Dichotome Irrationalitäten
Von Dr. Thomas Ellrott, der in Göttingen das Institut für Ernährungspsychologie als Nachfolger von Prof. V. Pudel leitet, habe ich vor vielen Jahren ein Dia bekommen, das eine bemerkenswerte Entwicklung aufzeigt. Ausgehend vom tatsächlichen Gewicht (100%) im Jahr 1960 war darauf der Verlauf des mittleren Körpergewichts der Titelblatt-Models des Playboys in den Jahren 1960-1978 dargestellt: ein linearer Abwärtstrend von 17% im o.a. Zeitraum. So attraktiv diese Entwicklung erscheint, explosive Dramatik erfährt sie durch die Gegenüberstellung mit dem Durchschnittsgewicht amerikanischer Frauen im gleichen Zeitraum; dieses stieg laut statistischem Bundesamt -exakt spiegelbildlich- zu den Traumfiguren der Models. Wir träumen. So sehr, dass wir uns etwas vormachen. Virtual reality Jahrgang 1960-1978.
»Jeder will alt werden, - aber keiner alt sein« (Anonymus). Und schon gar keiner will »alt aussehen«, womit wir dann geradewegs beim Doping wären.
Sportlicher Wettkampf war einst Ersatz für Krieg, mitunter auch einfach nur Vorbereitung dazu. Und bekanntlich ist -laut Napoleon Bonaparte- im Krieg und in der Liebe alles erlaubt. Womit klar ist, dass Doping untrennbar mit Sport (und Amouren…) verknüpft ist. Mei, was ein Thema! Es spaltet nicht etwa saubere und unsaubere Athleten (Athleten?), es zeigt in formidabler Weise die Schizophrenie gedanklicher Welten und Wahrnehmungen auf. Die, die sich am meisten darüber aufregen, jene Sessel-Olympioniken, Tresen-Champions und verbalen Elfmeterverwandler sind nicht nur jene, die am deutlichsten nach sportlichen (?) Erfolgen zur Befriedigung eigener und nationaler Identität lechzen, zu der sie selbst nicht beitragen, es sind auch jene, denen Sexual-Doping mit Viagra® und Co selbstverständlich, unverzichtbar, geradezu „natürlich“ erscheint, um „unvergleichlich“ daherzukommen. Doping verrückt Vergleichbarkeit sportlicher Leistungen, sicher. Aber das tun „Sportleradoptionen“ kenianischer Läufer durch Prestige-bedürftige Länder und Potentaten auch; in unserer Demokratie lautet der korrespondierende Begriff subtiler „Einbürgerung“. Wie diese Form selektiven Kolonialismus ist Doping nicht nur Korruption, Doping beinhaltet auch einen verheerenden Angriff auf die Gesundheit der Sportler. Mit und ohne deren Wissen. Wobei das permanent reklamierte Nichtwissen ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es einfach nur noch beleidigend ist. Das reicht von der Tube Zahnpasta bis zu (heute) adrett (früher pickelig) aussehenden Damen mit Gorilla-Stimmen, die sich medial für „sauberen Sport“ einsetzen. Auch Asthma scheint eine Volksseuche zu sein, die ganz vorwiegend Sportler befällt. Die nicht mehr nachvollziehbare, sich in schierem Erstaunen äußernde Fehlsichtigkeit überführter Sportler für ihr ureigenstes Fehlverhalten erinnert stark an die absurden Fett-aufgespritzten Lippen „Schönheits“-„bewusster“ Frauen (Damen darf ich hier nicht schreiben, Damen tun so etwas nicht), die jederMann sofort erkennt und unisono für potthässlich befindet, nur die Betroffenen wollen, können nicht erkennen, dass ihr Aussehen Gargoyle-Formen angenommen hat. Selbsterkenntnis scheitert an Silikon-, Fett- und Hyaluronknautschzonen. Ist das nur Dummheit, Chuzpe, oder Selbstschutz, oder doch Ausdruck von Tragik und Verzweiflung?
Der Traum einer „Anti-Aging-Medizin“ und Teile der kosmetischen Chirurgie leben von dergleichen Verzweiflung, Realitätsnihilismus und Narzissmus. Für einen unvergänglichen Zeitgeist spricht dabei, dass „Das Bildnis des Doriam Gray“ von Oskar Wilde bereits 1890 allgemein zugänglich wurde, nur ein Jahr nach (u.a.) einer enthusiastischen Mitteilung vitalisierender Effekte von Testosteron durch Brown-Sequard.
