1. Prolog
Man wird geboren, erhält einen Vor- und Nachnamen und muss sich meist damit Zeit seines Lebens arrangieren.
Mancher hat es nicht leicht, ist ein Name doch schon oft beginnend in der Kita ein Anlass zum Schmunzeln oder Hänseln durch die anderen Kinder.
Wird man älter, kann es ausufern und mancher überlegt den Namen zu wechseln, was nicht so einfach ist.
Doch jeder Name hat seine Geschichte, viele Generationen mussten damit leben, mancher war stolz darauf. Es gibt aber auch Menschen, die feinfühlig sind, die, weil der Name nicht gefällt, unter ihrem Namen leiden.
Irgendwann nimmt es fast jeder Mensch hin, reagiert auf spitze Bemerkungen seiner Mitmenschen nicht mehr, lässt alles von sich abprallen.
Er wird quasi immun und entwickelt ein Abwehrkonzept bzw. sucht in seinem Namen etwas „Gutes“. Er will wissen, woher der Name stammt oder wie es dazu gekommen ist. Oft stellt sich heraus, dass zur Zeit der Namensbildung das Wort eine vollkommen andere Bedeutung hatte als heute oder der Ursprung findet sich in anderen Sprachräumen.
Besser haben es diejenigen, die wohlklingende oder Namen besitzen, die man mit positiven Empfindungen verknüpft.
Ich rechne mich der letzteren Gruppe zu, denn „Pechstein“ ist ein sehr interessanter und zugleich von bekannten Personen besetzter Name.
Aus dem Wunsch vieler Menschen, etwas mehr zur Herkunft des Familiennamens zu wissen, entwickelte sich ein ganz neuer Wissenschaftszweig, die Namensforschung oder Onomastik. Die Brüder Jacob und Wilhelm Grimm beschäftigten sich zum Beispiel damit, aber auch Goethe. Wie kann es anders sein, er beschäftigte sich mit allem, was ihn und in seiner Zeit die Menschen interessierte.
Heute gibt es z. B. an der Universität Leipzig ein „Namenkundliches Zentrum“ mit dem bekannten Professor Udolph, das mit der „Deutschen Gesellschaft für Namenforschung e. V.“ zusammenarbeitet.
An der Universität Mainz erarbeitet ein Institut für Namensforschung einen „Deutschen Familiennamenatlas“. Daran erkennt man einerseits die Bedeutung des Familiennamens für die Wissenschaft, andererseits zeigt es, dass es noch viele Fragen hinsichtlich der Namensentstehung zu lösen gibt.
Im Rahmen der Familienforschung kam auch bald für mich der Zeitpunkt, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Der Ausgangspunkt, es konnte nicht anders sein, einerseits Hänseleien in der Schule und andererseits die oftmalige Frage, „bist Du mit der oder dem verwandt?“.
So begab ich mich auf Spurensuche nach der Herkunft und Bedeutung unseres Familiennamens.
Aber auch auf die Suche zu dem, was man so alles in den verschiedenen Regionen und Ländern mit „Pechstein“ bezeichnet sowie welche Personen mit diesem Namen einen gewissen Bekanntheitsgrad erreichten. Zu berücksichtigen ist dabei die Namensvariante Bechstein, die insbesondere im süddeutschen Raum vertreten ist.
Erstaunlich daraus die Erkenntnis, dass viel Überraschendes zutage trat, und der Name eine Bezeichnung für viele unterschiedliche Dinge bzw. Begriffe ist.
Mit dem Buch erhalten Sie, liebe Leser, einen Überblick über diese Vielfalt der Bezeichnungen und Begriffe einschließlich Informationen zu bekannten Personen mit diesem Namen.
