
- 104 Seiten
- German
- ePUB (handyfreundlich)
- Über iOS und Android verfügbar
eBook - ePub
Über dieses Buch
Ein neues Zeichen der Zeit tritt immer deutlicher hervor: Der Zorn, der sich im Erstarken von populistischen Parteien äußert und noch zerstörerischer in terroristischen Aktionen. Der indische Soziologe Mishra hat mit seinem Buch "Das Zeitalter des Zorns" aufgezeigt, dass dieses Dilemma die ganze Moderne prägt. Wie können Christen auf dieses herausfordernde Zeichen der Zeit antworten? Die Predigten in diesem Band kreisen auf verschiedene Weise um dieses Thema und beziehen auch andere Autoren wie z. B. Bernd Stegemann und seine Analyse in "Das Gespenst des Populismus" mit ein.
Häufig gestellte Fragen
Ja, du kannst dein Abo jederzeit über den Tab Abo in deinen Kontoeinstellungen auf der Perlego-Website kündigen. Dein Abo bleibt bis zum Ende deines aktuellen Abrechnungszeitraums aktiv. Erfahre, wie du dein Abo kündigen kannst.
Derzeit stehen all unsere auf mobile Endgeräte reagierenden ePub-Bücher zum Download über die App zur Verfügung. Die meisten unserer PDFs stehen ebenfalls zum Download bereit; wir arbeiten daran, auch die übrigen PDFs zum Download anzubieten, bei denen dies aktuell noch nicht möglich ist. Weitere Informationen hier.
Perlego bietet zwei Pläne an: Elementar and Erweitert
- Elementar ist ideal für Lernende und Interessierte, die gerne eine Vielzahl von Themen erkunden. Greife auf die Elementar-Bibliothek mit über 800.000 professionellen Titeln und Bestsellern aus den Bereichen Wirtschaft, Persönlichkeitsentwicklung und Geisteswissenschaften zu. Mit unbegrenzter Lesezeit und Standard-Vorlesefunktion.
- Erweitert: Perfekt für Fortgeschrittene Studenten und Akademiker, die uneingeschränkten Zugriff benötigen. Schalte über 1,4 Mio. Bücher in Hunderten von Fachgebieten frei. Der Erweitert-Plan enthält außerdem fortgeschrittene Funktionen wie Premium Read Aloud und Research Assistant.
Wir sind ein Online-Abodienst für Lehrbücher, bei dem du für weniger als den Preis eines einzelnen Buches pro Monat Zugang zu einer ganzen Online-Bibliothek erhältst. Mit über 1 Million Büchern zu über 1.000 verschiedenen Themen haben wir bestimmt alles, was du brauchst! Weitere Informationen hier.
Achte auf das Symbol zum Vorlesen in deinem nächsten Buch, um zu sehen, ob du es dir auch anhören kannst. Bei diesem Tool wird dir Text laut vorgelesen, wobei der Text beim Vorlesen auch grafisch hervorgehoben wird. Du kannst das Vorlesen jederzeit anhalten, beschleunigen und verlangsamen. Weitere Informationen hier.
Ja! Du kannst die Perlego-App sowohl auf iOS- als auch auf Android-Geräten verwenden, um jederzeit und überall zu lesen – sogar offline. Perfekt für den Weg zur Arbeit oder wenn du unterwegs bist.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Bitte beachte, dass wir keine Geräte unterstützen können, die mit iOS 13 oder Android 7 oder früheren Versionen laufen. Lerne mehr über die Nutzung der App.
Ja, du hast Zugang zu Politische Predigten von Michael Pflaum im PDF- und/oder ePub-Format sowie zu anderen beliebten Büchern aus Theologie & Religion & Christentum. Aus unserem Katalog stehen dir über 1 Million Bücher zur Verfügung.
Information
Moby Dick und Kapitän Ahab (1. Fastensonntag)
Kennen Sie Moby Dick? Der große weiße Wal, der von Kapitän Ahab verfolgt wird! Nur eine gruselige Abenteuergeschichte? In dieser Geschichte steckt vielmehr! Für Literaturkenner ist Melvilles Roman „Moby Dick“ ein Meisterwerk der Moderne. Und für uns heute am 1. Fastensonntag?
