Im Folgenden wird dargelegt werden, wie der moderne Symmetriebegriff, der vor allem in der neuzeitlichen Physik an Bedeutung gewonnen hat, als zentraler Begriff der philosophischen Anthropologie eingefĂŒhrt werden kann. Er stellt hier das metaphysische Fundament fĂŒr oftmals revolutionĂ€re Erkenntnisse in den Einzelwissenschaften dar und bildet den BrĂŒckenbegriff fĂŒr so gĂ€nzlich unterschiedliche wissenschaftliche Disziplinen wie Physik, Biologie und Psychoanalyse.
Allerdings muss an dieser Stelle kurz auf ein naheliegendes MissverstĂ€ndnis eingegangen werden. Wir entnehmen den Begriff âSymmetrieâ aus der Physik. Seine Anwendung auf andere Wissenschaften ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die Erkenntnisse der Physik âwahrerâ sind als diejenigen anderer Wissenschaften und dass deren Erkenntnisse auf die der Physik reduziert werden könnten oder sollten. Vielmehr eröffnet dieser Begriff in den genannten anderen Disziplinen eine genuin neue Perspektive. Es sind somit grundsĂ€tzlich alle Wissenschaften insofern als gleichwertig zu betrachten, als keine nĂ€her an der Wahrheit ist als die andere und alle gleichermassen auf methodischen Abstraktionen fussen. Entsprechend sind auch deren Erkenntnisse nicht absolut und dem historischen Wandel unterworfen.
Als ich mich vor lĂ€ngerer Zeit mit einem frĂŒheren Schulkollegen, heute Physiker, darĂŒber austauschte, dass ich Korrelationen zwischen physikalischen und psychologischen Theorien finden wolle, stimmte er mir zu, dass diese Idee einigermassen verrĂŒckt sei. Er meinte, menschliches Verhalten sei so komplex und mit so vielen ZufĂ€lligkeiten behaftet, dass es eine âfundamentale Theorieâ nicht gebe und vermutlich nicht geben könne. Nun, ich denke, das Problem der KomplexitĂ€t ist eines des jeweiligen Blickwinkels, und man kann sich vorstellen, dass dem Physiker humanwissenschaftliche Theorien komplex erscheinen mĂŒssen, zumal ihm nur das eigene, begrenzte wissenschaftliche RĂŒstzeug zur VerfĂŒgung steht. Mit der Anwendung des Letzteren z. B. in der Biologie oder Soziologie ist es zwar möglich, âerfolgreichâ zu den Theorien eines âkomplexerenâ wissenschaftlichen Bereichs beizutragen, es ist aber auf diese Weise nicht möglich, diesen wirklich in seiner Eigenart zu verstehen. TatsĂ€chlich sind die Dinge nicht so kompliziert, wenn die angemessene Herangehensweise gewĂ€hlt wird.
Eine Bemerkung noch zur Forderung nach PrĂ€zision. Auch diese muss an der jeweiligen methodischen Abstraktion der jeweiligen Wissenschaft gemessen werden. Die Wissenschaften vom Menschen streben nach immer grösserer PrĂ€zision, diese kann nicht nur in einem mathematischen Sinn verstanden werden. Welchen Massstab sollen wir dann aber wĂ€hlen? Etwa unsere wissenschaftliche Redlichkeit oder die Geschichte (das wissenschaftliche Erbe) oder philosophische MassstĂ€be? Die philosophische Tradition im Sinn einer philosophia perennis (Leibniz) ist im 20. Jahrhundert wohl unterbrochen worden. An diese soll jedoch mit dem hier entwickelten philosophischen Symmetriebegriff angeknĂŒpft werden.
Eine weitere Vorbemerkung bezieht sich auf die hier verwendete Methode. In den Einzelwissenschaften wird oft von âwilder Spekulationâ gesprochen, wenn die philosophischen Verirrungen ihrer Mitglieder kritisiert werden. Dieser Verdacht wird z. B. dann aufkommen, wenn behauptet wird, es sei heute möglich, die alten philosophischen Einsichten mathematisch zu prĂ€zisieren (Mainzer, 1988). DemgegenĂŒber ist die hier angewandte Methode am ehesten als âgeordnete Spekulationâ zu bezeichnen, also als Spekulation im positiven Sinn. Auf diese Weise ist es möglich, die einzelwissenschaftliche Perspektive zu transzendieren und auf ein Gebiet vorzustossen, das mit Recht das Gebiet der Metaphysik genannt werden darf. Je nachdem, ob man das historisch Bleibende und Wahre der Erkenntnis hervorheben will oder das Wandelbare und Unvollkommene derselben, wird man die Methode eher als positive Dialektik (Heintel, 1968) oder eher als aporetische Dialektik (Martin, 1965) bezeichnen.
