HipHop in Deutschland: Analyse einer Jugendkultur aus pädagogischer Perspektive
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HipHop in Deutschland: Analyse einer Jugendkultur aus pädagogischer Perspektive

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HipHop in Deutschland: Analyse einer Jugendkultur aus pädagogischer Perspektive

Über dieses Buch

Die vorliegende Studie widmet sich in ausführlicher und umfassender Form dem Phänomen der HipHop-Kultur als größte Jugendkultur der Neuzeit. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Situation in Deutschland und auf eine pädagogische Sichtweise gelegt, so dass die Informationen eine Relevanz für den Umgang mit HipHop-affinen Jugendgruppen z.B. in Jugendzentren, Ferienfreizeiten, Stadtteilworkshops, Jugendveranstaltungen, o.ä. haben. Um dem Thema und seiner Aufarbeitung in wissenschaftlicher Hinsicht gerecht zu werden, wird sich dem Kern von HipHop als Jugendkultur schrittweise genähert, wobei zunächst die Phänomene "Jugend" und "Kultur" historisch und entwicklungstheoretisch, sowie in ihren gegenwärtigen Formen betrachtet werden. Nach der Zusammenführung dieser beiden Begriffe zu "Jugendkultur" wird ein genauer Überblick über alle jugendkulturellen Ausformungen in Deutschland seit Bestehen dieser Form der Vergesellschaftung gegeben, um schließlich auf aktuelle jugendkulturelle Merkmale einzugehen. Von diesen wird im weiteren Verlauf des Buches die Jugendkultur des HipHop und deren verschiedenen Elemente Rap, DJing, Breakdance und Graffiti ausführlich in ihrer jungen Geschichte und in ihren Merkmalen beschrieben. Aufgrund der medial starken Überpräsenz des Elementes des Rap-Sprechgesangs wird dieses einer eingehenderen Betrachtung unterzogen, bevor der Verlauf der globalen Ausdehnung der HipHop-Kultur nachvollzogen wird. Ebenso umfassend werden im Anschluss die Einführung und Ausbreitung dieser Jugendkultur in Deutschland und die Gründe für ihren hier verorteten, medialen Boom seit dem Jahrtausendwechsel beschrieben. Um die Grenze zwischen Theorie und Praxis zu minimieren, werden außerdem drei für den Siegeszug von HipHop in Deutschland mitverantwortliche Rapsongs in ihren Texten exemplarisch analysiert und in ihren Aussagen allgemeinverständlich dargelegt. Schließlich werden auf Grund des erarbeiteten Hintergrundwissens pädagogische Überlegungen angestellt, die sich vor allem in Form eines kritischen Blicks auf Aussagen und Einstellungen bestimmter Rapgenres, aber auch in identitätsstiftenden Angeboten von HipHop und in Möglichkeiten direkter Einbindung in sozialpädagogische Arbeit niederschlagen. Als unverzichtbar angesehene Szenebegriffe wurden in die Ausarbeitungen einbezogen und in ihrer Bedeutung in einem Glossar erläutert.

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Information

1 – Einleitung.
Die vorliegende Studie widmet sich einer eingehenden Analyse der Jugendkultur des HipHop.1 Da diese, wie im Verlauf der Untersuchungen dargelegt werden wird, die aktuell größte jugendkulturelle Strömung der Neuzeit darstellt, ist die Auseinandersetzung mit den vielfältigen Ausdrucks- und Erscheinungsformen dieses Phänomens, sowie mit seinen Hintergründen und den mit HipHop verknüpften Chancen und Gefährdungspotentialen aus pädagogischer Sicht ein durchaus relevantes Thema. Eine Eingrenzung der Detailausführungen auf die Bundesrepublik Deutschland ist dabei aus Gründen des pädagogischen Blicks des Buches sinnvoll, der sich auf die nationalen Gegebenheiten und Rahmenbedingungen bezieht.