Die bisher einzige Person, der mit wahrlich krimineller Energie ausgetüftelter Betrug durch „Motordoping“ im Fahrrad-“sport“ nachgewiesen wurde, d.h. apparative Unterstützung durch einen sorgsam verborgenen Elektromotor im Rahmen, hadert noch heute mit der Grausamkeit des Schicksals, das ihr so etwas antut anstatt ein Minimum an Selbsterkenntnis zu bekennen. Sie steht damit in einer ununterbrochenen Phalanx beredter Berufsradfahrer und Berufsbetrüger. Es ist nicht nur der Leistungsschub, der sich aus den Daten traditioneller Rennen wie der Tour de France oder der Leichtathletik ergibt, nicht nur der optische Beleg, der einstmals aparte schlanke 100m-Läufer(innen) vor unseren televisionären Augen zu Muskelmonstern mutieren ließ, es ist auch die Bedeutung, die Sportmedizinern beigemessen wird. Sportmediziner?
Ärztliche Begleitung gibt es bei den olympischen Spielen seit 1896 in Athen. Sportler sollten internistisch „auf Herz und Lunge“ untersucht werden, um Erkrankungen auszuschießen, die sie gefährden könnten,- das gibt es für den Marathonlauf seit der Olympiade in London 1908. Gleichzeitig wurde „dope of all kinds“ verboten, ohne allerdings darzulegen, was denn „Doping“ nun sei, jenes „doing“ mit dem zentralen »P« wie „Pharma“ darin. Die Sportler sollten orthopädisch untersucht werden, um Fehlbelastungen zu verhindern und ggfs. zu korrigieren. Sie brauchen einen Chirurgen, wenn sie sich die Haxen brechen. Sie sollten geimpft sein, wenn sie Reisen unternehmen, ansonsten immer auch gegen die Grippe. Das macht jeder Hausarzt. Und sie sollten die unerlaubten Doping-Substanzen kennen. Dafür gibt es Listen, man könnte sogar eine App bemühen. Trainingsoptimierung durch Sportärzte? Na, was sich wohl dahinter verbirgt? Nun gibt es zur Ehrenrettung des Genres unserer Sportärzte durchaus sinnvolle und erlaubte Bereiche wie vielfältige Ernährungsoptimierungen, Physiotherapie und die inzwischen obligatorische Eistonne. Aber das ist es denn auch. Wobei die „Droge Arzt“ nicht ganz außer Acht gelassen werden sollte.
Der allgegenwärtige Einsatz von Medikamenten, die (nur) zur Behandlung veritabler Krankheiten vorgesehen sind, als Bonbons zur Vermeidung subjektiver Unpässlichkeiten geht weit über den Doping-Aspekt hinaus. Ein Bundesliga-Profi-fußballer berichtete mir einmal, dass praktisch jeder Spieler vor einem Einsatz 2 Kapseln Diclofenac einwirft, um einigermaßen schmerzfrei durch die 90 min zu kommen. Selten einmal werden die Folgen ungestümen NASR-Analgetika-Konsums sichtbar, so wie bei jenem anderen Fußballprofi, der infolge schwerster Nierenschädigung einer Nierentransplantation bedurfte (und seither gegen den Vereinsarzt klagt). Medikamente zur Leistungsoptimierung sind aber auch außerhalb des „Sports“ ein gängiges „Rezept“ (mit und ohne Arzt), eigene Defizite zu überbrücken, Vorteile im Wettbewerb mit Kollegen oder den Erhalt des Selbstbildes in der Partnerschaft oder in der Gesellschaft zu erreichen. Und dabei sind die Übergänge zur „normalen“ Lebensführung fließend.
Tranquilizer am Abend, die anregende Tasse Kaffee am Morgen für den kleinen „Kick“ und das Minimum von 10 Tassen Mokka, um den Büroalltag, die Nachtschicht, die Konferenz durchzustehen markieren ein solches, graduelles Spektrum. Bio-Koffein, sozusagen. Der nächste Schritt wäre dann so etwas wie die Vielzahl Koffein-haltiger Designer-„Shots“ in Form beflügelnder Brause und schließlich beispielsweise Activanad®, ein „anregendes“ (mitunter sinnvolles) Medikament, schließlich eine Prise Kokain und bei Politikern zuletzt eine Spur Crystal Meth. Allen gemein ist, dass wir eigene und sinnvolle Grenzen nicht mehr akzeptieren wollen und schließlich gar nicht mehr erkennen, dass uns das Meer des Lebens gefühlt in einen Fjord unseres Daseins gespült hat, in dem wir nicht mehr zurechtkommen.
