1 Einleitung
Lukas ist ein 17-jähriger Schüler eines Oberstufengymnasiums.
Nächste Woche ist in seiner Klasse eine Mathe-Schularbeit angesagt. Lukas freut sich riesig auf diesen „Event“. Da möchte er allen zeigen, was er drauf hat, möchte beweisen, dass er zu den Besten gehört. Um optimal vorbereitet zu sein, haben Lukas und seine Kollegen für die nächsten Abende noch vier Trainingseinheiten eingeplant. Heute Abend wird der Lehrer eine taktische Besprechung abhalten und dabei die individuellen Stärken und Schwächen jedes Einzelnen ansprechen. Für morgen ist dann individuelles Üben mit gegenseitiger Unterstützung nach dem Übungsplan des Lehrers angesagt. Lukas hat sich vorgenommen, jeweils nur ein leichtes Abendessen zu sich zu nehmen, denn er weiß ja: „Ein voller Magen studiert nicht gerne.“ Ein Freund von Lukas hat vorgeschlagen, zur besseren Vorbereitung am Wochenende auf den obligaten Discobesuch und auf Alkohol zu verzichten. Um sich ganz auf die bevorstehende Aufgabe zu konzentrieren, soll auch die Spielkonsole unbeachtet in der Ecke liegen bleiben. Lukas ist Feuer und Flamme für diese Vorschläge, er ist überzeugt, dass sich dieser „asketische“ Lebenswandel positiv auf sein Leistungsvermögen auswirken wird. Die letzten beiden Trainingsabende werden sie Beispiele üben und nochmals üben. Der Lehrer wird sie aufmuntern und versuchen, ihr Selbstvertrauen zu stärken. Lukas ist nicht übermäßig nervös, er vertraut auf seine Stärke und seine Vorbereitung, ein wenig angespannt vielleicht, aber das gehört dazu.
Alles nur ein Traum oder ein Märchen, möchte der geeichte Lehrer einwenden. Keineswegs! Es wurde nur der „Event“ ausgetauscht. Statt der Mathe-Schularbeit steht das Fußballderby gegen den Nachbarverein auf dem Spielplan. Sonst bleibt alles wie beschrieben. Wohlgemerkt, es handelt sich um unterklassigen Fußball, in aller Regel ohne Aussicht auf Karriere auch nur eines Spielers. Die Sportler nehmen, ohne viel zu murren, Kraft- und Konditionstraining in Kauf, weil sie wissen, dass sie diese Fertigkeiten und Fähigkeiten im Spiel gebrauchen werden.
Sie sind beinahe zu jedem Opfer bereit (Ernährungstipps, Lebenswandel …), weil es ein tolles Gefühl ist, Teil einer Sportmannschaft zu sein, gemeinsam mit Gleichgesinnten Fußball zu spielen, weil es ein Glücksgefühl bedeutet, für das eigene Team ein Tor zu erzielen.
Die Frage darf sich eine Lehrperson stellen: Warum gelingt es uns nicht annährend bzw. viel zu selten, solche Glücksgefühle, solche Lust und Freude in der Schule auszulösen?
Vielleicht tragen ja erzählerische Elemente und kleinere Rate- und Quizspiele am Computer ein Scherflein dazu bei, dass Spaß und Freude in den Klassenräumen einziehen.
Der Gedanke an die oft fehlende Freude an Schule bzw. die mangelnde Lust auf Schule hat den Autor dieser Arbeit zeit seines Lehrerlebens begleitet, genauso wie die Frage nach dem Warum.
Eine zweite Quelle der Nachdenklichkeit über den Lehrberuf und seine Tücken ergibt sich aus der Tatsache, dass den PädagogInnen während ihres Arbeitslebens ein zeitnahes, spezifisches Feedback für ihre Leistungen meist versagt bleibt.
Der Schreiner, der Schuster oder der Werkzeugmacher wird nach Fertigstellung seiner Arbeit – sofern er nicht sofort vom Kunden Lob oder Kritik erfährt – leicht feststellen können, dass sein Werkstück sauber gearbeitet ist und einwandfrei funktioniert. Bis des Lehrers „Werkstück“ richtig funktioniert, können Jahre oder gar Jahrzehnte ins Land ziehen.
