Einführung in die Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen
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Einführung in die Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen

Das Praxisbuch zum Violet-Oaklander-Training

  1. 268 Seiten
  2. German
  3. ePUB (handyfreundlich)
  4. Über iOS und Android verfügbar
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Einführung in die Gestalttherapie mit Kindern und Jugendlichen

Das Praxisbuch zum Violet-Oaklander-Training

Über dieses Buch

Jahrzehntelang hat Violet Oaklander therapeutisch mit Kindern und Jugendlichen gearbeitet und ihr gestalttherapeutisches Modell hat in der ganzen Welt Bedeutung erlangt. Ihr Trainings­programm ist legendär; Therapeut*innen aller Kontinente reisten nach Santa Barbara/Kalifornien, um daran teilzunehmen.Peter Mortola war einer von ihnen. Fasziniert von Violet Oak­landers Ansatz, der auf ihrem unerschütterlichen Vertrauen in die zentrale Bedeutung einer authentischen Beziehung zwischen Kind und Therapeut*in basiert, nahm er zehn Jahre an ihrem Training teil, wurde dann ihr Assistent und Dokumentator und schließlich Oaklanders Co-Trainer. Nun hat er das ultimative Praxisbuch über das Violet-Oaklander-Training veröffentlicht. Es bringt eine Fülle von Anregungen und Methoden für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen - gleichermaßen für die Felder Psychotherapie, Beratung und Pädagogik.

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1

Erster Tag: Montag

Eine Beziehung aufbauen
„Lasst uns anfangen“
Durch die Tür des Konferenzraumes kommen Menschen aus aller Herren Länder. Marisa kommt aus Brasilien, Dawn aus Neuseeland, und Juan Carlos sagt, er komme aus einer wunderschönen Stadt am Rande von Mexico City. Ich höre die portugiesische Sprachmelodie, die sich mit dem leicht nasalen Englisch vom südlichen Mississippi mischt. Es ist der erste Tag von Violet Oaklanders „Intensiv-Sommertraining“ an einem Montagmorgen Mitte Juli in Santa Barbara, Kalifornien, und – wie in all den Jahren zuvor – ein internationaler Workshop.
Die bunt gemischte Gruppe besteht aus 24 Teilnehmern. Jeder steckt sich ein Namensschild an, nimmt sich eine Mappe mit Arbeitsunterlagen und sucht sich einen Sitzplatz im Außenkreis oder auf einem der niedrigen Sessel. Während die Teilnehmer sich auf ihren Plätzen einrichten, stellt Violet den CD-Spieler leiser, und die ruhige Musik klingt aus. Dann bittet sie alle Anwesenden um Aufmerksamkeit. „Okay“, sagt sie. „Lasst uns anfangen.“
Obwohl Violet eine weltberühmte Therapeutin und Trainerin ist, hat sie einen ruhigen, fast lässigen Stil. Sie trägt ein T-Shirt mit einer bunten Zeichnung und dem aufgedruckten Satz „Mein Kopf ist voller Kinder.“ Als sie ihre Brille sucht, macht sie eine humorvolle Bemerkung, lacht ein bisschen, und einige der Teilnehmer stimmen in dieses Lachen ein. Sie begrüßt alle herzlich, erzählt von ihrer Aufregung, weil die meisten der Teilnehmer einige Anstrengungen unternehmen mussten, um hierher zu kommen, und verkündet in sachlichem Ton, dass es einiges zu organisieren gibt. Dann geht sie eine lange Liste durch; die Themen reichen von „Wo gibt es Kaffee“ bis dahin, dass sie das Feedback „kontrollieren“ wird, das die Teilnehmer nach einer Einzelarbeit in der Gruppe geben können.
Obwohl ich inzwischen an vielen von Violets Sommerworkshops teilgenommen habe, bin ich zu Beginn doch immer etwas nervös. Wahrscheinlich bin ich mit diesem Gefühl nicht allein, denn schließlich ist jeder von uns Mitglied einer ganz neuen Gruppe. Ich schaue mich um und sehe hier und da ein schüchternes Lächeln, den einen oder anderen unsicheren Blick, aber ich spüre auch die Aufregung, die mit diesem Anfang verbunden ist und die wir während der nächsten zwei Wochen miteinander teilen werden.
