A Auf historischem Boden
Miriams Hebammen geben eine bodennahe Antwort auf einen hochfliegenden Text, der eine weltverändernde Empfängnis wie folgt beschreibt:
“... wurde der Engel Gabriel von Gott in eine Stadt in Galiläa namens Nazaret gesandt zu einer Jungfrau, die verlobt war mit einem Manne namens Joseph aus dem Hause Davids; und der Name der Jungfrau war Maria. Und er trat zu ihr hinein (εἰσελθὼν, eiselten) und sprach: „Sei gegrüßt, du Begnadete; der Herr ist mit dir.“ Sie aber erschrak über das Wort und sann nach, was dieser Gruß bedeuten solle. Der Engel sprach zu ihr: „Fürchte dich nicht, Maria, denn du hast Gnade gefunden bei Gott. Siehe, du wirst empfangen und einen Sohn gebären und ihm den Namen Jesus geben. Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden. Und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben ...“ Maria aber sprach zu dem Engel: Wie wird dies geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Der Engel antwortete ihr: „Heiliger Geist wird über dich kommen, und Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das, was geboren wird, heilig genannt werden, Sohn Gottes.“ (Lukas 1:26-35)
Unterhalb von Gott und Engel sagt der Text sehr irdisch körperlich: Maria erschrickt über einen, der eintritt und ihr Gebären ankündigt. Sie ist verlobt mit einem Mann und erkennt doch keinen Mann. Sie wird auch nicht gefragt; von Liebe ist da keine Spur, von Lust zu schweigen. Etwas wird über sie kommen. Überschatten (ἐπισκιάσει, episkiásei) wird sie eine Kraft, die also dunkel sein muss. Väter sind zwei genannt: David und Gott.
Mit literarischer Finesse packt der griechisch gebildete Autor um das Jahr 90 in eine gottesfürchtige Geschichte die Realität einer sehr unverhofft eintretenden, erschreckenden weil dunkel übergriffigen Empfängnis ohne vorherige Liebe. Und all dies, so Lukas, im Auftrag des göttlichen Herrn, dem Frau nicht widersprechen darf. Für die damaligen griechisch-römischen Leser des Evangeliums, die Zeus & Co. als sehr virile Götter kannten und wie diese ihre Frauen gut im Griff hatten, war das nicht allzu anstößig.
Zweitausend Jahre später stellt sich jedoch die Frage, welche kulturellen Nebenwirkungen diese Urszene für den Westen hatte. Was haben, nur zum Beispiel, christliche Abwertung des Körpers und der Gesetze der natura (des Geborenwerdens!), zugleich Hochhaltung des Zölibats und Untenhaltung der Frauen mit dem Vorbild der jungfräulich dienstbereiten Magd Maria zu tun?
Ihr eigentliches Gewicht bekam diese Urszene jedoch dadurch, dass der aus ihr hervorgegangene Sohn zum Vorbild des kreuzbraven Gehorsams wurde, dass dieses Bild seines Kreuzes den Genozid an Indios, Schwarzen und Juden rechtfertigend begleitete, noch heute den gewalttätigsten aller Kontinente prägt und die Botschaft heilsamer, erlösender Gewalt verkündet.
Eben dieser maskulinen Botschaft treten Miriam und die Hebammen entgegen, indem sie die angeblich freiwillig welterlösende Gewalt am Ende des Lebens Jesu auf dessen Anfang zurückführen.
Russische Ikonen, brasilianische Weihnachtskrippen, italienische Renaissancegemälde machen diese Anfang-End-Gewalt recht deutlich sichtbar, wenn sie neben diesem Kind, in der Krippe oder auf dem Schoß seiner Mutter, das Kreuz platzieren, an dem der Sohn dereinst qualvoll sterben wird, gemäß dem göttlichen Plan seines himmlischen Vaters.
Angesichts der furchtbaren Gewalt am Ende seines kurzen Lebens sei es Mirjams Hebammen erlaubt, die römisch-militärische Gewalt am Lebensende mit einem römisch-militärischer Gewaltakt am Anfang dieses Lebens zu verknüpfen.
