Bildung verstehen
  1. 320 Seiten
  2. German
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eBook - ePub

Über dieses Buch

Kern der Überlegungen des vorliegenden Bandes der Reihe "Moderne der Tradition" ist die Auseinandersetzung mit einem Bildungsverständnis, dessen Einheit sich in Vielfalt charakterisiert. Nicolaus Wilder erhebt in seinem Beitrag dieses Spannungsverhältnis explizit zu seinem Erkenntnisinteresse und nähert sich dem schillernden und kontroversen Bildungsbegriff in seiner semantischen Vielfalt unter Zuhilfenahme des GOODMANschen Konzeptes der Weltversionen an. Hierdurch wird es möglich sowohl das Allgemeine der unterschiedlichen Bildungsverständnisse als auch deren Unterschiede vergleichend zu analysieren.Melanie Beiermann hingegen spürt einer längst als verstanden geglaubten Weise, Bildung zu verstehen, nach, indem sie Wilhelm VON HUMBOLDT noch einmal neu liest und so seinen Begriff der Proportionalität unter erweiterter systemtheoretischer Perspektive auslegt. Hierbei führt sie die Idee nicht linear dynamischer Gleichgewichtsansätze in ihrer Argumentation mit, die es erst heute ermöglichen, dem Anspruch an Proportionierlichkeit unter strenger wissenschaftlicher Absicherung Genüge zu leisten.

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Information

Jahr
2014
ISBN drucken
9783735761385
eBook-ISBN:
9783735714411
Auflage
1

I WEISEN DER BILDUNG ‒ ODER: ÜBER DIE DIFFERENZIERBARKEIT DES EINHEITLICHEN

(NICOLAUS WILDER)

„Es gibt vielerlei Augen.
Auch die Sphinx hat Augen –:
und folglich gibt es vielerlei ›Wahrheiten‹,
und folglich gibt es keine Wahrheit.“
(Friedrich Wilhelm Nietzsche, 1887)