Bevor auf das relativ junge Phänomen "HipHop" eingegangen wird, soll zunächst die diesbezüglich vorausgegangene Entwicklung der Jugendkulturen in Deutschland betrachtet werden. So wird in Kapitel 2.1. zunächst der Begriff "Jugend" und seine Entstehung und Definitionsumfang untersucht, sowie aktuelle Tendenzen, von denen Jugend heute beeinflusst wird. Auch die wichtigen Funktionen, welche die Jugendphase im Leben eines Menschen hat, werden eingehend betrachtet und mit den herrschenden Verhältnissen in Relation gesetzt. Anschließend wird der Begriff "Kultur" in seiner Bedeutung einer bestimmten Lebensweise genauer beleuchtet, um "Jugend" und "Kultur" in Kapitel 2.3. schließlich miteinander zu verbinden. Nachdem so der Begriff der "Jugendkultur" eingeführt wurde, wird auch seine Geschichte in Form der Entwicklung der ersten Jugendkulturen bis in die Neuzeit behandelt, bevor das zweite Kapitel im Abschnitt 2.5. mit einer genaueren Darstellung aktueller jugendkultureller Merkmale schließt.
Die Wurzeln von HipHop als in New York entstandene Kulturform und die verschiedenen Inhalte, die unter diesem Oberbegriff vereint sind, werden zu Beginn des dritten Kapitels dargelegt. Die Rapmusik als diejenige HipHop-Kulturform, die sowohl am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht, als auch kommerziell die erfolgreichste Form von HipHop darstellt, wird mit ihren verschiedenen Subgenres im Abschnitt 3.2. noch einmal genauer betrachtet. Anschließend wird die HipHop-typische Eigenschaft der Präsentation mit ihren, für die Jugendkultur charakteristischen Ausformungen, analysiert, bevor das Kapitel 3.4. auf den Verlauf der weltweiten Ausdehnung von HipHop eingeht.
Nach den gewonnenen Erkenntnissen der vorausgegangenen Abschnitte beschäftigt sich das vierte Kapitel speziell mit HipHop in Deutschland. Zunächst wird hier nachvollzogen, wie sich die Jugendkultur sowohl unter den Bedingungen des geteilten und des später wiedervereinigten Deutschlands etabliert hat, um schließlich in ihrer aktuellen Form als größte jugendkulturelle Strömung präsent zu sein. Auf den in diesem Verlauf eingetretenen Generationskonflikt innerhalb der HipHop-Kultur wird anschließend ebenso eingegangen wie auf den großen, und aus pädagogischer Sicht als teilweise bedenklich eingestuften Erfolg von Gangster-Rap, der im Kapitel 4.3. stellvertretend am Beispiel der einflussreichen Berliner Musikvermarktungsfirma "Aggro Berlin" untersucht wird. Aus Gründen einer besseren Verdeutlichung der auf die Jugend einwirkenden Inhalte der momentan sehr erfolgreichen Gangster-Rapmusik, die das Bild von HipHop aufgrund des diesbezüglich bestehenden medialen Fokus deutlich prägen, wird im Abschnitt 4.4. exemplarisch je ein Textauszug aus besonders bekannten Songs der drei kommerziell erfolgreichsten deutschen Rapmusiker vorgestellt.
Nachdem durch die vorangegangenen Ausführungen ein umfassendes Bild der deutschen HipHop-Jugendkultur dargestellt wurde, werden im fünften Kapitel schließlich diesbezüglich relevante pädagogische Überlegungen angestellt. An dieser Stelle soll zunächst ein kritischer Blick auf die Gefährdungspotentiale der zuvor näher untersuchten, sehr erfolgreichen Formen des Gangster- und Porno-Rap gerichtet werden. Die unter pädagogischen Gesichtspunkten positiven Aspekte von HipHop werden hingegen in Kapitel 5.2. genauer beleuchtet, bevor die Untersuchung mit einer Abhandlung über HipHop-relevante, sozialpädagogische Grundlagen für die Arbeit mit Jugendlichen, die sich der Jugendkultur zugehörig fühlen, schließt.