Die Verwendung hormonell aktiver Steroide in Form von Hodenpräparaten wurde zwecks anaboler Körper-Formatierung schon von Aretaios von Kappadokien (81-138 n.Chr.), der auch den Begriff Diabetes geprägt hat, gewürdigt und von Brown-Sequard, einem der Begründer der modernen Endokrinologie, 72jährig, durch eine Schilderung vitalisierender Ergebnisse im Selbstversuch (1.6.1889) enthusiastisch propagiert. Ihr Einsatz zur Leistungssteigerung der Muskelkraft erfolgte nur 5 Jahre später. Während der Jubel des alternden Brown-Sequard nach heutiger Auffassung eher einem Placeboeffekt geschuldet sein sollte, zeigen die Nachrichten über früh verstorbene Leistungssportler das Problem oral wirksamer Testosteron-Präparate auf: sie rufen Leberkrebs hervor. Mit entsprechender Erfahrung wuchs die ärztliche Kenntnis, wie sich das Problem umgehen lässt: sei es durch Injektion des Hormons oder Testosteron-Depots an der Mundschleimhaut; in beiden Fällen wird das Risiko einer Leberkrebsentstehung minimiert. Andere bedeutsame Nebenwirkungen des Testosteron-Dopings einschließlich der bisweilen gravierenden psychischen Veränderungen nehmen hierbei jedoch nicht ab.
Während Fremdsubstanzen und ihre Abbauprodukte für eine kürzere oder längere Periode mit empfindlichen biochemischen Methoden in der Regel nachweisbar sind, hat sich mit der Anwendung physiologischer, körpereigener Substanzen ein neues Feld der Unsicherheit trotz Manipulation aufgetan. Das galt zwar auch schon z.B. für die Messung von Testosteronspiegeln, ist bei Erythropoetin und anderen Wachstumsfaktoren aber noch schwieriger. Neben den gemessenen Hormonspiegeln müssen daher z.B. die Retikulozyten als weiterer Indikator eines Doping-Effektes herangezogen werden, unumstößlich zuverlässig ist das nicht. Entsprechend wird dann auch von Seiten des Athleten mit Höhentraining oder genetischen Besonderheiten ihrer roten Blutkörperchen argumentiert. Das sieht bisweilen nach Ausreden aus, aber ich verstehe diese Argumentation gut. Ein Arzt im Umfeld meiner früheren Klinik ist vor einigen Jahren verklagt worden, den Tod eines Patienten (mit)verursacht zu haben, nachdem er zwar zahlreiche Wespenstiche lokal und medikamentös mit Tabletten behandelt hatte, aber eine schwere Kreislaufreaktion mit Todesfolge nur kurz nach der Vorstellung nicht verhindert haben soll. Ein gerichtsmedizinischer Befund hatte hierbei festgestellt, dass stark erhöhte Histaminspiegel vorgelegen haben, eines Gewebsstoffs, der zur Schwellung, Rötung und Überwärmung nach Insektenstichen führt und bei entsprechender Konzentration auch Ursache eines Kreislaufversagens (wie z.B. im allergischen Schock) werden kann. Die Gerichtsmedizin schloss aus der Konzentration, dass die Wespenstiche zum Tod geführt hätten. Was sie überhaupt nicht in ihrer Konklusion berücksichtigt hatte, war jedoch ein großflächiger, ausgeprägter Sonnenbrand des Patienten, dessen uns allen geläufige Symptome eben auch auf einer Histamin-Wirkung beruhen. Ein Beweis, wieviel Histamin durch Sonnenbrand und welcher Anteil durch die Wespenstiche bedingt ist, kann hierbei medizinisch sachgerecht nicht geführt werden. Diese Diskussion wurde jedoch nicht ausgefochten, da die Klage aus anderen Gründen abgewiesen wurde.
Dass Dopingproben nicht nur mittelbar der Gesundheit der Athleten dienen, sondern auch unmittelbar im Einzelfall große Bedeutung haben können, veranschaulicht die Geschichte eines Fußballprofis, bei dem anlässlich einer Dopingkontrolle im Urin ein viel zu hoher ß-HCG-Wert gemessen wurde (humanes Choriongonadotropin). Normalerweise ein Indikator für eine Schwangerschaft, oder aber eben ein Abbauprodukt unnatürlicher Hormonzufuhr, ist dies auch ein Hinweis auf eine Hodentumor (Tumormarker). Die ärztliche Untersuchung ergab eine solche Diagnose, so dass die frühe Entdeckung durch die Dopingprobe vielleicht lebensrettend war.
