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Dreizehntes Kapitel
Komische Begegnung in Orsera. – Reise nach Korfu. – Aufenthalt in Konstantinopel. – Bonneval. – Meine Rückkehr nach Korfu. – Frau F. – Der falsche Prinz. – Meine Flucht aus Korfu. – Meine tollen Streiche auf der Insel Casopo. – Ich begebe mich nach Korfu in Arrest. – Meine schnelle Freilassung und meine Triumphe. – Meine Erfolge bei Frau F.
Ich behaupte, ein dummer Diener ist gefährlicher als ein boshafter, vor allem fällt er mehr zur Last; gegen einen boshaften kann man auf der Hut sein, nie aber gegen einen dummen. Eine Nichtswürdigkeit kann man bestrafen, eine Dummheit aber niemals anders, als indem man den Dummen oder die Dumme wegjagt. Und durch den Wechsel gerät man gewöhnlich von der Charybdis in die Scylla.
Dies Kapitel und die beiden folgenden waren vollendet; sie enthielten im Detail das, was ich nun ohne Zweifel nur in allgemeinen Zügen niederschreiben werde, denn das dumme Mädchen, das mich bedient, hat sich derselben zu ihrem Gebrauch bemächtigt. Als Entschuldigung führte sie mir an, diese Papiere wären beschrieben, beschmutzt und voller durchstrichener Stellen gewesen, deshalb hätte sie diese den nicht beschriebenen vorgezogen, da diese mir nach ihrer Meinung doch viel wertvoller sein müßten. Ich geriet in Zorn, doch ich hatte unrecht, denn das arme Mädchen hatte ihrer Meinung nach richtig gehandelt; ihr Urteil allein hatte sie irregeführt. Bekanntlich bewirkt der Zorn zuerst den Verlust der Urteilsfähigkeit. Denn Zorn und Überlegung sind nicht vom gleichen Stamm. Glücklicherweise ist der Zorn bei mir stets nur von kurzer Dauer: Irasci celerem tamen et placabilem esse – ebenso schnell versöhnt wie erzürnt. Nachdem ich meine Zeit damit verloren hatte, sie auszuzanken, was auf sie keinen besonderen Eindruck machte, und ihr zu beweisen, daß sie ein dummes Tier wäre, widerlegte sie alle meine Gründe durch das vollkommenste Stillschweigen. Ich mußte einen Entschluß fassen und mit einem Rest schlechter Laune machte ich mich von neuem an die Arbeit. Sie wird ohne Zweifel nicht so gut ausfallen wie die, bei der ich guter Laune war, doch der Leser möge sich zufrieden geben; denn nach dem Gesetz der Mechanik wird er an Zeit gewinnen, was er an Kraft verliert.
Ich war also in Orsera ans Land gegangen, wahrend man den Ballast in unser Schiff brachte, dessen zu große Leichtigkeit dem notwendigen Gleichgewicht für die Fahrt Eintrag tat, und bemerkte einen Mann von gewinnendem Aussehen, der mich mit großer Aufmerksamkeit betrachtete. Ich wußte genau, daß es kein Gläubiger sein konnte, und meinte, mein stattliches Aussehen interessiere ihn, und da ich dies nicht übelnehmen konnte, wollte ich meines Weges gehen, als er mich ansprach.
„Herr Hauptmann, dürfte ich mir die Frage erlauben, ob Sie zum erstenmal in diese Stadt kommen?“
„Nein, mein Herr, zum zweitenmal.“
„Waren Sie nicht im vergangenen Jahr hier?“
„Sehr richtig!“
„Aber damals trugen Sie nicht den Soldatenrock?“
„Auch das ist wahr. Doch Ihre Fragen beginnen mir etwas indiskret zu erscheinen.“
„Sie müssen mir verzeihen, mein Herr, denn meine Neugier ist die Tochter meiner Erkenntlichkeit. Sie sind der Mann, dem ich in höchstem Maße verpflichtet bin, und ich denke, die Vorsehung hat Sie nur wieder hierhergefuhrt, um mir noch größere Verpflichtungen aufzulegen.“
„Was habe ich denn für Sie getan, und was kann ich noch tun? Ich vermag es nicht zu erraten!“
„Haben Sie die Güte und frühstücken Sie mit mir. Dort ist meine Wohnung. Ich besitze vortrefflichen Refosco, kommen Sie und kosten Sie ihn. Ich werde Sie mit wenigen Worten überzeugen, daß Sie mein wahrer Wohltäter sind, und daß ich zu der Hoffnung berechtigt hin, Sie seien nur hierher zurückgekommen, um Ihre Wohltaten zu erneuern.“
Ich konnte diesen Menschen nicht für närrisch halten, aber ich begriff auch nichts von seinen Äußerungen und bildete mir ein, er wolle mich bewegen, seinen Refosco zu kaufen; ich nahm also die Einladung an. Wir gingen in sein Zimmer hinauf, wo er mich einen Augenblick allein ließ, um das Frühstück zu bestellen. Ich sah hier mehrere chirurgische Instrumente und schloß daraus, daß er Chirurg wäre; sobald er zurückkam, fragte ich ihn, ob dem so wäre.
