Kapitel 1: Wie der Wald uns gesund erhält
Karoshi - Tod durch Überarbeitung
Verwunderlich ist es nicht, denn in Japan ist Karōshi (Tod durch Überarbeiten) eine weitverbreitete Todesursache, meist ausgelöst durch Stress, Herzinfarkt oder Schlaganfall. Nicht klar ist, ob der Suizid durch psychosozialen Stress miteinbezogen wurde. Etwa 40 japanische Kliniken haben sich auf Karōshi-gefährdete Fälle spezialisiert. Dieses Phänomen ist auch in Südkorea und China weitverbreitet. *4
Es fing damit an, dass 1969 plötzlich in der Versandabteilung einer großen japanischen Zeitung ein 29-jähriger Arbeiter an einem Schlaganfall verstarb. Das war nichts Besonderes. Erst nachdem 1980 mehrere Manager mittleren Alters ohne Vorwarnung auch verstarben, wurden die Medien auf das Phänomen aufmerksam. 1987 begann das japanische Arbeitsministerium mit der Veröffentlichung von Karōshi-Statistiken. Festgestellt wurde, dass die Manager durch den rasanten wirtschaftlichen Aufstieg nach dem zweiten Weltkrieg zu viel arbeiten mussten. Es wurde auch festgestellt, dass Erwerbstätige nicht mehr als zwölf Stunden täglich arbeiten sollten, ohne gesundheitlichen Schaden davonzutragen. Manche arbeiteten bis zu 105 Überstunden im Monat und sterben deswegen häufig an Herzversagen.
Es erfolgte in Japan eine juristische haftungspflichtige Anerkennung des berufsbedingten Karōshi Todes. So konnten Angehörige der Opfer die Arbeitgeber auf Entschädigungszahlungen oder Hinterbliebenenrente verklagen, wenn die Arbeitsüberwachungsbehörde den Fall als berufsbedingten Tod anerkannte. Um die 150 Fälle pro Jahr wurden von Japan‘s Behörden anerkannt. Weiterhin wurden 93 Fälle von Selbstmord oder versuchtem Suizid, besonders bei jungen Leuten, infolge von Überarbeitung offiziell anerkannt.
Nach den von der Polizei bestätigten Zahlen der Untersuchung kam es aber im vergangenen Steuerjahr zu 2159 Selbsttötungen, bei denen unter anderem Probleme am Arbeitsplatz eine Rolle gespielt haben sollen.5
Karoshi forderte jährlich tausende Todesopfer
Die inoffiziellen Zahlen werden von Experten hingegen auf über 2.000 geschätzt.6 Also mussten sich die japanischen Behörden etwas einfallen lassen und stießen dabei auf den Schweden „Roger S. Ulrich“, klinischer Psychologe an der Uni von Uppsala. Der führte nämlich in den 1980er-Jahren eine interessante Studie durch: Frischoperierte wurden durch den Anblick von grüner Natur durch das Fenster schneller gesund, als andere, die auf eine Häuserwand starren mussten.
So kamen die japanischen Forscher zu der Einsicht, dass die Farbe Grün oder der Wald heilsam sein muss und setzen Untersuchungen an, die dies letztendlich bestätigten.
Wie Shinrin Yoku erfunden wurde
So wurde „Shinrin-Yoku“, der Waldspaziergang zur Vorbeugung und Prävention erfunden, vermischt mit alten Shinto- und buddhistischen Praktiken. Die Kunst des Waldspaziergangs bestand darin, die Natur durch alle fünf Sinne in den Körper eindringen zu lassen: Das war gratis aber! Eine geniale Erfindung. Ein überforderter Arbeiter, der im Ghetto der Arbeitsmetropole komplett überfordert in einem Schubfach lebte, nur noch Abgase einatmete, am Abend Whisky trank, (Japan stellt den besten Whisky her), der nur noch funktionierte und den Burnout längst überschritten hatte. Wenn dieser beim Anblick von grünen Bäumen und beim Gehen durch die Natur relativ schnell entstresst und entspannt war, so lag dies auf der Hand und konnte auch logischerweise schnell nachgewiesen werden.