Bezüglich der Quellen und Textbelege der Ausarbeitungen wurden neben einer umfangreichen wissenschaftlichen Literatur teilweise auch langjährig existente und hochauflagige Szenemagazine, sowie Veröffentlichungen auf etablierten und anerkannten Internetseiten mit einbezogen. Dies zum einen, um im Fall von seriösen Szenemedien eine möglichst geringe Distanz zu den tatsächlichen Gegebenheiten herzustellen, zum anderen aus dem Grund, dass wissenschaftliche Literatur zum Thema HipHop zwar mittlerweile zunehmend auch von angesehenen und etablierten wissenschaftlichen Autoren verfasst wird, die aktuellsten Strömungen aber teilweise noch nicht von ihr erschlossen wurden.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die zusätzliche Formulierung der weiblichen Form verzichtet. Obwohl im Verlauf der Studie deutlich werden wird, dass die HipHop-Kultur bis heute schon immer stark männlich dominiert war, sind dennoch auch in den szenespezifischen Abschnitten immer beide Geschlechtsbezeichnungen gemeint. Die männliche Form schließt dabei die weibliche Form mit ein.
An die Ausführungen der aufgezählten Kapitel schließt sich ein Glossar mit Erklärungen der verwendeten Szenebegriffe an, die in der deutschen HipHop-Kultur größtenteils in Form von Anglizismen aus dem Englischen übernommen wurden. Sie haben sich in dieser Jugendkultur neben dem allgemein gebräuchlichen Sprachgebrauch als Eigenbegriffe etabliert und wurden für die Abhandlungen als unverzichtbar angesehen. Nachdem diese Begriffe bei ihrem erstmaligen Erscheinen im Kontext erläutert werden, werden sie bei erneuter Verwendung in späteren Kapiteln oder Unterkapiteln mit einem Pfeil (→) gekennzeichnet, um auf ihre Präsenz im Glossar hinzuweisen.
2 – Jugendkulturen in Deutschland.
>>Der Kulturentwicklung des einzelnen Menschen kommt entgegen, (...) daß [sic] es ihm angelegt ist. Der Mensch ist nicht passiv, sondern ein eigenständiges, schöpferisches Wesen. Wäre er dies nicht, dann gäbe es auch keine Kultur<< (FEND 2001, S. 60).
Dieses Kapital soll Aufschluss geben über kulturelle Erscheinungsformen im Lebensalter der Jugend in Deutschland. Was aber genau ist Jugend und wie hat sie sich im Laufe der Zeit verändert? Wie kann der Begriff der Kultur umrissen werden und welche aktuellen Erscheinungsformen hat die Verbindung von Jugend und Kultur hervor gebracht?
Nach dieser Annäherung an den Jugend- und den Kulturbegriff wird zunächst eine Ausdifferenzierung der verschiedenen in der Literatur gängigen Herangehensweisen der Verbindung dieser beiden Begriffe vorgenommen. Anschließend wird die deutsche Geschichte der Jugendkulturen untersucht, um vor diesem Hintergrund letztlich auf die heutigen Verhältnisse mit ihren aktuellen jugendkulturellen Merkmalen einzugehen.
2.1. Was ist "Jugend"?
"Jugend" ist ein Begriff, der aufgrund seiner vielfältigen Formen trotz seiner relativ jungen Geschichte nur schwer zu fassen ist. Durch die Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung des Jugendbegriffs wird sich seiner heutigen Bedeutung genährt, um danach genauer auf die aktuell damit bezeichnete Zeitspanne einzugehen. Die Situation der heutigen Jugend mit ihrer zahlenmäßig rückläufigen Tendenz im Kontext mit Modernisierungserscheinungen wird anschließend genauer betrachtet, um diese letztlich mit den Entwicklungsaufgaben des Jugendalters in Beziehung zu setzen.
