1. Einführung in Qigong
Qi Gong (ausgesprochen: Tschi Gung) beinhaltet Übungen, die den Energiefluss im Körper begünstigen und Blockaden lösen, um die Gesundheit zu erhalten, zu fördern oder wiederzuerlangen. Sie sind daher für kranke sowie für gesunde Menschen gleichermaßen geeignet und sinnvoll. Die positiven Wirkungen werden durch die Vereinigung von körperlicher und geistiger Bewegung zusammen mit Atemübungen erreicht. Das Ziel ist, dass der Trainierende mit sich in Zufriedenheit und Harmonie lebt. Dieser ausgewogene Zustand ist untrennbar mit der frei fließenden Energie, dem Qi, verbunden.
Qi bedeutet Lebensenergie, die ständig wieder aufgeladen werden muss.
Es gibt eine Vielzahl von Qigong-Übungen mit unterschiedlichen Ausprägungen. Dabei gibt es zwei Hauptkategorien. Auf der einen Seite die Übungen-in-Bewegung (Donggong) und auf der anderen Seite die Übungen-in-Ruhe (Jinggong).
Bewegtes Qigong ist für Anfänger leichter zu erlernen, da keine besondere Geisteskraft erforderlich ist. Es müssen lediglich eine Abfolge von gewissen Bewegungen zusammen mit der Atemtechnik erlernt werden. Jinggong, also Übungen in Ruhe, wird als schwerer erlernbar eingeschätzt, aber gleichfalls auch als höherwertiger angesehen. Das Qi wird direkt durch die Vorstellungskraft geleitet. Hierbei wird eine Energiedurchdringung des Körpers erreicht, zu der keine sportliche Übung fähig ist. Hier zeigt sich der wahre Meister.
Qigong ist bei weitem keine rein chinesische Erfindung, da bei dessen Entstehung auch äußere Einflüsse aus dem indischen Yoga und dem tibetischen Buddhismus eine Rolle spielten.
Sie werden in verschiedenen Büchern und bei verschiedenen Meistern und Lehrenden Abweichungen von der hier vorgestellten Form finden. Die Grundprinzipien und Wirkungsweisen sind zwar immer gleich, jedoch finden sich Abweichungen in der Reihenfolge der Übungen sowie in Ausführungsdetails bis hin zu unterschiedlichen Handhaltungen. Es gibt nicht die eine richtige Urform, die es schon immer gab oder geben wird. Vielmehr durchlaufen die Übungen einen ständigen Wandel im Laufe der Zeit. Jeder Praktizierende muss seinen eigenen Weg finden und gehen. Insbesondere sollte jeder auf seine persönlichen Eigenheiten und Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Dies gilt insbesondere für Ältere, Kranke oder körperlich Behinderte. Standtiefe, Dehnung und Bewegungsspannbreite (range of motion) sollten entsprechend angepasst werden.
Die hier vorgestellte Variante der 5 Wandlungsphasen ist offiziell von der Sawah Qigong und Taijiquan Gesellschaft autorisiert und wird mit den sechs heilenden Lauten kombiniert.
Auch in anderen Qigong-Formen kommen „begleitende“ Töne vor. So z.B. im Wu Qin Xi (Spiel der 5 Tiere) sowie im Yi Jin Jing (das muskel- und sehnenstärkende Qigong).
Ich werde die Laute mit deutschen Wortbeispielen erklären. Es gibt Lehrer und Meinungen in der Literatur, die lediglich auf die Formung des Mundes ohne tatsächliche Bildung der Laute setzen. Dem schließe ich mich jedoch nicht an, da durch die tatsächliche Tonbildung Vibrationen im Körper entstehen, die spürbare Auswirkungen auf den Körper haben. Machen Sie den Selbstversuch und spüren Sie den Unterschied.
Die Bildung von Lauten zur Ableitung gestauter Energie im Körper kennen wir auch aus anderen Bereichen. Bei körperlichen Belastungen durch z.B. Sport, das Tragen schwerer Lasten oder durch Schmerzen erhalten wir durch begleitende Tonbildungen in Form von Stöhnen, Ächzen, Schreien oder dergleichen Erleichterung und Ausgleich. U.a. in der Kampfsportart Karate wird zur Bündelung der Energie bei Schlagtechniken (Atemi) der Schrei (Kiai) verwendet.
Die Handbewegungen der 5 Wandlungsphasen wurden in den 1950er Jahren von Herrn Qin Zhongsan vermittelt und von der Qigong Abteilung der chinesischen medizinischen Klinik in Peking klinisch angewandt. Der Arzt und emeritierter Professor der Universität für TCM in Peking Song Tianbin unterrichtet das Qigong der 5 Wandlungsphasen seit Jahren regelmäßig als Gastdozent an der Universität in Oldenburg. Von diesem wiederum habe ich diese Form erlernt.
