nein«, antwortete er. »Mein Weg gleicht der Welt, er endet nie. Mein Weg ist die Welt, ich befahre ihn, seit meine Füße mich tragen konnten, und ich werde ihn wandern, bis ich sterbe. Mein Vater und meine Mutter sind vielleicht tot – es ist lange her, seit ich sie sah –, aber ich mache mir nichts daraus. Mein Stamm ist wie der deine. Er bleibt auf demselben Fleck, weit von hier, aber ich mache mir nichts aus meinem Stamm, denn ich bin Canim, das Kanu!«
»Und muß ich, Li Wan, so müde ich bin, immer deinen Weg wandern, bis ich sterbe?«
»Du, Li Wan, bist mein Weib, und das Weib wandert den Weg des Gatten, wohin er auch führt. So ist das Gesetz. Und wäre es nicht so, so würde es doch Canims Gesetz sein, der sich selbst und den Seinen die Gesetze gibt.«
Wieder neigte sie ihr Haupt, denn sie kannte kein anderes Gesetz, als daß der Mann der Herr des Weibes sei.
»Beeile dich nicht«, warnte er sie, als sie die spärlichen Ausrüstungsgegenstände in ein Bündel zusammenzuschnüren begann. »Die Sonne brennt noch heiß, der Weg führt bergab und ist gut.«
Sie ließ gehorsam von ihrer Arbeit ab und setzte sich wieder.
Canim betrachtete sie mit forschenden Blicken. »Du kauerst nicht nieder wie andere Frauen?« bemerkte er.
»Nein«, sagte sie. »Es ermüdet mich, und ich kann in der Stellung nicht ausruhen.«
»Und warum zeigen deine Füße nicht geradeaus?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, daß sie anders als die Füße unserer Frauen sind.«
Ein zufriedenes Leuchten blitzte in seinen Augen auf, sonst aber gab er kein Zeichen.
»Gleich dem anderer Frauen ist dein Haar schwarz; aber weißt du, daß es weich und fein ist, weicher und feiner als das anderer Frauen?«
»Ich habe es bemerkt«, erwiderte sie kurz, denn sie war verwirrt von einer solchen kalten Erwähnung ihrer weiblichen Mängel.
»Es ist jetzt ein Jahr her, seit ich dich deinem Volk entführte«, fuhr er fort, »und du bist noch beinahe ebenso scheu und furchtsam vor mir wie damals, als meine Augen zum erstenmal auf dir ruhten. Woher kommt das?«
Li Wan schüttelte den Kopf. »Ich fürchte mich vor dir, Canim, du bist so stark und fremd. Und dann: Bevor du deine Blicke auf mich warfst, fürchtete ich mich vor allen jungen Leuten. Ich weiß nicht – ich kann nicht sagen ... Aber mir scheint, ich weiß nicht wieso, als wäre ich nicht für sie geschaffen, als wäre ich ...«
»Nun?« ermutigte er sie ungeduldig.
»Als wären sie nicht von meiner Art.«
»Nicht von deiner Art?« fragte er langsam.
»Ich weiß nicht, ich ...« Sie schüttelte verwirrt den Kopf. »Ich kann nicht in Worte kleiden, was ich empfand. Es war ein Gefühl von Fremdheit in mir. Ich war anders als andere Mädchen, die die jungen Männer im geheimen aufsuchten. Ich konnte mir nichts aus den jungen Männern auf diese Weise machen. Es schien mir, als wäre es ein großes Unrecht, eine schlechte Handlung.«
»Was ist deine früheste Erinnerung?« fragte Canim plötzlich ohne Übergang.
»An Pow-Wah-Kaan, meine Mutter.«
»Und nichts vor Pow-Wah-Kaan?«
»Nichts.«
Aber Canim hielt ihren Blick mit dem seinen fest, suchte im Innersten ihrer Seele und sah sie schwanken.
»Denk nach, denk scharf nach, Li Wan!« drohte er. Sie stammelte, und ihre Augen flehten um Mitleid, aber sein Wille beherrschte sie und entrang die Worte ihrem widerstrebenden Munde.
»Aber es waren nur Träume, Canim, böse Träume meiner Kindheit, Schatten unwirklicher Dinge, Geschichte, ähnlich wie Hunde sie wimmernd sehen, wenn sie in der Sommerhitze schlafen.«
»Erzähle von diesen Dingen!« befahl er.
»Es sind vergessene Gedanken«, wandte sie ein. »Als Kind träumte ich wach, die offenen Augen dem Tag zugewandt, und wenn ich von den seltsamen Dingen sprach, die ich sah, lachte man mich aus, und die andern Kinder fürchteten sich und zogen sich vor mir zurück. Und wenn ich von dem, was ich sah, zu Pow-Wah-Kaan sprach, so schalt sie mich aus und sagte, es sei häßlich; sie schlug mich auch deswegen. Es war eine Krankheit, glaube ich, wie die Fallsucht, die alte Männer befällt, und allmählich ging es mir besser, und ich träumte nicht mehr. Und jetzt – kann ich mich nicht mehr darauf besinnen.« Sie hob verwirrt die Hand an die Stirn. »Hier irgendwo stecken sie, aber ich kann sie nicht finden, nur ...«
»Nur?« wiederholte Canim und hielt sie fest.