Es wurden Gelder in wissenschaftliche Untersuchungen gesteckt und Shinrin Yoku wurde von den Krankenversicherungen bezahlt. Fast vier Millionen Franken investierten die japanischen Behörden in die wissenschaftliche Erforschung der psychologischen und physiologischen Wirkungsweisen des Shinrin-Yoku.7
Es gibt mittlerweile in Japan über 60 Waldheilpfade. Professor Qing Li, einer der ersten Mediziner, der sich wissenschaftlich ausführlich mit dem Waldbaden befasst hat, ging damit in die Geschichte ein.
Heute sind die Japaner verrückt nach Shinrin Yoku.. Viele Menschen fahren 75 Minuten mit dem Zug in den Chichibu-Tama-Kai-Nationalpark, der nordwestlich von Tokio liegt.
Trainer kümmern sich um die überforderten „Schreibtischtäter“ die der Natur und sich selbst komplett entfremdet sind mittels Anweisungen für Atem- oder Achtsamkeitsübungen. Andere entspannen einfach nur im Wald, schreiben ein Haiku (Gedicht) und atmen den Duft der würzigen Pflanzen ein. Sie nehmen eine „Aroma-Dusche“, um ihr stressiges Leben aushalten zu können. Das hat nichts mit Esoterik oder Wildnis Pädagogik zu tun, man muss dazu auch nicht die Bäume umarmen, lieben oder gar mit ihnen sprechen. Das ist die einfachste Form, um gesundheitlich zu überleben und Stress abzubauen. Dies wurde zur japanischen Standard-Präventivmedizin.
Die eifrigen japanischen Büroangestellten, die zum Wohle aller gerne Überstunden machen und sich selbst ausbeuten, sind sehr erfinderisch, um Karoshi, dem Tod durch Überarbeitung, zu entgehen. So ziehen die Tageswanderer, gerne auch mit übermäßiger Ausrüstung, wie Handy, Kamera, Wasserflasche…. (es gibt kaum einen Japaner, der keine Kamera mit sich führt) mit in die Natur, um selbige eher abzulichten, als zu entspannen.
Doch frage ich mich, wo bleibt die Entspannung, wenn tausende von Touristen das Gleiche tun und alles ablichten, was sie sehen? Wo bleibt die Natur-Erfahrung? Das Natur-Erleben? Die Erkenntnis über sich selbst?
Der Chichibu-Tama-Kai-Nationalpark, ist der ideale Ort für Shinrin Yoku, um alle fünf Sinne in den Körper eindringen zu lassen. Zwischen dem Beginn und dem Ende einer zweistündigen Wanderung ist der Blutdruck garantiert um ein paar Punkte gefallen. Bei sehr gestressten Menschen, wahrscheinlich umso mehr.
Trotzdem stellt sich mir die Frage, warum Waldbaden (Shinrin Yoku) betreiben und nicht die Lebensumstände ändern? Wäre es nicht sinnvoller die Arbeitsbedingungen in Japan zu ändern, so, wie in Deutschland? Unterstützen die Japaner damit nicht weiter den Raubkapitalismus?
Denn durch zu lange Arbeitszeiten, Druck, Mobbing an Schulen, lange Arbeitswege, überfüllten Metrostationen hat Japan nach Südkorea und Ungarn die höchste Suizidrate. Viele haben in den Menschenmengen der Städte Angst vor Ansteckungen und bewegen sich nur mit Mundschutz und Handschuhen durch die Arbeiterslums und Himmelstürme. Hinzu kommt die Angst vor mehr als 1500 Erdbeben pro Jahr. Der Tsunami im Jahr 2011 tötete 20.000 Menschen, drei Meiler des Kernkraftwerk Fukushima Daiichi erlitten eine Kernschmelze. Dies verseuchte einen Teil des wertvollen Reises des Landes radioaktiv.