Vielleicht in einem späterem Buch, das meinerseits geplant ist, werde ich einige Ergebnisse meiner und anderer Ahnenforscher zum Vorkommen von Familienzweigen mit dem Namen Pechstein/Bechstein vorstellen. Es wird, wie es in der Ahnenforschung nicht anders sein kann, eine erste allgemeine Zwischenbilanz der Forschungsergebnisse von mir und anderen Genealogen sein. Im Kapitel 10 finden Sie Beispiele einiger Ahnenlinien verschiedener Familien Pechstein und Bechstein.
Es sind jedoch nur kurze, aber aussagekräftige Übersichten. Eine detaillierte Aufstellung zu unseren Ahnenstämmen, -zweigen und Linien in Sachsen wird einem weiteren Buch vorbehalten sein.
Für alle, die sich mit Familienforschung befassen, werden aber auch diese Übersichten interessant sein. Kann man doch manche Anknüpfungspunkte finden, vielleicht sogar den Familienzweig der eigenen Familie ergänzen.
2. Spurensuche
Es war ein ganz normaler Tag, der 29.10.1982 in Halle-Neustadt. Wie immer, ausgespuckt von der S-Bahn mit tausenden Pendlern aus Buna, noch den Problemen der Arbeit und anderen Gedanken nachhängend, führten die Füße mich automatisch nach Hause.
Sie kannten den Weg zur wartenden kleinen Familie in einem der vielen Wohnblöcke. Es gab keine Straßennamen, nur WK (gleich Wohnkomplex) und Blocknummern, für Auswärtige gewöhnungsbedürftig.
Ich trottete wie immer, anfangs im Gespräch mit einem Kollegen, später nur den gewohnten Weg folgend, zu unserer Wohnung im III. WK.
Schnell überwand ich die Stufen zum vierten Stock. Wie immer liebevoll begrüßt von meiner Frau Ilona, die mir heute jedoch merklich aufgeregter als sonst erschien.
Ilona hielt einen Brief aus Bremen mit einer bundesdeutschen Briefmarke in der Hand. Äußerst ungewöhnlich für uns, da von staatlicher Seite westliche Briefkontakte nicht erwünscht waren. Nur Briefe von meinem Briefmarkentauschpartner aus Hamburg fanden ab und zu den Weg in unseren Briefkasten. Zuerst dachte sie an einen Irrläufer, prüfte die Adresse – alles hatte seine Ordnung. Der Absender mit dem interessanten Namen Peter L. Pechstein verhieß West-Verwandtschaft, die zur damaligen Zeit politisch nicht gewollt war und unangenehme Folgen haben konnte.
Die Neugier war jedoch größer als die Angst und der Brief wurde geöffnet. Das Ergebnis: Verwandtschaft war es nicht. Der Absender war ein junger begeisterter Ahnenforscher, der die „Pechstein-Sippe“ erforschen wollte. Peter erklärte sein Ziel einfach und klar so: „Ich möchte jeden Menschen erfassen, der je Pechstein hieß und Verbindungen zu anderen Familienzweigen knüpfen“.
Ein großes Ziel so einfach in den Raum gestellt, als ob es in wenigen Monaten, vielleicht auch Jahren, zu erreichen ist – das kann nur ein junger Mensch, der von einer Idee oder Aufgabe „besessen“ ist.
Dies imponierte mir und trotz des staatlichen Verbotes antwortete ich, beantwortete seine Fragen. Zuvor konsultierte ich meinen Vati, der sich zwangsweise mit unseren Ahnen befassen „durfte“.
Als Berufssoldat musste er in Kirchenämtern Urkunden beschaffen, die seine Abstammung im Sinne der Ideologie des 3. Reiches bestätigten. Man beurkundete: Unsere Vorfahren stammten aus Geithain in Sachsen.
Verbindungen zu Peters Ahnen sah er nicht. Ich nehme an, Peter war sehr enttäuscht, als ich ihm dies schrieb.
Erneut geriet er mit uns Pechsteins an eine Familie, die er nicht zuzuordnen wusste. Er musste in seiner Ordnung wieder einen neuen Zweig beginnen, das heißt, unsere Familie wurde Pechstein, der XVI. Zweig.
