Voyage pittoresque et militaire de Willenberg en Prusse jusqu‘à Moscou fait en 1812, pris sur le terrain même et lithographié par Albert Adam
Analyse
I. Titre avec portrait de l’artiste – Titelblatt mit Porträt des Künstlers
Das Titelblatt84 zeigt neben dem oben in der Überschrift genannten Titel des Werkes das Porträt des damals gut 30-jährigen Künstlers im Profil (gestochen von Johann Evangel[ist]. Mettenleiter85). Neben den aufgedruckten Informationen sind ein tintenblauer Stempel (gekröntes JLH?) und ein orangerotes rhombusförmiges Siegel mit gleichen Initialen sichtbar.
II. Portrait de Napoléon - Porträt Napoleons
Blatt II bringt ein Porträt des Kaisers der Franzosen und Königs von Italien Napolèon I. (im Folgenden von uns als Napoleon bezeichnet), gezeichnet von D. Engelmann. Napoleon (geb. 1769, gest. 1821), 1804 zum Kaiser gekrönt, stand 1812 im Zenit seiner Macht: Auf dem europäischen Festland hatte er – außer Frankreich und Italien – Spanien militärisch besetzt, war Protektor des Rheinbundes (dem außer Preußen und Österreich alle deutschen Staaten angehörten), Mediator der Schweiz und Beherrscher Neapels (das von König Joachim Murat, Napoleons Schwager regiert wurde) sowie indirekt – über Sachsen – des Herzogtums Warschau (Polen). Mit Österreich (mit der Tochter des Kaisers von Österreich, Marie-Louise, war Napoleon vermählt), Preußen sowie Dänemark war Napoleon verbündet. In Europa waren lediglich noch Portugal (das weitgehend von den Briten kontrolliert wurde), Schweden (das den ehemaligen französischen Marschall und Gegner Napoleons, Bernadotte, zum Kronprinzen gemacht hatte), die Türkei sowie Russland von Frankreich bzw. Napoleon unabhängig.
Zur Großen Armee stellten alle verbündeten Länder – außer Dänemark – Kontingente (es gab darüber hinaus noch eine Portugiesische Legion im Dienste Frankreich). Die Truppen unter Napoleons Kommando, die als „Korps erster Linie“ ab 24. Juni 1812 die russische Grenze überschritten, zählten rund 449.000 Mann und 140.000 Pferde. An Verstärkungen (aus Frankreich und den verbündeten Staaten sowie Neuaufstellungen in Litauen) rückten ca. 141.000 Mann und 25.000 Pferde nach86.
Ausschnitt aus: I. Titre avec portrait de l’artiste – Titelblatt mit Porträt des Künstlers
Das Porträt zeigt Napoleon in der klassischen Uniform eines Offiziers der Grenadiere seiner Alten Garde.
III. Portrait d‘Eugène - Porträt des Prinzen Eugène
Blatt III, ebenfalls von D. Engelmann, stellt den Prinzen Eugène Beauharnais (geb. 1781, gest. 1824), von 1805 bis 1814 Vizekönig von Italien, dar. Prinz Eugène, Adoptivsohn Napoleons (leiblicher Sohn von dessen erster Gemahlin, Josephine de Beauharnais), kommandierte seit 1809 die Truppen des Königreichs Italien (unter dem Oberkommando Napoleons). 1812 führte Eugène das IV. Armee-Korps der Großen Armee; hinzu kamen weitere Verbände, die ihm temporär unterstellt wurden. Beim Rückzug der Großen Armee empfing er – obwohl von Haus aus keine Feldherrennatur – am 17. Januar in Posen das Oberkommando aus den Händen des Königs von Neapel (s. nächstes Blatt), dem es seinerseits von Napoleon am 5. Dezember in Smorgoni übertragen worden war.
Eugène trägt die Uniform eines französischen Divisionsgenerals mit oben weit aufgeknöpftem Rock (wie auf mehreren der folgenden Tafeln).
Von Links nach rechts: Auschnitt aus: II. Portrait de Napoléon - Porträt Napoleons, Ausschnitt aus: III. Portrait d’Eugène - Porträt des Prinzen Eugène, Ausschnitt aus: IV. Portrait de Murat - Porträt Murats
IV. Portrait de Murat - Porträt Murats
Blatt IV, aus derselben Zeichenfeder wie die beiden vorherigen Blätter, zeigt den König von Neapel, Joachim Murat (geb. 1767, gest. 1815). Der kühne Reiterführer, seit 1804 Marschall von Frankreich, war zugleich ein Schwager Napoleons. Nach einer Zwischenstation als Großherzog von Berg wurde er 1808 zum König von Neapel gekrönt. Im Jahr 1812 führte Murat die gesamte Reserve-Kavallerie der Großen Armee (vier Kavallerie-Korps mit anfangs rund 40.000 Reitern), dazu temporär auch andere Verbände.
Mit der Führung der Reste der Großen Armee (seit 5. Dezember 1812) war Murat, der kein Stratege war, sichtlich überfordert und kehrte im Januar 1813 unter dem Vorwand einer Erkrankung87 in sein Königreich zurück.