Selbst die allseits spürbare Anfangsnervosität löst sich erstaunlich schnell auf. Violet tut einiges dafür, den Auftakt dieses Workshops so angenehm wie möglich zu gestalten. Sie zögert nicht, sich von Anfang an mit den Details zu beschäftigen. Es ist irgendwie beruhigend zu sehen, wie sie die Runde durchgeht und auf sehr respektvolle Weise mit jedem einzelnen überprüft, ob Name und Anschrift auf dem von ihr vorbereiteten Plan korrekt sind. Dann bittet sie die Teilnehmer, sich kurz vorzustellen, zu erzählen, wo sie herkommen, warum sie hier sind und was sie sich von dem Training wünschen. Es ist faszinierend, den einzelnen Gruppenmitgliedern zuzuhören – und dem hier und da unüberhörbaren irischen, spanischen oder neuseeländischen Akzent.
In diesem Jahr kommen zwei Teilnehmer aus Mexico, zwei aus Irland, einer aus Brasilien und einer aus Neuseeland. Sieben sind aus den USA, darunter aus Mississippi, Texas, Montana, Oregon und Ohio. In der Anfangsrunde erwähnen die meisten, dass sie bereits jahrelange Erfahrung in der Beratung und Therapie mit Kindern und Heranwachsenden haben. Die Bandbreite der Arbeitsfelder reicht von kommunalen Gesundheitsdiensten über Schulen und Institutionen der Kinderpflege bis hin zu Krankenhäusern und Kliniken. In diesem Jahr haben wir 21 Frauen und drei Männer (mich selbst nicht mitgezählt) in der Gruppe. Vier Teilnehmer sind Ph.D.s,2 davon drei Psychologen. Die meisten anderen haben Master-Abschlüsse in Psychologie oder Pädagogik. Man kann sagen, dass diese Gruppe im Hinblick auf Geschlechterverteilung, Berufsbild und internationale Herkunft das Bild der letzten Jahre sehr gut widerspiegelt.
Die sechste Teilnehmerin, Joan, eine Sozialarbeiterin aus Mississippi erwähnt in der Anfangsrunde Violets Buch Windos to our Children und sagt: „Dein Buch ist für mich wie eine Bibel. Abends liegt es an meinem Bett, und wenn ich das Gefühl habe, ich brauche eine Anregung für meine Arbeit, schaue ich regelmäßig hinein.“ Ihre Bemerkung wird mit viel Nicken und Lächeln aus der Gruppe beantwortet, und im weiteren Verlauf der Anfangsrunde bestätigen die anderen Teilnehmer Joans Gedanken immer wieder. In den vergangenen Jahren habe ich Violet mit diesen biblischen Vergleichen bezüglich ihres Buches immer wieder aufgezogen – vor allem, weil sie in einer jüdischen Familie aufgewachsen ist und politisch sehr progressive Eltern hatte, die zudem noch Atheisten waren. Wir machen uns einen heimlichen Spaß daraus, in jeder neuen Gruppe darauf zu warten, wer als erster diese „biblische“ Bemerkung macht. Und wenn es dann passiert, muss ich jedesmal innerlich schmunzeln. Gleichzeitig habe ich großen Respekt davor, dass ihr Buch viele Teilnehmer sehr tief berührt. Sie erzählen ganz begeistert und mit großer Dankbarkeit davon, wie sehr dieses Buch ihre Arbeit mit Kindern und Jugendlichen beeinflusst hat. Und tatsächlich war es diese – von Fachleuten aus der ganzen Welt geäußerte – große Wertschätzung ihres Buches und ihrer Arbeit, die in mir die Neugier und das Interesse geweckt hat, selbst herauszufinden, wie sie es eigentlich schafft, in ihren Trainingsworkshops so unterschiedliche Menschen anzusprechen und zu begeistern. Was ich dabei entdeckt habe, möchte ich in den folgenden Kapiteln aufzeigen.