Eine große Versuchungsgeschichte! Jesus widersteht der Versuchung! Kapitän Ahab dagegen gibt sich ganz seiner großen Lebensversuchung hin: Der Wahn, dass dieser weiße Wal vernichtet werden muss! Am Ende wird nicht nur er vom Wal verschlungen, sondern sein Schiff und seine ganze Mannschaft außer einem Mann gehen unter.
Noch lehrreicher wird die Geschichte, wenn wir sie als ein Gleichnis für Versuchungen in der Moderne lesen. Im 19. Jahrhundert waren die Wale gefragt. Aus ihren Fetten, dem Tran der Wale konnte man Öl für die Beleuchtung, Kerzen, Seifen, Salben, Suppen, Farben, Gelatine, Speisefette, Lederpflegemittel produzieren. Aus Walöl konnte man sogar Nitroglycerin gewinnen. Ein lukratives Geschäft. Der Walfang war wesentlich für das Wirtschaftswachstum. Fast so notwendig wie heute Erdöl. Aber wie viele Wale mussten deswegen gemetzelt werden! Um 1840 waren z. B. etwa 900 Fangschiffe unterwegs, die in fangstarken Jahren bis zu 10.000 Wale erlegten. Der Völkerbund musste 1931 ein Abkommen zur Begrenzung des Walfangs beschließen, denn die Wale waren inzwischen vom Aussterben bedroht. Im gesamten 20. Jahrhundert wurden zirka drei Millionen Wale erlegt. Der Walfang im 19. Jahrhundert und Anfang 20. Jahrhunderts zeigt die Versuchung der Ausbeutung der Natur. Eine moderne Versuchung, der nicht ein einzelner Mensch erliegt, sondern unsere ganze Gesellschaft, unsere ganze Wirtschaftsstruktur.
Aber der Roman erzählt nicht allgemein vom Walfang, sondern von einem besonderen Wal und einem außergewöhnlichen Kapitän. Kapitän Ahab steigert die Versuchung ins Extreme. Er will nicht einige Wale fangen und damit Geld verdienen. Er will den gefährlichsten Wal fangen, der ihm sein Bein abgebissen hat. Er will das Unbändige der Natur bändigen. Er wird somit zum Prototyp des modernen Größenwahns, der die Natur insgesamt bezwingen will. Als seine drei Harpuniere sich auf die entscheidende Jagd vorbereiten, „tauft“ er die Harpune mit Blut und den gottesverachtenden Worten: Ich taufe dich nicht im Namen des Vaters, sondern im Namen des Teufels!
Es gibt wirklich solche Wale wie Moby Dick. Es sind Könige der Meere, die einsam umherschweifen und anderen Walen, die von Menschen angegriffen werden, zu Hilfe eilen. Sie flüchten nicht. Sie greifen an. Sie verkörpern das Unberechenbare und Unbändige der Meere.
Kennen wir das nicht aus unserer Zeit in viel größerem Maßstab? Das Klima verändert sich und wir wissen, dass unser Wirtschaften und unser immenser Verbrauch fossiler Brennstoffe verantwortlich sind. Aber in Taifunen, Hurrikans, Dürrekatastrophen, die immer häufiger werden, erleben wir das Unbändige der Natur!
Wie kann ein Mensch sich in einen solchen Wahn hineinsteigern, wie kann er sich so mit Geist und Seele und Körper der Versuchung hingeben wie Kapitän Ahab?
Eine Spur einer Antwort kann uns der Ich-Erzähler des Romans geben: Nennt mich Ismael. So beginnt der Roman. Ismael ist im Alten Testament der verstoßene Sohn Abrahams, der ziellos durch die Wüste wandert. So auch der Ich-Erzähler. Er hat keinen inneren Halt. Er ist ausgesprochen wankelmütig. Er will zur See fahren, um seiner inneren Verzweiflung zu entkommen. Ismael kann somit auch als ein typisch moderner Mensch angesehen werden, der empfänglich ist für die Versuchung des Größenwahns. Er wird am Ende der letzte Überlebende sein. Ein Sarg wird ein Rettungsboot sein. Er hat die Aufgabe, andere Wege zugehen als der hasserfüllte Ahab.
