III. LITERATUR-NOBELPREISTRÄGER
III.1. GERHART HAUPTMANN (LITERATUR-NOBELPREIS 1912): „ICH MUSS ENDLICH DIESE SENTIMENTALE ´JUDENFRAGE´ FÜR MICH … ABTUN: ES STEHEN WICHTIGERE, … DEUTSCHE DINGE AUF DEM SPIEL“
Georg Lukács [1] [2] nannte Hauptmann den „repräsentativen Dichter des bürgerlichen Deutschlands“ [3] und brachte dadurch seinen Unmut über die „Kehrtwende“ des (nach Theodor Mommsen [1902], Rudolf Eucken [1908] und Paul Heyse [1910]) innerhalb einer Dekade bereits vierten deutschen Nobelpreisträgers für Literatur zum Ausdruck – seinen, Lukács´, Verdruss über Hauptmanns Wandel von naturalistischen Anfängen (wie sie in Hauptmanns sozialkritischen Dramen zum Ausdruck kommen) zu einem literarischen Schaffen als Hommage an das Besitz- und Bildungsbürgertum (wobei er, Hauptmann, auch und gerade mit den Reichen und Mächtigen einen ebenso regen wie vertrauten Umgang pflegte [4]).
Spöttisch bezeichnete Thomas Mann, seinerseits 1929 mit dem Nobelpreis geehrt, seinen Prä-Laureaten als „König der Republik“; „andere wollten ihn gar zu deren wirklichem Präsidenten machen. Hauptmann verweigerte sich, fand dann aber den Gedanken … reizvoll …: ´Warum muss ich Präsident werden? Weil kein Andrer heut das deutsche … so in sich trägt´“ [5].
An Selbstbewusstsein, oft Selbstüberschätzung mangelte es Hauptmann jedenfalls nicht. Zumindest demonstrierte er solches nach außen. U.a. durch einen aufwendigen, geradezu ruinösen Lebensstil [6]; allein diesen zu errichten und aufrechtzuerhalten nötigte ihn, sich den je Herrschenden anzudienen.
Auch nutzte er öffentliche Großauftritte und das neu aufkommende Medium Rundfunk zur Selbstdarstellung, nachgerade zur „Selbstmonumentalisierung, die Hauptmann, hier noch Anhänger des sozialdemokratischen Reichskanzlers Ebert, zehn Jahre später auf den Charisma-Schauspieler Hitler hereinfallen ließ“ [5].
Hauptmann sah sich als Repräsentant einer Epoche, „…die, süchtig nach Propheten und Führern, auch ihren Dichtern eine äußerlich sichtbare messianische Kraft zuerkennen wollte. Stefan Georges Jünger waren überzeugt, ihr Meister trage das ´gewaltigste Haupt´, das je ein Deutscher besessen. Hauptmann-Verehrer wie Stefan Zweig beteuerten, ihr Kunstgott sei ´herrlich als Erscheinung, schöner als je, seit ihm das Haar so voll die Stirne freigibt und das Antlitz gleichsam frei wird´. Die zunehmende, fast unheimliche Goethe-Ähnlichkeit (an der er zweifellos gearbeitet hat …) tat ein Übriges. ´Einen schöneren Kopf gibt's kaum´, befand der Maler Max Liebermann und resümierte, leicht belustigt, Hauptmann sei ´der [e. U.] deutsche Dichter, auch weil er so aussieht´“ [ibd.].
