Feindliche Übernahme – Das Ende der Demokratie
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Feindliche Übernahme – Das Ende der Demokratie

Wie die Ökonomisierung der Politik die Ökonomie entpolitisiert.

  1. 376 Seiten
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Feindliche Übernahme – Das Ende der Demokratie

Wie die Ökonomisierung der Politik die Ökonomie entpolitisiert.

Über dieses Buch

Leben wir noch in einer Demokratie? Oder leben wir in einer Zeit, in der eine Transformation der politischen Systeme stattfindet? In der neue Strukturen in der Politik entstehen, die als eine Art Bypass demokratische Strukturen umgehen? Wodurch private Akteure die politische Bühne betreten, Prozesse und Inhalte zu ihren Gunsten beeinflussen und die Politik einer massiven Ökonomisierung aussetzen? Konsequenz dieser Transformation, die gemeinhin als Neoliberalismus beschrieben wird, ist die Entfaltung eines finanzkapitalistischen Repräsentationssystems. In politischen Entscheidungen werden immer häufiger Marktakteure repräsentiert, die zur Finanzierungsgrundlage der Politik geworden sind. Der Wähler dient nur noch als Quelle zum Machterwerb. Für das neue Repräsentationssystem bilden sich neue Institutionen im politischen System, während Parlamente auf Marktkonformität getrimmt werden - oder demokratische Institutionen ganz verschwinden. Durch Freihandelsabkommen sollen diese neuen Strukturen implementiert werden. Dadurch entziehen sich Wirtschaft und Finanzen endgültig einer demokratischen Regulierung. Die Folge ist eine soziale Ungleichheit, die wieder ein Niveau wie zu vordemokratischen Zeiten erreicht. Demokratische Mitbestimmung über die Verteilung des erwirtschafteten Wohlstands droht, eine Besonderheit des 20. Jahrhunderts zu bleiben.