2.1.1. Historische Entwicklung des Jugendbegriffs
Im ausgehenden Mittelalter und in der frühen Neuzeit gab es in Deutschland noch keine eigene Bezeichnung für diejenigen, die sich in den Lebensjahren zwischen Kindheit und Erwachsensein befanden. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurde begrifflich ein sehr geringer Teil des männlichen Nachwuchses als "junge Herrn" bezeichnet (vgl. FERCHHOFF 2007, S. 27). Seit Mitte des 18. Jahrhunderts tauchte dann der Begriff "Jüngling" auf, der ebenfalls nur eine verschwindend kleine Gruppe von jungen Männern umfasste. Alle anderen jungen Menschen wurden z.B. als Bauernburschen, Gesellen oder Soldaten tituliert (vgl. FERCHHOFF 2007, S. 27).
Auch im frühen 19. Jahrhundert ist von "Jugend " noch keine Rede. Zu dieser Zeit ist der "Jüngling" aber bereits die vorherrschende Jugendgestalt (vgl. BAACKE 2007, S. 228). Eine Entwicklung vom "Jüngling" zum "Jugendlichen" vollzog sich erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der Entstehung der bürgerlichen Familie in der bürgerlichen Gesellschaft und der zunehmenden Verhäuslichung und Pädagogisierung von Kindheit. Die sich in dieser Zeit von ihr abspaltende Jugendphase wurde dabei allerdings durchgängig als eine Phase der Krisen thematisiert (vgl. BAACKE 2007, S. 231).
Erst um 1900 wurde "Jugend" auch zum Thema in der Literatur. Gründe hierfür sind laut BAACKE die sich zu dieser Zeit vollziehenden Veränderungen in der Jugendphase, die für Irritationen sorgten. Genannt werden können hier u.a. die zurückgehende Geburtenrate der Mittelschicht, die länger andauernde Schulzeit und die damit verbundene verstärkte Abhängigkeit vom Elternhaus, sowie die sich vorverlagernde sexuelle Reife (vgl. BAACKE 2007, S. 231f). So hat sich in der Zeit zwischen 1900 und 1950 die bis dahin einzige dem Erwachsenenalter vorangehende Lebensphase "Kindheit" in eine frühe und eine späte Phase aufgegliedert, wobei die späte Phase den Namen "Jugend" erhielt (vgl. HURRELMANN 2004, S. 20f).
2.1.2. Bestimmung der Zeitspanne "Jugend"
Zunächst handelte es sich bei der mit "Jugend" betitelten Zeitspanne noch um einen sehr kurzen Lebensabschnitt, der zwischen dem Eintreten der Geschlechtsreife im Alter von etwa 15 Jahren bei Mädchen bzw. etwa 16 Jahren bei den Jungen und dem damals für die meisten jungen Menschen nur wenige Jahre später erfolgenden Eintritt in den Beruf und der Gründung einer eigenen Familie lag. Ohnehin spielte die sexuelle Reife stets eine entscheidende Rolle in Bezug auf den Übergang ins Erwachsenenstadium. >>Der entscheidende Statusübergang von der Rolle des Jugendlichen zu der des Erwachsenen [war] seit jeher der Akt der Eheschließung und die damit formell zugestandene Legitimation zu sexuellem Verkehr<< (BAACKE 2007, S. 236).