Eine abschliessende ErlĂ€uterung verdient noch meine Art der Darstellung. Diese kann am ehesten als Methode des Literaturkommentars charakterisiert werden. Dadurch soll zum Ausdruck kommen, dass es fĂŒr die hier diskutierten Fragestellungen weniger auf eine Vermehrung einzelwissenschaftlicher Erkenntnis ankommt als auf die VerknĂŒpfung des bereits vorhandenen Wissens zu einem philosophischen Ganzen. Die folgenden AusfĂŒhrungen werden sich also eng an ausgewĂ€hlter Literatur zu den einzelnen Fachgebieten orientieren, und die beigefĂŒgten Kommentare werden den hier vertretenen Standpunkt verdeutlichen.
Nun aber wollen wir uns in medias res begeben. In den folgenden zwei Kapiteln wird der Symmetriebegriff im Bereich der Philosophie implementiert. ZunĂ€chst wird (im 2. Kapitel) anhand der Besprechung relevanter Stellen aus âDie beiden Labyrinthe der Philosophieâ von E. Heintel (1968) der philosophisch-anthropologische Standpunkt skizziert. Hier werden sich einige Vorgriffe auf das Thema âSymmetrieâ nicht vermeiden lassen.
Im 3. Kapitel wird zunĂ€chst der Symmetriebegriff in der modernen Physik ausfĂŒhrlicher diskutiert, vor allem in Orientierung an dem umfassenden und grundlegenden Werk von K. Mainzer (1988). Hierbei geht es nicht um die Diskussion der Details der physikalischen Theorien, die sich bis heute deutlich verĂ€ndert haben und stĂ€ndig weiterentwickeln, sondern um die Auseinandersetzung mit den grundlegenden Prinzipien der physikalischen Forschung. Anschliessend wird der physikalische Symmetriebegriff auf den Bereich der Ontologie ĂŒbertragen und mit den entwickelten philosophisch-anthropologischen Thesen synthetisiert.
Das 4. Kapitel schliesslich widmet sich der Anwendung des Symmetriebegriffs auf wichtige theoretische Konzepte der Freudâschen Psychoanalyse.
In diesem Abschnitt wird die eigene philosophisch-anthropologische Position entwickelt, ausgehend von dem grundlegenden Werk Erich Heintels, âDie beiden Labyrinthe der Philosophieâ, Band 1, 1968. In diesem ursprĂŒnglich auf drei BĂ€nde angelegten Werk sollte es um die Darlegung der Gesamtthematik von âSubstanz und Freiheitâ (der beiden Labyrinthe) in ihren wichtigsten Aspekten und zuletzt um eine Synthese von Aristotelismus und Transzendentalismus gehen. FĂŒr unseren Zweck werden wir Teile der Einleitung heranziehen. VervollstĂ€ndigt wird der philosophische Standpunkt in Anlehnung an die Werke von Gottfried Martin âAllgemeine Metaphysikâ, 1965, und âLeibnizâ, 1967. Weiter orientieren sich die entwickelten anthropologischen Thesen an Helmuth Plessner (âDie Stufen des Organischen und der Menschâ, 1928). Zuletzt wird in diesem Kapitel auf Arnold Gehlens âDer Menschâ, 1940 (1950) und auf Sigmund Freuds âTotem und Tabuâ, 1912â13, eingegangen. Zwei Exkurse sind Kants âKritik der Urteilskraftâ und der âMetaphysikâ des Aristoteles gewidmet.