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II.Symptome

Zusammenhang Demokratie und Kapitalismus

Wir haben gesehen, welche Ursachen dafür verantwortlich sind, dass demokratische Prozesse erodieren und neue Prozesse und Strukturen im politischen System eine Veränderung der Demokratie bewirken. Doch worin äußert sich diese Transformation? Was bewirken diese neuen Prozesse und Strukturen? Momentan sieht es ganz danach aus, als dass sie eine Abkopplung des Kapitalismus von der Demokratie ermöglichen. Vielerorts wird behauptet, dass Demokratie und Kapitalismus in einem engen Zusammenhang stehen. Besonders zu Zeiten des Kalten Krieges herrschte die Meinung vor, dass nur der Kapitalismus im Gegensatz zum Kommunismus ein freies Leben der Menschen und damit auch eine Demokratie ermöglicht. Ebenso vertrat man die Ansicht, dass nur eine Demokratie dazu in der Lage sei, einen freien Wettbewerb zu gewährleisten. Sowohl Kapitalismus als auch Demokratie haben gemeinsam, dass sie beide auf Freiheit basieren, allerdings unterscheiden sie sich deutlich im Prinzip der Gleichheit. Während es ein entscheidendes Merkmal der Demokratie ist, dass jede Stimme gleich viel zählt, ist Ungleichheit ein Charakteristikum des Kapitalismus. Zumindest die Auffassung, dass der Kapitalismus ein demokratisches System benötigt, ist überholt. China stellt eindrucksvoll unter Beweis, dass ein kapitalistisches System keiner Demokratie bedarf. Das ist der Pfad, auf dem sich der Kapitalismus heute befindet. Der heutige Kapitalismus benötigt keine Demokratie. Im Gegenteil, sie steht ihm sogar im Weg. Um sich dessen bewusst zu werden, empfiehlt es sich, einen Blick auf den evolutionären Zusammenhang von Kapitalismus und Demokratie zu werfen.
Zu Zeiten des sogenannten Manchester Kapitalismus während der industriellen Revolution in Großbritannien gab es keine demokratischen Instrumente und Institutionen, welche die negativen Auswirkungen des Kapitalismus wie beispielsweise der Verelendung der Arbeiterschaft, Arbeitszeiten von zwölf bis 18 Stunden am Tag, fehlendem Arbeitsschutz, Kinderarbeit sowie Armut von Alten und Kranken regulierten. Der Wohlstand war extrem ungleich verteilt. Dem reichsten einen Prozent der Bevölkerung von Ländern wie Großbritannien und Frankreich gehörten 70 bis 80 Prozent des Nationaleinkommens. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung besaß praktisch nichts. Zudem war im 19. Jahrhundert das Zensuswahlrecht in Europa keine Seltenheit. Beim Zensuswahlrecht handelt es sich um ein Wahlrecht, dass nur für bestimmte vermögende Gruppen vorgesehen ist. In Frankreich wurde das Zensuswahlrecht ironischerweise nach der französischen Revolution mit der Verfassung von 1791 verankert. Demnach waren nur Männer ab 25 Jahren wahlberechtigt, die eine Steuerleistung von mindestens drei Arbeitstagen nachweisen konnten. Diese wählten wiederum Wahlmänner, die eine Steuerleistung von zehn Arbeitstagen vorweisen konnten. Mit diesem Wahlrecht waren de facto fünf Sechstel der französischen Bevölkerung von Wahlen ausgeschlossen. Auch in Großbritannien gab es ein Zensuswahlrecht. Dort wurde aber zumindest mit dem Reform Act von 1832 die Gruppe der Wahlberechtigten auf etwa 500 000 Bürger ausgeweitet, womit sich die Zahl der Wahlberechtigten verdoppelte. Ebenso gab es in Deutschland ein Zensuswahlrecht zwischen 1850 und 1918. Bei den Wahlen zum Preußischen Parlament galt das Dreiklassenwahlrecht, in dem die Wahlberechtigten in drei Klassen nach Besitz unterteilt wurden. Zwar konnten ab 1871 alle Männer auf Reichsebene wählen, jedoch wurde das allgemeine Wahlrecht für Frauen und Männer in Deutschland erst 1918 eingeführt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Länder Europas von einer enormen Ungleichheit in der Verteilung des Nationaleinkommens gekennzeichnet. Ein Umstand, der seine Ursache auch im Zensuswahlrecht fand, da nur Wohlhabende wählen und damit die politischen Rahmenbedingen mitbestimmen konnten. Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts konnte sich der Kapitalismus frei entfalten. Das Zensuswahlrecht verhinderte eine massendemokratische Regulierung des Kapitalismus, weil die überwiegende Mehrheit der Wahlberechtigten zu dem kleinen Teil der Gesellschaft gehörte, der von dem unregulierten Kapitalismus profitierte. Staatliche Regulierung hätte nur bedeutet, dass diese Gruppe mit Profiteinbußen zu rechnen hätte.