Die lokale Injektion wachstumsfördernder körperidentischer Substanzen in Muskeln oder Sehnen wird wohl meistens unentdeckt bleiben. Streng genommen gehörte auch physikalische (Elektro)stimulation zu derart leistungsfördernden manipulativen Maßnahmen; bei genereller Nichtnachweisbarkeit „ex flagranti“ bzw. „ex post“ erübrigt sich aber jede Dopingdiskussion, stattdessen finden wir die Thematik als förderlich anerkannt in Sport, Rehabilitation, Fitnessstudios und im zugehörigen Versandbusiness. Wir sehen: die Grenzen sind sehr fließend und es erscheint z.B. schon fast absurd, zumindest aber irreal, elektrostimuliertes Muskelwachstum als „unsauber“ zu betrachten. Andererseits dürfte pharmakologisch oder genmanipulativ stimuliertem Muskelwachstum die Anerkennung als „saubere“ Maßnahmen einhellig verwehrt bleiben. Bei unrealistisch hehrer Überzeugung nennt sich eine solche Situation Dilemma; »no way out«. Bei weniger hehren Überzeugungen nennt sich das Realität, bei Notwendigkeiten zu Stellungnahmen dann auch Sportpolitik. Auf der Strecke (der Kurz- wie der Langstrecke übrigens) bleiben dann zwei Kontingente: der saubere Athlet und der Sportbegeisterte Zuschauer. Im Einzelfall wird die Unschuldsvermutung gelten (müssen); insgesamt hat der Wettkampfsport aber seine Unschuldsvermutung längst eingebüßt. Das Ansinnen, auf Nationenwertungen und Medaillenspiegel zu verzichten (Willi Lemke) ist dabei lächerlich, denn die Vorgänge unterscheiden sich auf nationaler, regionaler, lokaler und individueller Ebene nicht grundsätzlich. Doping ist auch Volkssport. »Der Fehler begleitet den Menschen« (Platon). Nicht einmal eine Beweisumkehr, d.h. der Sportler muss nachweisen, dass er/sie „sauber“ ist, würde Staatsgetragenes Doping verhindern. Bliebe noch die generelle Freigabe, „soll sich doch schädigen, wer will“. Dann aber hätten wir den Wettkampf der Vorsichtigen gegen die Unvorsichtigen, die Disparität der Vergleichbarkeit hingegen, das Dilemma, bliebe.
Mathematik kennt den induktiven Beweis und den deduktiven Beweis. Politik (und Medizin) kennt darüber hinaus den Beweis durch multiples Behaupten. Dieser hat seine Wurzeln in den Medien und der Werbung. Auffallend ist hierbei auch die Verballhornung durch eine allgegenwärtige contradictio in adjecto, nicht nur in Werbeslogans. Dabei erscheint das kalorienfreie Festessen greifbar, nicht erwähnend, dass lediglich verbale und lebensmittelrechtliche Spitzfindigkeiten fröhliche Urständ feiern. »Energie tanken« bedeutet, überflüssige Kalorien aufzunehmen; »schnelle Energie« zuführen beinhaltet: Zucker, pur. »Zuckerfreie« Kaugummis enthalten Sorbitol, Mannitol oder Xylit, lebensmittelrechtlich Zuckeralkohole, keine Zucker. Das wissen die Hersteller, Chemiker und unser Lebensmittelrecht, nicht aber die Bakterien, die auch diese Zuckeralkohole verstoffwechseln können. Light-Produkte enthalten weniger Fett (damit auch weniger Geschmack) aber viel bzw. verstärkt Kohlenhydrate, die weder den Geschmack wirklich verbessern noch anhaltend für Sättigung sorgen können. Also konsumieren wir mehr davon.
Diese Form des Etikettenschwindels durchdringt unser Dasein in den unterschiedlichsten Formen. Am 21.3.2016 war in der (Frankfurter Allgemeinen) Zeitung zu lesen, dass der Energieversorger Mainova® den Wasserpreis um 10% anhebt, nachdem er 2012 von der Aufsichtsbehörde des Landes zu einer Preissenkung um 25% genötigt worden war. Konsequenz: verschiedene Kommunen erheben jetzt schlicht „Gebühren“, die -anders als Wasser-„Preise“- nicht der Kartellaufsicht des Landes unterliegen!