Sexuelle Erfahrungen und selbst Heirat sind heute jedoch kein eindeutiges Kennzeichen mehr für den Statusübergang von der Jugend zum Erwachsenensein. Sexualität hat sich sogar zu einer zentralen Komponente des Jugendstatus emanzipiert, denn das Datum der Geschlechtsreife hat sich im Lebenslauf noch weiter nach vorn verlagert und >>sexuelle Erfahrungen machen Kinder / Jugendliche immer eher (…)<< (BAACKE 2007, S. 235). Dadurch, dass die sexuellen Erfahrungen stark vorverlagert werden, wird der daran gemessene Sozialtyp "Kind" in seinem zeitlichen Umfang abgekürzt. Zugleich verzögert sich das Ende der Jugendzeit, weil die Gründung einer eigenen Familie heute viel weiter aufgeschoben wird als noch vor wenigen Jahrzehnten oder sogar ganz ausgelassen wird.
"Jugend" definiert sich darüber hinaus nicht allein biologisch, sondern wird ebenso durch kulturelle, wirtschaftliche und generationsbezogene Faktoren beeinflusst, welche die Ausdehnung und das Profil dieses Abschnitts im Lebenslauf gestalten. So spielen auch längerer Schul- und Ausbildungszeiten, permanente "Warteschleifen", Zweit- und Drittausbildung, veränderte Ablöseprozesse vom Elternhaus, längere Phasen von Arbeitslosigkeit, Funktionsverluste der Familie und gesellschaftlicher Institutionen etc. eine Rolle (vgl. FERCHHOFF 2007, S. 93).
Aufgrund dieser vielfältigen Umstände und Variablen ist die Jugendzeit heute >>(…) so weit ausgedehnt worden, dass sie selbst den Charakter als verlängerte Warte-, Übergangs- oder Reifezeit weitgehend verloren hat<< (FERCHHOFF 2007, S. 93). Sie stellt sich mittlerweile eben nicht mehr als eine soziokulturell geregelte oder zumindest angeleitete Lebensphase dar, die mit dem Ende einer klar definierten Kindheit beginnt, bestimmte Ereignis und Erlebnisabfolgen beinhaltet und mit dem Eintritt in das Berufsleben oder mit der Heirat endet. Die Konturen von "Jugend" als einem klar eingrenzbaren Lebensabschnitt verschwimmen vielmehr und werden eher an der Art der "Lebensvollzugsformen" deutlich, als an bestimmten Altersgrenzen, wobei auch diese aufgrund ihrer Heterogenität nur schwer zu fassen sind (vgl. HITZLER / BUCHER / NIEDERBACHER 2005, S. 9; S. 16).
In schnellen Schritten hat sich auf diese Weise aus der ehemals kurzen Jugendzeit bis heute >>(…) ein mindestens zehn, in immer mehr Fällen 15 oder sogar 20 Jahre umfassender Lebensabschnitt entwickelt, der nicht mehr in erster Linie den Charakter eines "Übergangs" vom Kind zum Erwachsenen hat, sondern eine eigenständige Lebensphase markiert<< (HURRELMANN 2004, S. 21 nach KRÜGER / GRUNNERT 2002; SANDER / VOLLBRECHT 2000). Diese wandert an ihren unscharfen Rändern sogar in andere Altersklassen mit ein und breitet sich immer weiter aus. So schließt sich nach oben an das Ende des Jugendalters nicht unbedingt sofort der Erwachsenenstaus, sondern zunächst die Postadoleszens oder der junge Erwachsene an. Selbst ein großer Teil des Lebensunterhaltes der Postadoleszenten wird dabei laut FERCHHOFF noch durch unterschiedliche Zuwendungen von den eigenen Eltern oder Großeltern bestritten (vgl. FERCHHOFF 2007, S. 87f.).
