SPORT ALS INSTRUMENT DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT – BEISPIELE ERFOLGREICHER VORHABEN DER GIZ1
von Dr. Christoph Beier
Sport – Anerkanntes Instrument zur Förderung von Entwicklung
Sport spielt im internationalen Kontext seit jeher eine große Rolle. Während man sich jedoch lange Zeit vor allem auf die Förderung und Entwicklung von Sport konzentrierte, rückte in den letzten 50 Jahren die Förderung von Entwicklung und Frieden durch Sport zunehmend in den Fokus2. Nach diesem Verständnis dient Sport als Instrument zur Erreichung entwicklungspolitischer Ziele. Mit der Ernennung des ersten Sonderbeauftragten der Vereinten Nationen für „Sport im Dienst von Entwicklung und Frieden“ im Jahr 2001 fand die entwicklungsbezogene Wirkungskraft des Sports zum ersten Mal weltweite politische Anerkennung. Durch die Resolution 58/5 der Vereinten Nationen ist „Sport als Mittel der Förderung von Bildung, Gesundheit, Entwicklung und Frieden“3 international und national etabliert und legitimiert. Auch die 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen hebt die Bedeutung von Sport als Wegbereiter für nachhaltige Entwicklung hervor und betont seinen Beitrag zu Entwicklung, Frieden, Gesundheit, Bildung und sozialer Inklusion4.
Weltweit existiert eine Vielzahl staatlicher, zivilgesellschaftlicher und privatwirtschaftlicher Organisationen, die Sport als Entwicklungsinstrument nutzen.5 Grundlage ist dabei ein weites Sportverständnis: Sport im Sinne von „Sport für Entwicklung“ umfasst alle Formen physischer Aktivität, die zu körperlichem und geistigem Wohlbefinden und sozialer Interaktion führen.6 Dies impliziert neben populären Teamsportarten auch Tanz, Spiel und traditionelle Bewegungsformen.7
„Sport für Entwicklung“ in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
Im Auftrag der Bundesregierung gestaltet die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenar-beit (GIZ) GmbH weltweit Entwicklungsprozesse. Das vielfältige Know-how des Bundesunternehmens GIZ wird rund um den Globus nachgefragt – von deutschen Ministerien, der Europäischen Union, den Vereinten Nationen und Regierungen anderer Länder. Ein Bestreben der GIZ ist es, innovative wirksame Lösungswege zur Förderung politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Veränderungen anzubieten.
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit blickt auf mehr als drei Jahrzehnte Erfahrung im Einsatz von Sport in der internationalen Zusammenarbeit zurück. Sport gibt als Instrument und übergreifendes Thema in der Entwicklungszusammenarbeit Impulse für Veränderungen und nachhaltige Entwicklung – sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher Ebene. Aufgrund seiner vielfältigen und effektiven Einsetzbarkeit eignet sich Sport hervorragend als Werkzeug, um Vorhaben mit unterschiedlichen Schwerpunkten zu bereichern und wirksamer zu gestalten. In vielen der in der neuen 2030-Agenda für Nachhaltige Entwicklung verankerten Handlungsfelder, wie Bildung, Gesundheitsförderung, Gleichstellung der Geschlechter, Konfliktbewältigung oder gute Regierungsführung, ist die deutsche Entwicklungszusammenarbeit bereits durch „Sport für Entwicklung“ aktiv. Im Folgenden werden ausgewählte Wirkungsfelder detaillierter dargestellt.