Vorsichtig versuchte ich ihm mitzuteilen, dass ich, wenn ich es auch gern getan hätte, leider nicht weiter mit ihm korrespondieren konnte.
Dies hätte meinen Arbeitsplatz gefährdet und wäre für unsere kleine Familie ein zu hoher Preis für ein Hobby; mag es noch so interessant sein.
Dieser denkwürdige Tag hatte trotzdem Auswirkungen, denn auch ich fing nun an, mir Gedanken zur Geschichte unserer Familie zu machen. Aber noch war ich nicht infiziert, sondern sammelte alles, was ich so bekommen konnte - so wie ich es von der Philatelie her kannte, nur nicht so intensiv.
Immer wieder gab es nun Gespräche zu unserer Familiengeschichte in mehr oder weniger intensiven Gedankenaustauschen mit meinem Vati.
Dieser wusste viel über seine Verwandten in Geithain, Bad Lausick, in Engelsdorf am Klingerplatz, Reinsdorf, Waldheim, Döbeln und natürlich in Gera, den Verwandten seine Mutter Anna Täuscher – sogar einige Erinnerungen an seinen Opa sind mir nebulös im Gedächtnis geblieben.
In dieser Zeit beging ich einen großen nicht wieder gut zu machenden Fehler - ich hörte mir zwar alles an, vergaß aber, diese interessanten Erinnerungen niederzuschreiben.
Auch die damalige Zielstellung von Peter war ein wenig zu weit gegriffen. Beides mit schweren Folgen. Peter gab die Forschung auf, weil der Anspruch einfach zu groß gewesen ist und es zu viele „Pechstein“ gab.
Er fand nur wenige Verbindungen zwischen den gefundenen Zweigen und musste immer neue Enttäuschungen verkraften. Und das Internet, was ihm helfen konnte, war noch nicht geboren.
Heute weiß ich: Von mir wurde die letzte Gelegenheit versäumt, wichtige Zeitzeugen zu befragen. Damit schwand von Jahr zu Jahr sowie Monat zu Monat die Möglichkeit aus dem Wissen der „Altvorderen“ zu lernen. Aus heutiger Sicht verbummelte ich die Chance, für spätere Generationen äußerst wichtigen Erfahrungen festzuhalten. Mosaiksteine unserer Familiengeschichte gingen verloren.
Meine Großeltern väterlicherseits lernte ich leider nie kennen. Diejenigen Verwandten, die über das Wissen ihrer Eltern und Großeltern mehr oder weniger noch verfügten, befragte ich nicht bzw. interessierte mich nur oberflächlich für deren Vergangenheit. Warum sollte ich mich, befasst mit täglichen Problemen auf der Arbeit und der Familie, mit den Lebensgewohnheiten, die freudigen und traurigen Ereignisse der Familie, mit den Wohnorten und Leben der Onkel und Tanten, befassen?
Man nahm die Erzählungen der Eltern, Großeltern und näheren Verwandten zur Kenntnis, mehr nicht. Gern hörte ich in meiner Kindheit meinem Opa mütterlicherseits zu, wenn er von seiner Dienstzeit im Kaiserlichen Garderegiment berichtete. Ehrfürchtig schaute ich dann auf sein Bild im Wohnzimmer, wo er in einem Wachhäuschen posierte.
Er war stolz auf diese Zeit, auf seinen Dienst „Mit Gott für Kaiser und Vaterland“. Auch wenn viele seiner Kameraden und Freunde den 1. Weltkrieg nicht überlebten, die Kinder ohne Vater und Ernährer, die Frauen ohne ihren geliebten Mann auskommen mussten. Erschwerend in den Nachkriegsjahren für alle die Weltwirtschaftskrise und die viele Existenzen vernichtende Inflation.