Wer könnte ihm ein Vorbild sein? Vielleicht Ahabs Gegenspieler, der erste Steuermann, Starbuck. Er ist ein kühner und erfahrener Seemann, der nüchtern und rational denken kann und sich gleichzeitig immer an seinem christlichen Glauben orientiert und aus ihm leben will. Er ist der einzige, der Ahab kritisch entgegentritt. Einmal erwägt Starbuck sogar heimlich, Ahab zum Schutz der Mannschaft zu töten, lässt aber im letzten Moment davon ab.
Der weiße Wal kann Ismael vielleicht am meisten lehren! Moby Dick verkörpert den unauflösbaren Rest, das unerreichbare Geheimnis, das Unbändige der Natur, das Unfassbare des Wirken Gottes. Wer dieses Geheimnis fassen will, ja tilgen will, wie Kapitän Ahab, will eigentlich wie Gott sein. Das erinnert an die erste Versuchung des Menschen in der Bibel! An einer Stelle erklärt Ahab seinen Hass auf den Wal: „Für mich ist der Weiße Wal die Mauer, dicht vor mich hin gestellt. Dahinter, denk ich manchmal, ist nichts mehr. […] Ich sehe in ihm frevelhafte Kraft, von sehniger und unfassbarer Arglist angetrieben. Dies unfassbare Ding ist es vor allem, was ich hasse; und ob der weiße Wal nun Werkzeug oder ob der weiße Wal der Urheber von allem ist, ich werde mit diesem Hass ihn überziehen. Sprichst du mir nicht von Gotteslästerung, Mann; ich würde selbst die Sonne schlagen, wenn sie mich beleidigt.“49 Ahab möchte herausfinden, ob dieser Wal das unfassbare Geheimnis verkörpert oder ob er nur ein Wal ist. Letztlich möchte er mit blinder Wut herausfinden, ob es einen tiefen Sinn, einen Gott gibt oder nicht. Durch die tragischen Erlebnisse hat Ismael dagegen „erkannt, dass der Mensch sein Bild vom greifbaren Glück durchweg niedriger hängen oder zumindest verlagern muss…“50 Der wirklich gläubige Mensch stellt sich demütig unter das Geheimnis. Er weiß, dass Gott immer auch absolutes Geheimnis ist und bleibt.
Solch eine Demut ist notwendiges Fundament für das friedliche Zusammenleben der Religionen. Wenn ich glaube, dass ich die Wahrheit besitze, verfalle ich dem Wahn, ich könne mit Gewalt rechtmäßig die Wahrheit verbreitern.
Ismael erlernt dies durch Queequeg, einem Polynesier und Harpunier. Er steht für die Wilden, die die Europäer verachteten, deren Kultur sie als minderwertig einschätzten und denen sie Kannibalismus vorwarfen. Für die damaligen Leser muss allein sein Ritual, sich anzuziehen, äußerst provozierend gewirkt haben: Splitterfasernackt setzt er sich zuerst den Zylinder auf den Kopf. Queequeg möchte nicht Christ werden. Nach seiner Erfahrung hat das Christentum alles nur schlechter gemacht. Deswegen möchte er als Heide sterben.
Ismael überlegt sich: „1. Gottesdienst bedeutet, den Willen Gottes zu erfüllen. 2. Der Wille Gottes ist, dass ich meinem Nächsten tue, was ich will, dass er mir tut. 3. Ich will, dass Queequeg sich mir bei meiner presbyterianischen Form des Gottesdienstes anschließt. Folglich muss ich mich dann bei der seinen anschließen.“51 Mit diesem Gedanken überwindet Ismael die Überheblichkeit des christlichen, europäischen Denkens der damaligen Zeit. Das II. Vatikanum hat dies ebenfalls überwunden, indem es zum Dialog mit anderen Religionen aufruft. Papst Johannes Paul II. hat diese respektvolle Sichtweise in Assisi im Friedensgebet der Religionen vorgelebt.
