Das schriftstellerische Werk von Otto F. Walter ist bekannt – kaum aber seine Arbeit als Verleger. Das war früher anders. Da war er zunächst einmal und für lange Zeit der erfolgreiche Leiter eines literarischen Programms mit hohem Ansehen: »Ich brauchte zehn und mehr Jahre, um mich als Schriftsteller gegen das eigene Bild des Verlagsmenschen durchzusetzen.«
Rund 35 Jahre ist Otto F. Walter im Buchhandel und im Verlagswesen tätig gewesen. 1944, nach dem Tod seines Vaters Otto Walter, eines bekannten Verlegers und Politikers, beginnt er in Zürich eine Buchhändlerlehre. Nach deren Abschluss treibt es ihn an verschiedene Orte, nach Luzern, nach Köln; in Verlagshäusern und Druckereien sammelt er erste Erfahrungen, bis er die für ihn wohl entscheidende Begegnung macht: Zu Beginn der fünfziger Jahre nämlich wird Otto F. Walter Sekretär des legendären Verlegers Jakob Hegner.1
Gegen Mitte der fünfziger Jahre rutscht Hegners Verlag in die roten Zahlen, und in der Folge verkauft der Walter-Verlag seine Anteile an Hegners Verlag. Auf Anraten Hegners kann Otto F. Walter 2 1955 in den Walter-Verlag hinüberwechseln.
Der Walter-Verlag in jener Zeit: ein Unternehmen mit zeitweilig vierhundert Angestellten; im Mittelpunkt steht eine große Druckerei, verlegt werden neben Zeitschriften für katholische Besinnung und Erbauung vor allem Sachbücher, etwa Biographien, Reiseführer für den Gebildeten und kulturgeschichtliche Handbücher sowie Jugendbücher. Otto F. Walter lektoriert Musikerbiographien und Jugendromane. Ein erster großer Erfolg des von ihm betreuten Programms ist das Jugendbuch »Die Insel der Delphine« von Scott O’Dell, das den Deutschen Jugendbuchpreis erhält und damit zum Bestseller wird.
Nach langem Zögern erlaubt ihm die Geschäftsleitung auf seinen Vorschlag hin, ein literarisches Werk ins Programm zu nehmen, eines pro Jahr zunächst. »Triboll. Lebenslauf eines erstaunlichen Mannes« heißt das Buch, das erste, das er verantwortet, eine Folge von kurzen Geschichten um eine Figur, geschrieben von Klaus Roehler und Gisela Elsner. Zwei damals, 1956, vollkommen unbekannte Namen. Relativ unbekannt, jedenfalls in Olten und zu jener Zeit, ist auch der Mann, der den Band illustrieren soll, dessen Bilder dann aber doch abgelehnt werden: Günter Grass. Das Buch mit den Kürzestgeschichten ist, ökonomisch gesehen, kein Erfolg. Aber ein Anfang ist gemacht.3
Der literarische Flügel des Verlags wird allmählich wachsen. Schon bald stösst ein bedeutender Autor hinzu: Alfred Andersch. Dessen Zeitschrift »Texte und Zeichen«, die zwischen 1955 und 1957 im Luchterhand-Verlag erscheint, wird von Walter sehr aufmerksam gelesen – in »Texte und Zeichen« ist er auf Klaus Roehler gestoßen, darin liest er auch Texte von Andersch selbst, den er anschreibt und den er gewinnen kann für einen Verlag, der zwar durchaus einen Namen hat, einen soliden Ruf sogar, der jedoch in bezug auf deutschsprachige Gegenwartsliteratur noch vollkommen unbekannt ist.
Das erste Buch, das von Alfred Andersch im Walter-Verlag erscheint, ist ein kurzer Text, »Piazza San Gaetano«; gleich danach, 1957, kommt der Roman »Sansibar oder der letzte Grund« heraus. Mit Werken von Wolfgang Weyrauch und Wolfdietrich Schnurre wird die neugeschaffene Reihe »Prosa der Gegenwart« eröffnet. Über Andersch, der viele Kontakte zu Kollegen und Kolleginnen hat, kommt auch der italienische Autor Elio Vittorini in den Verlag. Otto F. Walter hat nun die »Leitung des literarischen Programms« inne: und jetzt wird dieses Programm sehr schnell anwachsen. Alfred Döblins Werke – Döblin ist 1957 verstorben – sollen in einer Gesamtausgabe erscheinen, die von Walter Muschg betreut wird. Hans Boesch veröffentlicht den Roman »Das Gerüst«, Helmut Heißenbüttel das »Textbuch 1«, von Isaak Babel erscheint »Budjonnys Reiterarmee« und von Andersch schon bald ein neuer Roman, »Die Rote«.
Und inzwischen ist der Verleger auch als Autor in Erscheinung getreten: Otto F. Walter hat, nach einigen kurzen Texten in der »Neuen Zürcher Zeitung«, 1959 im Kösel-Verlag (wo Friedhelm Kemp als Lektor arbeitet) einen Roman veröffentlicht, »Der Stumme«. Im selben Jahr, 1959, erscheinen von Günter Grass »Die Blechtrommel«, von Heinrich Böll »Billard um halb zehn« und von Uwe Johnson »Mutmaßungen über Jakob«.
1958, sein literarisches Programm geht bereits ins dritte Jahr, beginnt der Walter-Verlag – im Rahmen der Reihe »Prosa der Gegenwart« – mit einer Edition der Werke von Jean Cayrol. Eröffnet wird die Edition mit Cayrols Roman »Der Umzug«; die Übersetzung stammt von Guido G. Meister (der auch Albert Camus ins Deutsche gebracht hat), Heinrich Böll schreibt das Nachwort. Im Süddeutschen Rundfunk urteilt ein Kritiker: »Ist Jean Cayrol bisher auch ein Unbekannter bei uns geblieben, so sollte er nun, an seiner realen Bedeutung gemessen, keine geringere Beachtung finden, als sie Camus und Sartre seit dem Krieg hier gefunden haben. Ja, ich möchte vermuten, dass sein Name für die Entwicklung des modernen Romans von größerer Bedeutung sein wird als die Namen der großen Bahnbrecher existentialistischer Welterfassung!«
Bereits im folgenden Jahr, wieder in de...