Doch mein Opa kam gesund aus dem Krieg, fand eine gute Arbeit als Stellmacher bei der Reichsbahn. Später konnte er sogar ein Haus bauen, wo seine vier Töchter behütet aufwachsen konnten.
Das war es, woran ich bei der Familiengeschichte mütterlicherseits dachte. Anderen wird es ähnlich gehen. Warum sich mit Dingen belasten, die die meisten uninteressant finden?
Ahnenforschung war auch ein belastetes Thema durch die Nazizeit und davor eigentlich nur ein Thema für den Adel und das Großbürgertum. So hatten wir es in der Schule gelernt.
Meine älteren nahen Verwandten sprachen nicht gern über die Vergangenheit. Niemand wollte an die verheerenden Folgen der drei Kriege – Deutsch-Französischer Krieg, 1. und 2. Weltkrieg – und den Kampf der Familien in diesen schweren Zeiten ums Überleben erinnert werden.
Man verdrängte die schlimmen Bilder aus den Kriegen, die nachts noch immer als Albträume bei vielen den Schlaf störten. Andere waren im letzten Krieg gefallen oder schon lange verstorben. Mein Vati, Herbert Pechstein, wusste noch viel über die frühere Geithainer Zeit seines Vaters als Pflegekind bei einer Uhrmacherfamilie und als Bäckerlehrling.
Er erinnerte sich noch an Erzählungen seiner Eltern über Ereignisse längst vergangener Zeiten meiner Urgroßeltern, aber auch noch an damals zur Familie gehörende Verwandte. Zu Letzteren gab es in jungen Jahren noch mehr oder weniger Kontakte. Doch nach deren Tod hatten deren Nachfahren teilweise kein Interesse oder zeigten sich für neue Kontakte nicht aufgeschlossen. Man verlor sich aus den Augen. Die „Groß-Familie“ verlor den hohen Wert, den sie Jahrhunderte lang hatte.
All das familiengeschichtliche Wissen musste somit als Verlust abgebucht werden. Meine Mutti konnte sich später, als sich mein Interesse an diesem Wissen erhöhte, in ihrem hohen Alter nicht mehr so detailliert erinnern. Handelte es sich doch nicht um ihre Familie, wo sie aufgewachsen war. Trotzdem nutzten wir ihre letzten Lebensjahre, um z. B. die Personen auf den alten Fotos noch mit Namen zu versehen und die ihr bekannten Ereignisse zu notieren.
Dies sind Begebenheiten im Leben, die man nie wieder zurückholen kann, Informationen gehen so für immer verloren. Das wurde mir leider erst als Rentner bewusst. Erst beim Suchen nach einer sinnvollen Aufgabe, die ich in meiner neu gewonnenen Freizeit erledigen wollte, erinnerte ich mich daran. Jetzt besann ich mich, wollte mich mit der Herkunft unserer Familie beschäftigen.
Auch angeregt durch Recherchen anderer Hobby-Genealogen, die mich oft im Großbreitenbacher Museum aufsuchten, damit ich für sie im Stadt- oder Museumsarchiv zu ihren Vorfahren recherchierte. Aber auch die Gestaltung von Ausstellungen zu diesem Thema führte zu einem neuen Herangehen und wachsendem Interesse an der eigenen Familiengeschichte.
Ich begann das gesammelte Material, einschließlich Peters Unterlagen, zu sichten und zu bewerten. Auch in der Hoffnung, die von Peter angestrebte Erforschung der Familienzweige zu vervollständigen und Verbindungen zwischen den Zweigen zu finden.
Bald musste ich ernüchtert feststellen, dass ich wohl die Zielsetzung von Peter ändern musste. Durch die neue politische Situation hatte ich auch die Hoffnung mit Peter Kontakt aufzunehmen, um gemeinsam mit ihm die Pechsteins zu erforschen.
Ersteres konnte mit einem Besuch von ihm und seiner Frau Michaela 2007 realisiert we...