Die Versuchung des Größenwahns, des Hasses und der totalen Machtergreifung. Das ist eine moderne Versuchung – der wir auch heute noch widerstehen müssen: mit Demut, Gottvertrauen und gegenseitigem Respekt!
Und daraus kann Liebe im Alltag entstehen. Nachdem die Männer der Pequod einen Wal erlegt hatten, mussten sie gemeinsam das wertvolle Walrat herauslösen und durch Kneten und Drücken verarbeiten. Dabei berührte Ismael die Hände seiner Kameraden. Ein zärtliches, freundschaftliches, liebevolles Gefühl kam in ihm auf. In dieser alltäglichen Arbeit spürte er Brüderlichkeit und Nächstenliebe. Christliche Liebe und Freude lässt sich überall entdecken, unscheinbar im Alltag!
Wieder einbeziehen! (20 A)
Mt 15,21-28
Wenn Sie ein Wissenschaftler der Naturwissenschaft sind, dann untersuchen Sie etwas in einem abgeschlossenen System. Z. B. wie reagieren zwei Substanzen miteinander? Dann füllen sie beide in einen Kolben und erhitzen diesen. Andere Stoffe und Einflüsse werden dadurch ausgeklammert. Es gibt nur zwei Stoffe und Hitze.
Wissenschaftler müssen für gewisse Untersuchungen eine vollständige Isolierung durchführen, um gewisse Ergebnisse aus Experimenten bekommen zu können.
Ein lebender Organismus, eine Zelle, eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch jedoch sind immer nur teilweise isolierte Systeme. Alle diese Organismen haben eine schützende Schicht: eine Zellwand, eine Rinde, eine Haut. Jedoch was würde passieren, wenn diese schützende Wand absolut abschottend wäre? Das Leben würde absterben. Leben braucht Austausch zwischen Innen und Außen, kontrollierten Austausch zwischen Innen und Außen.
Es ist ähnlich einer mittelalterlichen Stadt. Sie wurde durch eine Stadtmauer geschützt. Aber an den Stadttoren konnten Waren, Menschen usw. kontrolliert ein- und ausgehen. Wenn ein Stadt belagert wurde und der Austausch an den Stadttoren unterbunden wurde, starben die Menschen über kurz oder lang in der Stadt.
Ein Text des Philosophen Bergson drückt diese Gedanken auf andere Weise aus: Beim Lesen dieses Textes kam ich auf die Gedanken dieser Predigt. Auch deswegen möchte ich Ihnen diesen Text nicht vorenthalten. Ich werde ihn langsam vorlesen. Wenn Sie nicht gleich alles erfassen, grämen Sie sich nicht. Die folgenden Beispiele erläutern Bergsons Gedanken: „Gewiss, das Verfahren, durch welches die Wissenschaft ein System isoliert und in sich abschließt, ist kein ganz und gar künstliches Verfahren. Besäße es keine sachliche Grundlage, so bliebe unbegreiflich, warum es in gewissen Fällen völlig unangebracht und in anderen unmöglich ist. Wir werden sehen, dass die Materie eine Tendenz hat, isolierbare, geometrisch behandelbare Systeme zu bilden. Wir werden sie sogar gerade durch diese Tendenz definieren. Doch es ist nur eine Tendenz. Die Materie führt sie nicht zu Ende, und die Isolierung wird nie eine vollständige. Und wenn die Wissenschaft sie zu Ende führt und etwas vollständig isoliert, so nur der Bequemlichkeit der Untersuchung zuliebe. Stillschweigend setzt sie voraus, dass das isoliert bezeichnete System gewissen äußeren Einflüssen unterworfen bleibt. Nur lässt sie diese schlicht beiseite, sei es, weil sie ihr schwach genug erscheinen, um vernachlässigt zu werden, sei es, weil sie sich vorbehält, sie später zu berücksichtigen. Deshalb aber bleibt es nicht minder wahr, dass all diese Einflüsse Fäden sind, die das System mit einem anderen, umfassenderen verknüpfen, dieses mit einem Dritten, dass beide umschließt, und sofort bis hin zu dem im objektiven Sinne isolierten und unabhängigen System: im Sonnensystem in seiner Gesamtheit.“52
Eine wissenschaftliche Strategie ist es also, gewisse Einflüsse auszuklammern, ein abgeschlossenes System zu schaffen, um in diesem Experimente durchzuführen, um neue Erkenntnisse zu bekommen.