Bildung ist wesentlich für die Entwicklung eines jeden Menschen. Sport lehrt soziale Schlüsselkompetenzen und Werte, vermittelt Alltagsfähigkeiten und macht Bildungsthemen, wie zum Beispiel Kinderrechte oder Gesundheit, praktisch erfahrbar. Zahlreiche Studien belegen den positiven Zusammenhang zwischen physischer Aktivität und Lehrqualität sowie Lernerfolgen, zum Beispiel in den Bereichen Alphabetisierung und Rechenfertigkeit.8 Die Attraktivität des Sports bewirkt eine Verminderung der Anzahl von Schulabbrüchen und eine Erhöhung der Anwesenheitsraten. Außerdem werden Kinder und Jugendliche, die keine Schule besuchen, über sportpädagogische Angebote erreicht und wieder in das Bildungssystem eingegliedert. Durch Sport wird eine Vielzahl von lebens- und berufsrelevanten Fähigkeiten (sogenannte life skills) spielerisch erlernt.9 Studien der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) belegen die Deckungsgleichheit von im Sport erworbenen und in der Berufswelt benötigten Kompetenzen.10 Damit ist Sport nicht nur ein wichtiges Instrument der Grundbildung, sondern dient auch der beruflichen Bildung.
Frauen und Mädchen stellen einen großen Teil der weltweiten Bevölkerung. Ohne sie ist eine nachhaltige Entwicklung nicht möglich. Dennoch sind gerade sie oft von Entwicklungsprozessen ausgeschlossen. Deshalb fördert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit Geschlechtergerechtigkeit in allen Bereichen. Studien belegen, dass Sport besonders bei Mädchen zur Persönlichkeits- und Selbstbewusstseinsentwicklung beiträgt, life skills vermittelt und so Eigenständigkeit, Bildungs- und Berufschancen fördert. Auch gendersensible Themen, wie zum Beispiel sexuelle und reproduktive Gesundheit, können durch Sport adressiert werden.11 Über Sportangebote werden auch Jungen und Männer erreicht und zur kritischen Reflexion über traditionelle Rollenbilder oder HIV- und Aids-Prävention angeregt.12
Sportpädagogische Angebote ermöglichen zudem den Aufbau von sozialen Netzwerken und schaffen dadurch soziale Sicherungs- und Unterstützungssysteme. „Sport für Entwicklung“ bietet Möglichkeiten für Mädchen und junge Frauen, Führungsrollen in ihrer Gemeinde wahrzunehmen und ihre Partizipation sichtbar zu machen.13
Im Kontext der aktuellen Krise im Nahen Osten und der daraus resultierenden Flüchtlingsströme übernimmt Sport eine besondere Rolle. Eingebunden in ein ganzheitliches Konzept, ermöglicht Sport Kindern und Jugendlichen in Fluchtkontexten, Traumata zu verarbeiten und neues Selbstbewusstsein zu erlangen. Spiel und Bewegung stärken ihr physisches und psychosoziales Wohlbefinden.14 Regelmäßige Sportaktivitäten erleichtern es, in einen sicherheitsgebenden Alltag zurückzukehren, Vertrauen wiederherzustellen und Normalität aufzubauen. Dies kommt vor allem dann zum Tragen, wenn individuelle Betreuungsmaßnahmen fehlen. Richtig eingesetzt kann Sport in Post-Konflikt-Situationen Begegnung, Dialog und Versöhnung unterstützen sowie als Instrument zur Schulung gewaltfreier Konfliktlösungen genutzt werden.15
Welche Rolle eine Sportlehrerin in der persönlichen Entwicklung ihrer Schülerinnen spielen kann – dazu machten sich Teilnehmerinnen des Ausbildungsworkshops im Frühjahr 2015 Gedanken. Foto: GIZ/Oliver Becker
Sport ist jedoch kein Allheilmittel und wirkt nicht per se positiv. Erst der verantwortungsbewusste Umgang mit und der qualifizierte Einsatz von „Sport für Entwicklung“ ermöglichen es, Menschen zu bewegen und Veränderungen anzustoßen. Die Etablierung des Ansatzes „Sport für Entwicklung“ in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit findet Ausdruck in Regional- und Sektorvorhaben sowie in der von Bundesminister Müller ins Leben gerufenen Initiative „Mehr Platz für Sport – 1.000 Chancen für Afrika“. Diese Vorhaben ermöglichen es, bestehende Erfahrungen systematisch aufzubereiten, zu vertiefen und „Sport für Entwicklung“ langfristig in die Zusammenarbeit mit den Partnern zu integrieren. Durch eine kontinuierliche wissenschaftliche Begleitung (realisiert durch die Deutsche Sporthochschule Köln und ICSSPE16) werden fundierte Kenntnisse über erfolgreiche Methoden für den Einsatz von Sport in der Entwicklungszusammenarbeit gewonnen und damit Kapazitäten und Strukturen nachhaltig gestärkt.
