Teil III
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Im Alten Testament
wie im Neuen
und in den Legenden der Heiligen
wird dem Menschen das Tier
als Botschafter Gottes gesandt.
Franz von Assisi
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Die Natur - Spiegel des Lebens
Wie alleine sind wir in den Weiten des Universums und auf unserer Welt wirklich? Sind wir überhaupt so allein wie bisher angenommen? Natürlich können wir uns jederzeit dem Schöpfer zuwenden und bei ihm Zuflucht finden, ja - er wartet förmlich darauf, dass wir dies tun und unser Leben, das er uns geschenkt hat, ihm anvertrauen. Doch gibt es auf dieser Welt, in unserer direkten Umgebung, Anhaltspunkte dafür, wie wir uns verhalten sollen, neben den Heilsbotschaften der Heiligen Schriften? Stehen Gottes Gesetze seinen Geschöpfen ins Herz geschrieben?
Wenn wir uns die Natur ansehen, das Pflanzenreich, das Tierreich, alle Geschöpfe dieser Erde, die alle aus dem selben Schöpferimpuls hervorgegangen sind wie wir auch, könnten sie dann nicht in ihrer Reinheit und Echtheit gewisse Gesetzmäßigkeiten offenbaren, die uns das Zusammenleben auf diesem Planeten erklären? Gibt es vielleicht in der Art ihrer Natur, ihres So-Seins, ihres Verhaltens, Botschaften, die uns deutlich zeigen, wie wir uns einander gegenüber zu verhalten haben? Was können wir in unseren Mitgeschöpfen, unseren Brüdern und Schwestern, erkennen?
Auf der einen Seite sind wir als Menschen Teil der Natur, auf der anderen Seite hat der Mensch ein Bewusstsein, dass ihn klar von der Natur unterscheidet.
- Der Mensch ist in der Lage, sich selbst zu erkennen;
- er hat das Bewusstsein darüber, dass er ist.
- Er kann begreifen, selbst zu sein und ist in der Lage, sein Dasein und die Welt gedanklich zu reflektieren.
Doch bringen diese Fähigkeiten nur Vorteile mit sich oder bergen sie auch Gefahren?
Die Bibel erzählt uns die Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies. Es heißt, im Paradies gab es zwei verbotene Bäume, den Baum des Lebens und den Baum des Guten und des Bösen. Der Mensch befolgte das Verbot Gottes, die Frucht dieser Bäume zu essen, nicht und aß vom Baum des Guten und des Bösen. So fiel er aus dem paradiesischen Zustand in die Welt. Und hat bis heute den Weg zurück nicht gefunden. Was bedeutet das?
Solange der Mensch immer und immer wieder von dem symbolischen Baum des Guten und des Bösen isst, also wertet, urteilt, in gut und böse unterteilt, wird er den Weg zurück ins Paradies nicht finden. Und wenn der Mensch sich an die Stelle des Schöpfers der Welt stellt und meint, über Leben und Tod bestimmen zu können, am Leben herum-manipuliert, sich das Leben zurecht-lügt und -biegt, wird der Weg nach Hause weiterhin verperrt bleiben.
Wenn der Mensch jedoch beginnt, das Leben als Leben anzuerkennen und eben nicht der Versuchung nachgeht, vom Baum des Guten und Bösen zu essen, sondern das Leben Leben sein lässt und es der Natur, der Welt, der Zeit, ja dem Schöpfer überlässt, wie das Leben sein soll, erst dann wird der Mensch den Weg zurück ins Paradies finden.
Die Tiere leben es uns vor. Sie manipulieren nicht am Leben herum. Sie zwängen es nicht in Formen. Sie beschneiden nicht ihr eigenes Wesen und ihre ihnen gegebenen Eigenschaften, um zu 'passen', um zu 'gefallen', um 'richtig' zu sein. Sie werten weder Situationen noch Charakter. Sie sind immer echt und leben in der totalen Annahme von allem, was ist; von allem, was um sie herum existiert, was ihnen gegeben ist, was sie zu sein bestimmt sind. Sie legen dem Leben nicht irgendwelche Dogmen auf, fällen keine Urteile auf Grund nicht erfüllter Erwartungen oder wegen des 'Verstoßes' gegen auferlegte, teils sinnlose Regelwerke.