„Ja, Herr Hauptmann, seit zwanzig Jaren betreibe ich dieses Handwerk in hiesiger Stadt, wo ich im Elend lebte, da ich nur selten einmal einen Aderlaß vorzunehmen, einen Schröpfkopf zu setzen, ein paar Schrammen zu verbinden und einige Glieder einzurenken hatte. Was ich erwarb, reichte nicht zum Leben aus. Doch hat sich, ich kann es sagen, seit vergangenem Jahr meine Lage geändert, ich verdiente viel Geld, habe es gut angelegt, und Ihnen Herr Hauptmann, Ihnen, den der liebe Gott segnen möge habe ich meinen gegenwärtigen Wohlstand zu verdanken.“
„Wieso?“
„Folgendermaßen, Herr Hauptmann. Sie haben die Haushälterin des Don Geronimo gekannt und ihr bei der Abreise ein Liebesandenken hinterlassen, das sie einem Freunde mitteilte, der ohne Arg damit seine Frau beschenkte. Diese wollte ohne Zweifel nicht zurückstehen und übertrug es auf einen Liebhaber, der seinerseits damit so freigebig war, daß ich in weniger als einem Monat einige fünfzig Patienten bekam. Die folgenden Monate waren nicht minder fruchtbar, und ich kurierte alle Leute und ließ mich, wie recht und billig, gut bezahlen. Noch jetzt habe ich einige Patienten, doch nach einem Monat werde ich niemand mehr haben, denn die Krankheit ist erloschen. Sie werden jetzt die Freude begreifen, die mich bei Ihrem Anblick erfüllte. Sie schienen mir Glück zu verkünden. Darf ich mir schmeicheln, daß Sie einige Tage hier bleiben werden, um die Quelle meines Glücks von neuem hervorsprudeln zu lassen?“
Ich mußte über seine Erzählung lachen, betrübte ihn aber durch meine Erklärung, daß ich mich sehr wohl befinde. Er versicherte mir, ich würde das nach meiner Rückkehr nicht mehr behaupten können, denn das Land, in das ich mich begäbe, wäre voller schlechter Ware; doch niemand besäße so wie er das Geheimnis, das Übel auszurotten. Er bat mich, auf ihn zu zählen und mich nicht an Quacksalber zu wenden, die mir ihre Mittel anpreisen würden. Ich versprach ihm das alles, dankte ihm und ging an Bord zurück. Ich erzählte meine Geschichte Herrn Dolfino, der darüber herzlich lachte. Am nächsten Tage gingen wir unter Segel und am vierten bekamen wir hinter Gurzola einen Sturm, der mir beinahe das Leben gekostet hätte. Dies ging auf folgende Weise zu:
Ein flawonischer Priester, der als Kaplan auf dem Schiffe war, ein ganz unwissender, frecher und roher Mensch, über den ich bei jeder Gelegenheit spottete, war natürlich mein Feind geworden. Die Seele eines Betbruders kann so gallig sein! Während des stärksten Unwetters plazierte er sich auf das oberste Deck und trieb, sein Gebetbuch in der Hand, beschwörend die Teufel davon, die er in den Wolken zu sehen glaubte und die er allen Matrosen zeigte. Sie hielten sich für verloren, weinten, waren verzweifelt und vernachlässigten so die nötigen Manöver, um das Schiff vor den Felsen zu bewahren, die man rechts und links sah.