Nachdem die Eingangsrunde beendet ist und wir eine Viertelstunde Pause gemacht haben, leitet Violet eine Übung an, die es der ganzen Gruppe noch etwas leichter machen soll, hier anzukommen und sich auf das Training einzulassen.
„Male dich selbst als Kind“
In ihrer Einführung hatte Violet darauf hingewiesen, dass jeder Tag des Workshops im Prinzip nach demselben Muster ablaufen wird: die Arbeitszeiten sind von 9.00 Uhr bis 16.30 Uhr mit kurzen Pausen am Vor- und am Nachmittag und einer etwas längeren Mittagspause. Als die Teilnehmer sich an diesem ersten Tag nach der Pause gerade wieder eingerichtet haben, sagt Violet: „Gut, dann malen wir jetzt ein Bild.“ Auf dem Boden vor ihr sind die Utensilien ausgebreitet: viele große Zeichenblätter, ein Stapel stabiler Zeichenbretter, große Kisten voller Pastellkreiden, Wachsstifte, Buntstifte und kleine Plastikschälchen, in denen jeder sammeln kann, was er zum Malen benötigt. Violet beginnt die Malübung mit folgenden Anweisungen:
Wir beginnen jetzt mit einer Erfahrung. Ich möchte euch bitten, es euch auf eurem Platz so bequem wie möglich zu machen. Ich möchte euch bitten, die Augen zu schließen. Am Anfang solcher Erfahrungen mache ich immer eine kleine Entspannungsübung. Wenn ich mit Kindern arbeite, mache ich die Übung ganz genau so wie jetzt mit euch. Das gilt für jedes Alter. Nun gehe also in dich und achte darauf, wie du dich fühlst. Bemerke, ob du irgendwo Schmerzen hast. Nimm einfach wahr. Nimm die Position deiner Beine wahr, die Position deiner Arme, und wenn dir danach ist, kannst du dich jederzeit bewegen. Wenn du deine Haltung verändern willst, dann verändere sie. Spüre den Druck des Stuhls und des Bodens auf deinen Körper. Wackle mit den Zehen. Spüre, wie du atmest. Nun möchte ich dich bitten, einen tiefen Atemzug zu nehmen. Hole Atem, halte den Atem, und lass ihn los. Noch einmal. Bemerke, dass deine Schultern immer ein wenig absinken, wenn du den Atem loslässt. Versuche das noch einmal. Nimm einen tiefen Atemzug und lass ihn wieder los.
Ich werde jetzt ein Geräusch machen. Ich möchte dich bitten, so lange wie möglich auf das Geräusch zu hören [sie schlägt zweimal hintereinander eine kleine Glocke an]. Jetzt möchte ich dich bitten, in die Zeit deiner Kindheit zurückzugehen und eine Kindheitserinnerung wahrzunehmen, die in dir auftaucht, während ich spreche. Das kann eine heitere Erinnerung sein, eine traurige Erinnerung, es kann eine wütende Erinnerung sein oder eine gemischte Erinnerung. Gehe zurück in der Zeit … vielleicht ganz weit zurück, oder in die mittlere Kindheit, oder auch in die Zeit deiner Jugend. Wähle eine Zeit aus. Und wähle eine Erinnerung. Es ist nicht nötig, dass du dich an jedes Detail erinnerst. Es kann auch eine ganz vage Erinnerung sein. Gehe in diese Erinnerung und nimm wahr, was in ihr passiert. Wo bist du? In welcher Umgebung bist du? Wer ist bei dir? Oder vielleicht bist du auch allein?
Nun achte darauf, wie du dich in dieser Erinnerung fühlst. Spüre, wie es für dich ist, dieses Kind zu sein. Gleich werde ich dich bitten, dein Gefühl zu malen. Wenn du malst, denke daran, dass ich dein Bild nicht verstehen muss. Du kannst Farben, Linien, Formen benutzen oder kritzeln … was immer du möchtest. Du kannst mit oder ohne Farben malen; mach es so, wie du willst. Vielleicht möchtest du die Gefühle in Farben, Formen und Linien ausdrücken. Vielleicht möchtest du auch Strichmännchen malen, um es leichter zu haben. Es muss kein schönes Bild werden. Ich werde das Bild nicht benoten. Es dient nur dazu, deine Erinnerung auszudrücken.