Heintel stellt seinem Buch als Motto einen Ausspruch von Leibniz (Brief an Redmond, 26. VIII. 1714) voran: âWenn man die Spuren der Wahrheit bei den Alten, oder, um allgemeiner zu reden, bei den VorgĂ€ngern kenntlich machte, so wĂŒrde man das Gold aus dem Kot, den Diamanten aus seiner Mine und das Licht aus der Finsternis ziehen, und es wĂ€re in der Tat perennis quaedam philosophia.â Heintel ĂŒbernimmt den Begriff der âphilosophia perennisâ im Sinn eines ĂŒbergeordneten Zusammenhangs der gesamten philosophischen Tradition von den UrsprĂŒngen bei den Griechen bis in die Gegenwart des Denkens. Hierbei geht es fĂŒr ihn vor allem um die erwĂ€hnten âbeiden Labyrintheâ, historisch reprĂ€sentiert durch die beiden Ăberlieferungen der Formmetaphysik (Aristotelismus) und Ichmetaphysik (Transzendentalismus). â⊠es gibt zwei Labyrinthe fĂŒr den menschlichen Geist: das eine betrifft die Zusammensetzung des Kontinuums, das andere das Wesen der Freiheit. Das eine wie das andere aber entspringt aus derselben Quelle, nĂ€mlich aus dem Begriff des Unendlichen⊠[Denn] man muss vor allem wissen, dass alle Geschöpfe einen Stempel der göttlichen Unendlichkeit in sich tragen, und dass dies der Ursprung der vielen wundersamen Dinge ist, die den menschlichen Geist in Staunen setzen.â (Leibniz: Ăber die Freiheit, II/499, und Theodizee, Vorrede, IV/7, zit. nach Heintel, 1968, S. 11) Aus der Sicht Heintels denkt Leibniz bei seiner âMonadeâ nicht nur an die aristotelische Usia (die substanzielle Form), sondern auch an das âIchâ der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie (den aus Freiheit existierenden Begriff im Sinn Hegels). In beiden Hinsichten ist die Monade âeigentlicheâ (âwahreâ und âinnerlicheâ) Einheit, in der ersten im Unterschied zum materiellen Aggregat (dem bloss âerscheinenden und nur Ă€usserlichâ Zusammengesetzten), in der zweiten im Unterschied zu einer bloss aggregathaft verstandenen âIdentitĂ€t der Persönlichkeitâ.
Die folgenden begrifflichen KlĂ€rungen aus der Einleitung bei Heintel (1968, Par. 2, S. 12) sind fĂŒr unsere weitere Diskussion wesentlich: Leibniz bezeichnet die Monade ebenso als âEntelechieâ wie als âIchâ, als Entelechie reprĂ€sentiert sie jenes Allgemeine, das bei Aristoteles als unteilbares Eidos nicht nur logische, sondern auch ontologische Relevanz besitzt. Diese Art von Monade nennt Leibniz formales Atom, ihre Art des ReprĂ€sentierens âperzeptivâ. Das Ich dagegen ist die (sich) wissende und motivierende Monade, ihre Art des ReprĂ€sentierens heisst âapperzipierendâ. Heintel unterscheidet ânaturischeâ Monade und âgeistigeâ Monade. âDer Unterschied von naturischer und geistiger Monade innerhalb der MonadizitĂ€t ĂŒberhaupt auf der einen, die Aufhebung dieses Unterschiedes in dem aus Freiheit existierenden Begriff auf der anderen Seite â weiterhin die mit diesen Fragen verbundenen Aporien sind es, die das fundamentalphilosophische Grundproblem Leibnizens ausmachen.â (Heintel, 1968, S. 12) Und â wie wir ergĂ€nzen können â dasjenige Heintels.
Zum Begriff des Unendlichen fĂŒhrt Heintel aus (ibid., S. 16), dass die von Leibniz als Quelle beider Labyrinthe eingefĂŒhrte Unendlichkeit die wahrhafte Einheit darstellt, im Unterschied zur âschlechtenâ Unendlichkeit des als unendliche Ausdehnung gedachten Raums und der von ihm her formlos (nur geometrisch) gefassten Materie. Ohne diese innere Einheit wĂ€re die Materie keine bestimmte Materie (z. B. ein Kristall) und wĂŒrde als blosse rĂ€umliche Ausdehnung dahinschwinden. Sie ist die innere Einheit, der fundierende Begriff einer Ă€usserlich erscheinenden Vielheit.