Obwohl es sich bei den 5 Wandlungsphasen um lediglich 5 Übungen zuzüglich einer abschließenden Übung handelt, ist die Ausführung zu Anfang ungewohnt und der Fluss der Bewegungen ist nicht leicht zu erreichen. Nehmen Sie sich kleine Teilziele vor. Üben Sie jeden Tag eine der Übungen ein, mit der Sie sich dann ausführlich beschäftigen. Fangen Sie am ersten Tag mit Übung Nr. 1 an. Am zweiten Tag üben sie ausführlich Übung Nr. 2 und am Schluss wiederholen Sie Übung Nr. 1 und Nr. 2 hintereinander. Fahren Sie so lange damit fort, bis Sie alle Übungen kennengelernt haben. Dann sollten Sie die Form täglich mindestens einmal praktizieren, je nach persönlicher Präferenz morgens oder abends. Sie werden sehen, wie schnell sich positive Auswirkungen auf Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden einstellen werden. Sie sollten auf alle Fälle darauf achten, mindestens 2 Stunden vor den Übungen keine Nahrung mehr zu sich zu nehmen, da ein voller Bauch die Atmung und Bewegung behindert und das Qi keinen Platz in ihm hat. Außerdem verbraucht die Verdauung wichtiges Qi, so dass weniger für Qigong zur Verfügung steht. Nach den Übungen sollten Sie noch eine halbe Stunde verstreichen lassen, bis Sie wieder Nahrung zu sich nehmen, da die Übungen noch nachwirken.
Die Übungen haben positive Auswirkungen auf die Atmungsorgane und Gliedmaßen. Gelenke werden beweglicher, die Nerven gestärkt sowie das Gleichgewichtsempfinden verbessert. Das Immunsystem und das Herz-Kreislaufsystem werden ebenso positiv beeinflusst; die Energie und die Funktionen der inneren Organe werden ins Gleichgewicht gebracht.
Für die Übungen ist ein Körperpunkt sehr wichtig, auf den später noch Bezug genommen wird. Dabei handelt es sich um das untere Dantian (ausgesprochen: Dantien; das Elixierfeld des langen Lebens und der Weisheit). Es ist ein Energiezentrum, das etwa 5 cm unterhalb des Bauchnabels im Bauch liegt. Wenn Sie die Hände aufeinander mit den Oberkanten zwei Finger breit unterhalb des Bauchnabels platzieren, liegen die Hände genau darauf. Wenn allgemein vom Dantian gesprochen wird, ist meist das untere Dantian gemeint, obwohl es auch noch das obere und mittlere Dantian gibt, was hier der Vollständigkeit halber erwähnt werden soll. Dieses Energiereservoir speichert Qi und pumpt es durch den Körper.
Der Ablauf der Übung sollte sehr langsam aber fließend erfolgen. Auf den Ablauf der Atmung, insbesondere wann ein- und wann ausgeatmet werden soll, wird bei der Vorstellung der jeweiligen Einzelübung hingewiesen. Grundsätzlich praktizieren wir die sogenannte Bauchatmung, bei der durch die Nase tief in die Brust und dann in den Bauch eingeatmet wird. Der Bauch wölbt sich dabei wie eine Kugel nach außen. So nutzen wir das volle Lungenvolumen aus, belüften unsere Lunge optimal und führen unserem Körper den größtmöglichen Sauerstoff zu. Die Ausatmung erfolgt mit der jeweiligen Lautbildung unterstützt durch die Bewegung.
Ich habe diese Einführung so kurz wie möglich gehalten und verzichte mit Absicht auf endlose theoretische Ausführungen zum Qigong und der traditionellen chinesischen Medizin. Das haben viele andere Bücher in ganzer Bandbreite schon getan und ich wollte nicht noch ein Buch veröffentlichen, das die ersten 150 Seiten das gleiche Thema zum x-ten Male auswalzt. Hier geht es in erster Linie um die Vorstellung und das Erlernen der Form.
Ich habe versucht, möglichst jeden kleinen Zwischenschritt im Bild festzuhalten und zu beschreiben, so dass allein mit diesem Buch ein Kennenlernen und eine Rohpraktizierung der Form möglich sein sollten. Der letzte Feinschliff kann dann durch die Unterrichtung eines erfahrenen Meisters eines anerkannten Verbandes erfolgen. Dieses Buch sollte also als Vorbereitung oder Begleiter zu einem Kurs gesehen werden, was ja letztendlich für jedes Lehrbuch gilt.
Ich wünsche viel Spaß und Erfolg beim Üben!
2. Grundhaltungen
2.1. Handhaltungen
Das Weidenblatt
Bei der Handhaltung „Weidenblatt“ sind die vier Finger gestreckt und liegen eng zusammen. Der Daumen ist angelegt.
Die Spreizhand
Bei der Handhaltung für die Übung Nr. 2 "Glattstreichen" werden der kleine Finger und der Daumen abgespreizt. Die anderen Finger liegen zusammen.
Das Tigermaul
Beim Tigermaul sind die vier Finger gestreckt und liegen eng zusammen. Der Daumen ist im 90°-Winkel von der Hand abgespreizt.
Durch diese Abspreizung wird der Name „Tigermaul“ begründet.
Die Hakenhand des Affen
Das Handgelenk ist leicht gebeugt. Die Fingerspitzen berühren sich. Diese Handhaltung ist auch unter dem Namen "Pflaumenblüte" bekannt.
Die gekreuzten Hände
Die beiden „Tigermäuler“ werden zusammengeführt, die Daumen ineinander verschränkt und die Hände, linke unten und rechte oben, zusammen auf den Bauchnabel gelegt.
2.2. Beinstellungen
Ausgangsstellung
Bei dieser Stellung stehen beide Füße zusammen und zeigen nach vorne. Die Arme hängen rechts und links am Körper anliegend herab. Das Körpergewicht ist gleichmäßig auf beide Beine ver...