1 EINLEITUNG

„Philosophie ist die Kunst, das Selbstverständliche nicht selbstverständlich zu finden.“1 In diesem Sinne sollte die Pädagogik – als eine Wissenschaft, die sich erst seit relativ kurzer Zeit von der Philosophie emanzipiert hat2 – diesen Kern philosophischen Denkens trotz Emanzipation beibehalten und auf ihren Gegenstandsbereich übertragen, wobei der Gegenstandsbereich der Pädagogik mit BALLAUFFS Worten folgendermaßen beschrieben wird: „Mit Pädagogik haben wir es nur dann zu tun, wenn eine Antwort auf die Frage nach Sinn und Maß der Bildung gegeben wird.“3 Auch wenn man möglicherweise der Bildung noch die Erziehung zur Seite stellen und vielleicht auch schon die Suche nach einer Antwort als Pädagogik bezeichnen könnte, so wird hiernach doch eines klar, und zwar, dass eine zentrale Aufgabe der Pädagogik darin besteht, das Selbstverständnis von »Bildung« immerwährend zu hinterfragen und zu diskutieren.
Während sich Arbeiten zum Thema Bildung häufig reißerischer Thesen apokalyptischer Untergangsszenarien als Aufhänger bedienen4, soll diese Arbeit einmal – zur Illustration des Selbstverständnisses von »Bildung« – inmitten der Lebenswelt beginnen und zwar zu dem Zeitpunkt als feststand, dass »Bildung« zum Gegenstand der hier vorliegenden Diplomarbeit werden sollte. Viele Gespräche im Kreise der Bekannten, bei denen zum ersten Mal die Themenwahl darlegt wurde, liefen dabei nach folgendem Muster ab:
Autor (A): „Ich schreibe über Bildung!“ Gesprächspartner (G): „Wie Bildung? Was will man denn 100 Seiten über Bildung schreiben? Das ist doch klar, was das ist.“ A: „Ach ja? Was denn?“ G: „Naja, also, man muss eben bestimmte Dinge wissen.“ A: „Wie zum Beispiel?“ G. „Naja, Deutsch oder Geschichte…“ A: „Dann wären also nur deutschsprachige Historiker gebildet?“ G: „Nein, es können ja auch Naturwissenschaftler sein.“ A: „Also zeichnet sich Bildung durch möglichst tiefgreifende Kenntnis einer bestimmten Fachwissenschaft aus?“ G. „Nein, das auch nicht. Allgemeinbildung gehört natürlich auch dazu.“5 A: „Spiegelt sich Bildung denn ausschließlich im Wissen wider? Oder gibt es auch Personen, die viel wissen, die man aber trotzdem nicht als gebildet bezeichnen würde?“ G: „Die gibt es wohl auch. Natürlich gehören auch soziale Fähigkeiten mit dazu. Gesellschaftlicher Umgang, Höflichkeit...“ A: „Dann wäre also Einstein, der sich – wenn überhaupt – nur um wenige gesellschaftliche Konventionen scherte, nicht gebildet, dafür aber ein jeder Allgemeingebildeter, der gesellschaftlichen Umgang pflegt, darunter Mörder, Kinderschänder, Diebe, Tyrannen?“ G: „Nein, das auf keinen Fall.“ Usw. usf.
Das Resultat ist Folgendes: Was Bildung ist, gilt lebensweltlich als völlig selbstverständlich, was jedoch genau unter »Bildung« zu verstehen ist, weiß fast niemand so recht zu sagen, ähnlich wie es bereits AUGUSTINUS für die Zeit feststellte: „Quid est ergo tempus? Si nemo ex me quaerat, scio; si quaerenti explicare velim nescio“6. In diesem Sinne ist das Ziel dieser Arbeit also ein Annäherungsversuch an die semantische Vielfalt des Bildungsbegriffes oder, genauer gesagt, die Entwicklung und Erprobung eines Verfahrens für einen solchen Annäherungsversuch. Die dafür ausgewählten zentralen Elemente dieser Arbeit sind zum einen – als notwendige Grundlage – eine Betrachtung von Sprache, insbesondere in ihrem Verhältnis zur Wirklichkeit sowie in ihrer semantische Bedeutung – mithin das Verhältnis von Einzelnem zu Allgemeinem – und zum anderen, darauf aufbauend, der Versuch eines hermeneutisch-pluralistischen Umganges mit dem Begriff »Bildung«, der nicht – zumindest nicht ohne erhebliche semantische Verluste – taxonomisch exakt klassifiziert werden kann, ohne dass sich dabei der ‚Verstand Beulen holt‘7 und deshalb unter Zuhilfenahme eines Konzeptes in Anlehnung an die WITTGENSTEINsche Idee der »Familienähnlichkeit«8 komparativ analysiert werden soll.
Für eine wissenschaftliche Betrachtung, die sich der Aufgabe verpflichtet fühlt, ‚das Selbstverständliche nicht selbstverständlich zu finden‘, ergeben sich für eine Betrachtung von »Bildung« zwei elementare Fragen: Zum einen die Frage danach, was Bildung ist, also die Frage nach dem Sein von Bildung und zum anderen die Frage, was unter »Bildung« verstanden wird, also die Frage nach dem semantischen Sinn von »Bildung«. Dabei sind beide Fragen jedoch nicht voneinander losgelöst zu betrachten, denn die Beantwortung der Frage nach dem Sein hat unmittelbaren Einfluss auf die Möglichkeiten der Beantwortungen der Frage nach dem Sinn. Betrachtet man das ontologische Sein von Bildung als etwas Absolutes, weiß man also, was Bildung wirklich ist, so muss dasjenige, was unter »Bildung« verstanden wird, dem entsprechen, was Bildung ist, alles andere wäre als falsch zu bezeichnen. Weiß man hingegen noch nicht, was Bildung wirklich ist, unterstellt aber die mögliche Erkenntnis dessen, so ist die Frage nach dem Sinn die Suche nach dem Sein. Stellt man jedoch die Erkenntnismöglichkeit des Absoluten, also dessen, was Bildung wirklich ist, infrage, so wird das Sein von Bildung überhaupt erst durch den ihr zugewiesenen Sinn konstituiert. Bildung ist dann also dasjenige, was unter »Bildung« verstanden wird.
Soviel sei an dieser Stelle bereits vorweggenommen, dass in dieser Arbeit der letztere Weg eingeschlagen werden wird, denn „es würde uns helfen, die Hoffnung hinter uns zu lassen, die Philosophie werde irgendwie eine Verbindung herstellen zwischen uns und einer ahistorischen, absoluten Instanz.“9 In diesem Sinne RORTYS wird es also in dieser Arbeit nicht darum gehen, irgendein ‚Wesen‘, eine ‚Idee‘, einen ‚Geist‘ oder überhaupt etwas den Menschen und die Gemeinschaft Transzendierendes, Absolutes von Bildung zu erkennen, sondern darum, den der »Bildung« zugesprochenen Sinn zu betrachten, zu verstehen und zu analysieren. Die aus der Aufgabe des Absoluten resultierende Konsequenz, dass es nicht mehr ‚die eine wahre Bildung‘ gibt, sondern es viele unterschiedliche Verständnisse von Bildung geben kann, macht ein Vorgehen notwendig, das genau das Herausarbeiten von Unterschiedlichkeiten und Gemeinsamkeiten der Verständnisse fokussiert und alternative Kriterien zur Beurteilung dieser Verständnisse bereitstellt als das der ‚absoluten Wahrheit‘. Eben dieses soll mit dem GOODMANschen Konstrukt der »Weise« sowie dem zu entwickelnden Konstrukt des »Bildungsraumes« in dieser Arbeit versucht werden, welche es ermöglichen sollen, die unterschiedlichen Verständnisse von »Bildung« miteinander in Beziehung zu setzen und zu vergleichen.