Nun noch einige Bemerkungen zur Kritik des Nominalismus bei Heintel. Dieses Thema ist u. a. im Zusammenhang unserer Diskussion des Begriffs âPotenzialâ weiter unten und in Kapitel 2 wichtig. Heintel geht auf dieses Thema an verschiedenen Stellen ein, wir greifen Par. 6 der Einleitung und Par. 26, Kap. 2 heraus. In Par. 6 geht es um das Universalienproblem. Dieses bezieht sich im herkömmlichen Sinn auf die Frage nach dem Seinswert des Allgemeinen ĂŒberhaupt im Gegensatz zum Einzelnen. FĂŒr Heintel geht es dabei aber um die Frage nach dem ontologisch relevanten Allgemeinen, das die Differenzen des ReprĂ€sentierens der Form (organische Natur) und des ReprĂ€sentierens der Freiheit (Mensch) umfasst. Diese beiden Arten des Allgemeinen unterscheidet er vom bloss nominalistischen Allgemeinen. In der Neuzeit komme es zu einer vollstĂ€ndigen Disjunktion zwischen Nominalismus und Realismus (Platonismus). In dieser stehen sich das Allgemeine als ein Ideelles und Abstraktes und das Einzelne als ein Reales und Konkretes unversöhnlich gegenĂŒber. Hierbei kommt es zu der absurden Situation, dass von dem so verstandenen Einzelnen eigentlich gar nichts mehr ausgesagt werden kann. Par. 26 ist der Diskussion des Zusammenhangs zwischen Nominalismus und neuzeitlicher Philosophie und Naturwissenschaft gewidmet. Heintel fĂŒhrt aus, dass sowohl Transzendentalismus als auch Positivismus (Empirismus) fĂŒr das Problem des ontologisch relevanten Allgemeinen (gleichermassen bei Platon und Aristoteles) blind sind. Insofern stehe âhinter beiden Richtungen die Grundhaltung der neuzeitlichen Naturwissenschaft und ihre methodisch so bedeutsame Geisteraustreibung aus der Natur (Natur ohne Innerlichkeit)â (S. 496).
Nach diesen einfĂŒhrenden Definitionen wenden wir uns der Diskussion derjenigen Stellen in der Einleitung der âbeiden Labyrintheâ zu, die fĂŒr die Darstellung des eigenen philosophisch-anthropologischen (bzw. naturphilosophischen) Standpunkts relevant sind.
ZunĂ€chst mĂŒssen wir uns mit Par. 5 (Daseiender und existierender Begriff) beschĂ€ftigen. Hier geht es um die Eröffnung des Problems der Naturphilosophie in der Auseinandersetzung mit Hegel. Von Leibniz her unterscheidet Hegel die unmittelbare âIn-sich-Reflektiertheitâ des (naturischen) Organismus von der (sich) wissenden und motivierenden âIn-sich-Reflektiertheitâ des (geistigen) Menschen. Beides ist fĂŒr ihn âBegriffâ, Ă€hnlich wie bei Leibniz unter den allgemeinen Begriff von Perzeption ĂŒberhaupt sowohl Perzeption (im engeren Wortsinn) als auch Apperzeption fallen. Letztere bezeichnet Hegel als den aus Freiheit âexistierendenâ Begriff. Heintel ĂŒbernimmt diese Diktion und unterscheidet davon den âdaseiendenâ oder âunmittelbarenâ Begriff, wobei darunter fĂŒr ihn sowohl Organisches als auch Anorganisches gefasst sind. Zum Wesensunterschied zwischen Menschlichem und âNaturischemâ Ă€ussert er sich folgendermassen (S. 73): âEs bildet einen bemerkenswerten Unterschied im âReprĂ€sentierenâ⊠des (bloss) daseienden und des (auch) existierenden Begriffs, dass der erstere nur ein Allgemeines (âseineâ natĂŒrliche Art, species, eidos), der letztere im Rahmen dieser seiner âArtâ nur jeweils ein Allgemeines âvorstelltâ, tatsĂ€chlich also in vielen allgemeinen BezĂŒgen â sie zum Bewusstsein bringend und sich von ihnen her bestimmend â steht. Gewissermassen ist der Mensch âvon Natur ausâ⊠das âpluralistischeâ Geschöpf, bei dem es so schwer ist, sein âWesenâ (seinen Wesensbegriff alsâŠ) zu bestimmen, weil er zwar wie jedes andere Tier nur ein Eidos reprĂ€sentiert, auf dieses aber nicht festgelegt und nicht festzulegen ist. Die âEwigkeitâ des Eidos im Ganzen der âewigenâ Ordnung der Physis (des âKosmosâ) musste daher â sieht man allenfalls von der Einsicht in den Wandel der âArtenâ ab â durch nichts so sehr in Frage gestellt werden als durch diesen im Freiheitsgedanken zum Bewusstsein kommenden gewissermassen ânatĂŒrlichenâ Pluralismus des Menschen, von dem her schliesslich jeder im Eidos (in ontologisch relevanter Allgemeinheit) fundierte Ordnungsgedanke und alle dazu analog verstandene âwesentlicheâ Bindung in der Beliebigkeit und der WillkĂŒr der sich in Schwebe bloss möglichen Handelns (vermeintlicher Freiheit) verstehenden SubjektivitĂ€t vernichtet werden konnte.â Der Absatz wurde vollstĂ€ndig zitiert, weil hier die anthropologische Grundposition Heintels am deutlichsten zum Ausdruck kommt.