Ich erkannte die Gefahr, die wir liefen, und die böse Wirkung seiner Exorzismen auf die Mannschaft, die der einfältige Priester entmutigte, anstatt ihr Mut einzuflößen, und hielt es für klug, mich einzumischen. Ich stieg in die Takelage, rief die Matrosen an die Arbeit und sagte ihnen, es gäbe gar keine Teufel, und der Priester, der sie ihnen zeigen wollte, wäre ein Narr. Ich konnte sprechen, was ich wollte, mich selber der größten Gefahr aussetzen und ihnen zeigen, daß nur von tatkräftigem Eingreifen die Rettung zu hoffen sei: ich vermochte nicht den Priester zu hindern, mich für einen Atheisten zu erklären und den größten Teil der Mannschaft gegen mich aufzuhetzen. Die Winde wühlten während der zwei folgenden Tage die Wogen unaufhörlich auf, und der Schurke wußte den Matrosen, die aufmerksam ihm zuhörten, einzureden, das Unwetter würde sich nicht legen, solange ich auf dem Schiff wäre. Von diesem Gedanken durchdrungen, hielt einer von ihnen den Augenblick für günstig, um die Wünsche des Priesters zu erfüllen, und versetzte mir, der ich am Rande des Oberdecks stand, einen so heftigen Schlag mit einem Tau, daß ich hinfiel. Es wäre um mich geschehen gewesen, hätte sich nicht die Spitze eines Ankers in meinem Rock verfangen und mich so vor dem Sturz ins Meer bewahrt; es war im eigentlichsten Wortsinn mein Rettungsanker. Man kam mir zu Hilfe, und ich wurde gerettet. Ein Korporal zeigte mir den Matrosen, der den mörderischen Anschlag auf mich gemacht hatte, ich nahm den Korporalstock und prügelte den Kerl tüchtig durch; doch die Matrosen und der wütende Priester eilten auf sein Geschrei herbei und ich würde unterlegen sein, wenn die Soldaten sich nicht auf meine Seite gestellt hätten. Der Kapitän des Schiffes kam mit Herrn Dolfino hinzu, sie mußten den Priester anhören und der Bande zu deren Beruhigung versprechen, mich sobald als möglich ans Land zu setzen. Damit noch nicht zufrieden, forderte der Priester, ich sollte ihm ein Pergament überliefern, das ich in Malamocco im Augenblick der Einschiffung von einem Griechen gekauft hatte. Ich erinnerte mich dessen nicht mehr, aber es war wahr. Lachend ühergab ich es Herrn Dolfino, und dieser lieferte es dem fanatischen Kapellan aus, der ein Siegesgeschrei ausstieß, sich das Kohlenbecken aus der Küche holen ließ und darauf ein auto da fé hielt. Das unglückselige Pergament wand und krümmte sich eine halbe Stunde lang, es zerfiel, und der Priester stellte das als eine wundersame Erscheinung dar, die alle Matrosen überzeugte, es sei ein Höllenpakt gewesen. Die angebliche Kraft dieses Pergaments sollte darin bestehen, alle Frauen in den Mann, der es trug, verliebt zu machen. Ich hoffe, der Leser wird mir die Gunst schenken und glauben, daß ich nicht im mindesten an Zaubertränke, Talismane und Amulette glaubte. Ich hatte das Pergament nur aus reinem Scherz gekauft.
In ganz Italien, in Griechenland und im allgemeinen überall, wo die Massen unwissend sind, gibt es Griechen, Juden, Astrologen und Exorzisten, die den Dummköpfen Wische und Tand verkaufen, die nach ihrem Glauben wunderbare Eigenschaften besitzen; Zauber, um sich unverwundbar zu machen, Lumpen, um sich vor dem Behexen zu sichern, kleine Kräuterkissen, um die sogenannten bösen Geister abzuhalten, und tausend ähnliche Albernheiten. Diese Waren sind in Frankreich, Deutschland und England, überhaupt im ganzen Norden, wertlos; dagegen aber verübt man in diesen Ländern andere Betrügereien von noch viel bedeutenderem Umfange.
Das Unwetter nahm gerade ein Ende, als das unschuldige Pergament verbrannt wurde; die Matrosen glaubten die bösen Geister gebannt, dachten nicht mehr daran, sich meiner Person zu entledigen, und nach acht Tagen einer glücklichen Fahrt kamen wir nach Korfu. Sobald ich mir eine gute Wohnung genommen hatte, brachte ich meine Briefe Seiner Eminenz, dem Generalprovveditore, und allen höheren Beamten, an die ich empfohlen war; dann machte ich meinem Obersten meine Aufwartung, und nachdem ich mit den Offizieren des Regiments Bekanntschaft geschlossen hatte, dachte ich darauf, wie ich mich bis zur Ankunft des Ritters Veniero, der mich nach Konstantinopel mitnehmen sollte, möglichst gut unterhalten könnte. Er kam gegen Mitte Juli, da ich mich aber inzwischen dem Brettspiel hingegeben hatte, verlor ich all mein Geld und verkaufte oder verpfändete all meine Schmuckgegenstände.