Das Porträt zeigt ihn in einer seiner zahlreichen Phantasieuniformen88.
1. Willenberg, Quartier-général – Haupt-Quartier Willenberg89 (10. Juni)
Aus Adams Erinnerungen: „Am 10. Juni gegen 11 Uhr Vormittags kamen wir zu Willenberg in Ostpreußen an und trafen dort das Hauptquartier des vierten Armeecorps, welches Eugen befehligte, und die Bayern, welche zu demselben gehörten.
Meine Ankunft wurde freudig aufgenommen, Oberst Bataille sagte mir: ‚Der Prinz hat gerade vor einigen Stunden den Auftrag gegeben, ein Schreiben an alle Commandantschaften auf der ganzen Militärroute ergehen zu lassen, damit diese Sie aufforderten, Ihre Reise zu beschleunigen.‘ Daß ich selbst diesem Befehle zuvorgekommen bin, konnte daher nicht verfehlen, einen guten Eindruck zu machen. Jetzt erfuhr ich auch, daß Mr. Méjean beauftragt war, mich in seinem Wagen von München aus mitzunehmen. Dies schien ihm übrigens nicht bequem, und so ließ er mich mit dem Pferdetransport reisen. Prinz Eugen empfing mich ungemein liebreich; er übergab mir ein schönes Portefeuille in rothes Saffianleder gebunden, das in Gold seinen Namen trug und das er eigens von Paris für mich mitgebracht hatte, um es als bildliches Tagebuch dieses Feldzuges zu benützen. Recht herzlich lachte er, als ich ihm meine Reiseerlebnisse und meine Geldverlegenheit erzählte.“90
Auszug aus dem Begleittext zur „Voyage pittoresque“ (Text Nr. 54): „Der Vicekönig machte ihm [Napoleon] seine Aufwartung, und bei seiner Rückkunft befahl er die nöthigen Zubereitungen, um den 4. Juny eine Bewegung zu machen.
An diesem Tage setzte sich unser Corps nach Soldau in Marsch. Den Truppen wurde ein doppelter Rasttag gestattet, und man brauchte ihn zum Bau von Backöfen, die zum Unterhalte nothwendig waren. Man marschirte alsdann nach Willenberg, wo man wieder 48 Stunden Rasttag hatte.“91 „Aus dem Tagebuch des Künstlers: Zu Willemberg, einem artigen kleinen Städtchen in Ost-Preussen, fand in diesen Tagen ein grosser Zusammenfluss von Truppen statt, an welche sich die armen Einwohner, die in diesem Drange der Kriegsbeschwerden sich sehr gut benahmen, gewiss noch lange nachher mögen erinnert haben. Der Vice-König bewohnte ein kleines Landhaus ausserhalb der Stadt, welches in beyliegender Zeichnung abgebildet ist. Hier war es, wo der Künstler mit seinen Zeichnungen zugleich sein Journal begann.“
Anmerkungen zur militärischen Situation: Das IV. (italienische) und das VI. (bayerische) Armee-Korps standen Anfang Juni in Kantonierungen im südlichen Ostpreußen. In Willenberg befand sich das Hauptquartier des Prinzen Eugène als Kommandierendem General des IV. Armee-Korps. Das Korps hatte dort zwei Rasttage92.
Sonstige Bemerkungen: Die Lithographie, deren Skizzen noch am Ankunftstage Adams in Willenberg entstanden sein werden, zeigt typische militärische Szenen eines Kantonierungsortes. Links marschieren vier bayerische Infanteristen – erkennbar an den charakteristischen Raupenhelmen – mit vollem Gepäck und aufgepflanztem Bajonett. Ein Mann führt einen Pudel mit, eine offenbar geduldete Eigenmächtigkeit, wie dies auch auf mehreren der folgenden Blätter dargestellt wird. Auch Adam hatte einen Pudel mit ins Feld genommen, von dem er schreibt: „Bei der Abreise von Thorn nach Plock hatte ich das Unglück, meinen getreuen Cerberus in einem großen Gedränge bei dem Uebergang über die Weichsel zu verlieren. Trotz aller Mühe konnte ich ihn nicht wieder finden und sah mich genöthigt, ohne denselben von Thorn einen schmerzlichen Abschied zu nehmen.“93
Inmitten der Infanteristen reitet ein bayerischer Chevauleger, ebenfalls in voller Ausrüstung. In der Mitte des Bildes führt ein Soldat ein mit Heubündeln beladenes Pferd am Zügel, auch scheint der Mann selbst ein Heubündel zu tragen. Rechts ist ein weiterer Reiter (wahrscheinlich ein Diener oder Stallknecht des Hauptquartiers) mit zwei Pferden an einer Tränke sichtbar.
Am Gehöft im Hintergrund, in dem Prinz Eugène untergebracht ist, sind weitere Reiter und Figuren zu Fuß (in der Toreinfahrt wohl ein Wache haltender Garde-Infanterist mit Pelzmütze) zu erkennen.
Ausschnitt aus: 2. Bivac des dragones de la garde italienne prés de Willenberg – Biwak der italienischen Garde-Dragoner in der Nähe von Willenberg