Wenn du so weit bist, kannst du deine Augen öffnen und dir – ohne zu sprechen – ein Zeichenbrett und ein Blatt nehmen. Nimm dir eine Handvoll Pastellkreiden oder andere Stifte und lege sie in eine Schale. Du kannst im Raum bleiben oder nach draußen gehen; du kannst auch in den Aufenthaltsraum gehen, oder auf die Terrasse. Du hast ungefähr zehn Minuten Zeit, um dein Bild zu malen. Das reicht nicht für ein großartiges Bild. Wenn du so weit bist, möchte ich dich bitten, anzufangen. Nimm eine Handvoll Farben, und wenn du noch andere Farben brauchst, kannst du jederzeit zurückkommen und die Farben holen, die du brauchst.
Während die Teilnehmer langsam die Augen öffnen und schweigend ihre Materialien zusammensuchen, spüre ich, wie die Atmosphäre im Raum sich verändert. Normalerweise erlebt man in einer Gruppe aus lauter fremden, wenn auch professionellen Teilnehmern, am Anfang eher „oberflächliche“ Begegnungen, aber plötzlich herrscht eine entspannte Stille, und die Teilnehmer konzentrieren sich auf ihre Erinnerungen, auf die Wahl der Farben, der Formen und des körperlichen und emotionalen Ausdrucks, den die einfache Tätigkeit des Malens möglich macht. Nachdem ich mein eigenes Bild gemalt habe – in meiner Erinnerung ging ich in die sechste Klasse, war aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen und hatte Besuch von Freunden bekommen –, schreibe ich die folgende Notiz an den Rand meines Bildes:
Die Leute sitzen auf dem Boden und malen schweigend mit Pastellkreiden. Violet sitzt da und schaut ihnen zu. Auch ich male ein Bild meiner Kindheit, und das Malen entspannt mich. Erst die Entspannung, dann das Malen und Schweigen mit der Gruppe – eine nonverbale Aktivität. (14. Juli 1997, 10:45 Uhr.)
Später, am Abend dieses ersten Tages, schreibe ich noch folgendes über diese Erfahrung vom Vormittag:
Ich hatte ein sehr starkes Gefühl, das sich änderte, als der Raum sich aus dem morgendlich formalen, verbalen, mit gekreuzten Beinen und dem Notizblock auf dem Schoß sitzenden Geschehen verwandelte: als ich mein erstes Bild gemalt hatte und mich umschaute, sah ich eine intensive, stille, nonverbale Aktivität, die den Raum mit Farbe füllte. Ich spürte Erregung, Engagement und Entspannung. (14. Juli, 21:26.)
Nach ungefähr zehn Minuten fordert Violet die Teilnehmer auf, zum Ende zu kommen. Als sie eine Minute später fertig sind, bittet sie alle, sich zu fünft zusammenzufinden und über die Bilder auszutauschen. Sie betont, dass es darum geht, „sich mit Hilfe der Bilder kennenzulernen“ und dass wir es vermeiden sollten, die Bilder zu analysieren. Nachdem die Teilnehmer sich nun also zunächst auf sich selbst konzentriert und dann schweigend ausgedrückt haben, beschreiben sie sich in kleinen Gruppen gegenseitig ihre Bilder. Als nach etwa 20 Minuten alle wieder zusammenkommen, fragt Violet nach allgemeinen Rückmeldungen zu der Übung. Eine Teilnehmerin spricht über das „kindliche Medium“ der Wachsmalstifte und Pastellkreiden und wie wichtig ihr das war, um ihre „Kindheitserfahrung ausdrücken“ zu können.