Jedoch Bergson betont, es kann nur vorläufig sein. Die Wissenschaft muss für weitere Untersuchungen auch ausgeklammerte Einflüsse wieder mit einbeziehen.
Warum kann das alles für uns interessant sein? Ein umweltpolitisches Thema zeigt sogleich die Brisanz unserer Überlegungen. Ein Unternehmen stellt Jeanshosen her. Die Chemikalien für die Waschungen schüttet sie in den benachbarten Fluss. Kein Problem. Er fließt ja ins Meer. Wenn wir von diesem Unternehmen eine Jeanshose kaufen, dann bezahlen wir die Baumwolle, die Herstellungskosten, den Handel. Aber die Entsorgung der Chemikalien bezahlen wir nicht. Diese Kosten, die die Natur übernehmen muss, hat das Unternehmen nicht in seiner Kalkulation. Zum Glück, mag man meinen, denn sonst wäre die Jeanshose teurer! Die Firma hat den Einfluss, den sie auf die Umwelt hat, ausgeklammert. Auch hier gilt: Die erst einmal ausgeklammerten Zusammenhänge müssen wieder einbezogen werden. Wenn der Staat, die EU oder eine Umweltbehörde diese Firma zwingt, das Abwasser zu reinigen, bevor es in den Fluss gelassen wird, dann sind diese Zusammenhänge wieder mit einbezogen. Und wenn der Staat nicht die Firma zum Umdenken zwingt, können vielleicht Proteste der Verbraucher die Firma zur Einsicht bringen.
Ein anderes Beispiel: Misereor berichtete in der Fastenaktion 2017 von ihren Projekten in Burkina Faso: Dörfer mit Ziegen und Milchkühen bekommen ein solarbetriebenes Kühlhaus. So können sie die Milch länger aufbewahren, zu Butter und Käse verarbeiten und diese Produkte auf regionalen Märkten verkaufen. Die Kinder bekommen frische Milch, die Dorfbevölkerung kann durch Verkauf besser verdienen. Jedoch eines macht ihnen zu schaffen: Das billige Milchpulver aus der EU! Ärmere Familien kaufen das billige Milchpulver, obwohl es nicht so wertvoll in den Nährstoffen ist wie die frische Milch aus dem Nachbardorf, obwohl sie mit diesem Kauf nicht die lokale Wirtschaft fördern. Europa produziert immer noch zu viel Milch. Mit immensen Subventionen können die europäischen Bauern sich das leisten, Überschüsse zu Milchpulver zu verarbeiten und den afrikanischen Markt damit zu überschwemmen. Das ist eine Marktverzerrung. Ungleiche Partner treffen aufeinander. Das Milchpulverbeispiel ist nur eines unter vielen. Klimawandel, Missernten, verzerrte Märkte führen dazu, dass Menschen ihre Heimat verlassen.
Unser Milchpulver soll weiterhin von der EU nach Afrika geschafft werden, aber bitte keine Wirtschaftsflüchtlinge aus Afrika. Das soll Frontex verhindern!
Europäische Politiker fordern in ihren Wahlreden, dass man die Fluchtursachen bekämpfen müsse. Ja solange sie die Fluchtursachen, die der europäische Markt und die europäische Agrarpolitik selbst verursacht, nicht anpacken, sind ihre Reden nicht glaubwürdig. Stefan Weidner forderte in seinem Artikel: „Islamismus Was Terroristen antreibt. Der Westen traut sich nicht, die Ursachen von Islamismus ernst zu nehmen. Warum eigentlich nicht?“ völlig zurecht: „Zudem muss der aggressive Agrarexport nach Afrika so bald wie möglich unterbunden, das heißt die europäische Agrarlobby in die Schranken gewiesen werden.“53
Auch hier wieder: Gewisse Zusammenhänge von Innen und Außen werden gerne übergangen. Aber die ehrlichen Lösungen kommen nur zustande, wenn die ausgeklammerten Zusammenhänge wieder thematisiert werden.