Ein sofortiges Kundenfeedback ist im schulischen Kontext erfahrungsgemäß kaum zu bekommen. Nur äußerst selten lassen sich Politiker zu einem Pauschallob für die Unterrichtenden herab, nur hin und wieder wird in Festreden auf die immense Bedeutung ihrer Arbeit hingewiesen.
Für ein ausgeglichenes Seelenleben muss die Lehrperson lernen, sich ein zeitnahes, spezifisches und nachvollziehbares Feedback anderweitig zu beschaffen. Freilich bemerkt eine Lehrperson, wenn die Augen der SchülerInnen hellwach sind, wenn sich deren Aufmerksamkeit auf das Gebotene fokussiert, wenn ihre Zwischenfragen echtem Interesse geschuldet sind. Selbstverständlich registriert man ihren Stolz, wenn sie ihre Arbeiten präsentieren, wenn ihre Kreativität von KollegInnen bewundert wird. Freilich hören PädagogInnen aus Schülersprüchen („Cool“) ein dickes Lob heraus.
Wie der Handwerker seine vollendete Arbeit selbst nach Form und Funktion beurteilt, könnte oder besser gesagt sollte jede Lehrperson ihre Zufriedenheit daraus zu ziehen vermögen, dass ihre methodische Vorgangsweise den neuen Erkenntnissen der Lernbzw. Hirnforschung entspricht und sich John Hatties Vorstellungen von gutem Unterricht in ihrer Art zu lehren widerspiegelt. Viele LehrerInnen versuchen sich erfreulicherweise ständig zu entwickeln, sich fortzubilden, sich immer wieder zu kontrollieren, um zu sehen, ob sie sich verbessern. Und Hattie (2013, S. XXXVII) liefert uns dazu „… ein Barometer…, das uns zeigt, was am besten funktioniert.“
Die Frage, die diese Arbeit begleiten soll, lautet:
Welche erzählerischen Elemente und welche kleinen Computerspiele können ihre Tauglichkeit für einen guten Unterricht (in Theorie und Praxis) belegen unter besonderer Berücksichtigung von eEducation und der aktuellen Erkenntnisse von Hirnforschung (Lernforschung) und der Hattie-Studie?
Die narrativen Elemente und die Computerspiele sollen dabei als zwei von vielen Methoden und Strategien, die Unterricht abwechslungsreich, spannend und vor allem ertragreich gestalten können, etabliert werden.
Diese Arbeit möchte anregen, mit den einfachen Mitteln des Web 2.0 aktiv zu werden und vielleicht den einen oder anderen neuen Weg zu versuchen.
Die Geschichten in dieser Arbeit sind – wie Kruse (2001, S. 42) es sieht - Abfolgen „…von Handlungen und Begebenheiten in der Zeit, wobei ein Beginn und ein Ende durch einen wie auch immer gearteten Handlungsbogen miteinander verbunden sind.“
Und diese Geschichten könnten in unterschiedlichen Medien erzählt werden (z.B. Text, Film, Theater, Comics, Computerspiel …), meint Kruse weiter.
Und wenn dann unsere Geschichten Zuhörer fänden, würden sie zu Erzählungen, wie Reimann und Vohle (2005) feststellen.
Das schematische Grundgerüst für die diversen Formen narrativer Elemente wird von Linseder (2013) übernommen und sieht als Unterscheidungskriterium die didaktische Motivation. So lassen sich zwei Gruppen von Erzählungen formieren: Eine erste, in der das Transportieren und Behalten von Fakten das Ziel ist, und eine zweite, in der die Geschichten Ausgangspunkt für weitere Schüleraktivitäten sind.
Unter dem Begriff Story Telling (Storytelling) werden im Übrigen verschiedene Ansätze subsumiert (dazu später).
Freilich können auch die Elemente der ersten Gruppe von den SchülerInnen weiterverarbeitet werden, die Intention der Methode ist aber zunächst der Faktentransfer.
