1 Gewalt
Patrick: „Hast du meine Unterhose gesehen?“ - Sandy: „Äh...Nein.“
- Patrick: „Möchtest Du sie sehen?“
(Dialog aus der Zeichentrickserie Sponge-Bob)
Es gibt einfach Sachen, die möchte man weder sehen noch hören. Gewalt gehört oft zu diesem Bereich. Zuviel davon mitzubekommen ist auf jeden Fall ungesund, egal ob als Opfer, Täter, Zuschauer oder Helfer. Nicht umsonst sind einige meiner pädagogischen Kollegen mittlerweile fix und fertig (neudeutsch „Burnout“), weil sie aus diesem Sumpf kopfmäßig nicht mehr herausfanden.
Es gibt Studien, dass es gesünder ist, nicht die täglichen Nachrichten zu schauen. Nachrichten bringen nunmal hauptsächlich schlechte Meldungen und viel Gewalt. Schon nach einen Monat war eine Gruppe entspannter und nachweislich gesünder, nur weil sie nicht mehr mitbekam, was so in der Welt Schlimmes passiert.
Deshalb: Beschäftigen Sie sich also nicht zu viel mit so schlimmen Dingen, z.B. mit den Themen Jugend und/oder Gewalt. Tja, leider schon zu spät! Jetzt haben Sie dieses Buch gekauft und möchten es natürlich auch lesen.
1.1 Was ist Gewalt?
„Wo ich sitze, ist immer oben.“ (Otto von Bismarck)
Bevor wir in das Thema Gewalt einsteigen, sollten wir erst einmal klären, was Gewalt überhaupt ist. Definitionen aus Büchern herauszuschreiben und in seiner Doktorarbeit zu verwursten, ist auf jeden Fall sehr anstrengend und sehr humorlos. Da kann man als Mensch, der wenig arbeiten möchte (z.B. als Politiker) schonmal auf die Idee kommen, Ghostwriter zu beauftragen oder die Kopierfunktion von Schreibprogrammen zu nutzen. Übrigens heißt die Autobiografie von Großvater Karl Theodor zu Gutenberg „Fußnoten“.
1.1.1 Gewalt ist nicht lustig
„712 Anklagen wegen Erpressung, 849 wegen Betrug, 246 Anklagen wegen Unterschlagung, 87 wegen Verschwörung zum Mord, . . . 527 Anklagen wegen Behinderung der Justiz. Angeklagte, worauf plädieren sie?“ - „NICHT SCHULDIG!“
(aus dem Film „Batman – the dark knight“)
Gewalt kann einen gewissen Witz haben, besonders für Leute mit schwarzem Humor. Voraussetzung ist, dass man selbst nicht Opfer ist und die Opfer nicht kennt und mag. In unserer gewaltarmen Gesellschaft (Falls Sie es nicht bemerkt haben: Dies war schon der erste Witz!) üben immer nur die anderen Gewalt aus: Die USA, die Nazis, die Araber, die Juden, die Multi-Kulti-Gangs, die Rapper, die Jugend allgemein usw. Man selbst ist am Stammtisch Realist, aber gewaltfrei. Es sei denn, es geht um Kinderschänder, muslimische Terroristen oder den FC Bayern München. Diese haben nun mal den Tod verdient. Mit viel Halb- oder eher BILD-Zehntelwissen wird da gerne über Gott und die Welt geurteilt. Dabei hat die Medaille immer zwei Seiten und so kann Gewalt auch positive Seiten haben: Die staatliche Gewalt, wenn man gerade überfallen wurde oder ein guter Boxkampf. Oder seit die somalischen Fischer ihren Beruf wechselten und gewalttätige Piraten wurden, hat sich der somalische Fischbestand erholt.
Gewalt kann aber auch faszinierend und anziehend wirken. Was macht Gewalt eigentlich so interessant?
- Gewalt schafft klare Eindeutigkeit.
- Mit Gewalt können Ziele durchgesetzt
- werden. Gewalt sichert Privilegien, z.B. Ansehen in einigen Gruppen.
- Glückshormone können aktiviert werden.
- Gewalt wird oft mit Ehre, Stolz und Männlichkeit verbunden und/oder gleichgesetzt.
1.1.2 Das ist Gewalt
„Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, dass er die Menschen schlechter machen kann.“ (Karl Kraus)
Nun aber zu den Definitionen von Gewalt. Im Lexikon wird Gewalt mit „Staatsmacht, Brutalität, Härte“ gleichgesetzt. Es existieren viele Facetten dieses Begriffes. Eine bekannte Definition ist vom Konfliktforscher Johan Galtung:
„Gewalt liegt dann vor, wenn Menschen so beeinflusst werden, dass ihre aktuelle somatische und geistige Verwirklichung geringer ist als ihre potentielle Verwirklichung.“
Gewalt ist der „Wille zur Macht“ (Nietzsche), die „Kraft der Destruktion“ oder der „Todestrieb“ (Freud). Gewalt wird von R. Grabs als Manifestation von Macht verstanden. Gewalt ist oft grausam und stößt ab. Aber sie fasziniert auch und zieht an. Warum schauen wir sonst so gerne Thriller, Grusel- und Horrorfilme. Da kommen nicht selten Massenmorde, Gemetzel, Hinrichtungen, Massaker, Blutbäder und Schlachtfeste vor.