In Abgrenzung dazu gehen wir in unserer naturphilosophischen Position davon aus, dass erstens Anorganisches und Organisches als verschiedene Seinsformen zu unterscheiden sind und zweitens dem Anorganischen eine spezielle Art von In-sich-Reflektiertheit zuzusprechen ist. Dieses âSeinâ des Anorganischen kann jedoch nicht im mikroskopischen, sondern nur im makroskopischen Bereich gefunden werden. Erstens muss sich Philosophie immer in der Anschauung bewĂ€hren bzw. hat sich einer ihr eigentĂŒmlichen (philosophischen) Methode zu befleissigen (wir werden unten bei der Diskussion der Frage der Methodik darauf zurĂŒckkommen) â sie kann nicht theoretisieren und experimentieren wie die Physik â, und zweitens deutet auch die Entwicklung der modernen Physik in eine solche Richtung. ZunĂ€chst hat sich gezeigt, dass in der âQuantentheorieâ die konkreten Einzelindividuen miteinander infolge Superposition und Korrelation âverschmelzenâ. Der Begriff des âEinzelnenâ bzw. der âMonadeâ verlangt aber nach konkreter Abgegrenztheit. Weiter schreitet die moderne Physik konsequenterweise in Richtung einer immer weitergehenden âSymmetrisierungâ (siehe Kapitel 3) voran, d. h. in Richtung einer Vereinheitlichung von Kraft und Materie, z. B. in der Theorie der Supergravitation, und damit in Richtung einer vollstĂ€ndigen Auflösung der âMonadenâ als unterscheidbarer Einzelner. Wie die Betrachtung der kosmischen Erscheinungen lehrt â und wir werden beinahe wöchentlich in den Zeitungen mit neuen spektakulĂ€ren Bildern konfrontiert â, besteht der anorganische Kosmos aus Himmelskörpern sowie deren Vorstufen und Zerfallsprodukten als letzten Einheiten. In dem Entstehen und Vergehen dieser Objekte, in deren Geburt in den Spiralarmen der Galaxien als deren âMĂŒtternâ und in deren âBegrĂ€bnisâ in den Zentren der Schwarzen Löcher oder anderen dunklen Materiefeldern erscheint die lebenszyklische Entwicklung im Bereich der organischen Monaden prĂ€formiert. Also kann man am ehesten diese Objekte als unbelebte âMonadenâ ansprechen (davon ausgehend, dass die Galaxien nur die Verbindung dieser Objekte mit deren Vorstufen und Endprodukten darstellen). Die âHimmelskörperâ sind somit als letzte Einheiten des Kosmos anzusehen.