Erst Bismarck wagte wenige vorsichtige staatliche Eingriffe wie etwa bei der Sozialgesetzgebung. Bismarck schuf eine Rentenversicherung sowie Armuts-, Krankheits-, Invaliden- und Unfallversicherungen. Auch der Arbeitsschutz wurde in dieser Zeit vorangetrieben. Mit der Sozialgesetzgebung schuf Bismarck die Pfeiler des Sozialstaates. „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte.“ Erst als die restlichen Schichten der Bevölkerung zu Wahlberechtigten wurden, nahm man die Arbeiterklasse als Wählergruppe wahr. Der Sozialstaat und die daraus resultierende Regulierung des Kapitalismus ging somit auf demokratische Prozesse zurück, namentlich auf die Entdeckung der Arbeiterklasse als homogene Wählergruppe. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es sowohl zur Gründung vieler Gewerkschaften, die zu dieser Zeit noch mit Repressionen zu kämpfen hatten, wie auch zu der Gründung von Arbeiterparteien, wie etwa in Deutschland 1863 der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) und 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Beide vereinigten sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei, aus der 1890 die SPD hervorging. Zwischen 1890 und 1913 sprang die Mitgliederzahl der Gewerkschaften in Deutschland von 300.000 auf 2,5 Millionen. Auch in Frankreich wurde 1895 die CGT, die „Confederation generale du travail“, der allgemeine Gewerkschaftsbund, gegründet. In London entstand 1864 die internationale Arbeiterassoziation und 1893 wurde die Independent Labour Party in England gegründet, aus der später die Labour Party hervorging. Erst als sich die Arbeitnehmer in Massenorganisationen wie Gewerkschaften und Parteien zusammengeschlossen hatten, waren sie dazu in der Lage, ihre Anliegen auf die politische Ebene zu befördern. Hinzu kam, dass die negativen Auswirkungen des „wilden Kapitalismus“ große Teile der Bevölkerung betrafen. Politiker, die gewählt werden wollten, konnten auf die Wählerstimmen aus diesen Massenorganisationen nicht verzichten, weshalb deren politische Forderungen immer mehr Berücksichtigung im politischen Prozess fanden. Die demokratische Regulierung des Kapitalismus setzte ein. Nach und nach wurden in den USA und Europa Gesetze zum Arbeitsschutz und zum Arbeitsrecht erlassen und vor allem in Europa Sozialsysteme geschaffen, die Krankenversicherungen und Rentensysteme beinhalteten.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam es in Folge einer sich entwickelnden Demokratie, aber zum Teil auch im Schatten des sich anbahnenden 1. Weltkriegs, für den sich die Staaten durch neue Einnahmequellen finanziell zu wappnen versuchten, in den westlichen Industrienationen zu der Konstitution eines weiteren Pfeilers des Sozialstaates, der das zentrale demokratische Instrument bei der Beseitigung der großen sozialen Ungleichheit werden sollte. In den USA wurde 1913 das Einkommenssteuergesetz verabschiedet und ein Jahr später führte Frankreich eine progressive Einkommenssteuer ein. In Großbritannien wurde schon 1909 eine Einkommenssteuer implementiert. Bereits 1880 wurde in Preußen und Sachsen eine Einkommenssteuer eingeführt, die allerdings erst 1919 einen Spitzensteuersatz von 30 Prozent hatte. Des Weiteren wurde in den USA 1933 ein Mindestlohn eingeführt, in Frankreich 1950. Gerade in der Folge der Wirtschaftskrise von 1929 wurde klar, dass es weiterer staatlicher Regulierungen bedurfte. In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts begann man über Mischwirtschaften nachzudenken. „Neben dem traditionellen Privateigentum soll es Staatsbetriebe und staatliche Beteiligungen in unterschiedlichem Umfang geben oder zumindest eine sehr starke staatliche Regulierung der Wirtschaft und eine Kontrolle des Finanzsystems und damit des Privatkapitalismus insgesamt.“22 (Piketty 2014)
Zu Beginn der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts waren die Arbeits- oder Klassenkämpfe weitgehend beigelegt, in der Folge stiegen die Löhne und die Sozialleistungen. Auf die Partizipation an politischen Prozessen durch demokratische Verfahren folgte nun auch eine Partizipation am Wohlstand. Die Bevölkerungen wirkten an der Verteilung des wirtschaftlichen Wohlstands mit. Es hatte sich ein System aus Marktwirtschaft, sozialer Absicherung und demokratischen Prozessen herausgebildet. „Der Kapitalismus wurde politisch reguliert, der Primat der Politik trat an die Stelle des Primats der Ökonomie.