Gewalt gab es zu allen Zeiten. Wir wissen, dass bereits der erste geborene Mensch (Kain) ein Mörder war, laut Untersuchungen 2% der Steinzeitmenschen durch Keulenschläge auf den Kopf starben, das Mittelalter brutal war, die Weltkriege erbarmungslos waren und es auch heute oftmals (un-)menschlich zugeht. 1776 war übrigens das letzte Jahr, in welchem keine Nationen gegeneinander Krieg führten. Kriege zu führen oder jemanden zu schlagen, ist auf jeden Fall Gewalt. Jemanden aufzuschlitzen auch. Aber was ist, wenn der „Aufschlitzer“ einen weißen Kittel trägt und mit einem Skalpell den entzündeten Wurmfortsatz des Blinddarmes entfernen möchte?
Bei Gewalt kommt immer schnell der Begriff Moral mit ins Spiel. Jemanden zu schlagen, der schwächer ist, wird meistens als Gewalt bezeichnet. Aber was ist, wenn der „Schläger“ Klitschko heißt und im Boxring steht? Dann wird es Sport genannt, auch wenn der andere hoffnungslos unterlegen ist (z.B. beim Kampf im Nov. 2010 gegen S. Briggs, der mir fast leid tat). Vertreter der Gewaltfreien Kommunikation sagen: „Gewalt ist jemanden daran zu hindern, für seine Bedürfnisse zu sorgen.“
Zu den Definitionen kommen noch die, die zusätzlich die „strukturelle Gewalt“ (Galtung), „symbolische Gewalt“ (Bourdieu) oder „kulturelle Gewalt“ beinhalten.
Zu meinen Lieblingsdefinitionen gehören „Gewalt zerstört“ (Heitmeyer) oder „Gewalt tut weh“ bzw. „Gewalt verletzt“ (Gewalt Akademie Villigst). Diese Grunddefinitionen verwende ich auch in diesem Buch.
Eigentlich weiß doch jeder, was Gewalt ist. Nur sieht es jeder ein wenig oder völlig anders. Gewalt kommt auf jeden Fall in den besten Familien vor und ist in unserer Gesellschaft nicht selten: egal ob im Krieg, in einer Straßenschlacht, einer Kneipenprügelei oder am Stammtisch. Doch ist Gewalt „natürlich“?
1.1.3 Die Natur Gewalt
„Wenn Schimpansen Schusswaffen und Messer hätten und wüssten, wie man damit umgeht, würden sie ohne jeden Zweifel ebenso davon Gebrauch machen wie wir Menschen.“ (Jane Goodall)
Wenn Männer in der Kneipe Alkohol zu sich nehmen, kommen sie ihren Trieben und damit ihrer Natur näher. Geschichtlich könnte der Stammtisch seinen Namen von der Hirnregion bekommen haben, die hier am meisten benutzt wird: das Stammhirn. Dieses wird auch Reptiliengehirn genannt, weil es dem Gehirn von Reptilien (z.B. Schlangen, Krokodilen, Eidechsen) entspricht. Das Reptiliengehirn kann eigentlich nur in zwei Kategorien denken: Flucht oder Angriff (Laufen oder Raufen). Es ist nicht zur Nächstenliebe oder strategischem Denken fähig. Deshalb gab es in der Vergangenheit auch keine berühmten Philosophen oder Päpste, die Krokodile waren. An einigen Stammtischen hingegen könnten sie herzlich willkommen sein, wenn sie zusätzlich noch genug Alkohol vertragen. Ist der Mensch also einfach Teil der Natur und deshalb tierisch und „unmenschlich“? Hat der menschliche Mann nur gelernt, sein Revier mit dreckigen Socken anstelle von Urin zu markieren? Ist er deshalb zu so grausamen Taten fähig? Wie sieht es denn sonst in der Natur aus?
Killerwale werfen sich Robben zu, bevor sie sie töten. Katzen spielen mit Mäusen, bevor sie morden. Löwen beißen die Kinder ihres Rivalen tot und Krokodile fressen ihre eigenen Kinder, wenn die nicht schnell genug weg sind. Alligatoren ziehen ihre Opfer unter Wasser bis diese langsam ertrinken. (Übrigens haben diese eine Wassergeschwindigkeit von 32 km/h und fast 20 km/h an Land. Für den Menschen bedeutet dies, dass er nur aufgrund des Radfahrens so gute Chancen im Triathlon hat.)
Unsere nahen Verwandten, die Schimpansen, sind nicht viel anders als wir: Sie haben eine strenge Hierarchie, schlagen, treten, töten, mobben, setzen Waffen ein, vernichten andere Gruppen usw.
„Die Schimpansen agierten fast wie gegenüber Beutetieren und behandelten ihre Feinde, als gehören sie einer anderen Spezies an. Ein Angreifer hielt beispielsweise das Opfer am Boden (indem er sich auf dessen Kopf setzte und die Beine festhielt), während die anderen es bissen, schlugen und traten. Einmal rissen sie eine Gliedmaße aus, dann eine Kehle heraus ...“ (Prof. Frans de Waal)
Nicht umsonst wird der Me...