»Nur eines. Aber du wirst über meine Torheit lachen, es ist so unwahrscheinlich.«
»Nein, Li Wan. Träume sind Träume. Sie mögen Erinnerungen an andere Leben sein, die wir lebten. Ich war einst ein Elch. Ich glaube ganz fest, daß ich einst ein Elch war, wenn ich daran denke, was ich in Träumen gesehen und gehört habe.«
So sehr er sich auch bemühte, sie zu verbergen, offenbarte sich doch eine immer wachsende Ängstlichkeit in ihm, aber Li Wan, die nach Worten suchte, in die sie ihre Gedanken kleiden konnte, bemerkte es nicht.
»Ich sehe einen Platz mit festgestampftem Schnee zwischen den Bäumen«, begann sie, »und im Schnee die Fährte eines Mannes, der sich schwer auf Händen und Füßen weiterschleppt. Und ich sehe auch den Mann im Schnee, und wenn ich ihn sehe, scheint es mir, als sei ich ihm ganz nahe. Er sieht nicht so aus wie andere Männer, denn er hat Haar im Gesicht, viel Haar, und das Haar auf seinem Gesicht und seinem Kopf ist gelb wie das Sommerkleid eines Wiesels. Seine Augen sind geschlossen, aber sie öffnen sich und suchen umher. Sie sind blau wie der Himmel und schauen in die meinen und suchen nicht mehr. Und seine Hand bewegt sich langsam wie in großer Schwäche, und ich fühle ...«
»Nun«, flüsterte Canim heiser. »Du fühlst ...«
»Nein, nein!« schrie sie hastig. »Ich fühle nichts. Sagte ich ›fühle‹? Ich meinte es nicht. Es kann nicht sein, daß ich es fühlte. Ich sehe und sehe nur, und alles, was ich sehe, ist – ein Mann im Schnee, mit Augen wie der Himmel und Haaren wie das Wiesel. Ich sah es oft und immer dasselbe – ein Mann im Schnee ...«
»Und siehst du dich selber?« fragte er, indem er sich vorbeugte und sie fest anblickte. »Siehst du je dich selber und den Mann im Schnee?«
»Warum sollte ich mich sehen? Bin ich nicht wirklich?«
Seine Muskeln erschlafften, und er ließ sich zurücksinken, mit großer Befriedigung in den Augen, die er von ihr wandte, damit sie sie nicht sah.
»Ich will dir etwas sagen, Li Wan!« sprach er mit Entschiedenheit. »In einem früheren Leben, als du dies sahst, warst du ein Vögelchen, und die Erinnerung hieran lebt noch in dir. Das ist nicht seltsam. Ich war einst ein Elch, und meines Vaters Vater wurde ein Bär nach seinem Tode, so sagte der Schamane, und der Schamane lügt nicht. So gleiten wir von Leben zu Leben auf den Pfaden der Götter, und nur die Götter wissen und verstehen. Träume und Schatten von Träumen sind Erinnerungen, nichts weiter, und der Hund, der in der Sonnenhitze im Schlaf wimmert, erinnert sich zweifellos an längst geschehene Dinge. Bash hier war einst ein Krieger. Ich glaube fest, daß er ein Krieger war.«
Canim warf dem Tier einen Knochen zu und erhob sich. »Komm, laß uns aufbrechen. Es ist noch heiß, aber es wird nicht kühler werden.«
»Und diese Weißen, wie sind sie?« fragte Li Wan plötzlich.
»Sie sind wie du und ich«, erwiderte er, »nur ist ihre Haut heller. Ehe der Tag stirbt, wirst du bei ihnen sein.«
Canim band seinen Schlafsack an seinen anderthalb Zentner schweren Packen, bestrich das Gesicht mit nassem Lehm und setzte sich, um sich auszuruhen, bis Li Wan die Hunde beladen hatte. Olo kroch beim Anblick des Knüttels in ihrer Hand zusammen und machte keine Schwierigkeiten, als ihm das vierzig Pfund schwere Bündel auf den Rücken geschnallt wurde. Bash jedoch war gekränkt und schlechter Laune und wimmerte und knurrte, als die Last ihm aufgeladen wurde. Er krümmte den Rücken, fletschte die Zähne, als Li Wan die Riemen anzog, während die ganze Heimtücke seiner Natur aus seinen Blicken blitzte, die er ihr von der Seite zuwarf. Und Canim lachte. »Hab ich nicht gesagt, daß du einst ein großer Krieger warst?«
»Diese Felle werden einen guten Preis bringen«, bemerkte er, indem er sich den Kopfriemen zurechtrückte und seinen Packen vom Boden aufhob. »Einen großen Preis. Die weißen Männer zahlen gut für solche Ware, denn sie haben keine Zeit zu jagen und sind zu empfindlich gegen die Kälte. B...

Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Negore, der Feigling
  3. Der König und sein Schamane
  4. Das Wort der Männer
  5. Der Gott seiner Väter
  6. Das Vorrecht des Priesters
  7. Die Weisheit der Reise
  8. Nam-Bok, der Lügner
  9. Der Bund der Alten
  10. Jan, der Unverbesserliche
  11. Die große Frage
  12. Liwan, die Schöne
  13. Impressum