Ein anderer Teilnehmer äußert sich über den Unterschied zwischen Wachsmalstiften und Pastellkreiden und meint, mit den Pastellkreiden zu malen, sei ihm schwerer gefallen, andererseits hätten sie ihn aber etwas lockerer gemacht. Eine ähnliche Bemerkung hatte in meiner Kleingruppe auch Siobhan gemacht; sie meinte, dass diese „staubigen Pastellkreiden ihr geholfen hätten, mehr wie ein Kind zu malen.“ Als Siobhan das sagte, fiel mir ein, dass Violet, als wir am Abend vorher die Malutensilien zusammengestellt hatten, absichtlich mehr Pastellkreiden als Wachs- und Buntstifte ausgesucht hatte, um die Teilnehmer zu ermutigen, sich auf diese Art von Ausdruckserfahrung einzulassen. Auch hatte sie eine Bemerkung gemacht, dass der eigentliche Zweck der Übung darin bestand, sich an eigene Kindheitserfahrungen zu erinnern: „Man kann diese Arbeit nicht machen, ohne sich daran zu erinnern, wie es ist, ein Kind zu sein.“
„Warum Kinder in die Therapie kommen“
Nachdem die Teilnehmer die Möglichkeit hatten, sich über ihre erste Malerfahrung auszutauschen, kündigt Violet an, dass sie gerne darüber sprechen möchte, „was Kinder in die Therapie führt.“ Gerade eben haben die Teilnehmer selbst eine starke sinnliche Erfahrung gemacht, und nun stellt Violet die These auf, dass die beiden Hauptgründe, warum Kinder zur Therapie kommen, mit der sinnlichen Erfahrung bzw. dem Mangel an sinnlicher Erfahrung zu tun haben. Das erste grundsätzliche Problem steht im Zusammenhang mit „einer Unfähigkeit, guten Kontakt herzustellen“ oder, wie sie es ausdrückt, „der Fähigkeit, in einer Situation ganz und gar präsent zu sein und dabei sämtliche Modi zu nutzen, die der Organismus dafür zur Verfügung stellt: Tasten, Schmecken, Sehen, Hören, Riechen.“ Das zweite Grundproblem im Zusammenhang mit Kontakt besteht in einem „verminderten Selbstgefühl“, das durch eine Blockierung der emotionalen und der sinnlichen Erfahrung entsteht. Violet beschreibt:
Jeder benennbare Grund, der Kinder in die Therapie führt, hat etwas damit zu tun, dass die Kinder sich auf irgendeine Weise selbst beschränken. Wenn ich sage, dass Kinder sich selbst beschränken, meine ich, dass sie ihre Fähigkeit verlieren, sowohl zu ihren eigenen Bedürfnissen als auch zu den Ressourcen der Welt um sie herum in Kontakt zu treten, um diese Bedürfnisse befriedigt zu bekommen.
Ausgehend von diesen beiden fundamentalen Problemen, die Kinder in die Therapie führen, sagt Violet, dass die Aufgabe des Therapeuten darin besteht, die blockierten Gefühle ins Fließen zu bringen und dem Kind zu helfen, mit seinen eigenen Gefühlen, seinem Körper und seiner natürlichen Fähigkeit, das Leben zu bewältigen, wieder in Kontakt zu kommen. Sie sagt:
Die Grundlage hierfür bildet das gestalttherapeutische Konzept der „organismischen Selbstregulation.“ Um dieses Konzept zu verstehen, muss man sich anschauen, wie der menschliche Organismus permanent damit beschäftigt ist, sich selbst zu regulieren, Homöostase wiederherzustellen und das Gleichgewicht zu finden. Es sagt uns, wann wir essen, schlafen, zur Toilette gehen und wann wir trinken müssen [sie nippt an ihrem Glas]. Und wenn wir nicht darauf hören, bekommen wir Schwierigkeiten. Wenn ich nicht auf meinen Durst achte, kann ich irgendwann nicht mehr sprechen. Es sagt uns, was wir brauchen, und wenn wir dieses Bedürfnis dann befriedigen, entsteht ein Gleichgewicht. Das ist der Prozess des Lebens. Dasselbe gilt für alle anderen Aspekte des Selbst: psychologisch, emotional, intellektuell und spirituell. Wir haben laufend neue Bedürfnisse, auf die wir achten müssen, denn unser Leben – und wir in ihm – ist immer in Bewegung. Kinder haben es sehr schwer, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu befriedigen, weil sie sich permanent verändern.