2.1.3. Rückläufige Anzahl an Jugendlichen
Trotz der erfolgten Ausweitung des Lebensabschnittes "Jugend" schrumpft in Deutschland die jugendliche Bevölkerung zahlenmäßig, da immer weniger Kinder geboren werden. Ein Hauptgrund hierfür ist, dass die Entscheidung für oder gegen ein Kind heute verstärkt von den Lebensperspektiven abhängt, die von den Erwachsenen nach beruflichen, privaten und finanziellen Kriterien bilanziert werden.2 Diesbezüglich schreibt Hurrelmann, dass die Motive für den Kinderwunsch heute nicht mehr auf ökonomische und pragmatische Vorteile zurückzuführen sind, sondern eher im Gewinn von emotionaler und biografischer Lebensqualität liegen (vgl. HURRELMANN 2004, S. 13). Hinzu kommt, dass heute effektive Mittel zur Schwangerschaftsverhütung allgemein zugänglich sind, die es problemlos ermöglichen, eine Entscheidung gegen Kinder auch tatsächlich umzusetzen, bzw. die Kinderplanung nicht dem Zufall zu überlassen. >>Tatsächlich hat etwa die Hälfte der Ehepaare in Deutschland heute keine Kinder<< (HURRELMANN 2004 S. 38).
In Zahlen ausgedrückt bedeutet dies, dass der Anteil der unter 20-Jährigen an der deutschen Gesamtbevölkerung heute bei nur 20% liegt, während er wegen der hohen Geburtenzahlen vor dem ersten Weltkrieg damals noch bei 35% lag. Im selben Zeitraum hat sich die Altersgruppe der über 65-Jährigen prozentual von 5% auf 15% vergrößert. Nach den Bevölkerungsberechnungen des Statistischen Bundesamtes wird die ältere Gruppe bis 2020 auf über 22% anwachsen, während die jüngere auf 17% absinken wird (vgl. Internetseite des Statistischen Bundesamtes unter URL: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistiken/Bevoelk erung/Bevoelkerung.psml).
Die junge Generation und vor allem die ihr folgende wird es aufgrund dieser Entwicklung zunehmend schwer haben, sich gesellschaftlich und politisch Gehör zu verschaffen. Sie wird große Bemühungen unternehmen müssen, um die für ihre Belange wichtigen materiellen Ressourcen zu gewinnen und ihre Wünsche im Sinne einer Demokratie mehrheitlich durchzusetzen.
2.1.4. Die Modernisierungstendenzen der Gegenwart
Wir sind Augenzeugen eines gesellschaftlichen Wandels, in dessen Verlauf die bislang prägenden arbeitsbezogenen Berufskulturen und Arbeitsrollen, Verhaltensstandards, Lebensverlaufsformen und Wertemuster aufgeweicht, sowie vielfach neu ausdifferenziert werden. Auf diese Weise entsteht eine unübersichtliche und sich für jedes Individuum eigens zusammensetzende Mischung aus Selbständigkeit und Abhängigkeit, Selbst- und Fremdbestimmung, die hohe Spielräume und zugleich auch Zwänge für die Lebensgestaltung mit sich bringt (vgl. HURRELMANN 2004, S. 8). Zusammengefasst wird diese Form des Wandels unter dem Begriff der Modernisierung (vgl. u.a. HAFENEGER 2004, S. 7ff. ; FERCHHOFF 2007, S. 65 f.).
Auch Jugendliche sind von den Entwicklungs- und Veränderungsprozessen in starkem Maße betroffen und werden von ihnen beeinflusst, was auch die wissenschaftliche Beachtung dieser Lebensphase in vielfältiger Weise vorantreibt, die den neuen Entwicklungen kaum nachkommt. >>Das Thema "Jugend" hat nach wie vor – und wie es scheint, stärker denn je – Hochkonjunktur, d.h. die Publikations- und Forschungslage ist nicht mehr überschaubar; es herrscht die vielzitierte "neue Unübersichtlichkeit"<< (GRIESE 2000, S. 59).
Da die verschiedenen Modernisierungsprozesse der Gegenwart direkten wie indirekten Einfluss auf die Jugendlichen und ihre Lebensweisen hat, sollen an dieser Stelle zunächst die Phänomene der Individualisierung, Pluralisierung und Globalisierung als Haupteinflussfaktoren der Modernisierung beschrieben werden.