“23 (Streeck 2013) Es begann das, was Robert Reich das „beinahe goldene Zeitalter“ nennt. Beinahe deswegen, weil vor allem die Frauen noch mit Benachteiligungen zu kämpfen hatten und insbesondere in den USA die schwarze Bevölkerung unter Rassismus zu leiden hatte. In den USA entwickelte sich ein demokratischer Kapitalismus, in Deutschland die soziale Marktwirtschaft. Die sozialen Klassen verschwanden. Die Demokratie machte den Klassenbegriff überflüssig. Demokratische Verteilung des Wohlstandes sorgte für eine Vergrößerung der Mittelschicht, die mithilfe der Demokratie dem Kapitalismus eine egalitäre Richtung gab. Das Aufkommen einer Mittelschicht im 20. Jahrhundert ist nach Piketty auch eine Folge der beiden Weltkriege, doch er misst auch der Demokratie einen entscheidenden Einfluss bei. „In den Nachkriegsjahrzehnten glaubte man, der Sieg des Humankapitals über das traditionelle Kapital, das heißt über das Boden-, Immobilien-, und Finanzkapital, sein ein gewisser automatischer und unumkehrbarer Prozess, der vielleicht der Technologie oder rein ökonomischen Kräften geschuldet sei. Tatsächlich erkannten allerdings einige bereits damals, dass in Wahrheit politische Kräfte die ausschlaggebende Rolle spielten. Dieser Auffassung schließen wir uns ohne wenn und aber an.“24 (Piektty 2014) Die Demokratie konstituierte durch demokratische Prozesse wie Lohnverhandlungen Institutionen wie das National War Labor Board, was während des zweiten Weltkriegs in den USA die Löhne regelte, aber auch Institutionen wie die progressiven Einkommenssteuern. Diese Institutionen bildeten Verhandlungssysteme zwischen Bevölkerung und Wirtschaft. Das wiederum sorgte für ein Gleichgewicht von wirtschaftlichen Interessen und den Interessen des Bürgers. „Der Demokratische Kapitalismus dieser Epoche beruhte auf fortwährenden und komplexen Verhandlungen, sei es direkt zwischen Big Business und Big Labour, sei es indirekt durch Regulierungsbehörden oder Gesetzgebung.“25 (Reich 2007) Dadurch, dass die Bevölkerung vom wirtschaftlichen Wachstum profitierte, konnten sich die Bürger immer mehr leisten. Fernseher, Waschmaschinen und Kühlschränke nahmen massenhaft Einzug in die Haushalte, Autos wurden für einen großen Teil der Bevölkerung erschwinglich. Zusätzlich gab es lange Verweildauern in Firmen oder Unternehmen. Mit dem Eintritt in ein Unternehmen wurde die Zukunft berechenbar. Arbeit war sicher, von ihr konnte man gut leben und eine Familie ernähren.
Doch in den 70er und 80er Jahren erfolgte ein radikaler Umbruch. Denn schon zum Ende der 70er Jahre begann das „beinahe goldene Zeitalter“ zu bröckeln. Margeret Thatcher und Ronald Reagan vollzogen eine neoliberale Wende. In den 80er Jahren wurde in den USA der staatlich festgelegte Mindestlohn unter Reagan und Bush eingefroren, ebenso in Frankreich 1983. Die Politik der Liberalisierung entfesselte das Finanz- und Wirtschaftssystem. Die Liberalisierungen in der Wirtschaft und neue Technologien sorgten für die Ausdifferenzierung des Wirtschaftssystems und somit für einen Anstieg der Komplexität in diesem System. Gleichzeitig setzte die Globalisierung ein, was dazu führte, dass sich der internationale Wettbewerb verschärfte. Unternehmen konnten sich nun global aufstellen und Kostenvorteile rund um den Globus nutzen. Lieferketten waren nicht mehr national, sondern wurden ebenfalls global. Der Wettbewerb unter den Unternehmen wurde damit auch zu einem Wettbewerb unter den Staaten um günstige und verlockende Standortfaktoren, um Industrie und Unternehmen an ihr Territorium zu binden und zu verhindern, dass Teile der Wirtschaft in günstigere Produktionsländer abwanderten. Um als Staat für Investoren weiterhin attraktiv zu bleiben, aber vor allem, weil die Staaten ihre hohen Ausgaben für den Wohlfahrtsstaat nur noch mit der Aufnahme von Schulden stemmen konnten, ohne jedoch das Kapital weiter zu besteuern, wurden Reformen der Arbeitsmärkte und der Sozialsysteme durchgeführt. Diese Reformen, die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte, war eine Deregulierung der Wirtschaft und bestand in der Aufhebung des Kündigungsschutzes, der Zulassung von Niedriglohnbeschäftigung, in der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und in der Entgewerkschaftung der Lohnfindung.26 Im globalen Wettbewerb um die Verbraucher mussten die Unternehmen konkurrenzfähiger werden. Den größten Anteil in den Unternehmensbilanzen bildeten Löhne und Sozialleistungen. Hier konnte gekürzt werden, ohne auf dem ersten Blick die Qualität der hergestellten Produkte zu verringern. Der Niedergang von großen Branchen wie der Kohle- oder Stahlindustrie, die nun mit einem Weltmarkt zu kämpfen hatten, der Kohle und Stahl zu günstigeren Preisen anbot, sorgte für einen Niedergang der Gewerkschaften. Die Industriegesellschaft wurde zu einer Dienstleistungsgesellschaft, was dazu führte, dass