Denn genau die Texte jener Bibel, die Miriam und Jesus weltbekannt machten, belegen, dass Jesus ein illegitimes Kind seiner Mutter war. „Mein Sohn bist du, heute habe ich dich gezeugt“, sagt Gott zu seinem Sohn, und der antwortet: „Mein Vater bist du, mein Gott“. Wer gibt diese Antwort? Jesus? Nein, König David ist dieser Sohn Gottes, im Psalm 2:7 (vgl. 89:27). Halt, sagt da der Christ: der David nennt Gott doch nur in dem Sinn „mein Vater“ wie Jesus uns lehrte, diesen Gott „Vater unser“ zu nennen. Aber dadurch lieber Christ, wird’s noch komplizierter: Wenn Jesus seinen Abba, Vater den Vater unser nennt, was ist dann anders in speziell seiner Beziehung zu diesem Vater von uns allen? Was unterscheidet seine grausame Opferung von den kaum weniger grausamen Toden so vieler anderer Kinder Gottes, angefangen bei 50.000-100.000 anderen jüdischen Rebellen an Römerkreuzen, weiter über 13.000.000 Afrikaner auf Schiffsplanken ins christliche Amerika bis zu den 1300.000 Kindern in Europas Vernichtungslagern für die Jesuskreuziger?2
Halten wir fest, dass biblische Texte diesen Sohn einer Jungfrau und Mutter von sieben Kindern (Mk 6:3) sowohl als Nachkommen Davids als auch Gottes darstellen. Was verbirgt sich in diesem Bar-Abbas-Dreieck eines Menschen, der einen so starken Bezug zum Vater ausstrahlte, dass Paulus ihn zum Sohn des Höchsten erklärte?
Bleiben wir zur Sicherheit vorerst bei Jesus als dem Sohn Davids, denn hierfür kann man Altes und Neues Testament zu Zeugen nehmen. In schöner Eintracht nämlich deuten beide – im Evangelium des Matthäus, das quasi die Brücke zwischen beiden bildet – auf vier unmoralische Zeugungsakte, vier normfremd liebende Großmütter des Königs David, des Messias Jesus, Sohn der Miriam.
Matthäus: Jesu sündige Großmütter
„Buch der Abstammung Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams: Abraham zeugte den ...“ und so weiter. Mit diesen Anfangsworten leitet Matthäus vom „Alten“ über zum „Neuen Testament“ des Sohnes. Aber in der Versammlung von 40 bärtigen Ahnvätern im Stammbaum Jesu leuchten, wenn man genau hinschaut, fünf weibliche Kopftücher auf:
„Judas [sic!] zeugte den Perez und Serach von der Tamar ...“
„Salmon zeugte den Boas von der Rahab ...“
„Boas zeugte den Jobed von der Ruth ...“
„David zeugte den Salomon von der Frau des Uriah“ und diese Frau trug den Namen Tochter Sebas, kurz Bathseba.
„Jakob zeugte den Joseph, den Mann Marias, von welcher Jesus geboren wurde, der Christus genannt wird“ (Mt 1, Vers 16).
Und der letztgenannte Vers hat ja nur Sinn, wenn Jesus seine väterlichen Gene nicht von Gott, sondern von Joseph bekam. Kein Sohn des Allerhöchsten? Das würde Pauli Sühneopfertheologie komplett unterminieren, denn nach dieser Lehre konnte ja nur Gottes eigener Sohn durch sein von Gott verlangtes Kreuzesopfer den Ungehorsam des ersten Adam (schuld war Eva) sühnen und den himmlischen Vater mit der sündigen Menschheit versöhnen. Ganz brav in diesem Sinne schreibt Matthäus im Vers 1:18: „Als seine Mutter Maria mit Joseph verlobt war, fand es sich, ehe sie miteinander lebten, dass sie empfangen hatte vom Heiligen Geist.“ Jetzt doch nicht Joseph? Also was nun, mit wessen Sperma?
Man sollte den Evangelisten Matthäus nicht für dumm halten. Natürlich war ihm diese vaterseitige Widersprüchlichkeit der Zeugung Jesu in ein und demselben Kapitel seines Textes völlig klar. Voll bewusst hatte er aus den zwei Anfangskapiteln des Buches Chronik die Linie von Davids Vorvätern kopiert und die seiner Nachkommen so modifiziert, dass sich eine schöne Dreifachsymmetrie von 14 Generationen bis David, 14 bis zum Exil in Babylon und 14 von Babel bis Jesus ergaben – vorausgesetzt man zählte die fünfte Frau Maria als männliches Äquivalent. Matthäus‘ Neuausgabe ist durch und durch intentional. Aber was ist die leitende Absicht? Wollte er, der „unter Juden für Juden schreibt”,3 seine jüdischen Leser durch die vier Davidischen Großmütter zu einem vitalen Punkt der fünften Mutter führen, nämlich Maria von Nazaret? Es hilft auch nicht weiter, anzunehmen, er habe hier zwei inkompatible mündliche Traditionen einfach technisch schlecht zusammenfügen müssen, wie kleine Schraube und große Mutter. Viel eher wollte er, so ist zu schließen, sanft und respektvoll auf einen Umstand dieser kleinen Mutter Miriam hinweisen; auf ein offenes „Geheimnis“ in Matthäus‘ jüdischer Umgebung, auf das er seine Leser mit der Aufzählung der vier Großmütter Tamar, Rahab, Ruth, Bathseba geschicktestens vorbereitet. Denn was für Kaliber von vier Frauen mussten das sein, um zwischen 40 gestandene Männer eingereiht zu werden?