Da macht es Sinn, dass die Wissenschaftler sich den Kopf zerbrechen, forschen und etwas finden, was die Wahrnehmung verbessert, Ängste und Depressionen lindert und sogar Empathie fördert. Sie messen und beweisen, was andere bisher noch nicht gemacht haben, nämlich, was tatsächlich mit unseren Zellen und Neuronen geschieht, wenn wir angespannt oder entspannt sind.
Angeführt von Yoshifumi Miyazaki von der Universität Chiba und Qing Li von der Nippon Medical School in Tokio, setzen sie Feldtests, Hormonanalysen und neue Bildgebungstechnologien ein, um herauszufinden, wie der Körper reagiert.
Japans Behörden ziehen die Notbremse - Millionen für die Forschung
Damit sich kein Japaner verläuft, wurden 48 offizielle Forsttherapiewege von der japanischen Forstbehörde für Shinrin-Yoku ausgewiesen. Dafür hat die Regierung seit 2004 rund 4 Millionen US-Dollar für Forschung ausgegeben. Insgesamt 100 Waldtherapie-Plätze sind in den nächsten 10 Jahren geplant. Sie sollen unter anderem mit Blutdruckmessstationen ausgestattet werden. 67 % der Landoberfläche Japans ist von Wäldern bedeckt.
Suizidstatistik in Japan
Nach der Statistik der WHO aus dem Jahr 2012 lag Japan an 8. Stelle und Deutschland an 44. Stelle, Frankreich und Österreich ungefähr gleich an 28. Stelle. Saudi Arabien hatte die niedrigste Suizidrate, allerdings kann sich das in 2018 auch wieder geändert haben. Interessanterweise haben nicht die Ärmsten die höchste Rate, sondern die, die alles haben.
„Südkorea hat eine superschnelle Internetverbindung, modernste Technologien und eines der besten Bildungssysteme und führende Gesundheitsversorgungen weltweit. Die Lebensqualität der Südkoreaner ist sehr hoch und dennoch hat das Land eine erschreckend hohe Selbstmordrate (28,9 auf 100‘000), denn mit dem Erfolg kommen auch der soziale Druck und Probleme in der Familie. Da der Zugang zu Schusswaffen in Südkorea beschränkt ist, ist Vergiftung die häufigste Suizidmethode“. 8
Doch die Behörden in Japan haben mit Shinrin Yoku wohl doch etwas Richtiges getan, denn nach neuesten Erkenntnissen vom 31.5.2017 aus der „Japan Times“ ist die Selbstmordrate dank Prävention rückläufig.
„In Japan haben sich im letzten Jahr so wenig Menschen das Leben genommen, wie seit Langem nicht mehr. In 2016 hatten sich insgesamt 21.897 Menschen das Leben genommen. Auch wenn die Zahl erschreckend hoch ist, die Rate ist so niedrig wie seit 22 Jahren nicht mehr. Damit liegt Japan im weltweiten Vergleich auf Platz 6. Unter den Industrienationen hat Japan nach Russland die zweithöchste Suizidrate. Erschreckend ist, dass Selbstmord unter 15- bis 39-jährigen Japanern die häufigste Todesursache ist. Alleine im Jahr 2016 haben sich 320 Menschen unter 18 Jahren das Leben genommen. Wenn man die japanische Suizidrate von 2017 mit den Jahren zuvor vergleicht, ist ein rückläufiger Trend erkennbar. Seit den späten 90er Jahren lag die Suizidrate bei über 30.000 Menschen. Im Jahr 2003 erreichte das Land sogar einen traurigen Rekord. Insgesamt 34.427 Menschen hatten sich in diesem Jahr das Leben genommen. Erst seit dem Jahr 2012 sind es jährlich weniger als 30.000 Menschen, die Selbstmord begehen. Laut dem Regierungsbericht ist der rückläufige Trend zum großen Teil auf die Präventionsarbeit der Behörden zurückzuführen.
Seit 2007 wird in einem jährlichen Regierungspapier über mögliche Ursachen und Gegenmaßnahmen Bericht erstattet. Dabei investiert die Regierung v...