1.1 Gegenstand der Betrachtung

„Der Mensch ist nicht Gott, weil der Gott nicht nach Bildung strebt; denn dieser ist von sich her unveränderlich und bedarf der Bildung nicht.“10 So bedarf der Mensch also aufgrund seiner ‚Veränderlichkeit‘ der Bildung. „Die höchste Möglichkeit des Menschen besteht in diesem Abstreifen des zufälligen Individuellen und dem Hervortreten dieser unverwechselbaren, nie wiederholbaren Eigentümlichkeit. Aus dieser Sicht ist Bildung ein ständiges Individuellerwerden.“11 Aus einer anderen Sicht heraus kann Bildung jedoch auch ein ständiges ‚Kollektiverwerden‘ bedeuten, dessen Ziel das Aufgehen des Individuums in der Gemeinschaft ist. „So wird die Frage nach der Bildung des Menschen zu einer Frage über Leben und Tod, über Unvergänglichkeit und Erlöschen in der Erinnerung der Menschheit.“12
Gegenstand dieser Arbeit ist »Bildung«, einer der wahrscheinlich elementarsten Begriffe, wenn nicht sogar der elementarste Begriff der Pädagogik, was besonders an der ursprünglichen Verwendung des Begriffes »Pädagogik« deutlich wird. „[D]as um 1770 eingeführte Fremdwort [Pädagogik meint] eigentlich die (wissenschaftliche) Lehre von der menschlichen Bildung bzw. Bildungslehre.“13
Bildung. Ist ein, wenn nicht der Grundbegriff der Pädagogik in Deutschland. Da sich in ihm das jeweilige Selbst- und Weltverständnis des Menschen widerspiegelt, kann er nicht zeitlos definiert, sondern nur in seiner historischsystematisch-dynamischen Vielschichtigkeit erschlossen werden.14
»Bildung« ist demgemäß nicht nur einer der elementarsten Begriffe, sondern zugleich durch seine historische und sozio-kulturelle Bedingtheit auch einer der unklarsten und umstrittensten in der Pädagogik. In seiner Schillernheit ist »Bildung« zugleich Schwierigkeit als auch Möglichkeit: Schwierigkeit aufgrund seiner unzähligen Menge an divergenten und teilweise sogar widersprüchlichen Bedeutungen, Möglichkeit, da durch ihn den Menschen ein Mittel zur Verfügung steht, das es erlaubt, die ‚Veränderlichkeit‘ des Menschen in bestimmte Bahnen zu lenken und das ‚jeweilige Selbst- und Weltverständnis‘ sowie das geistige Kulturgut zu vermitteln. Bildung ist damit als „Grundfeste menschlicher Kultur“15 zu verstehen, möglicherweise sogar als notwendige Bedingung menschlicher Kultur, da durch Bildung die nachfolgende Generation immer schon auf dem von den vorherigen Generationen Geschaffenem aufbauen kann und somit eine auch über Jahrhunderte und Jahrtausende andauernde Weiterentwicklung menschlicher Kultur ermöglicht wird. Hierin ist die besondere Relevanz der Bildung für die Gesellschaft zu sehen, denn „Bildung lehrt den vernünftigen Umgang mit der Welt. Deshalb muss Bildung die zentrale Aufgabe unserer Gesellschaft werden.“16 Allerdings darf »Bildung« dabei nicht als das bloße Rezipieren von bereits Geschaffenem verstanden werden, denn „[w]o die Überlieferung von außen prägt, anstatt selbstständig anverwandelt zu werden, verliert sie ihren Sinn.“17 Der Wert von Bildung besteht hiernach also darin, das geistige Kulturgut, welches von der einen Generation der nächsten überliefert wird, ‚selbstständig anzuverwandeln‘, es also aufzunehmen, in Frage zu stellen und weiterzuentwickeln.18
Doch der Wert der Bildung wird nicht nur im gesellschaftlichen Nutzen gesehen, sondern oftmals auch in der Ermöglichung des ‚Individuellerwerdens‘. So beschreibt der Begriff »Bildung« zum Beispiel für HORKHEIMER die Möglichkeit zu einer „reicheren Entfaltung der menschlichen Anlagen, zu einer angemessenen Erfüllung der eigenen Bestimmung“19. Bildung ist dann als das Ermöglichen der Verwirklichung der sich durch das Individuum selbst gegebenen Bestimmung zu verstehen. Bildung als Weg zur Selbstbestimmung und Mündigkeit, als „Ausformung der Individualität“20 gilt überhaupt als eines der großen Ziele der Aufklärung21 und ist auch heute noch – als Gegenposition zu Bildung als Weg zu ökonomischer Verwertbarkeit – nicht weniger bedeutsam.
Eine das Individuum und die Gesellschaft übergreifende Auslegung des Bildungsbegriffes findet sich bei HEGEL, für den »Bildung« die Bedingung des Menschseins an sich darstellt, also zum entscheidenden Abgrenzungskriterium zwischen Mensch und Tier wird.
[D]er Mensch ist, was er ist, wie er als Mensch sein soll, erst durch Bildung; so ist er erst als Geist; es ist seine zweite Geburt; dadurch erst nimmt er Besitz von dem, was er mehr hat als das Tier, und so ist er erst als Geist, als ...

Inhaltsverzeichnis

  1. Über den Autor
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Vorwort der Herausgeber
  4. I Weisen der Bildung (WILDER)
  5. II Zur Exegese des Bildungsbegriffs von Humboldts (Beiermann)
  6. Reihe Moderne der Tradition
  7. Impressum