Der „mündige“ Bürger (und das ist schon eine drastisch reduzierte „light-Form“ des Rousseau´schen Citoyens) ist wohl allein deshalb „mündig“ weil ihm solche Frechheiten quasi wie „Maulschellen“ zugemutet werden. Der wahrlich mündige Bürger ist auch nicht Adressat der zu gefühlt 93% kulturellen Umweltverschmutzung, die ihm das Fernsehen zumutet; er ist ihr Opfer und gehört auf die Liste der vom Aussterben bedrohten Spezies. Womit sich dann noch ein Hinweis auf die clowneske Jongliernummer anbietet, mit der die neue Berechnung der Rundfunk- und Fernsehgebühr gerechtfertigt wird, die nicht an den Bezug der Leistung geknüpft ist, sondern an die Möglichkeit, von ihr Gebrauch zu machen. À-point und einfach köstlich denn auch die Aufspießung des Sujets im diesjährigen Karneval in Form folgender anarchischer Analogie: ein Mann wird zur Zahlung von Alimente verdonnert. Sein Einwand, er habe das Kind gar nicht gezeugt verfängt nicht, schließlich „habe er das Gerät dazu“.
»Mündig« könnte denn auch beinhalten, dass dem Bürger die Spucke im Mund wegbleibt oder derselbe einfach nur offensteht, wenn der öffentlich-rechtliche, Gebührenfinanzierte WDR (ebenso wie weiland das Land NRW) Klassiker der bildenden Kunst verscherbelt (sic!) anstatt sie kulturell zu bewahren respektive verfügbar zu machen.
Neben der schon angesprochenen contradictio in adjecto hat sich heute eine monoverbale Sinnmodulation oder -umkehrung etabliert, die wir bestenfalls nur noch partiell wahrnehmen. Studenten, die gab es einmal. Sie haben studiert, mehr oder weniger jedenfalls, und sie haben das Bild ganzer Kleinstädte wie Tübingen, Marburg oder auch -etwas größer- Göttingen geprägt, sei es durch den frischen Eindruck der Jugend, sei es durch abgestandenes Bier und Tabakrauch, durch Sit ins oder Demonstrationen für/gegen Neues oder Altes. Mit der „Genderdiskussion“ wurden aus Studenten »Studierende«. Die gibt es nämlich geschlechtslos (ein Hohn für Studentinnen wie Studenten gleichermaßen). Dabei gab es auch zuvor Studierende, nämlich jene studentes (Mehrzahl von studens, deutsch: Studierende), die regelmäßig in einem Hörsaal erschienen und die ein Notebook oder besser noch, einen Buchdeckel, aufklappen mochten, um etwas zu lernen. „Sich eifrig bemühen“ heißt denn auch so etwa studieren. Studenten waren keineswegs immer derart stromlinienförmig beschäftigt, Studierende sind es aber eher noch weniger. Das Wort ward nicht Fleisch, und es ist dennoch unter uns. Medienpolitik nennt so etwas Propaganda. Studierende und „eifrig bemühtes Lernen“, das ist nicht einmal eine contradictio in adjecto, es ist die contradictio in einem Wort, quasi ein Oxymoron. Die ehrliche Form von Studierendem/der ist Student(in). Da bleibt neben dem Studium auch Zeit zum Schoppen. Früher: Frühschoppen, heute von A bis Z: von Amazon® bis Zalando®.
Wie geht man mit diesen kleinen und immer größer werdenden Unverschämtheiten um? Im kleinen Rahmen mag man sich darüber ärgern und entsprechend reagieren. In der Zeit, als ich in Göttingen Stationsarzt der Infektionsstation war, sandte uns die AOK in allen Fällen, in denen wir Patienten mit einer Hepatitis behandelten, einen Fragebogen zu, dessen gefühlt etwa 10 Fragen verpflichtend beantwortet werden mussten. Im Briefkopf des recht selbstbewusst imponierenden Schreibens prangte neben dem grünen Logo der Krankenkasse in dick aufgetragenem Rot das Commitment: »Wir sorgen für Ihre Gesundheit!«; der Text begann sinngemäß: »Sehr geehrte(r) Herr / Frau Doktor, sicher haben Sie bei der Behandlung des o.a. Patienten berücksichtigt, dass ggfs. eine Berufserkrankung infrage kommt..« usw. Natürlich haben wir das berücksichtigt, denn der Verdacht auf eine Berufserkrankung ist per Gesetz meldepflichtig. Das entsprechende Schreiben war überflüssig wie ein Kropf. Natürlich machte es unnötig Arbeit und selbstredend waren dabei Formulierungen und Angaben zu bestimmten Z...