Und Hauptmann war wandlungsfähig: von seinen sozialkritischen Dramen bis zur glühenden Hitlerverehrung, von der Bejahung des 1. Weltkriegs (Manifest der 93: „Glaubt uns! Glaubt, daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle. Dafür stehen wir Euch ein mit unserem Namen und mit unserer Ehre!“ [7]; s. auch [8-10]) bis zum Bekenntnis zur neuen (Weimarer) Republik, welches Hugo Ball zur politischen Schrift „Die Fingerfertigen“ (vom 30.November 1918) veranlasste [11]:
„Das darf nicht sein! Feierlich erheben wir Protest. Zum zweiten Male soll das betrogene deutsche Volk von seinen sogenannten ´Dichtern und Denkern´, mit Gerhart Hauptmann an der Spitze, genasführt werden. Soeben wird eine Kundgebung Berliner ´Künstler und Dichter´ bekannt, die es verdient, niedriger gehängt zu werden. Man sehe sich vor! Cave canem! Videant consules. [E. A.: „Videant consules, ne quid res publica detrimenti capiat: Mögen die Konsuln darauf achten, dass der Staat keinen Schaden nehme.“] Namen der in der ganzen Kulturwelt berüchtigten Dreiundneunzig figurieren wieder darunter! Schon das genügt … Die Wahrheit soll aufs neue genotzüchtigt, die Tatsachen sollen von diesen Geistesheroen, die die Verletzung Belgiens verteidigten, die Lieder auf Ludendorff und Hindenburg sangen, wieder auf den Kopf gestellt werden.“
Simpel formuliert könnte man auch behaupten: Hauptmann war ein Opportunist. Oder, mit Blick auf die deutsche Wiedervereinigung von 1990: Hauptmann war ein Wendehals.
Welcher Umstand (den Politiker, Publizisten und Karl-Marx-Biographen) Franz Mehring – im Hinblick auf die Abwendung Hauptmanns vom Naturalismus und seine Hinwendung zur Neuromantik, wie diese in „Hanneles Himmelfahrt“, Hauptmanns Traumdichtung in 2 Akten, zum Ausdruck kommen – zu der Aussage veranlasste:
„Wir sind noch niemals verurteilt gewesen, einen so großen Missbrauch eines so großen Talents mit eigenen Augen zu sehen“ [12].
Aber Hauptmann blieb einigen seiner Einstellungen auch treu: Bereits 1905 trat er, als einer der ersten, der „Gesellschaft für Rassehygiene“ bei; insofern waren ihm wichtige Elemente nationalsozialistischen Gedankenguts – lange vor der Machtergreifung der Nazis und euphemistisch formuliert – nicht fremd [13].
Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass Hauptmann – den Carl Zuckmayer später als „strahlend von unverwüstlicher Gesundheit und Lebenskraft“ bezeichnete [14] – in den ersten vier bis fünf Dekaden seines Lebens alles andere als gesund war: Bereits im Alter von einigen Monaten erkrankte er an einer schweren Gehirnhautentzündung, später dann (im Alter von 22 Jahren) an Typhus, und zwar so schwer, dass seine Braut bereits Abschied von dem Sterbenden genommen hatte.
Als Hauptmann, gleichwohl „genesen“, ein Jahr später seine Verlobte heiratete, hörte er, „der damals ohne abgeschlossene Ausbildung, Beruf und Einkommen war, … einen Zufallspassanten sagen: ´Der Kerl krepiert ja in den ersten acht Tagen!´“ [15]
„Jeden Augenblick konnte es, fürchtete ich, mit mir zu Ende sein“ [16], so Hauptmann in „Abenteuer meiner Jugend“; er bezog sich mit dieser Aussage auf das „Gespenst des Bluthustens“ im Rahmen seiner schweren Lungentuberkulose [ibd.].
Obwohl Hauptmann mithin nicht gerade als gesund gelten konnte und somit zur Zeugung erbgesunden Nachwuchses als nicht geeignet erscheinen musste, war er Anhänger der Eugenik-Lehre eines seiner besten und engsten Freunde, des Arztes Alfred Ploetz (1860-1940), der 1905 die „(Deutsche) Gesellschaft für Rassenhygiene“ ins Leben rief (im selben Jahr, in dem der „Sozialreformer“ Alfred Grotjahn, wie Hauptmann Gründungs-Mitglied vorgenannter Gesellschaft für Rassenhygiene [16a], auch die „Gesellschaft für Soziale Medizin, Hygiene und Medizinalstatistik“ gründete) [17] [18]; Hauptmann hatte Ploetz durch seinen, Hauptmanns, älteren Bruder Carl kennengelernt und setzte ihm, Ploetz, namentlich in „Vor Sonnenaufgang“ ein literarisches Denkmal [als Sozialreformer Alfred Loth]). Kaum ein anderer habe in Hauptmanns Werk so viele Spuren hinterlassen wie eben dieser unglückselige Alfred Ploetz, der, zusammen mit Wilhelm Schallmayer [19-21], als Begründer der Rassenhygiene in Deutschland gilt und auch den unsäglichen Begriff der „Rassenhygiene“ prägte [22].