Es gibt einen Leitfaden des Zusammenlebens. Nicht nur die biblischen Gebote, die Botschaft Jesu und die Briefe des Paulus weisen uns diesen Weg. Sondern es gibt Gesetze - und zwar die Gesetzmäßigkeiten der Natur - die kein Tier und keine Pflanze übertritt, und die sie uns Tag täglich vorleben.
Da sie nicht über sie reflektieren können, können sie sich auch nicht gegen die Natur entscheiden. Darum ist ihr Leben als Botschaft an uns auch so wertvoll. Weil es uns zeigt, wie Leben geht, ohne von der Natur getrennt zu sein. Anstatt permanent über das Leben urteilen zu wollen - anstatt vom Baum des Guten und Bösen zu essen - enthalten sie sich und folgen schweigend ihren Pfaden, nehmen ihr So-Sein vorbehaltlos an, ohne Gegenwehr, ohne Kampf, ohne Fragen.
Die Natur bewertet nicht. Keine Pflanze und kein Tier wertet eine Erfahrung. Jede Seele macht ihre eigenen Erfahrungen und jeder Seele ist es erlaubt, ihre eigenen Erfahrungen zu machen. Es liegt nicht in dem Ermessen eines anderen zu bestimmen, wer welche Erfahrungen zu machen und wer welche Erkenntnisse zu gewinnen hat.
Das So-Sein-Lassen ist ein paradiesischer Zustand, den wir uns alle von unserer Familie, von unseren Freunden und unseren Geliebten wünschen. Sein dürfen, wie wir sind; angenommen sein, wie wir sind; denken, sagen, ausdrücken dürfen, was und wer wir sind; echt zu sein, ohne Fassade, ohne Selbstzweifel, ohne Angst. Das ist unser aller Wunsch, denn es entspricht den Gesetzen der Natur. Und die Tiere leben es uns vor. Tag für Tag. In jedem Augenblick.
Die Tiere schauen nicht auf ihren Nachbarn und fragen sich, ob es nicht besser wäre, so zu sein wie er. Sie eifern nicht anderen nach, in der Vorstellung, irgendwann so zu sein wie sie und all das zu können und zu besitzen, was ein anderer kann und besitzt. Kein Hund möchte ein Elefant sein. Kein Fisch ein Vogel. Sie sind, was sie sind und leben das ihnen zugeteilte Schicksal in einvernehmlicher Würde mit der Welt und ihren Gezeiten. Sie richten nicht über das Leben und wollen ihr Leben, ihr So-Sein, nicht anders machen, besser haben, verändern oder neu kreieren. Sondern sie leben im Paradies, direkt vor unseren Augen.
Und obendrein fragen sie nicht einmal, ob wir es sehen; sie zwingen uns auch nicht, die Botschaft ihrer Leben zu verstehen. Sie sind einfach nur da und leben uns den paradiesischen Zustand, den wir so sehnlichst hoffen und uns wünschen zu erreichen, stillschweigend vor - und wir können es nicht in vielen Fällen erkennen, weil wir einfach nicht hinschauen.
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Der Wunsch
ein Tier zu halten
entspringt einem uralten
Grundmotiv - nämlich der Sehnsucht des Kulturmenschen
nach dem verlorenen Paradies.
Konrad Lorenz
österr. Zoologe und Medizin-Nobelpreisträger
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Es sind ja 'nur' Tiere
Dieser Gedanke ist ein Resultat des mittlerweile mehrfach beschriebenen Kunstgriffes unter religiöser Flagge und einer der gefährlichsten aller Gedanken, denen man in seiner Seele Raum geben kann - nämlich der Aufwertung des Menschen bei gleichzeitiger Abwertung alles anderen Lebens. Denn in dem Augenblick, in dem man wertet und sein Gegenüber zum Tier erklärt - oder zum Aggressor, zum Terrorist, zum Nazi, zum Leugner, zur Kakerlake - fällt es automatisch aus dem gängigen Wertesystem heraus, indem dann auch die moralischen und ethischen Grundsätze nicht mehr greifen, die instinktiv nur gleich-gearteten vorbehalten sind. Dieser Vorgehensweise bedienen sich heutzutage Politiker und ihre Gefolgschaften nur allzu gerne und rechtfertigen damit Ungerechtigkeiten und Gräueltaten aller Art. Diese reichen von auf Lügen basierender Hetzjagden gegen Andersdenkende, Verleumdungen, Beschimpfungen, Existenzvernichtungen bis hin zu Angriffskriegen, die am Ende all jene 'Tiere' vernichten, die des Lebens weit weniger Wert sind als sie selbst, 'dem wahren Mensch', zu dem sie sich selbst erklären und der ja bekanntlich die Krone der Schöpfung ist.