Tamar kommt zum Kind: Stammvater Jakobs vierter Sohn Juda war nach Kanaan gezogen und hatte dort in „Mischehe“ die Kanaaniterin Schua geheiratet. Sie gebar ihm drei Söhne namens Er, Onan und Schela, die zu jungen Männern heranwuchsen. Und „Juda nahm für seinen Erstgeborenen Er eine Frau namens Tamar.“ Dieser Er jedoch stirbt bald. Nun war der zweite Sohn Onan verpflichtet, die Witwe zu heiraten, um seinem toten Bruder Nachkommen zu verschaffen. Also keine ausgesprochene Liebesheirat, und kein Wunder, dass Onan nun zwar nicht das macht, was nach ihm benannt wurde, aber Coitus interruptus, jedes Mal, und „ließ den Samen zur Erde fallen.“ Weil das nicht gesund ist und zudem „Jahwe missfiel, was er tat“, stirbt auch Onan. Nun muss Tamar warten, bis der dritte Sohn Schela ins heiratsfähige Alter kommt, um ihr als Hausband zugewiesen zu werden. Sie wartet vergeblich. Schwiegervater Juda, inzwischen selbst verwitwet, macht keine Anstalten, dieser schwarzen Witwe zweier Söhne nun seinen dritten Sohn zu geben. Nach der Trauerzeit zieht der Witwer Juda zur Schafschur nach Timna. Am Eingang des Dorfes Enajim sieht er eine verschleierte Prostituierte sitzen, und um den Preis eines Ziegenböckleins willigt sie ein. Da Juda zwar voll Bock hat, aber null Böcklein dabei, muss er statt dem Tierchen Siegelring, Schnur und Stab als Pfänder dalassen. Na gut, man tut‘s.
Drei Monate später wird Juda gemeldet: „Deine Schwiegertochter Tamar hat sich vergangen und ist infolge ihrer Unzucht schwanger geworden.“ Nun, mit so einer macht der Clanchef nicht viel Federlesens: „Führt sie hinaus! Sie soll verbrannt werden!“ Aber die Verurteilte legt dem Patriarchen drei Gegenstände des Mannes vor, der sie geschwängert hatte: Siegelring, Schnur und Stab. Angesichts solch peinlicher Souvenirs des Schafschurstündchens muss Juda bekennen: „Sie ist im Recht gegen mich. Warum habe ich sie nicht meinem Sohn Schela zur Frau gegeben?“ (Gen 38). Und das Kind der Schande, des Inzests, wird Perez genannt und Stammvater Davids.
Rahab hurt und heiratet: Hatte Jesu Ururur~großmutter Tamar nur kurz mal eine Hure spielen müssen, um gegen den Patron zu ihrem Recht zu kommen, so ist seine Urur~großmutter Rahab richtig vom Gewerbe und wohl auch nicht knapp an Kunden in der Großstadt Jericho. Dorthin schickt Feldherr Josua, der Sohn des Nun, eines Tages zwei Spione. Die übernachten bei Rahab, fallen jedoch auf und Madame wird gebeten, ihre verdächtigen Kunden herauszugeben. Die sind schon weg, sagt Rahab, doch wenn ihr schnell seid, kriegt ihr sie noch! Dann geht sie rauf aufs Dach, wo sie die Spione unter Flachsstengeln versteckt hat, und nimmt ihnen das Versprechen ab, an ihr, an ihrem Vater, ihrer Mutter, ihren Brüdern und Schwestern Barmherzigkeit zu üben, wenn die ganze Stadt zerstört wird. An einem Strick lässt sie die zwei James Bonds durch das Bordellfenster hinab, denn ihr Haus lag an der Stadtmauer“ (Jos 2:15).
Wenig später rückt das Volk Gottes zur Eroberung Jerichos an. Jo...