Vorstellungen und Inhalte der Rassehygiene wurden im Wissenschaftsbetrieb durch einen ersten Lehrstuhl für Rassenhygiene implementiert und institutionalisiert (1923, München; Lehrstuhlinhaber: Fritz Lenz, der sowohl in der Weimarer Republik als auch während des Reiches, das statt geplanter tausend gerade einmal zwölf Jahre dauerte, als der Rassehygieniker schlechthin galt) [23]; Alfred Ploetz lobhudelte – bereits im April 1933 – Adolf Hitler (in einer Ergebenheitsadresse: er, Ploetz, drücke ihm, Hitler, in „herzlicher Verehrung die Hand“, dem Manne, „der die deutsche Rassenhygiene aus dem Gestrüpp ihres bisherigen Weges durch seine Willenskraft in das weite Feld freier Betätigung“ führe [24; e. U.]); bemerkenswerterweise wurde Ploetz nicht nur zum Mitglied der Leopoldina [25] auserkoren (wie Frau Prof. Tausendschöön, siehe [26]), sondern (1936) auch für den Friedens-Nobelpreis nominiert; was auf dem „weiten Feld freier Betätigung“ beackert wurde (Vernichtung sog. erbkranken Nachwuchses, Ausrottung „minderwertiger“ Rassen, sprich der Holocaust, und dergleichen mehr) ist hinlänglich bekannt und bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Und in diesem Umfeld bewegte sich Gerhart Hauptmann. Spätestens seit 1905 (s. zuvor). Gedanklich wie tatsächlich. Insofern ist der Umstand, dass er sich (ab 1933) den braunen Machthabern andiente, nicht nur als opportunistische Berechnung, vielmehr auch als (zumindest partieller) ideeller Konsens einzuordnen. Und zu werten.
Denn Hauptmann wusste, konnte zumindest erahnen, wie die nationalsozialistischen Machthaber das Rassehygiene-„Problem lösen“ würden und in der Tat auch „gelöst“ haben:
„Zwischen dem 15. und dem 24. Oktober 1941 erfolgte die rasche Niederschrift des kleinen Werks, das noch im Dezemberheft der Neuen Rundschau gedruckt wurde [27]. Am Ende dieses Märchens, das nicht nur dem generischen Titel nach an Goethes gleichnamiges Werk anschließt, verläßt der Pilger Theophrast das ´zauberische Gebiet´, durch das er gerade eine eigentümliche Reise gemacht hat, ´ohne das höchste Institut mit seinem Krematorium kennengelernt zu haben, den höchsten Sammelplatz der Irrlichter, wo man Tag und Nacht menschliche Torheit zu Asche brennt´. Er erklärt, ´es gäbe dergleichen Zermalmungsmühlen auch auf dem Acker der Kartoffeln, Rüben und Kohlköpfe, ja, er, einst Theophrastus geheißen, habe den Irrtum begangen, sich an ihrer Gründung hervorragend zu beteiligen´ (VI 485) [28] …: ´Heutigen Lesern mag es schwer fallen, diesen Todesmühlen nicht … Verbrennungsöfen zu assoziieren´“ [29].
Und Hauptmann wusste, dass er Mitschuld trug: „ja, er, einst Theophrastus geheißen, habe den Irrtum begangen, sich an ihrer Gründung hervorragend zu beteiligen“ (s. zuvor).
(Anmerkung: Zweifelsohne ist Theophrastus eine Anspielung auf Theophrastus Bombastus von Hohenheim, also Paracelsus, den berühmtesten Arzt zu Beginn der Neuzeit; dieser, Paracelsus, rettete Menschenleben, er, „einst Theophrastus geheißen“ [und in vermeintlich guter Absi...