So isst der Mensch wiederholt vom 'Baum des Guten und des Bösen', ohne es zu merken und entfernt sich immer weiter und weiter und weiter von der eigentlichen, einzigen und wahren Lösung, die es geben kann: Nämlich der Umkehr zur Ganzheit und dem Heil Gottes, das durch die Natur wirkt und uns in ganzer Fülle, Vollkommenheit und Schönheit geschenkt ist. Schlicht, indem wir aufhören, den Versuchungen des Baumes und seiner Früchte nachzugeben - dem Bewerten, ob Aufwerten oder Abwerten. Auch wenn seine Früchte noch so verlockend anmuten und es allzu leicht ist, sich mit einer kurzen Wertung, einem schnellen Urteil, einer rasch herbei-philosophierten Meinung - die wir uns nur zu gern von anderen bestätigen lassen - aus der Affäre zu ziehen und uns davonzustehlen, um uns in dem Gefühl zu baden, doch irgendwie 'die Besseren' zu sein.
Üben wir statt dessen Gehorsam und enthalten uns, greifen nicht mehr zu, geben der Versuchung nicht mehr nach und lassen den verbotenen Baum unangetastet, um endlich wieder zurück nach Hause zu finden in ein Paradies, aus dem die Tiere nie vertrieben wurden und das es für uns Menschen schon lange nicht mehr gibt.
Angst
Angst trennt uns nicht nur von uns selbst und unseren eigenen Gefühlen, sondern auch von unseren Mitmenschen und der Welt um uns herum. Es ist Angst, die uns daran hindert, vorbehaltlos in neue Erfahrungen einzutauchen, Neues zu entdecken und das Leben als Abenteuer wahrzunehmen. Was aber ist die Ursache von diesem weit verbreiteten Gefühl?
Angst in unserer Zeit kann viele Ursachen haben. Eine Ursache ist die Angst vor dem Urteil anderer, die sogenannte Menschenangst, die tief in uns sitzt und uns in den Grundfesten verunsichern kann. Denn das Urteil anderer bedeutete im Laufe der Geschichte nicht selten den Ausschluss aus der Gesellschaft und damit den sicheren Tod.
In meiner eigenen Familie habe ich Menschen kennengelernt, die sich der Intoleranz verschrieben, anderen nicht zugehört sondern sie verurteilt haben, nur um sie am Ende von sich zu stoßen. Ich habe am eigenen Leib erfahren, wie folgenschwer ein Ausschluss aus der Gemeinschaft, die einem eigentlich Schutz geben sollte, sein kann. Und ich habe begriffen, dass das Urteil über andere niemals für irgendeine Seite eine wirkliche Lösung ist. Nie. Auch wenn wir das im ersten Augenblick annehmen.
Das Resultat war eine sehr große Einsamkeit, viel Alleinsein und eine früh beginnende Suche nach dem, was uns verbindet.
Der Weg zueinander führt niemals über das Urteil. Der Weg zueinander kann immer nur über die Akzeptanz führen. Darüber, Brücken zu bauen und dem anderen sein So-Sein zu gestatten. Darüber, zu versuchen, den Standpunkt eines anderen wirklich zu erfassen; die Beweggründe seines Denkens und seines Handelns zu verstehen – um ihn zu erreichen. Mit Diffamierungen, Beschimpfungen, Abweisungen, Urteil, Mobbing und dem 'sich voneinander abwenden‘ findet man keine Lösung miteinander. Und schon gar nicht findet man auf dieser Weise eine Lösung, die beiden Seiten gerecht wird.
Das Negieren und Aburteilen des Andersgearteten und Anders-denkenden führt niemals zueinander. Das Urteil wird niemals Wege eröffnen. Das Richten wird keine neuen Möglichkeiten und Lösungen bieten. Das Urteil ist immer eine Sackgasse und fällt im Zweifelsfall am Ende auf einen selbst zurück.
Das Resultat des Urteils ist immer eine gewisse Art der Entzweiung und der Entfremdung. Das Essen vom Baum des Guten und des Bö...