Durch die Kooperation mit relevanten Akteuren können Erfahrungen und Know-how im Bereich „Sport für Entwicklung“ besser gebündelt werden. Daher arbeitet die deutsche Entwicklungszusam-menarbeit eng mit Nichtregierungsorganisationen, Sportvereinen und -verbänden wie dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) oder dem Deutschen Fußball-Bund e.V. (DFB), politischen Ent-scheidungsträgern sowie internationalen Organisationen (z.B. UNOSDP17), der Wissenschaft und auch der Wirtschaft (u.a. im Rahmen der „Designed to Move“-Kampagne von Nike) zusammen. „Sport für Entwicklung“ mobilisiert neue nationale und internationale Kooperationspartner für die deutsche Entwicklungszusammenarbeit.
Aus der Praxis – Beispiele erfolgreicher Vorhaben
Durch die vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geförderten Vorhaben werden Ansätze und Strategien zum Einsatz von „Sport für Entwicklung“ erprobt, ausgewertet und systematisiert. Dazu führt die GIZ mit ihren Partnern vielfältige Maßnahmen zu unterschiedlichen Themen in Afrika, Asien und Lateinamerika durch. Primäre Zielgruppe der Vorhaben sind vor allem sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche. Aufgrund seiner großen weltweiten Popularität und eines relativ geringen Materialaufwands ist Fußball die am häufigsten angewandte Sportart.18 Die Umsetzung von „Sport für Entwicklung“ realisiert die deutsche Entwicklungszusammenarbeit im Wesentlichen durch die Kapazitätsentwicklung und strukturbildende Maßnahmen sowie durch die Ausbildung und Qualifizierung sogenannter Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Gemeinsam mit erfahrenen lokalen und internationalen Partnern wird der Sport, angepasst an die Rahmenbedingungen und besonderen Bedürfnisse des jeweiligen Landes, als Instrument zur Förderung der im vorherigen Kapitel genannten thematischen Schwerpunkte eingesetzt. Im Folgenden werden exemplarisch aktuelle Vorhaben in Afghanistan, Brasilien, Namibia und Jordanien genauer dargestellt.
Afghanistan
In Afghanistan liegt ein besonderer Fokus auf der Förderung von Mädchen und jungen Frauen durch sportpädagogische Angebote in Schulen.
Sich gemeinsam bewegen – kein Alltag in Afghanistan. Bei einem Sportfestival begegnen sich afghanische Trainerinnen und Trainer auf Augenhöhe und setzen so ein Zeichen für Chancengerechtigkeit. Foto: GIZ/Safi Najmuddin
Während der Herrschaft der Taliban und des jahrzehntelangen Krieges war es der afghanischen Bevölkerung verboten, sportliche und kulturelle Aktivitäten auszuüben. Mädchen und Frauen wurde außerdem der Schulbesuch und damit eine berufliche Qualifizierung und Selbständigkeit verwehrt. Auch nach dem Machtverlust der Taliban im Jahr 2001 blieben Frauen weitestgehend vom öffentlichen Leben und von Sportangeboten ausgeschlossen. Noch immer steht Afghanistan auf Platz 171 von 188 des geschlechtsbezogenen Entwicklungsindex (GDI).19 Schulen bieten als geschützter Raum eine der wenigen Möglichkeiten zu Sport, Spiel und Bewegung für Mädchen und junge Frauen. Die Verankerung von Schulsport für Mädchen in den Lehrplänen bedeutet für die Frauen in Afghanistan viel mehr als nur körperlichen und mentalen Ausgleich – es ist ein S...