In unserem heutigen Evangelium von der kanaanäischen Frau erleben wir Jesus erst einmal sehr abweisend. Er klammert in seiner Vorstellung, für wen er da ist, die anderen Völker und Menschen aus: Ich bin nur zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel gesandt. Hier zeigt Jesus ganz menschlich, dass seine Sichtweise auf seinen Bereich ausgerichtet war und dass er gewisse Beziehungslinien und größere Zusammenhänge ausgeklammerte. Er verband leider das Ausgeklammerte auch mit einer Abwertung in seiner Erwiderung: Es ist nicht recht, das Brot den Kindern wegzunehmen und den Hunden vorzuwerfen. Die Juden sind also die Kinder, die Heiden die Hunde. Die Frau reagiert geschickt und lädt Jesus zum Umdenken ein. Jesus erkennt, lernt dazu und heilt. Wie bei allen vorangegangen Beispielen geht es auch hier darum, die ausgeklammerten Zusammenhänge, Verbindungslinien wieder ernst zu nehmen, in die Überlegungen einzubeziehen.
Diese Lernbewegung, die Jesus im heutigen Evangelium vollzieht, müssen wir anscheinend als neuzeitliche, moderne Menschen alle mehr oder weniger vollziehen! Denn: Das neuzeitliche Menschenbild versteht den Menschen als ein unabhängiges Subjekt. Descartes, der erste moderne Philosoph, der Begründer der Neuzeit und Moderne, hat alles angezweifelt: Er untersuchte alle Verbindungslinien des Menschen und konnte nichts finden, auf das er absolut bauen könne. Ich kann meinen Sinnen nicht trauen. Denn ich kann mich täuschen. Ich kann den Gegenständen nicht trauen. Denn sie könnten Illusion sein usw. Also bleibt mir nur meine Gewissheit, dass ich denke. Damit ist der moderne Mensch in seinem Menschenbild erst einmal ein einzelnes unabhängiges Ich, das sein Fundament in sich selber sucht und zu finden meint. Erst danach, nicht zeitlich, sondern logisch danach, nimmt der Mensch mit seinem Außen, mit den Dingen und den Mitmenschen Kontakt auf.
Aber damit klammert er aus, dass er schon immer eingebettet ist: eingebettet ist in einen soziale Gemeinschaft – kein Baby kann alleine aufwachsen. Eingebettet ist in eine Sprachgemeinschaft – jeder Mensch ...
Inhaltsverzeichnis
- Inhaltsverzeichnis
- Vorwort
- Offene Geschichte (2 C)
- Das Zeitalter des Zorns – ein Zeichen der Zeit. Mishras Thesen (33 A)
- Voltaire, Rousseau oder das Dilemma der Moderne (6 C)
- Terrorismus ist ein Phänomen der Moderne (7 C)
- Aufstieg und Niedergang des Neoliberalismus (8 C)
- Hoffnungsvolle Impulse für die Zukunft (9 C)
- Von Grillen, Ameisen und Mäusen – Nährboden für Populismus (31 A)
- Ohne Negativfolie (Fronleichnam)
- Moby Dick und Kapitän Ahab (1. Fastensonntag)
- Wieder einbeziehen! (20 A)
- Terrorkrieg: Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los! (23 C)
- Friedensvermittler (Pfingsten)
- Die Kombination zweier Strategien ergibt eine besondere Haltung (9 B)
- Traumatisierten mitfühlend begegnen (27 B)
- Warum der Irrweg? (24 C)
- Drei Zugänge zu Philosophien und Theologien
- Weitere politische Predigten in anderen Predigtbüchern
- Anmerkungen
- Impressum