Bei den kleinen Computerspielen sollen nicht professionell programmierte Spiele unser Thema sein, sondern von Lehrenden ohne große Programmierkenntnisse erstellte kleine Quiz- und Ratespiele, die in erster Linie das Faktenlernen (z.B. Vokabellernen) freudvoller, abwechslungsreicher und humorvoller machen und dank ihres Wettkampfcharakters auch häufiges Wiederholen ohne quälende Langeweile ermöglichen sollen, sowie um Rollen- bzw. Simulationsspiele, bei denen es um das Anwenden und Festigen von Gelerntem geht. Im Fokus stehen also vornehmlich Lerninhalte, bei denen wir üblicherweise Kniffe wie Mnemotechniken, Eselsbrücken usw. einsetzen.
2 Wie wir lernen und wie narrative Elemente und Computerspiele in dieses System passen
- „Erziehung und Unterricht können als eine Art Landschaftspflege des Gehirns betrachtet werden, und Erzieher und Lehrer sind im gewissen Sinne wie Gärtner. Natürlich können Gärtner ohne richtige Erde und ordentliche Wurzeln keine Rosen züchten, aber ein guter Gärtner kann Wunder mit dem vollbringen, was vorhanden ist.“
So sehen Blakemore und Frith (2005, S. 24) Erziehungsarbeit.
Die Zusammenarbeit zwischen PädagogInnen und WissenschaftlerInnen der Hirnforschung wird immer intensiver. Zu wissen, wie das Gehirn lernt, muss jedem Erzieher ein wichtiges Anliegen sein: Die aktuellen Erkenntnisse der Hirnforschung geben den Lehrkräften die richtigen Werkzeuge in die Hand, lassen sie die besten Methoden anwenden und die richtigen Strategien für nachhaltigen Unterricht entwickeln.
Blakemore und Frith (2005, S. 14) beklagen aber, dass
- „… es trotz dieses wachsenden Wissensfundus und trotz seiner Bedeutung für die Strategien von Erziehung und Unterricht so wenig Verbindungen zwischen der Hirnforschung und der Bildungspolitik und –praxis gab.“
Wie tröstlich ist es doch, dass die althergebrachten Vorstellungen vom unaufhaltsamen, stetigen Verfall unseres Gehirns ab dem 20.Lebensjahr von der aktuellen neurologischen Forschung widerlegt wurden.
Es ist ebenso tröstlich zu wissen - wie Blakemore und Frith feststellen -, dass sich zwar die meisten Zellen im Gehirn bereits vor der Geburt bilden würden, dass dies aber auch noch im Erwachsenenalter geschehe, und zwar besonders in Arealen, die für das Lernen und das Gedächtnis zuständig seien (z.B. im Hippokampus).
So werde lebenslanges Lernen durch die Plastizität unseres Gehirns möglich, wenn auch vielleicht unter anderen Voraussetzungen und Bedingungen als in jungen Jahren.
Beim Lernen von etwas Neuem, lassen uns Blakemore und Frith wissen, verändere sich unser Gehirn, und das sei diese angesprochene Plastizität. Von Zeit zu Zeit (vornehmlich im Kindesalter, aber auch noch in der Pubertät) finde eine Feinanpassungstatt, die zwar mit einem Verlust an Flexibilität einhergehe, aber Effizienz und Sicherheit verspreche. Ebenfalls finde, so Blakemore und Frith weiter, eine Reorganisation von der Art statt, dass Synapsenverbindungen gebildet und rückgebildet würden bzw. eine allmähliche Myelinisierung der Nervenzellen vonstattengehe. Myelin ist ein fetthaltiges Gewebe, das isolierend wirkt und die Geschwindigkeit erhöht.
Ähnlich der Arbeit eines Gärtners hört also die Arbeit der LehrerInnen niemals auf.
Ziemlich unaufgeregt reagieren Blakemore und Frith (2005, S. 57 - 58) auf die Früherziehungsdebatte: Sie vertreten dabei die Meinung, dass eine „…ausschließliche Konzentration auf gezielte Förderungsmaßnahmen in den ersten Lebensjahren von Kindern“ nicht notwendig sei. Lernangebote sollten in allen Altersstufen zu Verfügung stehen. Zwar gebe es im Kindesalter sensible Lernphasen, z.B. für das Laufen, das Sprechen und das Sehvermögen, zwar gebe „… es eine begrenzte Zeit für die effizienteste Form des Grammatiklernens …“ (Blakemore und Frith, 2005, S.72), aber eine normal anregungsreiche Umgebung genüge allemal.