Das ist das Geschick eines jeden, der zu Hazardspielen geneigt ist, wenn er nicht das Glück zu fesseln versteht, indem er mit einem sicheren Vorteil spielt, der von der Berechnung oder der Geschicklichkeit ahhängt, vom Zufall aber unabhängig ist. Ich glaube, ein verständiger und vorsichtiger Spieler kann beides tun, ohne sich dadurch dem Tadel auszusetzen oder ein Betrüger genannt werden zu dürfen.
Während des Monats, den ich in Korfu in der Erwartung des Ritters Veniero verbrachte, beschäftigte ich mich nicht im mindesten mit der Erforschung des Landes weder in physischer noch in moralischer Beziehung; denn abgesehen von den Tagen, an denen ich auf Wache ziehen mußte, lebte ich im Kaffeehause, an der Pharaobank und unterlag natürlich dem Unglück, dem ich zu trotzen unternahm. Nicht ein einziges Mal kam ich mit dem Trost, gewonnen zu haben, nach Hause, und erst wenn ich nichts mehr besaß, hatte ich die Kraft, aufzuhören. Der einzige alberne Trost, den ich zu hören bekam, und der vielleicht nicht frei von Spott war, war das Lob des Bankhalters, der mich stets einen noblen Spieler nannte, wenn ich eine entscheidende Karte verlor. So befand ich mich in einer trostlosen Lage, und ich atmete erst wieder auf, als ich die Kanonenschüsse hörte, die die Ankunft des Bailo meldeten. Er befand sich auf dem Linienschiff Europa, das 72 Kanonen führte; es hatte nur acht Tage zur Fahrt von Venedig bis Korfu gebraucht. Kaum war der Anker ausgeworfen, als er seine Flagge als Generalkapitän der Seestreitkräfte der Republik hissen und der Provveditore die seine streichen ließ. Die Republik Venedig hat auf dem Meere keine Autorität, die über der des Bailo bei der ottomanischen Pforte steht. Ritter Veniero hatte ein glänzendes und distinguiertes Gefolge und die venezianischen Nobili Graf Annibale Gambera und Graf Carlo Zenobio, sowie der Marchese d’Anchetti aus Brescia begleiteten ihn aus Neugier nach Konstantinopel. Er verbrachte acht Tage auf Korfu, und alle Befehlshaber zur See gaben nach der Reihe ihm und seinem Gefolge ein Fest, so daß die großen Soupers und die Bälle nicht aufhörten. Sobald ich mich Seiner Exzellenz vorstellte, sagte er mir, er hätte schon mit dem Generalprovveditore gesprochen, der mir einen Urlaub von sechs Monaten gewährte, um ihn als Adjutant zu begleiten; sobald ich den Urlaub erhielt, ließ ich mein geringes Gepäck an Bord bringen, und das Schiff lichtete gleich am nächsten Tage die Anker.
Wir gingen mit anhaltendem, gutem Winde unter Segel, und nach sechs Tagen lagen wir vor Cerigo, wo wir vor Anker gingen, um frisches Wasser einzunehmen. Neugierig, das alte Cythere zu sehen, begleitete ich die Matrosen auf ihrem Dienstweg; doch ich hätte besser getan, wenn ich an Bord geblieben wäre, denn ich machte eine schlechte Bekanntschaft. Ich war in Gesellschaft des Kapitäns der die Truppen des Schiffes befehligte.
Sobald wir an Land waren, kamen zwei Menschen von verdächtigem Aussehen und in schlechter Kleidung auf uns zu und baten uns um ein Almosen. Ich fragte sie, was sie wären, und der eine, der gewandtere von beiden, antwortete mir folgendermaßen: „Wir sind auf dieser Insel zu leben und vielleicht auch zu sterben verdammt durch den Despotismus des Rats der Zehn und mit uns gegen vierzig Unglückliche wie wir, ebenfalls allesamt geborene Untertanen der Republik.
Unser vorgebliches Verbrechen, das sonst nirgendwo eins ist, bestand in unserer Gewohnheit, mit unseren Geliebten zusammenzuleben und nicht eifersüchtig auf solche Freunde zu sein, die sie hübsch fanden und mit unserer Zustimmung sich ihre Gunstbezeiungen verschafften. Da wir nicht reich waren, machten wir uns keine Gewissensbisse, daraus Vorteil zu ziehen, aber man behandelte unseren Wandel als unerlaubt und schickte uns hierher, wo wir täglich zehn Soldi in kleiner Münze empfangen. Man nennt uns Mangiamarroni – Kastanienesser, und wir sind schlimmer dran als Galeerensträflinge, denn die Langeweile reibt uns auf und oft wissen wir nicht, wie wir unseren Hunger stillen sollen. Mein Name ist Don Anronio Pocchini, ich bin Edelmann aus Padua,...