Violet weist darauf hin, dass organismische Selbstregulation die natürliche Fähigkeit des Organismus darstellt, das Gleichgewicht zu erhalten, indem man die eigenen Bedürfnisse wahrnimmt und aufgreift. Diese Selbstregulation, sagt sie, „lässt dich entspannt fühlen – wie nach einem echten und tief empfundenen Weinen.“ Dieser Selbstregulationsprozess kann bei Kindern unterbrochen werden, wenn sie anfangen, sich selbst, ihre Gefühle und das Bewusstsein für ihre Bedürfnisse zu beschränken oder zu blockieren. Kinder landen in der Therapie, wenn sie den Kontakt zu ihren Selbstregulationsfähigkeiten verloren haben, erklärt sie. Der Therapeut kann dem Kind in der Therapie helfen, den Kontakt zum eigenen Selbstregulationsprozess zu verbessern, indem er es wieder mit all den verschiedenen Aspekten seines Organismus in Verbindung bringt: mit seinen Sinnen, seinen Emotionen und Gedanken. Wenn die Verbindung mit sich selbst und dem eigenen Selbstregulationsprozess wiederhergestellt ist, kann sich auch der Kontakt des Kindes zum Therapeuten und dem Rest der Welt verbessern, was es ihm leichter macht, für die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse zu sorgen. Diese Erfahrung eines guten Kontaktes mit sich selbst und anderen befähigt das Kind darüber hinaus, ein klareres und positiveres Gefühl für sich und seine Fähigkeiten zu entwickeln.
Die Haus-Baum-Mensch-Zeichnung
Um deutlich zu machen, wie bedeutsam eine unterstützende und nährende therapeutische Beziehung ist, um das Kind im therapeutischen Prozess dabei unterstützen zu können, den Kontakt zu sich selbst und seiner Umwelt zu verbessern, gibt Violet den Teilnehmern nach der Nachmittagspause eine Einführung in die Haus-Baum-Mensch-Zeichnung (Jolles, 1964). Violet setzt diese Variante häufig am Anfang ihrer Arbeit mit einem Kind ein und nennt dafür drei Gründe: Erstens um dem Kind zu helfen, sich durch eine leichte, künstlerische und sinnliche Erfahrung auf den therapeutischen Prozess einzulassen, zweitens um die Beziehung zum Therapeuten aufzubauen und zu festigen und drittens um sowohl dem Kind als auch dem Therapeuten zu helfen, ein „Fenster“ zu den Bedürfnissen und der Welt des Kindes zu öffnen.
„Bei diesem Bild“, sagt Violet, „schließen wir unsere Augen nicht. Ich möchte euch einfach nur bitten, eine kleine Szene zu malen. Es ist egal, was ihr malt, nur müssen ein Haus, ein Baum und ein Mensch darin vorkommen.“ Zum zweiten Mal a...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über den Autor
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Zur Künstlerin des Covers: Georgia von Schlieffen
  4. Geleitwort zur deutschen Ausgabe
  5. Vorwort von Violet Oaklander
  6. Einleitung
  7. 1. Erster Tag: Eine Beziehung aufbauen
  8. 2. Zweiter Tag: In Kontakt gehen
  9. 3. Dritter Tag: Das Selbst erfahren
  10. 4. Vierter Tag: Arbeit mit aggressiver Energie und Wut
  11. 5. Fünfter Tag: Musik-Erfahrung
  12. 6. Sechster Tag: Sandspiel-Tag
  13. 7. Siebter Tag: Geschichten, Metaphern und Puppen
  14. 8. Achter Tag: Praktikumstag
  15. 9. Neunter Tag: Selbstheilung
  16. 10. Zehnter Tag: Abschluss
  17. 11. Epilog: Ton, Kultur und Alter. Die Arbeit nach Oaklander 11. in Südafrka
  18. 12. Nachwort: Hintergrund und Methodik der Studie
  19. Literaturempfehlungen zur
  20. Anmerkungen
  21. Literatur
  22. Weitere Informationen
  23. Impressum