Blakemore und Frith weisen in diesem Zusammenhang auf die Vitamindebatte: Klar – ein Zuwenig schade, ein Minimum dürfe nicht unterschritten werden, eine ausgewogene Ernährung aber garantiere die optimale Versorgung mit Vitaminen, während eine zu hohe Dosierung auch die Gefahr von negativen Auswirkungen berge. Und das könne auch für eine Überreizung des Gehirns nicht ausgeschlossen werden.
Blakemore und Frith berichten weiter von mehreren aktuellen Erkenntnissen, die die Gehirnentwicklung nach der Pubertät (in der Adoleszenz) in neuem Licht zeigen würden und für PädagogInnen (unter anderem der Sekundarstufe II) von ungeheurer Relevanz seien.
- „…selektive Aufmerksamkeit, Entscheidungskompetenz und die Kompetenz zur Unterdrückung von Reaktionen sowie die Fähigkeit, mehrere Aufgaben auf einmal auszuführen, sind Fähigkeiten, die sich in der Adoleszenz verbessern können.“ (Blakemore und Frith,2005, S.120)
Problemlösungskompetenz, Planungsverhalten, gleichzeitige Ausführung von mehreren Aufgaben, selektive Aufmerksamkeit würden mehr und mehr an den Tag gelegt. Die Verbesserung solcher Exekutivfunktionen gehe mit einer „Ausjätung“ von überflüssigen Synapsenverbindungen und einer zunehmenden Myelinisierung einher. Es macht also wenig Sinn, 10-jährige SchülerInnen mit der Planung eines komplexen Projektes zu beauftragen, wenn sich die entsprechenden Voraussetzungen und Fähigkeiten erst nach der Pubertät zu entwickeln beginnen.
Die Jahre nach der Pubertät böten laut Blakemore und Frith (2005, S. 174) überaus wichtige Lernchancen, die
- „…die Stärkung der inneren Kontrolle, das Lernen im eigenen Tempo, die kritische Evaluierung des vermittelten Wissens und die metakognitiven Kompetenzen umfassen.“
Blakemore und Frith (2005, S. 175) plädieren dafür, dass jetzt auch „Fähigkeiten wie Schlittschuhlaufen, Klavierspielen, Lesen, Rechnen, Computerprogrammierung und so weiter…“ im Gehirn aufgenommen würden und Raum bekommen müssten.
Spitzer (2003) stellt fest, dass Gehirne (und ganz besonders junge) richtige Lernmaschinen, Informationsaufsauger, wahre Motivationskünstler und Regelgeneratoren seien.
Um Effizienz und Schnelligkeit bemüht, antizipieren Gehirne permanent den erhaltenen Input. Sie würden vorausberechnen und würden ziemlich gelangweilt reagieren, wenn die Realität mit der Vorausberechnung übereinstimme, meint Spitzer weiter. Er berichtet von Beobachtungen an Babys, die sich gelangweilt abwenden würden, sobald ihnen bereits bekannte Satzstrukturen vorgespielt würden, sich aber höchst aufmerksam zeigen, wenn neue Sätze zu hören wären.
Und so bleibe es ein Leben lang: Es müsse etwas neu, bedeutsam und interessant sein, dann mache sich das Gehirn an die Speicherung, wie Spitzer festhält.
Diese Erkenntnisse bringen LehrerInnen in die Pflicht, hin und wieder neue Methoden, interessante Inhalte anzubieten. Auf diese Herausforderung antwortet eine versierte Lehrperson mit einem möglichst breiten Methodenmix und der einen oder anderen Überraschung (z.B. eine Geschichte, eine Podiumsdiskussion…).
Je tiefer ein Inhalt verarbeitet werde – so Spitzer weiter - je mehr wir darüber nachdenken würden, je öfter wir die Sache hin- und herwenden würden, desto besser bleibe sie uns im Gedächtnis. Die Inhalte würden dabei von verschiedenen Arealen des Gehirns zugleich verarbeitet. Die Nervenzellen würden – so Spitzer weiter – über Inputs der Sinnesorgane aktiviert, und zwar in den Arealen für visuelle, auditorische oder sensitive Reize. Die N...