große Branchen wegfielen und damit auch eine Massenarbeiterschaft, aus denen die Gewerkschaften ihre Macht erlangt hatten. Zählte der DGB 1980 in Deutschland noch 33,6 Prozent der Arbeitnehmer zu seinen Mitgliedern, waren es zur Jahrtausendwende nur noch 21,3 Prozent. Bereits 2007 waren nur noch 16,12 Prozent der deutschen Arbeitnehmer in Gewerkschaften des DGB organisiert. In 27 Jahren halbierte sich die Mitgliederzahl in deutschen Gewerkschaften. In den USA waren 1955 noch ein Drittel der Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisiert, 2006 waren es nur noch acht Prozent. Die Verhandlungssysteme der Demokratie begannen nun ebenfalls zu bröckeln. Der Verlust der breiten tariflichen Lohnpolitik zog einen Verlust des Ausgleichsprinzips nach sich. Entwickelten sich zuvor über Jahrzehnte die Gehälter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern einigermaßen proportional zueinander, stagnieren seit den 80er Jahren die Gehälter der Arbeitnehmer, die der Arbeitgeber legen überproportional zu, Tendenz steigend. In den USA haben bis zum Ende der 70er Jahre Produktivität, Haushaltseinkommen und durchschnittliche Stundenlöhne immer im gleichen Maß zugenommen, seit den 80er Jahren steigt die Produktivität weiter an, während die durchschnittlichen Stundenlöhne stagnieren. Bis Anfang der 80er Jahre entsprach das Gehalt eines Managers eines Unternehmens in etwa dem 25-fachen des untersten Angestellten. Ein Manager verdiente also an einem Tag so viel wie ein einfacher Angestellter im Monat. Heute verdient ein Manager das 400-fache eines normalen Angestellten und somit an einem Tag mehr, als der Angestellte im ganzen Jahr. Es gibt einen negativen Zusammenhang zwischen dem Verlust gewerkschaftlicher Verhandlungsmacht und Einkommensungleichheit.27
Durch die Erosion demokratischer Verhandlungssysteme wird der Ausgleich zwischen Kapital und Arbeit zerstört. Auf der einen Seite gingen demokratische Instrumente wie Gewerkschaften verloren, welche einen großen Teil der Tariflöhne aushandelten. Auf der anderen Seite fanden sich die Regierungen in einem „Race to the Bottom“ wieder, in dem sie in einem Wettbewerb mit anderen Regierungen einem Konkurrenzkampf ausgesetzt waren, der nicht nur Sozialleistungen zurückfuhr, sondern auch die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und umfangreiche Privatisierungen vorantrieb. Um Kapital und Investoren zu halten oder anzulocken wurden die Spitzensteuersätze gesenkt, die einst progressiven Einkommenssteuern wurden nun regressiv. Um es mit den Worten von Lauren Maddox zu sagen: „Die Politik wurde zur Fortsetzung des Wettbewerbs mit anderen Mitteln.“28
Zusätzlich macht ein einbrechendes Wachstum der Wirtschaft die Finanzierung des Wohlfahrtstaates kostspieliger, woraufhin kapitalseitige Steuererhöhungen ausblieben, um die gestiegenen Kosten aufzufangen. Stattdessen wurden die gestiegenen Ausgaben auf Pump finanziert, die Staatsschulden wuchsen. Durch eine Verschlankung des Staates sollte den Schulden entgegengewirkt werden. Zuerst wurden öffentliche Dienstleistungen privatisiert und anschließend die Sozialleistungen abgebaut. Gerade die Privatisierungen hatten zur Folge, dass es zu einem Rückgang des Verhältnisses zwischen Staatsvermögen und Nationaleinkommen kam, der parallel mit dem Anstieg des Privatkapitals gegenüber dem Nationaleinkommen einherging. „Mit anderen Worten: „Die Rückkehr der Privatvermögen ist teilweise auf die Privatisierung des Nationalvermögens zurückzuführen.“29 (Piketty 2014)
Gleichzeitig setzte eine strukturelle Veränderung der demokratischen politischen Systeme der westlichen Industrieländer ein. In einem verschärften globalen Konkurrenzkampf mit immer mehr Teilnehmern, die ständig dafür sorgten, dass Verbraucher zum günstigsten Anbieter eines Produktes oder einer Dienstleistung wechselten, sahen sich die Unternehmen nach Vorteilen um, die andere Unternehmen nicht hatten. Der Produktionsfaktor Wissen wurde gegenüber klassischen Produktionsfaktoren wie Arbeit oder Kapital immer bedeutender. Unternehmen in anderen Ländern konnten zwar günstiger produzieren, indem sie weniger Lohnkosten hatten, doch die Effizienz im Produktionsprozess und innovative Produkte konnten dieses Ungleichgewicht ein Stück weit ausgleichen. Deshalb wurde die Innovationskraft von Unternehmen immer entscheidender. Doch auch de...

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorwort
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. Einleitung
  4. I. Ursachen
  5. II. Symptome
  6. III. Gegenmaßnahmen
  7. Impressum