2.1.4.1. Individualisierung
>>Mit Individualisierung ist der Abbau von traditionellen Rollenvorschriften in den "modernen" und "emanzipierten" Wohlstandsgesellschaften des Westens gemeint, mit der die Biografie eines Menschen aus vorgegebenen Festlegungen nach Herkunft, Geschlecht, Religion, Nationalität und Ethnie herausgelöst wird<< (HURRELMANN 2004, S. 55). Ursprünglich war der Lebensverlauf einer Person je nach seiner Zugehörigkeit zu diesen Kategorien schon mit der Geburt weitgehend festgelegt. >>Lebensführung, Lebensplanung, soziales Milieu, Stand, Beruf, Konsum, Partner usw., alles das, worüber wir heute mehr oder wenig persönlich befinden dürfen / müssen, lag in früheren Zeiten – ohne Wahl-, Einflussmöglichkeit und Selbstbestimmung – weitgehend fest<< (FERCHHOFF 2007, S. 77). Mit der Aufweichung oder gar dem Schwinden der traditionellen Lebensprägungen kommt es zu einer Enttraditionalisierung und Entstrukturierung der Lebensführung. Bereits die Klassiker der Soziologie Emile Durkheim, Max Weber und Georg Simmel beschrieben diesen Prozess gesellschaftlicher Entwicklung als Individualisierung (nachgewiesen in: JUNGE 2002, S. 11; vgl. auch HITZLER / BUCHER / NIEDERBACHER 2005, S. 13).
Das Ausmaß von Entscheidungen, auf das die Individuen einen maßgeblichen Einfluss haben, ist in den westlichen, demokratischen Gesellschaften im Laufe der Modernisierung angestiegen. Jeder Mensch, gerade auch der Jugendliche, muss die Planung in Bezug auf seinen Lebenslauf auch selbst mit in die Hand nehmen, indem er sich Gedanken über seine Interessen, Talente, Stärken und Schwächen macht, sowie weitere individuelle Faktoren mit einbezieht. Ehemals streng vorgegebene Richtlinien verlieren zunehmend an Wert. >>Klassische Orientierungs- und Sozialisationssysteme wie Familie, Kirchen, Parteien, Vereine und Arbeitermilieus sind weggebrochen, aufgelöst oder unglaubwürdig geworden, zur bloßen Ideologie geronnen<< (FARIN 1998, S. 16; vgl. auch HITZLER / BUCHER / NIEDERBACHER 2005, S. 13; HAFENEGER 2004, S. 20).
2.1.4.2. Pluralisierung
Von der Pluralisierung der modernen Gesellschaft zu sprechen gehört zu den Standartformeln, um die gegenwärtigen Verhältnisse zu charakterisieren. Pluralisierung ist ein zentrales Kennzeichen der Moderne und bezeichnet die ständige Präsenz von alternativen Möglichkeiten (vgl. GRIESE 2000, S. 71f.). So eröffnet sich heute eine Vielzahl von Optionen in der Wahl weltanschaulicher und religiöser Überzeugungen, von Arbeitssituationen und kulturell geprägten Lebenspraktiken, sowie eine Vielfalt von Wert- und Normalitätsvorstellungen auch in späteren Lebensphasen.
Wenngleich z.B. auch heute noch die Ehe mit Kindern die häufigste Lebensform ist, so haben sich doch vielfältige Alternativen zu ihr entwickelt: Nichteheliche Lebensgemeinschaften, das Leben als...

Inhaltsverzeichnis

  1. HipHop in Deutschland
  2. Inhaltsverzeichnis
  3. 1 – Einleitung
  4. 2 – Jugendkulturen in Deutschland
  5. 3 – Die HipHop-Jugendkultur
  6. 4 - HipHop in Deutschland
  7. 5 – Pädagogische Überlegungen zur HipHop-Jugendkultur
  8. Glossar der Szenebegriffe
  9. Literaturverzeichnis
  10. Der Autor
  11. Footnotes