Nun weiter zur Diskussion des Unterschieds der organischen von der menschlichen Natur (der Zusammenhang zwischen beiden steht in dem vorstehenden Zitat â noch â nicht zur Diskussion). Hier wird gesagt, dass der daseiende Begriff nur ein Eidos reprĂ€sentiert â der existierende Begriff dagegen reprĂ€sentiere sowohl jeweils ein Allgemeines als auch ein Eidos, sei auf dieses aber nicht festgelegt und nicht festzulegen. Wie kann nun dieser Widerspruch zwischen jeweils Einem und allgemein nur Einem aufgelöst werden? Offenbar geht es hier um den Unterschied von RealitĂ€t und IdealitĂ€t. Im nur Organischen ist die Einheit von Einzelnem und Allgemeinem (Art) durch das Einzelindividuum realisiert, beim Menschen hingegen stellt diese Einheit ein Ideal dar, dem er als Einzelindividuum nur jeweils auf seine Art gerecht werden kann â anders ausgedrĂŒckt, das er als Einzelindividuum nur auf jeweils seine begrenzte Art reprĂ€sentieren kann. Gleichzeitig handelt es sich bei diesem Ideal aber nicht um etwas Beliebiges, es handelt sich eben nicht um etwas, das âin der Beliebigkeit und der WillkĂŒr der sich in Schwebe bloss möglichen Handelns (vermeintlicher Freiheit) verstehenden SubjektivitĂ€t vernichtet werden konnteâ. Auf diese Weise vernichtet könnte es nur dann werden, wenn es eine âabsoluteâ Freiheit und ein âmöglichesâ Handeln in der RealitĂ€t gĂ€be. Aber es gibt kein âmöglichesâ Handeln (wir kommen auf den Begriff des menschlichen Handelns spĂ€ter zurĂŒck) und keine âabsoluteâ Freiheit â vielmehr steht der Mensch unter dem Ideal und muss dem Ideal nachleben (ânachhandelnâ), er kann sich dem Ideal âMenschâ nicht entziehen, selbst wenn er sich negativ zu diesem einstellt. Im Gegensatz zum organischen Lebewesen ist allerdings die Beziehung zwischen Einzelnem (Ich) und Ideal (Allgemeinem) vermittelt (ĂŒber einen Zwischenbereich, den wir hier grob Kultur nennen). Aber wie gesagt, diese AusfĂŒhrungen beziehen sich nur auf das typisch Menschliche und auf das typisch Organische und lassen vorlĂ€ufig die Integration der Seinsweisen (des Anorganischen, des Organischen und des Menschlichen) ausser Acht.
In Vorwegnahme des Folgenden soll hier doch auch das Gemeinsame der drei oben unterschiedenen Seinsweisen erwĂ€hnt werden, weil sonst die weiteren Kommentare zu Heintels AusfĂŒhrungen schwer verstĂ€ndlich wĂ€ren. Das Gemeinsame der drei obenstehenden Seinsweisen ist im Begriff der âErhaltungâ zu sehen. Die Beziehung dieses Begriffs (eigentlich dessen Ăquivalenz) zu dem der Symmetrie werden wir im Kapitel 3 behandeln. Nun gibt es zwei Möglichkeiten, beim Individuum von Erhaltung zu sprechen: Selbsterhaltung oder Arterhaltung (bzw. Symmetrie). Im Bereich der MonadizitĂ€t dient letztlich die Selbsterhaltung der Arterhaltung als der eigentlichen Synthesis von Individuum und Artbegriff. An dieser Stelle möchten wir einen hĂ€ufig gegen eine solche Position geĂ€usserten Einwand zurĂŒckweisen, nĂ€mlich, dass damit der Aufopferung des Einzelnen fĂŒr die Allgemeinheit das Wort geredet werde. Es geht hier nicht um eine normative Aussage, sondern nur um die philosophisch-anthropologische Feststellung, dass der Mensch, indem er existiert, nicht anders kann, als sich aufzuopfern. Indem wir handeln, handeln wir also unausweichlich nach einem Ideal der Arterhaltung, wobei wir in der Praxis darin mehr oder weniger erfolgreich sein können. Im Bereich des Anorganischen ist die Selbsterhaltung offensichtlich der Arterhaltung untergeordnet. Der Untergang eines einzelnen Sterns erschĂŒttert nicht das Ganze des Kosmos. Ebenso sind in der organischen Welt die Selbsterhaltungsprozesse der Arterhaltung untergeordnet, ja erreichen in dieser erst ihr eigentliches Ziel (ihren Zweck). Nur so lĂ€sst sich sinnvoll die Tatsache der Fortpflanzung erklĂ€ren, und nur so die Spannung zwischen dem unausweichlichen Tod des einzelnen Individuums und dem âWeiterlebenâ des Individuums in Form seiner Nachkommen â wobei diese die Einheit von Individuum und Art in einer aus der Sicht des Einzelnen abstrakteren Form reprĂ€sentier...